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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
                 
 
 
6B_1349/2020  
 
 
Urteil vom 17. März 2021  
 
Strafrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari, Präsidentin, 
Bundesrichter Hurni, 
nebenamtliche Bundesrichterin Wasser-Keller, 
Gerichtsschreiberin Pasquini. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Haykaz Zoryan, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Generalstaatsanwaltsch aft des Kantons Bern, Nordring 8, Postfach, 3001 Bern, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Grobe Verletzung der Verkehrsregeln; schriftliches Verfahren, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Bern, 1. Strafkammer, vom 19. Oktober 2020 (SK 19 350). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.   
Die Staatsanwaltschaft des Kantons Bern sprach A.________ mit Strafbefehl vom 11. Januar 2019 der mehrfachen groben Verletzung der Verkehrsregeln durch Überschreitung der Höchstgeschwindigkeit auf der Autobahn, durch Überholen auf gerader Strecke innerorts trotz Gegenverkehrs und durch Nichtanpassen der Geschwindigkeit an die Sichtverhältnisse schuldig. Sie wirft ihm unter anderem vor, als Lenker eines Personenwagens am 19. August 2018 auf der Aeschenbrunnmattstrasse in Bremgarten bei Bern durch das Überholen eines anderen Fahrzeugs innerorts zwei Fahrradfahrer, die sich auf der Gegenfahrbahn befunden hätten, gefährdet zu haben. Er sei mit überhöhter Geschwindigkeit weitergefahren und habe im Bereich einer Verkehrsinsel mit Fussgängerstreifen einen entgegen kommenden Patrouillenwagen der Polizei erblickt. Beide Lenker hätten sofort ein Bremsmanöver eingeleitet, wobei das Polizeifahrzeug nach der Verkehrsinsel gegen rechts gezogen worden sei. A.________ sei ca. 1.5 Meter vor dem schräg stehenden Patrouillenwagen zum Stillstand gekommen. 
Gegen den Strafbefehl erhob A.________ Einsprache. Die Staatsanwaltschaft hielt am Strafbefehl fest und überwies die Akten an das Regionalgericht Emmental-Oberaargau. 
 
B.   
Das Regionalgericht Emmental-Oberaargau sprach A.________ mit Urteil vom 20. Juni 2019 vom Vorwurf der groben Verletzung der Verkehrsregeln durch Überholen auf gerader Strecke innerorts trotz Gegenverkehrs frei. Es verurteilte ihn jedoch wegen grober Verletzung der Verkehrsregeln durch Überschreitung der Höchstgeschwindigkeit auf der Autobahn und wegen einfacher Verletzung der Verkehrsregeln durch Nichtanpassen der Geschwindigkeit an die Sichtverhältnisse. 
A.________ erhob Berufung gegen den erstinstanzlichen Entscheid. Er beschränkte sie insbesondere auf den Schuldspruch wegen einfacher Verletzung der Verkehrsregeln und beantragte die Durchführung des schriftlichen Verfahrens. Die Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Bern erhob Anschlussberufung. Auf entsprechende Nachfrage erklärte sich A.________ mit der Durchführung des schriftlichen Verfahrens grundsätzlich nach wie vor einverstanden. Das Obergericht des Kantons Bern bestellte ihm antragsgemäss rückwirkend den bisherigen Rechtsvertreter als amtlichen Verteidiger und ordnete alsdann das schriftliche Verfahren an. 
Mit Urteil vom 19. Oktober 2020 stellte das Obergericht des Kantons Bern fest, dass der Schuldspruch wegen grober Verletzung der Verkehrsregeln durch Überschreitung der Höchstgeschwindigkeit auf der Autobahn und der Verzicht des Widerrufs des bedingten Vollzugs für eine Freiheitsstrafe von 14 Tagen in Rechtskraft erwachsen sind. Es sprach A.________ vom Vorwurf der einfachen Verletzung der Verkehrsregeln durch Nichtanpassen der Geschwindigkeit an die Sichtverhältnisse frei, erklärte ihn indessen der groben Verletzung der Verkehrsregeln durch Überholen auf gerader Strecke innerorts trotz Gegenverkehrs schuldig. Das Obergericht verurteilte ihn zu einer unbedingten Geldstrafe von 50 Tagessätzen zu Fr. 30.--. 
 
