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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
                 
 
 
8C_138/2020  
 
 
Urteil vom 24. April 2020  
 
I. sozialrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Maillard, Präsident, 
Bundesrichterin Heine, Bundesrichter Wirthlin, 
Gerichtsschreiberin Polla. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Daniel Wyssmann, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Unia Arbeitslosenkasse, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Arbeitslosenversicherung (Arbeitslosenentschädigung), 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern vom 16. Dezember 2019 (200 16 597 ALV). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
 
A.a. Der 1961 geborene A.________ meldete sich am 29. Oktober 2014 bei der Arbeitslosenversicherung zum Leistungsbezug an, nachdem er bereits im Oktober 2012 die Invalidenversicherung um Leistungen ersucht hatte. Die IV-Stelle Bern lehnte das Leistungsbegehren bei einem ermittelten Invaliditätsgrad von 15 % ab (Verfügung vom 5. August 2014). Mit Entscheid 9C_181/2016 vom 2. Juni 2016 hiess das Bundesgericht die im Rahmen des invalidenversicherungsrechtlichen Verfahrens eingereichte Beschwerde teilweise gut und wies die Sache zur weiteren medizinischen Abklärung an die IV-Stelle zurück. Die IV-Stelle sprach dem Versicherten daraufhin ab 1. Mai 2017 eine halbe Rente der Invalidenversicherung zu (Verfügung vom 10. August 2018; Invaliditätsgrad 55 %). Das Verwaltungsgericht hiess die hiergegen geführte Beschwerde unter Aufhebung der angefochtenen Verfügung wiederum teilweise gut und wies die Sache zur Vornahme weiterer Abklärungen im Sinne der Erwägungen und zu neuer Verfügung an die IV-Stelle zurück (Entscheid vom 27. Mai 2019).  
 
A.b. Mit Verfügung vom 6. Februar 2015 und Einspracheentscheid vom 9. April 2015 bejahte das beco Berner Wirtschaft (seit 1. Mai 2019 Amt für Arbeitslosenversicherung des Kantons Bern) ab 1. November 2014 die Vermittlungsfähigkeit des Versicherten und legte die Höhe des Taggeldanspruchs auf der Grundlage einer 50%igen Arbeitsfähigkeit fest. Das Verwaltungsgericht hiess die dagegen erhobene Beschwerde mit unangefochten gebliebenem Entscheid vom 14. März 2016 gut und änderte den Einspracheentscheid vom 9. April 2015 dahingehend ab, als es für die Zeit ab 1. November 2014 den Taggeldanspruch auf der Basis einer vollständigen Arbeitsfähigkeit bejahte, sofern die übrigen Anspruchsvoraussetzungen erfüllt seien.  
Mit Verfügung vom 9. März 2015 und Einspracheentscheid vom 23. April 2015 verneinte die Unia Arbeitslosenkasse sodann einen Arbeitslosenentschädigungsanspruch ab 1. November 2014, da A.________ keinen anrechenbaren Arbeits- und Verdienstausfall erlitten habe. Das Verwaltungsgericht hiess die hiergegen geführte Beschwerde insoweit gut, als es den Einspracheentscheid aufhob und die Sache an die Arbeitslosenkasse zurückwies, damit diese im Sinne der Erwägungen verfahre und anschiessend neu verfüge (Entscheid vom 14. März 2016). Daraufhin verneinte die Arbeitslosenkasse erneut einen Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung mangels anrechenbaren Arbeitsausfalls, da der Versicherte mit einem 50%igen Pensum in einem Arbeitsverhältnis mit dem Unternehmen B.________ stehe und der versicherte Verdienst gestützt auf eine verbleibende Arbeitsfähigkeit von 85 % festzulegen sei (Verfügung vom 24. März 2016). Da das Taggeld 70 bzw. 80 % des versicherten Verdienstes betrage, liege ein Verdienstausfall nur dann vor, wenn der Einkommensverlust mehr als 20 bzw. 30 % des versicherten Verdienstes ausmache, was hier nicht zutreffe. Die dagegen geführte Einsprache wies sie mit Einspracheentscheid vom 25. Mai 2016 ab. 
 
