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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
1B_99/2011, 1B_100/2011 
 
Urteil vom 28. März 2011 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter Fonjallaz, Präsident, 
Bundesrichter Raselli, Eusebio, 
Gerichtsschreiber Dold. 
 
Verfahrensbeteiligte 
X.________, Beschwerdeführer, vertreten durch 
Advokat David Schnyder, 
 
gegen 
 
Staatsanwaltschaft Basel-Landschaft, 
Hauptabteilung Liestal, Rheinstrasse 27, Postfach, 
4410 Liestal. 
 
Gegenstand 
1B_99/2011 
Verlängerung der Sicherheitshaft, 
 
1B_100/2011 
Vorzeitiger Strafantritt, 
 
Beschwerde gegen die Verfügungen vom 27. Januar 2011 des Kantonsgerichts Basel-Landschaft, 
Abteilung Strafrecht, Präsident. 
Sachverhalt: 
 
A. 
X.________ befindet sich seit dem 29. Januar 2008 in Haft. Mit Urteil vom 24. November 2010 verurteilte ihn das Strafgericht Basel-Landschaft wegen mehrfacher qualifizierter Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz und mehrfacher qualifizierter Geldwäscherei zu einer Freiheitsstrafe von 14 Jahren. Zudem ordnete es eine ambulante psychotherapeutische Behandlung während des Strafvollzugs gemäss Art. 63 Abs. 1 StGB an. Gleichentags verlängerte der Präsident des Strafgerichts die Sicherheitshaft im Falle der Appellation bis zum 31. Januar 2011. In der Folge legten sowohl X.________ wie auch die Staatsanwaltschaft Basel-Landschaft beim Kantonsgericht Basel-Landschaft Appellation ein. 
Mit Verfügung vom 28. Dezember 2010 setzte das Kantonsgericht der Staatsanwaltschaft eine Frist bis zum 7. Januar 2011, um Antrag auf Haftverlängerung zu stellen. Am 6. Januar 2011 beantragte die Staatsanwaltschaft, die Sicherheitshaft sei bis zum 31. Juni 2011 beziehungsweise bis zum kantonsgerichtlichen Urteil zu verlängern. Es bestehe Fluchtgefahr, denn X.________ habe das erstinstanzliche Urteil insbesondere wegen des Strafmasses angefochten und wehre sich somit gegen die Vollstreckung der verhängten Strafe. Da seine Ehefrau wegen psychischer Probleme in einer betreuten Wohneinrichtung untergebracht sei, verfüge auch X.________ im Falle einer Haftentlassung über keinen eigentlichen Wohnsitz mehr. In seiner Stellungnahme zum Antrag der Staatsanwaltschaft, datiert vom 17. Januar 2011, ersuchte X.________ das Kantonsgericht, die Sicherheitshaft nicht zu verlängern und ihm stattdessen den vorzeitigen Strafvollzug zu gewähren. Einer allfälligen Fluchtgefahr könne im Strafvollzug durch das vorläufige Verweigern von Hafturlaub wirksam begegnet werden. Mit Eingabe vom 24. Januar 2011 schloss sich die Staatsanwaltschaft dem Antrag von X.________ unter der Bedingung an, dass der vorzeitige Strafvollzug in einer geschlossenen Strafanstalt erfolge und noch kein Urlaub oder Ausgang gewährt werde. 
Zur Frage der Sicherheitshaft und des vorzeitigen Strafvollzugs erliess der Präsident der Abteilung Strafrecht des Kantonsgerichts am 27. Januar 2011 zwei verschiedene Verfügungen. In der ersten verlängerte er unter Hinweis auf die Fluchtgefahr die Sicherheitshaft bis zur kantonsgerichtlichen Hauptverhandlung, maximal jedoch bis zum 31. Juli 2011. In der zweiten erwog er, gemäss § 89 Abs. 3 des Gesetzes des Kantons Basel-Landschaft vom 3. Juni 1999 betreffend die Strafprozessordnung (StPO; SGS 251; im Folgenden: StPO/BL) bewillige die Sicherheitsdirektion den vorzeitigen Strafantritt. Vorausgesetzt sei dazu jedoch die Zustimmung des Präsidenten der Abteilung Strafrecht des Kantonsgerichts. Diese könne er nicht erteilen, weil gemäss § 89 Abs. 3 StPO/BL erforderlich sei, dass kein Haftgrund mehr vorliege. Im Ergebnis stellte er fest, der Antrag auf vorzeitigen Strafvollzug erweise sich als obsolet. Stattdessen bewilligte er den Vollzug der Untersuchungshaft in einer geschlossenen Strafanstalt mit der Auflage, dass weder Urlaub noch (begleiteter oder unbegleiteter) Ausgang gewährt werde. 
 