C.   
A.________ führt Beschwerde in Strafsachen und beantragt, das Urteil des Obergerichts des Kantons Bern sei hinsichtlich des Schuldspruchs wegen grober Verletzung der Verkehrsregeln durch Überholen auf gerader Strecke innerorts trotz Gegenverkehrs aufzuheben und er sei diesbezüglich freizusprechen. Die kantonalen Gerichtskosten seien dem Kanton Bern aufzuerlegen. Für das kantonale Verfahren sei ihm eine angemessene Parteientschädigung auszurichten. Eventualiter sei die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Der Beschwerde sei die aufschiebende Wirkung zu erteilen. Schliesslich ersucht A.________ um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung. 
 
D.   
Das Obergericht des Kantons Bern verzichtet auf eine Stellungnahme. Die Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Bern liess sich nicht vernehmen. 
Mit Verfügung vom 26. November 2020 wurde das Gesuch um aufschiebende Wirkung abgewiesen. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.   
Der Beschwerdeführer rügt, die Vorinstanz stelle den massgebenden Sachverhalt willkürlich fest, verletze den Grundsatz "in dubio pro reo" und wende Art. 35 Abs. 2 SVG i.V.m. Art. 90 Abs. 2 SVG falsch an. Dabei bringt er unter anderem vor, er sei anlässlich der erstinstanzlichen Hauptverhandlung weder zum Beginn noch zum Ende des Überholmanövers befragt worden. Daraus erhelle, dass sich entgegen der Vorinstanz keine Widersprüche in seinen diesbezüglichen Angaben finden liessen (Beschwerde S. 8 ff.). Weiter kritisiert der Beschwerdeführer sinngemäss, die Vorinstanz hätte wie die erste Instanz ein mündliches Verfahren durchführen müssen. Sie hätte von der für ihn vorteilhafteren Version der Ereignisse ausgehen müssen, so wie es die erste Instanz gemacht habe. Diese habe durch Einvernahme seiner Person und die Befragung der Zeugen einen persönlichen Eindruck gewinnen können, während die Vorinstanz das schriftliche Verfahren durchgeführt habe (Beschwerde S. 12). 
 
2.   
 
