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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
1B_529/2022  
 
 
Urteil vom 16. Januar 2023  
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Müller, präsidierendes Mitglied, 
Bundesrichter Chaix, Kölz, 
Gerichtsschreiber Hahn. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
Beschwerdeführer, 
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Thomas Merz, 
 
gegen  
 
Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern, Abteilung 4 Spezialdelikte, 
Eichwilstrasse 2, Postfach 1662, 6011 Kriens. 
 
Gegenstand 
Strafverfahren; Verfahrenstrennung, 
 
Beschwerde gegen den Beschluss des Kantonsgerichts Luzern, 1. Abteilung, vom 8. September 2022 
(2N 22 102). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Die Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern, Abteilung 4 Spezialdelikte, führt eine Strafuntersuchung gegen A.________ wegen Missbrauchs von Lohnabzügen, Urkundenfälschung, Betrugs, mehrerer Ehrverletzungsdelikte gegenüber seiner Ex-Ehefrau und Personen aus deren Umfeld sowie weiterer Delikte. Mit Verfügung vom 30. Juni 2022 trennte die Staatsanwaltschaft diejenigen Strafverfahren, die Strafvorwürfe zum Nachteil der Ex-Ehefrau von A.________ und Personen aus deren familiären Umfeld zum Gegenstand haben, von den übrigen Verfahren ab. Diese Verfahrenstrennung begründete die Staatsanwaltschaft im Wesentlichen mit dem drohenden Eintritt der Verfolgungsverjährung hinsichtlich der A.________ vorgeworfenen Ehrverletzungsdelikte. Eine von A.________ gegen diese Verfügung erhobene Beschwerde wies das Kantonsgericht des Kantons Luzern mit Beschluss vom 8. September 2022 ab. 
 
B.  
Mit Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht vom 11. Oktober 2022 beantragt A.________, der Beschluss des Kantonsgerichts vom 8. September 2022 sei aufzuheben und es sei von einer Verfahrenstrennung abzusehen. 
Das Kantonsgericht und die Staatsanwaltschaft schliessen auf Abweisung der Beschwerde. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Gegen den angefochtenen kantonal letztinstanzlichen Entscheid steht die Beschwerde in Strafsachen gemäss Art. 78 ff. BGG offen. Der am vorinstanzlichen Verfahren beteiligte Beschwerdeführer ist als beschuldigte Person zudem gemäss Art. 81 Abs. 1 BGG grundsätzlich zur Beschwerdeführung berechtigt. Der angefochtene Entscheid schliesst das Strafverfahren indes nicht ab. Es handelt sich daher um einen Zwischenentscheid, der nur unter den Voraussetzungen von Art. 92 und 93 BGG angefochten werden kann. Danach ist die Beschwerde insbesondere zulässig, wenn der angefochtene, selbständig eröffnete Zwischenentscheid die Zuständigkeit oder ein Ausstandsbegehren betrifft (Art. 92 BGG) oder wenn er einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken kann (Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG).  
 
1.2. Der angefochtene Beschluss bewirkt keine Änderung der Zuständigkeiten im Sinne von Art. 92 BGG, ist doch auch nach der Verfahrenstrennung - soweit ersichtlich - weiterhin nur die Abteilung 4 Spezialdelikte der Staatsanwaltschaft mit der Leitung aller gegen den Beschwerdeführer geführten Strafverfahren betraut (vgl. BGE 147 IV 188 E. 1.3.1; Urteil 1B_230/2019 vom 8. Oktober 2019 E. 1.4; je mit Hinweisen). Streitgegenstand des vorinstanzlichen Verfahrens war sodann auch kein Ausstandsbegehren im Sinne von Art. 92 BGG. Ein Eintreten unter dem Gesichtspunkt von Art. 92 BGG fällt damit ausser Betracht.  
 
1.3.  
 
1.3.1. Beim drohenden nicht wieder gutzumachenden Nachteil im Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG muss es sich im Bereich der Beschwerde in Strafsachen um einen solchen rechtlicher Natur handeln. Nicht wieder gutzumachend bedeutet, dass er auch mit einem für die beschwerdeführende Person günstigen Endentscheid nicht oder nicht vollständig behebbar ist (BGE 147 IV 188 E. 1.3.2; 141 IV 289 E. 1.2). Ein lediglich tatsächlicher Nachteil wie die Verteuerung oder Verlängerung des Verfahrens genügt nicht (BGE 144 IV 321 E. 2.3; 142 III 798 E. 2.2). Die beschwerdeführende Person muss, wenn das nicht offensichtlich ist, im Einzelnen darlegen, inwiefern ihr ein nicht wieder gutzumachender Nachteil rechtlicher Natur drohen soll (vgl. Art. 42 Abs. 2 BGG; BGE 141 IV 284 E. 2.3; Urteil 1B_146/2021 vom 7. Juni 2022 E. 2.2.1).  
 