B.   
Die hiergegen eingereichte Beschwerde wies das Verwaltungsgericht mit Entscheid vom 16. Dezember 2019 ab. 
 
C.   
A.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten erheben und beantragen, in Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheids und des Einspracheentscheids vom 25. Mai 2016 sei ihm ab 1. November 2014 Arbeitslosenentschädigung bei einem ungekürzten versicherten Verdienst im Sinne der Vorleistungspflicht zuzusprechen. 
Die Arbeitslosenkasse schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Das SECO hat auf eine Stellungnahme verzichtet. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.   
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 und 96 BGG erhoben werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG), doch prüft es, unter Berücksichtigung der allgemeinen Rüge- und Begründungspflicht (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG), nur die geltend gemachten Vorbringen, falls allfällige weitere rechtliche Mängel nicht geradezu offensichtlich sind (BGE 138 I 274 E. 1.6 S. 280 mit Hinweis). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann deren Sachverhaltsfeststellung nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG). 
 
2.  
 
2.1. Streitig und zu prüfen ist, ob die Vorinstanz Bundesrecht verletzt hat, indem sie in Verneinung der Vorleistungspflicht den Einspracheentscheid der Arbeitslosenkasse vom 25. Mai 2016 schützte.  
 
2.2.  
 
2.2.1. Art. 8 Abs. 1 AVIG zählt die für die Arbeitslosenentschädigung massgeblichen Anspruchsvoraussetzungen auf. Dazu gehört, dass der Versicherte einen anrechenbaren Arbeitsausfall erlitten hat (Art. 8 Abs. 1 lit. b AVIG). Nach Art. 11 Abs. 1 AVIG ist ein Arbeitsausfall anrechenbar, wenn er einen Verdienstausfall zur Folge hat und mindestens zwei aufeinander folgende volle Arbeitstage dauert (vgl. BORIS RUBIN, Commentaire de la loi sur l'assurance-chômage, 2014, N. 14 zu Art. 11 AVIG S. 108). Ferner gehört zu den Anspruchsvoraussetzungen nach Art. 8 Abs. 1 lit. f AVIG in Verbindung mit Art. 15 Abs. 1 AVIG die Vermittlungsfähigkeit, d.h. die versicherte Person muss bereit, in der Lage und berechtigt sein, eine zumutbare Arbeit anzunehmen und an Eingliederungsmassnahmen teilzunehmen. Der Begriff der Vermittlungsfähigkeit als Anspruchsvoraussetzung schliesst graduelle Abstufungen aus. Entweder ist die versicherte Person vermittlungsfähig, insbesondere bereit, eine zumutbare Arbeit (im Umfang von mindestens 20 % eines Normalarbeitspensums; vgl. Art. 5 AVIV und BGE 120 V 385 E. 4c/aa S. 390) anzunehmen, oder nicht (BGE 136 V 95 E. 5.1 S. 97).  
Nach Art. 15 Abs. 2 Satz 1 AVIG gilt der körperlich oder geistig Behinderte als vermittlungsfähig, wenn ihm bei ausgeglichener Arbeitsmarktlage, unter Berücksichtigung seiner Behinderung, auf dem Arbeitsmarkt eine zumutbare Arbeit vermittelt werden könnte (BGE 136 V 195 E. 3.1 S. 197 f.). Die Kompetenz zur Regelung der Koordination mit der Invalidenversicherung ist in Art. 15 Abs. 2 Satz 2 AVIG dem Bundesrat übertragen worden. Dieser hat in Art. 15 Abs. 3 AVIV festgelegt, dass ein Behinderter, der unter der Annahme einer ausgeglichenen Arbeitsmarktlage nicht offensichtlich vermittlungsunfähig ist, und der sich bei der Invalidenversicherung (oder einer anderen Versicherung nach Art. 15 Abs. 2 AVIV) angemeldet hat, bis zum Entscheid der anderen Versicherung als vermittlungsfähig gilt. In diesem Sinn sieht Art. 70 Abs. 2 lit. b ATSG vor, dass die Arbeitslosenversicherung für Leistungen, deren Übernahme durch die Arbeitslosenversicherung, die Krankenversicherung, die Unfallversicherung oder die Invalidenversicherung umstritten ist, vorleistungspflichtig ist (BGE 142 V 380 E. 3.1 S. 381 f.). 
Aufgrund dieser Bestimmungen hat die Arbeitslosenversicherung arbeitslose, bei einer anderen Versicherung angemeldete Personen zu entschädigen, falls ihre Vermittlungsunfähigkeit nicht offensichtlich ist. Dieser Anspruch auf eine ungekürzte Arbeitslosenentschädigung besteht namentlich, wenn die ganz arbeitslose Person aus gesundheitlichen Gründen lediglich noch teilzeitlich arbeiten könnte, solange sie im Umfang der ihr ärztlicherseits attestierten Arbeitsfähigkeit eine Beschäftigung sucht und bereit ist, eine neue Anstellung mit entsprechendem Pensum anzutreten (BGE 142 V 380 E. 3.2 S. 382; 136 V 95 E. 7.1 S. 101). Die Vermutungsregel der grundsätzlich gegebenen Vermittlungsfähigkeit von Behinderten (Art. 70 Abs. 2 lit. b ATSG und Art. 15 Abs. 2 AVIG in Verbindung mit Art. 15 Abs. 3 AVIV) gilt lediglich für die Zeit, in welcher der Anspruch auf Leistungen einer anderen Versicherung abgeklärt wird und somit noch nicht feststeht. Damit sollen Lücken im Erwerbsersatz vermieden werden. 
 