2.1. Die Vorinstanz hält fest, die Angaben des Beschwerdeführers zum fraglichen Überholmanöver seien nicht stimmig. So habe er widersprüchliche Ausführungen zur Länge der vom Manöver betroffenen Strecke gemacht und habe dieses auch nicht an der von ihm bezeichneten Stelle beendet haben können, wenn auf seine Aussagen zur Geschwindigkeit und dem Streckenabschnitt des Überholmanövers nach dem Oeschenweg abgestellt werde. Die zum Überholen benötigte Strecke habe gestützt auf seine Angaben zur Geschwindigkeit gemäss der Dokumentation des Unfalltechnischen Dienstes der Kantonspolizei Bern (UTD) 68 Meter betragen. Die von ihm eingezeichnete Strecke sei allerdings wesentlich kürzer gewesen. Diese wäre zwar für ein Überholmanöver mit besagten Geschwindigkeiten geeignet gewesen, allerdings wären dem Beschwerdeführer dann - gleich zu Beginn des Manövers - die beiden Fahrradfahrer im Weg gestanden (Gegenverkehr), welche er nur unweit des angeblichen Startpunkts eingezeichnet gehabt habe. Insgesamt enthielten seine Aussagen doch einige nicht unwesentliche Widersprüche und Ungereimtheiten, so dass keine konsequente Abfolge konstruiert werden könne. Bezüglich des Überholens auf gerader Strecke könne nicht auf seine Aussagen abgestellt werden (Urteil S. 14 f.). Statt dessen stellt die Vorinstanz auf die diesbezüglich konstanten Aussagen des Zeugen B.________ und die Präzisierungen des Zeugen C.________ ab, wonach das Überholmanöver des Beschwerdeführers vor der linksseitigen Abzweigung Oeschenweg bzw. vor der dort folgenden Verengung begonnen habe, indem der Beschwerdeführer den Zeugen B.________ vor der rechtsseitigen verkehrsberuhigenden Insel überholt und erst nach dieser Insel auf seine Fahrbahn eingebogen sei (Urteil S. 15-20, insb. S. 18 f.). In Bezug auf die Position der beiden Fahrradfahrer erwägt die Vorinstanz entgegen der ersten Instanz, welche die Aussagen des Zeugen B.________ in sich und zu den Angaben seiner Beifahrerin als widersprüchlich beurteilt und die Gefährdung der Radfahrer daher als nicht erstellt erachtet hatte, dass die Aussagen des Zeugen B.________ trotz Abweichungen im Kern stets konstant gewesen seien, wohingegen diejenigen des Beschwerdeführers nicht zu überzeugen vermöchten. Die Gefährdung der Fahrradfahrer nimmt die Vorinstanz daher gestützt auf die tatnächsten Aussagen des Beschwerdeführers an, die mit denjenigen des Zeugen B.________ und dessen Beifahrerin übereinstimmten und wonach sich die beiden Fahrradfahrer im Zeitpunkt des Überholmanövers im Bereich der Verengung bzw. des Fussgängerstreifens bei der Abzweigung Oeschenweg aufgehalten hätten (Urteil S. 19 f.). Die Vorinstanz stellt fest, dass die Aeschenbrunnmattstrasse an besagter Stelle nur rund vier Meter breit ist, wovon das Fahrzeug des Beschwerdeführers mit seiner Breite rund zwei Meter einnehme. Sie schliesst daraus, dass der Beschwerdeführer den beiden Fahrradfahrern aufgrund seines Fahrmanövers gefährlich nah gekommen sei, wobei die exakte Position der beiden Fahrradfahrer auf Höhe dieser Verengung offenbleiben könne (Urteil S. 20).  
 
2.2. Die Vorinstanz bejaht die Erfüllung sowohl des objektiven wie des subjektiven Tatbestands der groben Verletzung der Verkehrsregeln im Sinne von Art. 90 Abs. 2 SVG. Obwohl bereits eine abstrakte Gefährdung ausreichen würde, habe der Beschwerdeführer die sich bei besagter Verengung befindlichen Fahrradfahrer konkret gefährdet, indem er anstatt das Überholmanöver abzubrechen den Vorgang fortgesetzt habe bzw. auf der Gegenfahrbahn verblieben sei und ihnen dadurch gefährlich nahe gekommen sei. Auch wenn es nicht das Ziel des Beschwerdeführers gewesen sei, andere Verkehrsteilnehmer zu gefährden, sei sein Verhalten schwerwiegend regelwidrig und gegenüber anderen Rechtsgütern bedenkenlos. Indem er sich in eine Situation gebracht habe, in welcher er den sicheren Abschluss des Überholvorgangs nicht mehr habe kontrollieren können, habe er das Risiko einer Kollision bzw. der Schaffung einer konkreten Gefahr für die beiden Fahrradfahrer in Kauf genommen.  
 