B. 
Mit Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht vom 2. März 2011 beantragt X.________, die Verfügung betreffend die Verlängerung der Sicherheitshaft sei aufzuheben und die Sicherheitshaft sei nicht zu verlängern. Zudem sei die Verfügung betreffend den vorzeitigen Strafvollzug aufzuheben und es sei die Angelegenheit zum neuen Entscheid an die Vorinstanz zurückzuweisen. 
Die Staatsanwaltschaft und der Präsident der Abteilung Strafrecht des Kantonsgerichts Basel-Landschaft beantragen in ihrer jeweiligen Vernehmlassung die Abweisung der Beschwerde. Der Beschwerdeführer hat zu diesen Eingaben nicht Stellung genommen. 
 
Erwägungen: 
 
1. 
1.1 Die vorliegende Beschwerde richtet sich gegen zwei Verfügungen gleichen Datums des Präsidenten der Abteilung Strafrecht des Kantonsgerichts Basel-Landschaft. Die Verfahren hängen inhaltlich eng zusammen und sind deshalb zu vereinigen. 
 
1.2 Vorab ist das anwendbare Verfahrensrecht zu bestimmen. Am 1. Januar 2011 ist die Schweizerische Strafprozessordnung (StPO; SR 312.0) in Kraft getreten. Deren Übergangsbestimmungen basieren auf dem Grundsatz, die bisherigen Verfahrensordnungen von Bund und Kantonen möglichst rasch durch die StPO zu ersetzen (Botschaft vom 21. Dezember 2005 zur Vereinheitlichung des Strafprozessrechts, BBl 2006 1350 Ziff. 2.12.2.1). Art. 448 StPO legt dementsprechend fest, dass Verfahren, die bei Inkrafttreten der Schweizerischen Strafprozessordnung hängig sind, nach neuem Recht fortgeführt werden, es sei denn, die nachfolgenden Bestimmungen sähen etwas anderes vor. Eine Bestimmung, die im letztgenannten Sinne vom Grundsatz abweicht, ist Art. 453 Abs. 1 StPO. Danach werden Rechtsmittel gegen einen Entscheid, der vor Inkrafttreten der StPO gefällt worden ist, nach bisherigem Recht und von den bisher zuständigen Behörden beurteilt. In Anwendung dieser Bestimmung und mit Blick auf den Umstand, dass das erstinstanzliche Strafurteil vor dem 1. Januar 2011 ergangen war, wendete die Vorinstanz die Strafprozessordnung des Kantons Basel-Landschaft an. Indessen hatte sie nicht über ein Rechtsmittel gegen einen erstinstanzlichen Entscheid zu befinden, sondern als verfahrensleitende Behörde die Anträge des Beschwerdeführers und der Staatsanwaltschaft bezüglich der Fortsetzung der Sicherheitshaft und der Gewährung des vorzeitigen Strafvollzugs zu beurteilen. Diese Konstellation fällt nicht unter Art. 453 Abs. 1 StPO. Anwendbar ist nach dem Grundsatz von Art. 448 Abs. 1 StPO die Schweizerische Strafprozessordnung und nicht kantonales Verfahrensrecht (vgl. Niklaus SCHMID, Übergangsrecht der Schweizerischen Strafprozessordnung, 2010, Rz. 156 ff., insbesondere Rz. 165; MARC FORSTER, Ausgewählte Fragen der strafprozessualen Haft nach neuer StPO, in: Schweizerische Strafprozessordnung und Schweizerische Jugendstrafprozessordnung, 2010, S. 185). 
 