2.2.2. Sobald das Ausmass der Erwerbsunfähigkeit durch Vorbescheid oder Verfügung der andern Sozialversicherung feststeht, endet die Vorleistungspflicht der Arbeitslosenversicherung (vgl. BGE 142 V 380 E. 3.2 S. 382; 136 V 195 E. 7.4 S. 205; ARV 2011 S. 55, 8C_651/2009). Der versicherte Verdienst (Art. 23 Abs. 1 AVIG in Verbindung mit Art. 40b AVIV) wird rückwirkend auf den Zeitpunkt der Einschränkung der Erwerbsunfähigkeit angepasst (BGE 136 V 95 E. 7.1 S. 101; 132 V 357; SVR 2014 ALV Nr. 12 S. 37, 8C_53/2014). Grundsätzlich bildet die (noch nicht rechtskräftige) Verfügung der Invalidenversicherung oder einer anderen Sozialversicherung hinreichende Grundlage für die Anpassung des versicherten Verdienstes an den damit erkannten Grad der Erwerbsunfähigkeit oder zumindest an den nicht umstrittenen Prozentsatz des errechneten Invaliditätsgrades (BGE 145 V 399 E. 4.1.3 S. 405; 142 V 380 E. 5.5 S. 388).  
 
3.  
 
3.1. Die Vorinstanz erwog, mit Blick auf den von der Invalidenversicherung mit Verfügung vom 5. August 2014 ermittelten Invaliditätsgrad von 15 % habe die Arbeitslosenkasse den versicherten Verdienst korrekt angepasst und diesen auf Fr. 10'153.- festgesetzt (85 % von Fr. 11'945.-). Dies ergebe eine Arbeitslosenentschädigung von Fr. 7'106.75 pro Monat (70 % von Fr. 10'153.-). Da der Versicherte ab 1. November 2014 monatlich Fr. 7'167.45 (Fr. 5'513.- + 13. Monatslohn + Funktionszulage) verdiene, erleide er keinen anrechenbaren Arbeitsausfall nach Art. 11 AVIG. Nicht zu hören sei der Beschwerdeführer mit dem Einwand, die Funktionszulage von Fr. 5'972.45 sei ebenfalls 13 Mal jährlich ausgerichtet worden, weshalb der versicherte Verdienst Fr. 12'442.65 betrage (Fr. 11'485.50 x 13 : 12).  
 
