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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
                 
 
 
5A_747/2019  
 
 
Urteil vom 24. November 2020  
 
II. zivilrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichterin Escher, präsidierendes Mitglied, 
Bundesrichter von Werdt, Schöbi, 
Gerichtsschreiber Levante. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Philip Stolkin, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen  
 
Gemeinde Rothenburg, 
Stationsstrasse 4, 6023 Rothenburg, 
vertreten durch Rechtsanwalt Marco Schröter, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Definitive Rechtsöffnung, 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Kantonsgerichts Luzern, 1. Abteilung, vom 8. August 2019 (2C 19 23/ 
2U 19 4). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
 
A.a. Mit Zahlungsbefehl vom 31. August 2018 betrieb die Gemeinde Rothenburg A.________ für eine Forderung von Fr. 56'017.60. Zur Sicherung dieser Forderung wurde auf deren hälftigem Miteigentumsanteil am Grundstück Nr. xxx GB Rothenburg Arrest gelegt. A.________ erhob in der Betreibung Nr. yyy des Betreibungsamtes Rothenburg Rechtsvorschlag.  
 
A.b. Mit Gesuch vom 14. September 2018 beantragte die Gemeinde Rothenburg die definitive Rechtsöffnung und stützte sich dabei auf ihren Entscheid vom 9. Juni 2016, in welchem A.________ und ihr Ehemann zur Rückerstattung von Sozialhilfe im Umfang von Fr. 56'017.60 verpflichtet werden. Am 15. Februar 2019 erteilte die Einzelrichterin des Bezirksgerichts Hochdorf der Gemeinde Rothenburg die definitive Rechtsöffnung für den in Betreibung gesetzten Betrag.  
 
B.   
A.________ gelangte gegen den Rechtsöffnungsentscheid an das Kantonsgericht Luzern. Sie verlangte die Abweisung des Gesuchs um definitive Rechtsöffnung. Das Kantonsgericht hiess die Beschwerde am 8. August 2019 teilweise gut. Es gewährte der Gemeinde Rothenburg die definitive Rechtsöffnung lediglich für den Betrag von Fr. 28'008.80 und wies das Gesuch im Mehrbetrag ab. 
 
C.   
Am 20. September 2019 ist A.________ mit Beschwerde in Zivilsachen an das Bundesgericht gelangt. Die Beschwerdeführerin beantragt die Aufhebung des kantonsgerichtlichen Entscheides und die Verweigerung der definitiven Rechtsöffnung. 
Weiter stellt sie ein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege. 
Die Gemeinde Rothenburg (Beschwerdegegnerin) schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Das Kantonsgericht Luzern hat auf eine Vernehmlassung verzichtet. Die Beschwerdeführerin übermittelte dem Bundesgericht daraufhin ihre kurzen Bemerkungen und verzichtete überdies auf eine Replik. 
In der Sache sind die kantonalen Akten beigezogen worden. 
 
Erwägungen:  
 
 
1.  
 
1.1. Angefochten ist der Entscheid eines oberen kantonalen Gerichts, das als Rechtsmittelinstanz über eine Rechtsöffnung in der (streitig gebliebenen) Höhe von über Fr. 30'000.-- befunden hat. Dagegen steht die Beschwerde in Zivilsachen zur Verfügung (Art. 72 Abs. 2 lit. a, Art. 74 Abs. 1 lit. b und Art. 75 BGG). Die Beschwerdeführerin ist als Betreibungsschuldnerin vom angefochtenen Entscheid hinreichend betroffen und daher zur Beschwerde berechtigt (Art. 76 Abs. 1 lit. b BGG).  
 
1.2. Mit der vorliegenden Beschwerde kann insbesondere die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). In der Beschwerde ist in gedrängter Form darzulegen, inwiefern der angefochtene Entscheid Recht verletzt (Art. 42 Abs. 2 BGG; BGE 143 I 377 E. 1.2). Die Verletzung verfassungsmässiger Rechte ist ebenfalls zu begründen, wobei hier das Rügeprinzip gilt (Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 142 III 364 E. 2.4).  
 
