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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
5A_398/2021  
 
 
Urteil vom 7. Januar 2022  
 
II. zivilrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Herrmann, Präsident, 
Bundesrichter Marazzi, von Werdt, 
Gerichtsschreiberin Gutzwiller. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Urs Bänziger, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen 
 
Bezirksgericht Weinfelden, 
Bahnhofstrasse 12, 8570 Weinfelden. 
 
Gegenstand 
Erbausschlagung, 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts des Kantons Thurgau vom 24. Februar 2021 (ZR.2021.2). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
 
A.a.  
 
A.a.a. A.________ und B.________ sind die Kinder des am 1. Dezember 2019 verstorbenen C.________. Am 7. Februar 2020 unterzeichnete A.________ eine Ausschlagungserklärung, wovon das Bezirksgericht Weinfelden mit Entscheid vom 20. Februar 2020 Vormerk nahm.  
 
A.a.b. Die Gemeinde U.________ focht die Ausschlagung der Erbschaft beim Bezirksgericht Weinfelden an und forderte mit Klage vom 6. Juli 2020 die Erstattung von Sozialhilfeleistungen in der Höhe von Fr. 10'838.55 sowie die Begleichung von Steuerschulden. Nachdem B.________ diese Forderungen befriedigt hatte, zog die Gemeinde ihre Klage am 29. September 2020 zurück, worauf das Bezirksgericht das Verfahren am 30. September 2020 als erledigt abschrieb.  
 
A.a.c. Am 8. September 2020 reichte A.________ gegen ihren Bruder eine Strafanzeige wegen Urkundenfälschung ein, evtl. wegen Betrugs. Soweit ersichtlich ist das Verfahren noch hängig.  
 
A.b. Mit als Revisionsgesuch bezeichneter Eingabe vom 19. September 2020 beantragte A.________ beim Bezirksgericht unter anderem, der Entscheid vom 20. Februar 2020 betreffend die Vormerknahme der Erbausschlagung sei aufzuheben und zwar sowohl unter dem Gesichtspunkt von Art. 328 Abs. 1 ZPO als auch von Art. 256 Abs. 2 ZPO. Das Bezirksgericht wies das sämtliche Gesuch ab, soweit es auf die Eingabe eintrat (Entscheid vom 21. Dezember 2020).  
 
B.  
Dagegen erhob A.________ Beschwerde beim Obergericht des Kantons Thurgau, welches das Rechtsmittel mit am 6. April 2021 versandtem Entscheid vom 24. Februar 2021 abwies. 
 
C.  
 
C.a. Mit Eingabe vom 14. Mai 2021 gelangt A.________ an das Bundesgericht, dem sie beantragt, das dem kantonalen Verfahren zugrunde liegende Revisionsgesuch sei gutzuheissen.  
 
C.b. Ausserdem ersuchte sie um Gewährung der aufschiebenden Wirkung sowie um den Erlass vorsorglicher (sichernder) Massnahmen. Diese Gesuche wies der Präsident der urteilenden Abteilung ab (Verfügung vom 17. Mai 2021).  
 
C.c. Das Bundesgericht hat die kantonalen Akten, hingegen keine Vernehmlassungen eingeholt.  
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Mit dem angefochtenen Entscheid wird kantonal letztinstanzlich das Gesuch der Beschwerdeführerin um Revision der Vormerknahme ihrer Ausschlagungserklärung abgewiesen. Es handelt sich um einen Endentscheid (Art. 90 BGG) eines oberen kantonalen Gerichts, das als Rechtsmittelinstanz entschieden hat (Art. 75 BGG). Die Beschwerdeführerin ist mit ihren Anträgen unterlegen (Art. 76 BGG) und die Rechtsmittelfrist (Art. 100 Abs. 1 BGG) ist eingehalten. Die Beschwerdeführerin behauptet nachvollziehbar einen Fr. 30'000.-- übersteigenden Streitwert (Art. 74 Abs. 1 lit. b BGG). Die Beschwerde in Zivilsachen ist zulässig. 
 
2.  
 