2.3. In verfahrensrechtlicher Hinsicht ersuchte die Vorinstanz die Beschwerdegegnerin gleichzeitig mit der Fristansetzung für eine allfällige Anschlussberufung um Mitteilung, ob sie mit der vom Beschwerdeführer beantragten Durchführung des schriftlichen Verfahrens gestützt auf Art. 406 Abs. 2 StPO einverstanden sei (kant. Akten pag. 180 und 182 f.). Mit Erhebung der Anschlussberufung teilte die Beschwerdegegnerin ihr Einverständnis mit dem schriftlichen Verfahren mit, sollte der Beschwerdeführer trotz der Anschlussberufung weiterhin einverstanden sein und die Vorinstanz gestützt auf die neuere bundesgerichtliche Rechtsprechung nicht die Ansicht vertreten, ein persönlicher Eindruck des Beschwerdeführers und der Zeugen, insbesondere von B.________ und von D.________, sei unumgänglich (kant. Akten pag. 186). Die Vorinstanz hält in Übereinstimmung mit den Akten fest, auf entsprechende Nachfrage habe sich der Beschwerdeführer mit der Durchführung des schriftlichen Verfahrens grundsätzlich nach wie vor einverstanden erklärt, worauf sie ihm antragsgemäss rückwirkend den bisherigen Rechtsvertreter als amtlichen Verteidiger bestellt. Alsdann ordnet sie das schriftliche Verfahren an und holt gleichzeitig beim Unfalltechnischen Dienst der Kantonspolizei Bern einen massstabsgetreuen Situationsplan der Aeschenbrunnmattstrasse ein. Diesen lässt sie dem Beschwerdeführer mit den Akten zur Einsicht zukommen, setzt ihm eine Frist für die Begründung der Berufung an und schliesst den Schriftenwechsel nach dem Verzicht auf Replik ab (Urteil S. 2 f.). Die Vorinstanz fällt ihr Urteil vom 19. Oktober 2019 auf dem Zirkulationsweg (kantonale Akten pag. 279 und 290 ff.).  
 
3.   
Vorliegend stellt sich die Frage, ob die Anordnung des schriftlichen Verfahrens gemäss Art. 406 Abs. 2 lit. a und b StPO im Einverständnis der Parteien auch vor dem Hintergrund der präzisierten Rechtsprechung des Bundesgerichts (BGE 143 IV 483 E. 2.1 S. 484 ff.; 139 IV 290 E. 1.1 S. 291 f.; Urteil 6B_973/2019 vom 28. Oktober 2020 E. 2, zur Publikation vorgesehen) und trotz der Anschlussberufung der Beschwerdegegnerin zulässig und das Einverständnis der Parteien gültig war. 
 
3.1. Nach Art. 405 Abs. 1 StPO richtet sich das mündliche Berufungsverfahren nach den Bestimmungen über die erstinstanzliche Hauptverhandlung (Art. 339 ff. StPO). Die Berufung ist als primäres Rechtsmittel gegen erstinstanzliche Urteile grundsätzlich als mündliches, kontradiktorisches Verfahren ausgestaltet (BGE 143 IV 288 E. 1.4.2 S. 291; Urteil 6B_973/2019 vom 28. Oktober 2020 E. 2.1, zur Publikation vorgesehen). Der kontradiktorische Charakter des mündlichen Berufungsverfahrens setzt grundsätzlich die Anwesenheit der Parteien voraus. Auf diese kann nur in einfach gelagerten Fällen verzichtet werden, namentlich wenn der Sachverhalt unbestritten und nicht angefochten ist, so dass insofern eine Einvernahme (auch hinsichtlich der Zivilforderung) nicht erforderlich ist (vgl. Art. 405 Abs. 2 StPO; BGE 143 IV 288 E. 1.4.4 S. 293; Urteil 6B_973/2019 vom 28. Oktober 2020 E. 2.1, zur Publikation vorgesehen; je mit Hinweisen). Soweit die Staatsanwaltschaft Berufung oder Anschlussberufung erhoben hat, ist sie von der Verfahrensleitung zur Verhandlung vorzuladen und hat der zuständige Staatsanwalt persönlich zur Verhandlung zu erscheinen (Art. 405 Abs. 3 lit. b StPO; Urteile 6B_973/2019 vom 28. Oktober 2020 E. 2.1, zur Publikation vorgesehen; 6B_865/2019 vom 4. Juni 2020 E. 3.1; 6B_606/2018 vom 12. Juli 2019 E. 3.2, publ. in: Pra 2019 Nr. 115 S. 1131 ff. und AJP 2019 S. 1080 ff.; zu den Säumnisfolgen vgl. Art. 407 Abs. 1 lit. a StPO; SVEN ZIMMERLIN, in: Donatsch und andere [Hrsg.], Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung, 3. Aufl. 2020, N. 7 ff. zu Art. 405 StPO).  
 
3.2.   
 