1.3 Gegen die Verfügungen des Präsidenten der Abteilung Strafrecht des Kantonsgerichts Basel-Landschaft steht nach den anwendbaren Bestimmungen der Schweizerischen Strafprozessordnung kein Rechtsmittel zur Verfügung (Art. 232 Abs. 2, Art. 233 und Art. 393 ff. StPO). Es liegt mithin ein letztinstanzlicher kantonaler Entscheid vor (Art. 80 BGG). Der Beschwerdeführer nahm vor der Vorinstanz am Verfahren teil und hat ein rechtlich geschütztes Interesse an der Aufhebung der angefochtenen Entscheide. Er ist nach Art. 81 Abs. 1 BGG zur Beschwerde berechtigt. Da auch die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen erfüllt sind, ist auf die Beschwerde einzutreten. 
 
1.4 Rechtsbegehren sind nach Treu und Glauben auszulegen, insbesondere im Lichte der dazu gegebenen Begründung (BGE 123 V 335 E. 1 S. 336 ff. mit Hinweisen; 123 IV 125 E. 1 S. 127; 115 Ia 107 E. 2b S. 109; Urteil 4A_330/2008 vom 27. Januar 2010 E. 2.1, nicht publ. in: BGE 136 III 201). Der Beschwerdeführer stellt vor Bundesgericht den Antrag, die Sicherheitshaft sei nicht zu verlängern. Dies kommt eigentlich einem Antrag auf Haftentlassung gleich. Indessen beantragt der Beschwerdeführer auch, die Sache sei zu neuem Entscheid über den vorzeitigen Strafvollzug an die Vorinstanz zurückzuweisen, und in seiner Beschwerdebegründung führt er aus, es sei zu betonen, dass es ihm nicht darum gehe, aus der Haft entlassen zu werden. In diesem Sinne sind seine Rechtsbegehren so zu verstehen, dass er nicht die Haftentlassung durch das Bundesgericht anstrebt, sondern einen neuen Entscheid der Vorinstanz über den vorzeitigen Strafantritt, welcher die Sicherheitshaft ablöst (vgl. dazu Art. 220 Abs. 2 StPO und BBl 2006 1228 Ziff. 2.5.3.4). 
 
2. 
2.1 Der Beschwerdeführer erachtet es als unzulässig, das Einlegen eines Rechtsmittels als Argument für die Begründung von Fluchtgefahr heranzuziehen. Zudem gebe es Gründe, welche gegen Fluchtgefahr sprächen. So sei er gesundheitlich angeschlagen und müsse sich medizinischen Eingriffen unterziehen. Zum Ausland habe er keinerlei Beziehungen. Seine ganze Familie lebe hier. Schliesslich wolle er ja auch gar nicht aus der Haft entlassen werden, sondern vorzeitig den Strafvollzug antreten. Zumindest die geschlossene Abteilung einer offenen Vollzugsanstalt sollte nach über drei Jahren Untersuchungshaft ermöglicht werden. In formeller Hinsicht beanstandet der Beschwerdeführer zudem, dass sein Antrag einfach als obsolet erklärt wurde, anstatt dass er gutgeheissen, abgewiesen oder darauf nicht eingetreten worden wäre. 
 
2.2 Wie bereits ausgeführt, hat die Vorinstanz das Vorliegen von Fluchtgefahr bejaht und gefolgert, gemäss § 89 Abs. 3 StPO/BL komme der vorzeitige Strafantritt damit von vornherein nicht in Frage. Im Ergebnis erklärte sie den Antrag des Beschwerdeführers, welchen laut § 89 Abs. 3 StPO/BL die Vollzugsbehörde im Einverständnis mit der Verfahrensleitung zu bewilligen hat, als obsolet. 
 
