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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
5E_1/2017  
   
   
 
 
 
Urteil vom 31. August 2017  
 
II. zivilrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter von Werdt, Präsident, 
Bundesrichter Marazzi, Herrmann, Schöbi, Bovey, 
Gerichtsschreiber Möckli. 
 
Verfahrensbeteiligte 
Kanton Schwyz, handelnd durch den Regierungsrat des Kantons Schwyz, 
dieser angeblich vertreten durch das Amt für Kindes- und Erwachsenenschutz U.________, 
Kläger, 
 
gegen  
 
Kanton St. Gallen, handelnd durch den Regierungsrat des Kantons St. Gallen, 
Beklagter. 
 
Gegenstand 
Interkantonale Zuständigkeit der KESB. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.   
Am 19. Juli 2017 hat das Amt für Kindes- und Erwachsenenschutz U.________ (SZ) im Namen des Kantons Schwyz gegen den Kanton St. Gallen eine Klage gemäss Art. 120 Abs. 1 lit. b BGG erhoben mit den Rechtsbegehren, es sei festzustellen, dass der Beklagte für die Errichtung und die Führung der Vormundschaft von A.________, geb. 2017, zuständig sei (Ziff. 1), der Beklagte sei zu verpflichten, die Führung der Vormundschaft von A.________ von der KESB U.________ per sofort zu übernehmen (Ziff. 2), und der Beklagte sei zu verpflichten, die aufgelaufenen Kosten der Fürsorgebehörde der Gemeinde V.________ (SZ) zu ersetzen respektive zurückzuerstatten. 
Wie die nachfolgenden Erwägungen ergeben, ist auf die Klage nicht einzutreten. Deshalb wurde auf die Einholung von Vernehmlassungen verzichtet. 
 
2.   
Die Bestimmungen über das Verfahren vor der Erwachsenenschutzbehörde sind für Kindesschutzmassnahmen sinngemäss anwendbar (Art. 314 Abs. 1 ZGB). Das Vorgehen bei Kompetenzkonflikten richtet sich somit nach Art. 444 ZGB. Danach prüft die KESB ihre Zuständigkeit von Amtes wegen (Abs. 1) und überweist die Sache unverzüglich der Behörde, die sie als zuständig erachtet, wenn sie sich nicht für zuständig hält (Abs. 2). Zweifelt sie an ihrer Zuständigkeit, so pflegt sie einen Meinungsaustausch mit der Behörde, deren Zuständigkeit in Frage kommt (Abs. 3). Kann im Meinungsaustausch keine Einigung erzielt werden, so unterbreitet die zuerst befasste Behörde die Frage ihrer Zuständigkeit der gerichtlichen Beschwerdeinstanz (Abs. 4). 
 
3.   
Vorliegend geht es um den 2017 im Spital B.________ in W.________ (SG) zur Welt gekommenen A.________. 
Mit Beschluss vom 6. Mai 2015 hatte die KESB U.________ der damals in V.________ (SZ) wohnhaften Mutter C.________ die elterliche Sorge über ihren Sohn D.________, geb. 2014, entzogen. Sie meldete sich in V.________ nie ab, soll aber seit langem in W.________ wohnen, jedoch ohne sich dort angemeldet zu haben. 
Nachdem die KESB U.________ von der Geburt von A.________ Kenntnis erhalten hatte, telefonierte sie mit der KESB X.________ (SG) bezüglich Zuständigkeit für die Errichtung einer Vormundschaft, wobei von diesem Telefonat keine Verbalisierung aktenkundig ist. 
Offenbar gestützt auf dieses Telefon mailte die KESB X.________ direkt an das Spital, dass nicht sie, sondern die KESB U.________ zuständig sei. 
Darauf mailte die KESB U.________ der KESB X.________: "Wir haben die Zuständigkeit übernommen. Schön, im Sinne einer guten Zusammenarbeit, wäre gewesen, wenn Sie statt einfach eine Meldung an das Spital zu machen und mich ins cc zu nehmen noch Rücksprache mit mir genommen hätten, ob das so i.O. ist." Darauf antwortete die KESB X.________ per Mail: "Danke. Dafür entschuldige ich mich." Wenige Wochen später schrieb die KESB U.________ per Mail: "Ich habe die Frage der Zuständigkeit an E.________ unterbreitet und beigelegte Antwort erhalten. Aus meiner Sicht wären Sie für die Errichtung der Vormundschaft zuständig gewesen. Wir haben einfach auf Grund des Kindeswohls handeln müssen. Frage nun: Sind Sie bereit, dass wir Ihnen die Vormundschaft übertragen können?" Mit Mail vom Folgetag antwortete diese, die Meinung von E.________ nicht zu teilen und die Zuständigkeit angesichts ungenügender Klarheit über den Schwerpunkt der Lebensverhältnisse nicht prüfen zu können. 
In der Folge unterbreitete die KESB U.________ mit Schreiben vom 28. Juni 2017 die Frage der Zuständigkeit gestützt auf Art. 444 Abs. 4 ZGB dem Verwaltungsgericht des Kantons Schwyz. 
Mit Schreiben vom 29. Juni 2017 weigerte sich das Verwaltungsgericht, ein Verfahren zu eröffnen mit der Begründung, gemäss BGE 141 III 84 nicht befugt zu sein, mit bindender Wirkung die Zuständigkeit der Behörde eines anderen Kantons zu bestimmen. Vielmehr sei der negative Kompetenzkonflikt zwischen der KESB U.________ und der KESB X.________ auf dem Klageweg gemäss Art. 120 Abs. 1 lit. b BGG auszutragen. 
Darauf liess sich die KESB U.________ vom Landammann zur Klageerhebung ermächtigen und reichte die vorliegende Klage ein. 
 