1.3.2. Nach der Praxis des Bundesgerichts liegt bei strafprozessualen Verfahrenstrennungen dann grundsätzlich ein nicht wieder gutzumachender Nachteil nach Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG vor, wenn ein gegen mehrere Beschuldigte geführtes Strafverfahren getrennt wird. Der Rechtsnachteil begründet sich in solchen Fällen damit, dass die beschuldigten Personen durch die Verfahrenstrennung ihre Partei- und Teilnahmerechte in den Verfahren gegen die anderen Mitbeschuldigten verlieren (vgl. BGE 147 IV 188 E. 1.3.4 f.). Die vorliegend zu beurteilende Situation ist damit nicht vergleichbar. Streitig ist nicht eine Verfahrenstrennung in einem Strafverfahren gegen mehrere Mitbeschuldigte, sondern eine Verfahrenstrennung in einer einzig den Beschwerdeführer betreffenden Strafuntersuchung. Dem Beschwerdeführer stehen auch nach der Verfahrenstrennung weiterhin alle Parteirechte zu. Den nicht wieder gutzumachenden Nachteil sieht der Beschwerdeführer jedoch darin, dass bei einer Verfahrenstrennung die ihm vorgeworfenen Ehrverletzungsdelikte möglicherweise noch vor Eintritt der Verfolgungsverjährung im April 2023 abgeurteilt werden könnten. Wie es sich damit verhält, kann an dieser Stelle offengelassen werden, da sich die in der Sache erhobenen Rügen aufgrund der nachfolgenden Erwägungen ohnehin als offensichtlich unbegründet erweisen.  
 
2.  
Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung von Art. 29 Abs. 1 lit. a und Art. 30 StPO durch die Vorinstanz. 
 
2.1. Nach Art. 29 Abs. 1 StPO werden Straftaten gemeinsam verfolgt und beurteilt, wenn eine beschuldigte Person mehrere Straftaten verübt hat (lit. a) oder Mittäterschaft oder Teilnahme vorliegt (lit. b). Die Staatsanwaltschaft und die Gerichte können aus sachlichen Gründen Strafverfahren trennen oder vereinen (Art. 30 StPO). Der in Art. 29 StPO verankerte Grundsatz der Verfahrenseinheit bezweckt die Verhinderung sich widersprechender Urteile, sei dies bei der Sachverhaltsfeststellung, der rechtlichen Würdigung oder der Strafzumessung. Er gewährleistet somit das Gleichbehandlungsgebot (Art. 8 BV). Überdies dient er der Prozessökonomie. Eine Verfahrenstrennung ist gemäss Art. 30 StPO nur bei Vorliegen sachlicher Gründe zulässig und muss die Ausnahme bleiben. Eine Verfahrenstrennung soll dabei primär der Verfahrensbeschleunigung dienen bzw. eine unnötige Verzögerung vermeiden helfen (statt vieler: BGE 138 IV 214 E. 3.2; Urteil 1B_524/2020 vom 28. Dezember 2020 E. 2.3, nicht amtl. publ. in: BGE 147 IV 188).  
 
2.2. Das Kantonsgericht erwägt im Wesentlichen, die vorliegend von der Ex-Ehefrau des Beschwerdeführers angezeigten Ehrverletzungsdelikte seien gemäss ihrer Strafklage vom 24. September 2019 frühstens am 26. März 2019, spätestens am 29. April 2019 begangen worden. Nach Art. 178 Abs. 1 StGB drohe damit insoweit spätestens am 29. April 2023 der Eintritt der Verfolgungsverjährung, was bereits einen hinreichenden sachlichen Grund für eine Abtrennung dieser Strafvorwürfe von den übrigen gegen den Beschwerdeführer geführten Verfahren darstelle. Da die von der Staatsanwaltschaft getrennten Teilverfahren voneinander unabhängige Sachverhalts- und Tatkomplexe mit jeweils unterschiedlichen Verfahrensbeteiligten betreffen, bestehe aufgrund der Verfahrenstrennung zudem keine Gefahr von sich widersprechenden Strafurteilen und seien auch sonst keine Gründe ersichtlich, die einer Verfahrenstrennung entgegenstünden.  
 
2.3. Was der Beschwerdeführer gegen diese vorinstanzliche Beurteilung vorbringt, ist nicht geeignet, den angefochtenen Beschluss als bundesrechtswidrig erscheinen zu lassen.  
 
2.3.1. Wie die Vorinstanz richtig ausführt, stellt der drohende Eintritt der Verjährung einzelner Delikte nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichts einen sachlichen Grund im Sinne von Art. 30 StPO dar, der eine Verfahrenstrennung zu rechtfertigen vermag (siehe BGE 138 IV 214 E. 3.2; Urteile 1B_524/2020 vom 28. Dezember 2020 E. 2.3, nicht amtl. publ. in: BGE 147 IV 188; 1B_315/2021 vom 22. April 2022 E. 4.1; 1B_211/2018 vom 27. Juni 2018 E. 2.2). Die vom Beschwerdeführer insoweit vorgetragene Kritik verfängt somit von vornherein nicht.  
 