1.3. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Neue Tatsachen und Beweismittel sind nur zulässig, soweit der vorinstanzliche Entscheid dazu Anlass gibt (Art. 99 Abs. 1 BGG).  
 
2.   
Die Vorinstanz hat im Wesentlichen erwogen, die Gläubigerin lege als definitiven Rechtsöffnungstitel den vollstreckbaren Einspracheentscheid ihres Gemeinderates vom 9. Juni 2016 über die Rückerstattung wirtschaftlicher Sozialhilfe für die Zeit vom 1. Februar 2012 bis 28. Februar 2013 vor. Darin würden die Betreibungsschuldnerin und ihr Ehegatte zur Zahlung von insgesamt Fr. 56'017.60 verurteilt, ohne eine solidarische Verpflichtung im Sinne von Art. 143 OR festzulegen. Eine klare gesetzliche Grundlage wie in anderen Kantonen fehle hierfür im Kanton Luzern. Gestützt auf den im schweizerischen Sozialhilferecht geltenden Grundsatz der Unterstützungseinheit werde die Familie im Bedürftigkeitsfall als eine wirtschaftliche Schicksalsgemeinschaft betrachtet, weshalb jeder Schuldner zu gleichen Teilen hafte. Damit schulde die ins Recht gefasste Beschwerdeführerin als Ehegattin nicht den ganzen Betrag, sondern bloss die Hälfte der in Betreibung gesetzten Forderung, nämlich Fr. 28'008.80. 
 
3.   
Anlass zur Beschwerde geben die Anforderungen an einen definitiven Rechtsöffnungstitel für eine öffentlich-rechtliche Forderung. Strittig ist, ob die Betreibungsgläubigerin über einen Vollstreckungstitel verfügt und die Beschwerdeführerin aufgrund des eingereichten Einspracheentscheides zur hälftigen Zahlung des in Betreibung gesetzten Geldbetrages verpflichtet ist. 
 
3.1. Beruht die Forderung auf einem vollstreckbaren gerichtlichen Entscheid, so kann der Gläubiger beim Richter die Aufhebung des Rechtsvorschlags verlangen. Gerichtlichen Entscheiden gleichgestellt sind unter anderem die Verfügungen schweizerischer Verwaltungsbehörden (Art. 80 Abs. 1 und Abs. 2 Ziff. 2 SchKG; BGE 143 III 162 E. 2.1). Eine Verfügung berechtigt zur definitiven Rechtsöffnung ungeachtet ihrer Grundlage im Bundesrecht, im kantonalen oder kommunalen Recht. Erforderlich ist in jedem Fall die vollstreckbare, individuell-konkrete Anordnung der Behörde, einen bestimmten Betrag zu zahlen, womit eine blosse Rechnung nicht genügt (BGE 143 III 162 E. 2.1, 2.2.1; D. STAEHELIN, in: Basler Kommentar, Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs, 2. Aufl. 2010, N. 102, 112 und 120 zu Art. 80; ABBET, in: La mainlevée de l'opposition, 2017, N. 126 f. zu Art. 80).  
 
3.2. Die Beschwerdeführerin macht vorab geltend, dass die Angaben des Arrestgesuchs nicht mit denjenigen auf dem Einspracheentscheid (Rechtsöffnungstitel) übereinstimmen und keine Solidarhaftung bestehe, womit die Rechtsöffnung hätte verweigert werden müssen. Mit diesem Vorbringen verkennt die Beschwerdeführerin, dass es im konkreten Fall nicht darum geht, ob das Sicherungsmittel (Arrest bzw. Arrestprosequierung) zur Vollstreckung korrekt erfolgt ist (vgl. Art. 271, Art. 279 SchKG). Zu entscheiden ist einzig, ob der vorgelegte Titel die Beschwerdegegnerin berechtigt, den geforderten Betrag durch Öffnung des Vollstreckungsweges geltend zu machen.  
 