4.   
Wie in E. 2 dargestellt, schreibt Art. 444 Abs. 3 ZGB für die zweifelhaften Fälle zuerst einen Meinungsaustausch zwischen den potentiell zuständigen Behörden vor; für den Fall, dass dieser fruchtlos bleibt, hat die zuerst befasste Behörde die Frage ihrer Zuständigkeit gemäss Art. 444 Abs. 4 ZGB der gerichtlichen Beschwerdeinstanz zu unterbreiten. 
Dies hat die KESB U.________ in Befolgung der bundesrechtlichen Vorgaben getan. Indes ist das Verwaltungsgericht unter Berufung auf BGE 141 III 84 davon ausgegangen, keinen solchen Entscheid erlassen zu dürfen. Dass das Verwaltungsgericht über "die Frage ihrer Zuständigkeit", d.h. über die Zuständigkeit der KESB U.________, welche die Sache zum Entscheid überwiesen hatte, befinden muss, geht aber unmittelbar aus dem Gesetzestext von Art. 444 Abs. 4 ZGB hervor. Angesichts der unklaren Materialien (vgl. BGE 141 III 84 E. 3.2 S. 88 f.) war allerdings in der Lehre strittig (vgl. BGE 141 III 84 E. 3.4 S. 89 f.), ob die angerufene Beschwerdeinstanz darüber hinaus auch verbindlich die Zuständigkeit einer ausserkantonalen KESB festlegen kann, wenn sie zum Schluss gelangt, dass nicht die Behörde des eigenen Kantons zuständig ist. Eine solche Kompetenz hat das Bundesgericht verneint (Art. 141 III 84 E. 4 S. 91 ff.). Als zweite Frage war in jenem Entscheid darüber zu befinden, ob ein negativer Kompetenzkonflikt zwischen den Kantonen vor Bundesgericht im Beschwerde- oder im Klageverfahren auszutragen ist (vgl. BGE 141 III 84 E. 4.7 S. 95 f.). 
Das Verwaltungsgericht ist somit zwar zutreffend davon ausgegangen, dass es die Zuständigkeit nicht verbindlich einer ausserkantonalen KESB zuweisen könnte. Soweit es jedoch die Auffassung vertritt, es dürfe auch über die Zuständigkeit der eigenen Behörde keinen Entscheid treffen, sondern es sei direkt Klage beim Bundesgericht einzuleiten, stellt es sich nicht nur in Widerspruch zum klaren Gesetzeswortlaut, sondern missversteht es auch die gegenteiligen Ausführungen in dem von ihm angerufenen Bundesgerichtsurteil (vgl. BGE 141 III 84 E. 3.1, 3.2.3, 3.3 und 4.4). 
Weil es sich beim Entscheid der Beschwerdeinstanz gemäss Art. 444 Abs. 4 ZGB um eine Klagevoraussetzung handelt und diese vorliegend fehlt, kann auf die Klage nicht eingetreten werden. 
Was das auf Rückerstattung der aufgelaufenen Kosten an die Gemeinde V.________ gerichtete Rechtsbegehren Ziff. 3 anbelangt, fehlt es nebst der bereits genannten Prozessvoraussetzung überdies an der Aktivlegitimation, weil die KESB U.________ bzw. der Kanton Schwyz nicht gewissermassen im Sinn einer Drittschadensliquidation für die Gemeinde V.________ und damit für ein anderes Rechtssubjekt Geldbeträge einklagen kann, ohne dass hierfür eine spezielle Grundlage oder eine rechtskonforme Ermächtigung dargelegt wird. Offen ist überdies, ob der Kanton St. Gallen der richtige Beklagte wäre. 
 