2.3.2. Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers führt die strittige Verfahrenstrennung auch zu keiner unzulässigen Verfahrensverzögerung oder übermässigen Erschwerung der Strafuntersuchung. Nach den verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz (Art. 105 Abs. 1 BGG) betrifft ein Teilverfahren nach der Verfahrenstrennung ausschliesslich jene Deliktsvorwürfe, die verschiedene Vorfälle (u.a. Ehrverletzungsdelikte, Verletzung des Schriftgeheimnisses, Hausfriedensbuch) im familiären Umfeld zum Gegenstand haben und teilweise spätestens per 29. April 2023 zu verjähren drohen. Demgegenüber werden im zweiten Teilverfahren jene Strafvorwürfe untersucht, die im Zusammenhang mit der geschäftlichen Tätigkeit des Beschwerdeführers als Inhaber mehrerer Unternehmungen stehen. Wie die Vorinstanz überzeugend darlegt, stehen in den abgetrennten Verfahren somit Tatvorwürfe von unterschiedlicher Art und insbesondere mit einem gänzlich unterschiedlichen Kreis an geschädigten Personen bzw. Verfahrensbeteiligten zur Beurteilung. Die Verfahrenstrennung verunmöglicht eine parallele Weiterführung der beiden Teilverfahren somit nicht und es bestehen insoweit insbesondere keine Anhaltspunkte, welche die beschwerdeführerische Behauptung untermauern würden, wonach die Staatsanwaltschaft zunächst nur das Teilverfahren mit den zu verjähren drohenden Tatvorwürfen vorantreiben könnte. Vielmehr sehen sich die Staatsanwaltschaften in ihrer Tätigkeit regelmässig mit der Aufgabe konfrontiert, mehrere laufende Verfahren parallel und mit der jeweils gebotenen Effizienz zum Abschluss zu bringen. Anzeichen, warum dies vorliegend nicht der Fall sein sollte, nennt der Beschwerdeführer nicht und sind auch nicht ersichtlich. Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers geht es sodann mit jeder Verfahrenstrennung zwangsläufig einher, dass die Strafverfolgungsbehörden und die Gerichte gewisse Verfahrensschritte unter Umständen doppelt durchführen müssen. Dies stellt für sich alleine jedoch keine unzulässige Verzögerung oder übermässige Erschwerung der Strafuntersuchung dar. Betreffen die beiden Teilverfahren voneinander unabhängige Sachverhalts- und Tatkomplexe mit jeweils unterschiedlichen Verfahrensbeteiligten, besteht sodann auch keine Gefahr sich widersprechender oder gegenseitig präjudizierender Urteile, weshalb dem Beschwerdeführer infolge der Verfahrenstrennung auch insoweit keine Nachteile drohen.  
 
2.3.3. Entgegen den Vorbringen des Beschwerdeführers ist schliesslich auch nicht ersichtlich, inwieweit er aufgrund der strittigen Verfahrenstrennung und der damit verbundenen Tatsache, dass die gegen ihn erhobenen Strafvorwürfe in zwei getrennten Sachurteilen abgehandelt werden, eine prozessuale Benachteiligung erfahren soll. Ergehen zwei getrennte Entscheide, verhindern die Vorgaben von Art. 49 Abs. 2 und 3 StGB von Gesetzes wegen eine Schlechterstellung der beschuldigten Person (vgl. Urteil 1B_499/2020 vom 4. Dezember 2020 E. 2.4 mit Hinweisen). In prozessualer Hinsicht wird durch Art. 34 Abs. 3 StPO zusätzlich sichergestellt, dass die materiell-rechtlichen Vorschriften der Gesamtstrafenbildung von der verurteilten Person auch wirksam durchgesetzt werden können (vgl. BGE 147 IV 108 E. 2.2).  
 
2.4. Zusammengefasst bringt der Beschwerdeführer nichts vor, was die Beurteilung der Vorinstanz, die hier strittige Verfahrenstrennung vermöge sich auf gesetzeskonforme sachliche Gründe zu stützen, als bundesrechtswidrig erscheinen liesse.  
 
3.  
Die Beschwerde erweist sich als unbegründet und ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Bei diesem Verfahrensausgang wird der unterliegende Beschwerdeführer kostenpflichtig (Art. 66 Abs. 1 BGG). Eine Parteientschädigung ist nicht zuzusprechen (Art. 68 Abs. 3 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
 
2.  
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
3.  
Es wird keine Parteientschädigung zugesprochen. 
 
4.  
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern, Abteilung 4 Spezialdelikte, und dem Kantonsgericht Luzern, 1. Abteilung, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 16. Januar 2023 
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Das präsidierende Mitglied: Müller 
 
Der Gerichtsschreiber: Hahn