2.3 In formeller Hinsicht ist festzuhalten, dass die Vorinstanz über das Gesuch um vorzeitigen Strafantritt nach Art. 236 StPO hätte förmlich entscheiden müssen, statt es als obsolet zu erklären. In inhaltlicher Hinsicht ist darauf hinzuweisen, dass das Vorliegen von Haftgründen den vorzeitigen Strafvollzug nicht ausschliesst. Vielmehr kann nach Abs. 1 von Art. 236 StPO die Verfahrensleitung der beschuldigten Person bewilligen, Freiheitsstrafen oder freiheitsentziehende Massnahmen vorzeitig anzutreten, sofern der Stand des Verfahrens es erlaubt. Indem die Vorinstanz dem Antrag des Beschwerdeführers mit dem blossen Hinweis auf das Bestehen von Fluchtgefahr nicht nachkam, verletzte sie Bundesrecht. 
Zur Frage der Fluchtgefahr drängen sich zudem folgende Bemerkungen auf: Es ist dem Beschwerdeführer darin beizupflichten, dass allein aus dem Versuch, mit Ergreifen eines Rechtsmittels eine Reduktion des Strafmasses zu erlangen, nicht auf Fluchtgefahr zu schliessen ist. Sodann geht der Hinweis der Vorinstanz darauf, dass der Beschwerdeführer infolge des Aufenthalts seiner Ehefrau in einer betreuten Wohneinrichtung über keinen eigentlichen Wohnsitz mehr verfüge, schon insofern an der Sache vorbei, als der Beschwerdeführer nicht die Haftentlassung beantragt hat. Vielmehr ist diesbezüglich entscheidend, ob in einer geschlossenen Strafanstalt oder in einer geschlossenen Abteilung einer offenen Strafanstalt einer allenfalls bestehenden Fluchtgefahr begegnet werden könnte (vgl. MATTHIAS HÄRRI, in: Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung, 2011, N. 17 zu Art. 236 StPO). 
 
2.4 Die Vorinstanz hat nach dem Gesagten insbesondere aufgrund der Anwendung des falschen Strafprozessrechts beim Entscheid über die Verlängerung der Sicherheitshaft und die Gewährung des vorzeitigen Strafvollzugs wesentliche Aspekte ausser Acht gelassen. Die Rügen des Beschwerdeführers erweisen sich als begründet und seinem Antrag auf Rückweisung der Angelegenheit ist zu entsprechen. Die Vorinstanz wird somit unter Berücksichtigung der vorangehenden Erwägungen beförderlich einen neuen Entscheid zu treffen haben. 
 
3. 
Die Beschwerde gegen die Verfügungen des Präsidenten der Abteilung Strafrecht des Kantonsgerichts Basel-Landschaft vom 27. Januar 2011 ist gutzuheissen. Die beiden Verfügungen werden aufgehoben und die Angelegenheit wird zum neuen Entscheid an die Vorinstanz zurückgewiesen. Eine Haftentlassung ist entsprechend den Anträgen des Beschwerdeführers nicht anzuordnen. 
Gerichtskosten sind bei diesem Verfahrensausgang nicht zu erheben (Art. 66 Abs. 1 und 4 BGG). Der Kanton Basel-Landschaft hat dem anwaltlich vertretenen Beschwerdeführer eine angemessene Parteientschädigung zu entrichten (Art. 68 Abs. 2 BGG). Damit erweist sich dessen Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege als gegenstandslos. 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1. 
Die Verfahren 1B_99/2011 und 1B_100/2011 werden vereinigt. 
 
2. 
Die Beschwerde wird gutgeheissen und die Präsidialverfügungen vom 27. Januar 2011 des Kantonsgerichts Basel-Landschaft werden aufgehoben. Die Sache wird zur neuen Beurteilung im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurückgewiesen. 
 
3. 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
 
4. 
Der Kanton Basel-Landschaft hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2'000.-- zu entschädigen. 
 
5. 
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft und dem Kantonsgericht Basel-Landschaft, Abteilung Strafrecht, Präsident, schriftlich mitgeteilt. 
 
Lausanne, 28. März 2011 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: 
 
Fonjallaz Dold