3.2.1. Gemäss Art. 406 Abs. 1 StPO kann das Berufungsgericht die Berufung im schriftlichen Verfahren unabhängig von einem Einverständnis der Parteien behandeln, wenn ausschliesslich Rechtsfragen zu entscheiden sind (lit. a), wenn allein der Zivilpunkt angefochten ist (lit. b), wenn Übertretungen Gegenstand des erstinstanzlichen Urteils bilden, bei welchen die Überprüfungsbefugnis der Berufungsinstanz ohnehin beschränkt ist (Art. 398 Abs. 4 StPO) und mit der Berufung nicht ein Schuldspruch wegen eines Verbrechens oder Vergehens beantragt wird (lit. c), wenn lediglich die Kosten-, Entschädigungs- und Genugtuungsfolgen angefochten sind (lit. d) sowie wenn Massnahmen im Sinne der Art. 66-73 StGB (lit. e), namentlich Einziehungsentscheide angefochten sind. Mit dem Einverständnis der Parteien kann die Verfahrensleitung gemäss Art. 406 Abs. 2 StPO das schriftliche Verfahren darüber hinaus anordnen, wenn (lit. a) die Anwesenheit der beschuldigten Person nicht erforderlich ist, namentlich diese nicht persönlich befragt werden muss, sowie wenn (lit. b) ein erstinstanzliches Urteil in einzelgerichtlicher Zuständigkeit angefochten wird und es sich dementsprechend um eine Sache von relativ geringer Bedeutung handelt. Nach der Rechtsprechung und einem Teil der Lehre müssen die in Art. 406 Abs. 2 lit. a und b StPO statuierten Voraussetzungen für die Durchführung eines schriftlichen Verfahrens kumulativ vorliegen (Urteil 6B_973/2019 vom 28. Oktober 2020 E. 2.2.1 f. mit Hinweisen, zur Publikation vorgesehen).  
 
3.2.2. Die Zustimmung zum schriftlichen Berufungsverfahren kann die gesetzlichen Voraussetzungen von Art. 406 Abs. 2 lit. a und b StPO nicht ersetzen, sondern tritt zu diesen hinzu. Ob die Voraussetzungen für die Durchführung des schriftlichen Verfahrens vorliegen, ist von der Berufungsinstanz von Amtes wegen zu prüfen. Liegen die Voraussetzungen des schriftlichen Verfahrens nicht vor, kann darauf nicht gültig verzichtet werden (Urteile 6B_973/2019 vom 28. Oktober 2020 E. 2.2.3, zur Publikation vorgesehen; 6B_606/2018 vom 12. Juli 2019 E. 3.5.2, publ. in: Pra 2019 Nr. 115 S. 1131 ff. und AJP 2019 S. 1080 ff.).  
 