3.2. Der Beschwerdeführer wendet dagegen einzig ein, der Schwebezustand dauere immer noch an, da das Invalidenversicherungsverfahren noch nicht abgeschlossen sei. Nachdem das Verwaltungsgericht die Verfügung vom 10. August 2018, worin ein Invaliditätsgrad von 55 % festgelegt worden sei), aufgehoben und an die Verwaltung zurückgewiesen habe, sei seitens der IV-Stelle noch keine neue Verfügung ergangen. Gemäss Gutachten der Ärztlichen Begutachtungsinstitut (ABI) GmbH, Basel, vom 7. Januar 2020, sei der Beschwerdeführer ab 2011 lediglich zu 10 % arbeitsunfähig. Die Kürzung des arbeitslosenversicherungsrechtlichen Leistungsanspruchs während des Schwebezustands sei gesetzlich nicht vorgesehen. Hier bestehe keine Klarheit über das Mindestmass der Erwerbsunfähigkeit, weshalb noch keine Korrektur des versicherten Verdienstes erfolgen dürfe. Die IV-Verfügung vom 5. August 2014 existiere nicht mehr, da sie vom Bundesgericht nachträglich aufgehoben worden sei. Überdies sei durch den Umstand, dass die ABI-Expertise lediglich eine Arbeitsunfähigkeit von 10 % ausweise, die Korrektur des versicherten Verdienstes um 15 % nicht korrekt. Es bestehe ein Taggeldanspruch auf der Basis des ungekürzten versicherten Verdienstes.  
 
4.   
Mit seiner Argumentation verkennt der Beschwerdeführer, dass die Vorleistungspflicht der Arbeitslosenversicherung während des Schwebezustandes eine Übergangslösung darstellt und deshalb nicht auf eine lange Dauer angelegt ist. Sie soll im Zweifelsfall eine Leistungslücke während der laufenden Leistungsrahmenfrist verhindern. Dauern die Abklärungen der Invalidenversicherung länger, so kann die Arbeitslosenkasse nicht verpflichtet werden, Vorleistungen über mehrere Leistungsrahmenfristen hinweg zu erbringen (ARV 2019 S. 188, 8C_166/2018 E. 6.4). Wie das Bundesgericht in BGE 145 V 399 E. 4.1.3 S. 405 (unter Hinweis auf 142 V 380 E. 5.5 S. 388) klarstellte, bildet grundsätzlich die noch nicht rechtskräftige Verfügung der Invalidenversicherung hinreichende Grundlage für die Anpassung des versicherten Verdienstes an den damit erkannten Invaliditätsgrad (E. 2.2.2 hiervor). Bei der vorliegenden Konstellation, namentlich mit Blick auf die lange Dauer des Invalidenversicherungsverfahrens, hiervon abzuweichen, besteht kein Anlass (vgl. auch die Weisung des SECO in der AVIG-Praxis ALE Rz. C29 und B256d f., wonach nicht von Belang sei, ob die betroffene Person gegen den Entscheid der Invalidenversicherung ein Rechtsmittel erhebe. Die Korrektur des versicherten Verdienstes sei sofort nach Erlass des IV-Entscheids vorzunehmen). Dass die für die Anpassung des versicherten Verdienstes Grundlage bildende Verfügung vom 5. August 2014 nachträglich aufgehoben wurde, steht dem, wie das kantonale Gericht bereits zutreffend darlegte, nicht entgegen. Eine Bundesrechtsverletzung kann dem kantonalen Gericht nicht vorgeworfen werden. Die Beschwerde ist unbegründet. 
 
5.   
Das Verfahren ist kostenpflichtig (Art. 65 Abs. 1 und Abs. 4 lit. a BGG). Dem Verfahrensausgang entsprechend sind die Gerichtskosten dem unterliegenden Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG; BGE 133 V 637 E. 4.6 S. 639). 
 
 
 Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.   
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
3.   
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern und dem Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 24. April 2020 
 
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Maillard 
 
Die Gerichtsschreiberin: Polla