5.   
Für das weitere Vorgehen ist Folgendes festzuhalten: Das Verwaltungsgericht wird seinen Beschwerdeentscheid nachzuholen haben, wobei es vorab die beteiligten Behörden zur Durchführung des von Art. 444 Abs. 3 ZGB vorgeschriebenen Meinungsaustausches anzuhalten hätte, wenn es zum Schluss käme, dass der bislang erfolgte, doch eher rudimentäre Mailverkehr den Anforderungen, wie sie an einen Meinungsaustausch zu stellen sind, nicht genügt. Ein solcher hat die beidseitige Darlegung der Standpunkte und ein Bemühen beider Seiten um eine Lösung zu enthalten. Insbesondere von Seiten der KESB X.________ ist nur ansatzweise eine Begründung ihres Standpunktes aktenkundig, obwohl gerade im vorliegenden Kontext die Vornahme näherer Abklärungen zum Lebensmittelpunkt, in welcher Hinsicht die KESB X.________ sich verweigerte, auch zu einem Meinungsaustausch gehören dürfte. Dessen Sinn ist, unbürokratisch und rasch die notwendigen Grundlagen für eine Einigung zu schaffen. 
Soweit sich aufgrund der Vorverfahren, wie sie als Prozessvoraussetzung für ein Klageverfahren nach Art. 120 BGG erforderlich sind, keine Lösung ergeben und eine erneute Klage in Aussicht genommen werden sollte, ist ferner festzuhalten, dass die Kantone die Parteien des Klageverfahrens sind und deren prozessuale Vertretung der Regierung bzw. dem Regierungsrat als oberster Exekutivbehörde obliegt (BGE 141 III 84 E. 5.2 S. 96; vgl. auch BGE 134 II 45 E. 2.2.3 S. 48), wobei der Regierungsrat ausnahmsweise nachgeordnete Behörden durch speziellen Ermächtigungsbeschluss mit der Prozessführung betrauen kann, was in der Klage im Einzelnen darzutun ist. Gemäss § 56 Abs. 1 KV/SZ und § 1 RGVO/SZ ist der Regierungsrat oberste Vollziehungs- und Verwaltungsbehörde des Kantons Schwyz und gemäss § 58 lit. f KV/SZ und § 3 Abs. 1 lit. d RGVO/SZ vertritt er den Kanton gegen aussen. Ob eine sich bloss auf eine ermächtigende Präsidialverfügung des Landammanns stützende direkte Klageeinleitung durch die KESB U.________ - wie dies vorliegend erfolgt ist - hierzu genügen würde, darf bezweifelt werden. Die Vertretung des Kantons gegen aussen, wozu insbesondere auch die vor Bundesgericht erfolgende Klageerhebung gegen einen anderen Kanton gehört, ist eine regierungsrätliche Kernaufgabe. Nach BGE 141 III 84 E. 5.2 darf sie zwar ausnahmsweise einer nachgeordneten Behörde übertragen werden, aber § 14 Abs. 1 RGVO/SZ scheint keine zur Delegation der Prozessvertretung taugliche kantonale Norm zu sein. Ohnehin wäre für eine Notverfügung durch den Landammann auch die erforderliche Dringlichkeit nicht gegeben, kümmert sich doch die KESB U.________ - in löblicher Beachtung der in BGE 141 III 84 E. 4.6 S. 95 verwiesenen Schutzpflichten - einstweilen, d.h. bis zur Klärung der Zuständigkeit, um das Kind (mehrere Gespräche mit den Verantwortlichen im Spital, Errichtung einer Vormundschaft, etc.), so dass dieses in keiner Weise gefährdet erscheint; ferner können auch finanzielle Erstattungen ohne Weiteres später erfolgen, wenn sich eine Zuständigkeit im Kanton St. Gallen ergeben sollte. 
 
6.   
Zusammenfassend ergibt sich, dass auf die Klage nicht einzutreten ist. 
Den Kantonen werden in der Regel keine Gerichtskosten auferlegt (Art. 66 Abs. 4 BGG). Zwar werden in der Klage insbesondere die finanziellen Aspekte in den Vordergrund gestellt, aber dem Rechtsbegehren Ziff. 3 konnte nach dem in E. 4 Gesagten ohnehin unabhängig von allen anderen Mängeln von vornherein kein Erfolg beschieden sein, weshalb insgesamt von einer Kostenauflage abzusehen ist. 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Auf die Klage wird nicht eingetreten. 
 
2.   
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
 
3.   
Dieses Urteil wird den Parteien schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 31. August 2017 
 
Im Namen der II. zivilrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: von Werdt 
 
Der Gerichtsschreiber: Möckli