3.2.3. Art. 406 StPO ist als "Kann-Vorschrift" ausgestaltet. Die Bestimmung entbindet das Berufungsgericht nicht davon, im Einzelfall zu prüfen, ob der Verzicht auf die öffentliche Verhandlung auch mit Art. 6 Ziff. 1 EMRK vereinbar ist. Die angeschuldigte Person hat im Strafverfahren gemäss Art. 6 Ziff. 1 EMRK Anspruch auf eine öffentliche Gerichtsverhandlung und Urteilsverkündung. Dieser Anspruch ist Teilgehalt der umfassenden Garantie auf ein faires Verfahren (BGE 143 IV 483 E. 2.1.2 S. 485; 128 I 288 E. 2 S. 290 ff.; 119 Ia 316 E. 2b S. 318 f.; Urteil 6B_973/2019 vom 28. Oktober 2020 E. 2.3.1, zur Publikation vorgesehen; je mit Hinweisen).  
Die Art der Anwendung von Art. 6 Ziff. 1 EMRK auf Verfahren vor Rechtsmittelinstanzen hängt von den Besonderheiten des konkreten Verfahrens ab. Es ist insbesondere unter Beachtung des Verfahrens als Ganzem und der Umstände des Einzelfalles zu beurteilen, ob vor einer Berufungsinstanz eine mündliche Verhandlung durchzuführen ist. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) muss selbst ein Berufungsgericht mit freier Kognition hinsichtlich Tat- und Rechtsfragen nicht in allen Fällen eine Verhandlung durchführen, da auch andere Gesichtspunkte wie die Beurteilung der Sache innert angemessener Frist mitberücksichtigt werden dürfen. Von einer Verhandlung in der Rechtsmittelinstanz kann etwa abgesehen werden, soweit die erste Instanz tatsächlich öffentlich verhandelt hat, wenn allein die Zulassung eines Rechtsmittels, nur Rechtsfragen oder aber Tatfragen zur Diskussion stehen, die sich leicht nach den Akten beurteilen lassen, ferner wenn eine reformatio in peius ausgeschlossen oder die Sache von geringer Tragweite ist und sich etwa keine Fragen zur Person und deren Charakter stellen. Für die Durchführung einer mündlichen Verhandlung kann aber der Umstand sprechen, dass die vorgetragenen Rügen die eigentliche Substanz des streitigen Verfahrens betreffen (BGE 143 IV 483 E. 2.1.2 S. 485 f.; 119 Ia 316 E. 2b S. 318 f. mit Hinweisen; Urteil 6B_992/2020 vom 30. November 2020 E. 3.3). Sodann soll der Angeklagte grundsätzlich erneut angehört werden, wenn in der Berufungsinstanz das erstinstanzliche Urteil aufgehoben wird und der Aufhebung eine andere Würdigung des Sachverhalts zugrunde liegt. Der EGMR hat zudem wiederholt festgehalten, dass die beschuldigte Person grundsätzlich von jenem Gericht anzuhören ist, welches ihn verurteilt. Gesamthaft kommt es entscheidend darauf an, ob die Angelegenheit unter Beachtung all dieser Gesichtspunkte sachgerecht und angemessen beurteilt werden kann (vgl. BGE 143 IV 483 E. 2.1.2 S. 486; 119 Ia 316 E. 2b S. 318 f.; Urteil 6B_973/2019 vom 28. Oktober 2020 E. 2.3.2, zur Publikation vorgesehen; je mit Hinweisen). 
 