2.1. Die gesetzlichen und die eingesetzten Erben haben die Befugnis, die Erbschaft, die ihnen zugefallen ist, auszuschlagen (Art. 566 Abs. 1 ZGB). Die Ausschlagung ist eine einseitige Willenserklärung (Urteil 5A_594/2009 vom 20. April 2010 E. 2.1, in: ZBGR 92/2011 S. 65). Sie wird in der Lehre fast einhellig als prinzipiell unwiderruflich bezeichnet. Hingegen befürwortet die Lehre, die Ausschlagungserklärung in sinngemässer Anwendung von Art. 23 ff. OR der Anfechtung zu unterstellen (BGE 129 III 305 E. 4.3 mit Hinweisen), was auch das Bundesgericht bejaht (zit. Urteil 5A_594/2009 E. 2.1; s. auch Urteil 5A_685/2020 vom 19. April 2021 E. 3.3). Vorliegend hat die Beschwerdeführerin ihre Ausschlagungserklärung im kantonalen Verfahren indes nicht unter dem Gesichtspunkt eines Willensmangels angefochten (weshalb diesbezüglich keinerlei Tatsachen festgestellt wurden) und sie wirft dem Obergericht auch nicht vor, eine Prüfung ihres Begehrens unter diesen Prämissen unterlassen zu haben. Der Aspekt eines allfälligen Willensmangels bleibt daher für die Behandlung der hiesigen Beschwerde ohne Belang.  
 
2.2. Die Ausschlagung ist von dem Erben bei der zuständigen Behörde mündlich oder schriftlich zu erklären (Art. 570 Abs. 1 ZGB). Die Behörde hat über die Ausschlagungen ein Protokoll zu führen (Art. 570 Abs. 3 ZGB). Das Protokoll im Sinn von Art. 570 Abs. 3 ZGB schafft lediglich den Beweis für die Abgabe und den Zeitpunkt der Ausschlagungserklärung und hat keinerlei Rechtskraftwirkung zwischen den (ausschlagenden) Erben und den Gläubigern des Erblassers. Selbst wenn eine Ausschlagungserklärung zurückgewiesen wird, bleibt es dem betroffenen Erben mit anderen Worten unbenommen, sich auf die erklärte Ausschlagung zu berufen, sollte er für Erbschaftsschulden belangt werden, und ungeachtet der Protokollierung der Ausschlagungserklärung steht den Gläubigern des Erblassers die Möglichkeit offen, gegen einen Erben vorzugehen, der die Ausschlagung erklärt hat (Urteile 4A_394/2014 vom 1. Dezember 2014 E. 2; 5A_44/2013 vom 25. April 2013 E. 3 mit Hinweisen, nicht publ. in: BGE 139 III 225; 5A_578/2009 vom 12. Oktober 2009 E. 2.2 mit Hinweisen). Mit anderen Worten beurkundet das Ausschlagungsprotokoll die Abgabe der Erklärung, nicht deren Wirkung (HÄUPTLI, in: Praxiskommentar Erbrecht, 4. Aufl. 2019, N. 9 zu Art. 570 ZGB). Die Behörde hat denn auch Erklärungen zu protokollieren, die wegen Fristablaufs oder Verwirkung keine Wirkung entfalten können (Urteil des Bundesgerichts vom 12. Februar 1975 E. 3 mit Hinweisen, in: SJ 1976 S. 35 f.; vgl. aber zit. Urteil 5A_44/2013 E. 3 mit Hinweisen). Eine beschränkte Kognition hinsichtlich der Gültigkeit einer Ausschlagungserklärung kommt der Behörde insofern zu, als sie davon abhängige Massnahmen zu treffen hat, wie die Anordnung der konkursamtlichen Liquidation oder die Ausstellung der Erbbescheinigung (HÄUPTLI, a.a.O.).  
 
2.3. Das Bundesgericht hat sich in BGE 139 III 225 E. 2.2 umfassend mit der Frage des auf die Protokollierung einer Ausschlagungserklärung anwendbaren Verfahrensrechts befasst und ist zu folgenden Schlüssen gelangt:  
 
2.3.1. Nach Art. 570 Abs. 1 ZGB hat der Erbe die Ausschlagung bei der "zuständigen Behörde" mündlich oder schriftlich zu erklären. Diese führt über die Ausschlagungen ein Protokoll (Art. 570 Abs. 3 ZGB). Wo das ZGB von einer "zuständigen Behörde" spricht, bestimmen gemäss Art. 54 Abs. 1 SchlT ZGB die Kantone, welche bereits vorhandene oder erst zu schaffende Behörde zuständig sein soll. Soweit das ZGB nicht ausdrücklich entweder vom Gericht oder von einer Verwaltungsbehörde spricht, sind die Kantone frei, welche Behörde sie bezeichnen (vgl. Art. 54 Abs. 2 SchlT ZGB), wobei die Rechtsweggarantie im Sinn von Art. 6 Ziff. 1 EMRK bzw. Art. 29a BV zu beachten ist.  
Gemäss deren Art. 1 lit. b findet die Schweizerische Zivilprozessordnung (ZPO; SR 272) Anwendung auf gerichtliche Anordnungen der freiwilligen Gerichtsbarkeit. Mit der "gerichtlichen Anordnung" im Sinn dieser Bestimmung sind "gerichtliche Angelegenheiten" gemeint. In den übrigen Bereichen der freiwilligen Gerichtsbarkeit können die Kantone weiterhin kantonales Verfahrensrecht anwenden, aber auch die ZPO für anwendbar erklären. Soweit der Kanton auch für die nicht gerichtlichen Angelegenheiten ein Gericht für zuständig erklärt, werden diese aber dadurch nicht zu "gerichtlichen" im hier interessierenden Sinn; Art. 1 lit. b ZPO gilt nur dort, wo das Bundesrecht selbst eine gerichtliche Behörde vorschreibt. 
 