3.3. Zur Hauptsache wehrt sich die Beschwerdeführerin dagegen, dass die Vorinstanz sie als Teilschuldnerin des von der Beschwerdegegnerin geforderten Betrages bezeichnet. Ihrer Ansicht nach ergibt sich aus dem Einspracheentscheid nicht, dass sie und ihr Ehemann den geforderten Betrag zu gleichen Teilen schulden. Es handle sich im konkreten Fall um eine gemeinschaftliche Schuld, für welche beide Ehegatten gemeinsam ins Recht gefasst werden müssten.  
 
 
3.3.1. Das Gemeinwesen ist nach dem in Art. 12 BV verankerten Grundrecht auf Existenzsicherung zur Unterstützung Bedürftiger verpflichtet. Der individuelle Anspruch auf wirtschaftliche Sozialhilfe wird durch das kantonale öffentliche Recht umschrieben (vgl. Art. 115 BV; BGE 138 V 310 E. 2.1). Dies gilt auch für die Voraussetzungen einer Rückerstattung bezogener Leistungen (vgl. WIZENT, Sozialhilferecht, 2020, Rz. 785). Der Kanton regelt zudem das Verfahren (zur Rückerstattung) und legt fest, inwieweit das Verhältnis zwischen Behörde und Bezüger (sowie Rechtsnachfolger) durch Erlass einer Verfügung geregelt werden kann (Urteil 8C_254/2011 vom 7. Juli 2011 E. 6.3 und 6.4). Im Kanton Luzern sind diesbezüglich das Sozialhilfegesetz (SHG/LU) und das Verwaltungsrechtspflegegesetz (VRG/LU) massgebend. Die Rückerstattung von Leistungen wird in § 38 ff. SHG/LU geregelt. Die Beschwerdeführerin stellt nicht in Frage, dass die Beschwerdegegnerin berechtigt war, ihre Rückerstattungsansprüche durch Erlass einer Verfügung festzulegen.  
 
3.3.2. Der Einspracheentscheid der Beschwerdegegnerin vom 9. Juni 2016 richtet sich an die Beschwerdeführerin und ihren Ehemann. Angeordnet wird die Rückerstattung von rechtmässig bezogenen Leistungen der beiden in der Höhe von Fr. 56'017.60. Begründet wird der Entscheid mit der verbesserten wirtschaftlichen Situation der Einsprecher als Folge einer Erbschaft, die der Ehemann kürzlich angetreten hatte.  
 
3.3.3. Der Einspracheentscheid der Beschwerdegegnerin genügt durchaus den üblichen Anforderungen an eine Verfügung (vgl. Art. 5 VwVG). Eine solche gilt indes nur dann als definitiver Rechtsöffnungstitel, wenn die Zahlungspflicht des Schuldners und deren Höhe sowie die Identität des Betreibenden mit dem Gläubiger bzw. des Betriebenen mit dem Schuldner daraus hervorgehen (STAEHELIN, a.a.O., N. 130 f. zu Art. 80; ABBET, a.a.O., N. 156 betreffend Solidarität). Die Anforderungen an eine vollstreckbare Verfügung hat der Rechtsöffnungsrichter aufgrund der eingereichten Unterlagen von Amtes wegen zu prüfen (STAEHELIN, a.a.O., N. 50 zu Art. 84).  
 