3.3. Die Voraussetzungen für die Durchführung des schriftlichen Verfahrens sind im vorliegenden Fall nicht erfüllt.  
Zum einen fällt die Zulässigkeit des schriftlichen Verfahrens gestützt auf Art. 406 Abs. 1 StPO ausser Betracht, namentlich da nicht nur eine Rechtsfrage zu beurteilen, sondern der Sachverhalt zu erstellen war, was sich bereits in der Einholung eines neuen Beweismittels zeigt (siehe E. 2.1 und E. 2.3). Im Übrigen hatte das Verfahren auch nicht nur eine Übertretung, eine Zivilforderung, die Kosten- und Entschädigungsfolgen oder Massnahmen nach Art. 66-73 StGB zum Gegenstand. 
Zum anderen durfte die Vorinstanz nicht an der Durchführung des schriftlichen Verfahrens festhalten, nachdem der Sachverhalt in objektiver und subjektiver Hinsicht auch von Seiten des beschuldigten Beschwerdeführers bestritten war und die Beschwerdegegnerin Anschlussberufung erhoben hatte. Daran vermag das Einverständnis beider Parteien trotz Kenntnis der erhobenen Anschlussberufung nichts zu ändern (siehe E. 2.3), zumal auch die Bestellung eines amtlichen Verteidigers für den Beschwerdeführer bereits darauf hindeutet, dass es sich nicht um einen einfach gelagerten Fall im Sinne von Art. 405 Abs. 2 StPO handelt. Das erklärte Einverständnis beider Parteien ist unbeachtlich und ungültig, umso mehr, als die Vorinstanz die Sachverhaltsfeststellung der ersten Instanz verwarf und den Beschwerdeführer bezüglich des hier relevanten Vorwurfs im Gegensatz zum erstinstanzlichen Freispruch, der sich auf den Grundsatz "in dubio pro reo" gestützt hatte (Urteil S. 10, erstinstanzliches Urteil S. 13), schuldig sprach. Bei dieser Ausgangslage kann die Vorinstanz den Sachverhalt nicht lediglich auf Grundlage der Akten feststellen. Sie hat stattdessen die Beschwerdegegnerin und den Beschuldigten zu einer mündlichen Berufungsverhandlung vorzuladen, so dass sich Letzterer zu den Vorwürfen persönlich äussern und diejenigen Umstände vorbringen kann, die der Klärung des Sachverhalts und seiner Verteidigung dienen können. Eine sachgerechte und angemessene Beurteilung der Angelegenheit hätte vorliegend nach einer einlässlichen Befragung des Beschwerdeführers und allenfalls auch einer erneuten Befragung der Zeugen verlangt, worauf die Beschwerdegegnerin selbst hingewiesen hatte (siehe E. 2.3). Indem die Vorinstanz bezüglich des hier massgebenden Sachverhalts als erste verurteilende Gerichtsinstanz auf die Befragung des Beschwerdeführers verzichtet hat, hat sie zum Ausdruck gebracht, dass sie den Aussagen des Beschwerdeführers als angeklagte Person für ihre Beweiswürdigung keine Bedeutung beimisst, obwohl ihm aufgrund der erhobenen Anschlussberufung eine reformatio in peius drohte. Damit hat sie den Beschwerdeführer in unzulässiger Weise auf ein blosses Objekt staatlichen Handelns reduziert (vgl. BGE 143 IV 288 E. 1.4.2 S. 291; 408 E. 6.2.2 S. 414 f.; Urteile 6B_973/2019 vom 28. Oktober 2020 E. 3.1, zur Publikation vorgesehen; 6B_629/2017 vom 20. März 2018 E. 1.1.1; je mit Hinweisen). Die Anwesenheit sowohl der Staatsanwaltschaft als auch des Beschwerdeführers als beschuldigte Person im Berufungsverfahren war damit im Sinne von Art. 405 Abs. 2 StPO resp. Art. 406 Abs. 2 lit. a StPO erforderlich, so dass die Vorinstanz nicht auf ein mündliches Verfahren verzichten durfte. Dem Einverständnis des Beschwerdeführers zum schriftlichen Verfahren kommt dabei selbst dann keine rechtliche Wirkung zu, wenn er dieses Verfahren ursprünglich selbst beantragt hatte, da die Berufungsinstanz das Vorliegen der Voraussetzungen für das schriftliche Verfahren von Amtes wegen und unabhängig einer Einverständniserklärung zu prüfen hat. 
Die Durchführung eines schriftlichen Berufungsverfahrens erweist sich mithin als bundesrechtswidrig und widerspricht der EGMR-Rechtsprechung zu Art. 6 Ziff. 1 EMRK. Die Beschwerde ist in diesem Punkt begründet. 
 
4.   
Die Beschwerde ist gutzuheissen. Das angefochtene Urteil ist aufzuheben und die Sache zur Durchführung des mündlichen Berufungsverfahrens und zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Bei diesem Ergebnis erübrigt es sich, auf die weiteren erhobenen Rügen der willkürlichen Feststellung des Sachverhalts und der Verletzung des Grundsatzes "in dubio pro reo" (Beschwerde S. 5 ff.) sowie der falschen Rechtsanwendung (Beschwerde S. 12 ff.) einzutreten. 
Für das bundesgerichtliche Verfahren sind keine Gerichtskosten zu erheben (Art. 66 Abs. 1 und 4 BGG). Der Kanton Bern hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren angemessen zu entschädigen (Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG), wodurch dessen Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege gegenstandslos wird. 
 
 
 Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird gutgeheissen, das Urteil des Obergerichts des Kantons Bern vom 19. Oktober 2020 aufgehoben und die Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückgewiesen. 
 
2.   
Es werden keine Kosten erhoben. 
 
3.   
Der Kanton Bern hat dem Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren eine Entschädigung von Fr. 3'000.-- auszurichten. 
 
4.   
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Bern, 1. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 17. März 2021 
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Die Präsidentin: Jacquemoud-Rossari 
 
Die Gerichtsschreiberin: Pasquini