2.3.2. Art. 54 SchlT ZGB macht dort, wo das Gesetz von der "zuständigen Behörde" spricht, mit Bezug auf das Verfahrensrecht einen Vorbehalt zugunsten des kantonalen Rechts. Weil die Protokollierung der Ausschlagung nicht zwingend einem Gericht obliegt, sondern der Kanton in der Bezeichnung der zuständigen Behörde frei ist (Art. 570 Abs. 1 ZGB i.V.m. Art. 54 Abs. 1 SchlT ZGB), richtet sich das betreffende Verfahren somit nach kantonalem Recht. Dieses kann eine eigene Regelung aufstellen oder auf eine bestimmte Verfahrensordnung verweisen, nebst Verwaltungsrechtspflegegesetzen insbesondere auf die ZPO, deren Normen diesfalls aber nicht Bundesrecht, sondern kantonales Recht darstellen.  
 
2.4. Die Beschwerdeführerin übersieht diese rechtliche Ausgangslage. Die kantonalen Instanzen haben Art. 328 Abs. 1 (Revision eines rechtskräftigen Entscheids) oder Art. 256 Abs. 2 ZPO (Aufhebung oder Abänderung einer Anordnung der freiwilligen Gerichtsbarkeit) als kantonales Recht angewendet. Kantonales Recht prüft das Bundesgericht - von hier nicht zutreffenden Ausnahmen (Art. 95 Bst. c-e BGG) abgesehen - nur auf die Verletzung verfassungsmässiger Rechte, namentlich auf Willkür hin, wenn und soweit entsprechende Rügen erhoben und begründet werden (Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 140 III 385 E. 2.3 mit Hinweisen; 139 III 225 E. 2.3; 136 I 241 E. 2.4; Urteil 5A_724/2015 vom 2. Juni 2016 E. 2.2 mit Hinweis, nicht publ. in BGE 142 I 188); auf ungenügend begründete Rügen tritt das Bundesgericht nicht ein (BGE 142 III 364 E. 2.4; 140 III 264 E. 2.3 mit Hinweisen; 134 II 244 E. 2.2).  
Willkür in der Rechtsanwendung liegt vor, wenn der angefochtene Entscheid offensichtlich unhaltbar ist, mit der tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch steht, eine Norm oder einen unumstrittenen Rechtsgrundsatz krass verletzt oder in stossender Weise dem Gerechtigkeitsgedanken zuwiderläuft (BGE 144 III 368 E. 3.1; 140 III 167 E. 2.1, 16 E. 2.1; je mit Hinweisen). Solches macht die Beschwerdeführerin nicht geltend und es ist auch nicht offensichtlich, weshalb ein Ausschlagungsprotokoll, das keine Rechtskraftwirkung entfaltet (E. 2.2 oben), unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten zwingend einer Revision nach Art. 328 ZPO oder einer Aufhebung bzw. Abänderung nach Art. 256 Abs. 2 ZPO zugänglich sein muss. Die im Kontext der Art. 328 Abs. 1 bzw. Art. 256 Abs. 2 ZPO vorgetragenen Beanstandungen erfüllen die an Willkürrügen gestellten Anforderungen nicht; darauf ist nicht einzutreten. Damit erübrigt es sich, auf die Sachverhaltsrügen einzugehen, denn die allfällige Behebung der behaupteten Mängel hätte von vornherein keinen Einfluss auf den Ausgang des Verfahrens (Art. 97 Abs. 1 BGG). 
 
3.  
Bei diesem Ergebnis wird die Beschwerdeführerin kostenpflichtig (Art. 66 Abs. 1 BGG). Parteientschädigungen sind keine zuzusprechen (Art. 68 Abs. 3 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten. 
 
2.  
Die Gerichtskosten von Fr. 4'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt. 
 
3.  
Dieses Urteil wird der Beschwerdeführerin, dem Bezirksgericht Weinfelden und dem Obergericht des Kantons Thurgau mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 7. Januar 2022 
 
Im Namen der II. zivilrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Herrmann 
 
Die Gerichtsschreiberin: Gutzwiller