3.3.4. Im vorliegenden Fall liegt kein Titel vor, aus welchem der konkrete Betrag hervorgeht, zu dessen Zahlung die Beschwerdeführerin verpflichtet worden ist. Dabei handelt es sich um ein wesentliches Element, das den Einspracheentscheid erst zu einem definitiven Rechtsöffnungstitel macht. Zwar müssen die inhaltlichen Voraussetzungen sich nicht zwingend aus dem Dispositiv, sondern können sich auch aus der Begründung der Verfügung ergeben (BGE 79 I 327 E. 2). Es ist indes nicht Sache des Rechtsöffnungsrichters, durch eine materiellrechtliche Prüfung des Anspruchs die nötige Grundlage zu schaffen, damit er den in der Verfügung nicht festgelegten Betrag ergänzen kann. Das Kantonsgericht hat festgehalten, dass der vorgelegte Entscheid nicht als Vollstreckungstitel für den ganzen Betrag herhalten könne, weil das kantonale Sozialhilferecht keine gesetzliche Solidarhaftung zur Rückerstattung vorsehe. Es hat gefolgert, dass (mangels gesetzlicher Solidarschuldnerschaft) eine Teilschuldnerschaft bestehe, d.h. die Beschwerdegegnerin lediglich einzelne Teilforderungen gegenüber jedem einzelnen Schuldner habe, wobei keine Zuordnung an die einzelnen Personen einer Unterstützungseinheit getroffen werde: Die Teilforderungen seien "mangels Abrede" gleich gross, weshalb die Beschwerdeführerin die Rückerstattungspflicht zur Hälfte treffe. Die Vorinstanz stellte im vorliegenden Fall anhand der Begründung des Einspracheentscheides und in Anwendung des kantonalen Sozialhilferechts Überlegungen an, aufgrund derer sie die von der Beschwerdeführerin zu zahlende Summe materiell festlegte. Der Hinweis der Vorinstanz auf die Praxis und Lehre (STAEHELIN, a.a.O., N. zu Art. 82), wonach die provisorische Rechtsöffnung für anteilsmässige Quoten erteilt werden kann, wenn sich mehrere Personen ohne solidarische Verbindung in einer Schuldanerkennung verpflichtet haben, vermag daran nichts zu ändern. Mit ihrer Sichtweise sprengt die Vorinstanz den Rahmen des Rechtsöffnungsverfahrens, welches einzig dazu dient, die eingereichte Verfügung auf ihre Eignung als Vollstreckungstitel zu prüfen (BGE 139 III 444 E. 4.1.1.1; 132 III 140 E. 4.1.1). Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin hatte sich die Vorinstanz auch nicht zur Frage einer gemeinschaftlichen Schuld der Einsprecher zu äussern.  
 
3.4. Im Ergebnis fehlt es an einem definitiven Rechtsöffnungstitel für den konkreten Betrag, den die Beschwerdegegnerin gemäss ihrem Einspracheentscheid an wirtschaftlichen Sozialleistungen auf dem Betreibungsweg zurückfordert. Damit erübrigt sich die Prüfung der weiteren Vorbringen der Beschwerdeführerin. Nach dem Gesagten verletzt die Vorinstanz Bundesrecht, soweit sie der Beschwerdegegnerin die definitive Rechtsöffnung für den Teilbetrag von Fr. 28'008.80 erteilt hat.  
 
4.   
Die Beschwerde ist gutzuheissen. Der angefochtene Entscheid ist aufzuheben. Das Rechtsöffnungsgesuch der Beschwerdegegnerin ist abzuweisen. 
Zur Neuverteilung der Kosten des kantonalen Verfahrens wird die Sache an die Vorinstanz zurückgewiesen (Art. 67 BGG). 
Nach dem Ausgang des bundesgerichtlichen Verfahrens trägt die Beschwerdegegnerin, welche in ihren Vermögensinteressen betroffen ist, die Verfahrenskosten (Art. 66 Abs. 1 und 4 BGG). Sie hat die Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche Verfahren zu entschädigen (Art. 68 Abs. 2 BGG). Das Gesuch der Beschwerdeführerin um unentgeltliche Rechtspflege wird damit hinfällig. 
 
 
 Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
 
1.   
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Der Entscheid des Kantonsgerichts Luzern vom 8. August 2019 wird aufgehoben und das Rechtsöffnungsgesuch der Beschwerdegegnerin in der Betreibung Nr. yyy des Betreibungsamtes Rothenburg abgewiesen. Die Sache wird zur Neuverteilung der Kosten des kantonalen Verfahrens an die Vorinstanz zurückgewiesen. 
 
2.   
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt. 
 
3.   
Die Beschwerdegegnerin hat die Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2'200.-- zu entschädigen. 
 
4.   
Das Gesuch der Beschwerdeführerin um unentgeltliche Rechtspflege wird als gegenstandslos abgeschrieben. 
5. 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Kantonsgericht Luzern, 1. Abteilung, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 24. November 2020 
 
Im Namen der II. zivilrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Das präsidierende Mitglied: Escher 
 
Der Gerichtsschreiber: Levante