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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
                 
 
 
2C_934/2018  
 
 
Urteil vom 7. November 2018  
 
II. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Seiler, Präsident, 
Bundesrichter Zünd, 
Bundesrichter Haag, 
Gerichtsschreiber Quinto. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwältin Lena Weissinger, 
 
gegen  
 
Migrationsamt des Kantons Basel-Stadt. 
 
Gegenstand 
Verlängerung der Durchsetzungshaft, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Appellationsgerichts des Kantons Basel-Stadt als Verwaltungsgericht, Einzelrichterin für Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht, vom 19. September 2018 (AUS.2018.80). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.   
A.________ (geb. 1984), algerischer Staatsangehöriger, reiste zu einem unbekannten Zeitpunkt illegal in die Schweiz ein und ist ab 2009 in der Schweiz mehrfach straffällig geworden, unter anderem wegen versuchten Raubes. Auf sein Asylgesuch vom 12. Oktober 2010 ist das Staatssekretariat für Migration (SEM) mit rechtskräftigem Entscheid vom 29. April 2013 nicht eingetreten. Ausserdem tauchte A.________ mehrfach unter und musste jeweils von den Niederlanden im Rahmen eines Dublin-Verfahrens wieder in die Schweiz überstellt werden. Unmittelbar nach der Entlassung aus dem Strafvollzug hätte er gemäss rechtskräftiger Wegweisungsverfügung des Migrationsamtes des Kantons Basel-Stadt vom 5. Oktober 2017 die Schweiz am 5. Januar 2018 verlassen müssen. 
 
B.   
 
B.a. A.________ hat mehrfach zum Ausdruck gebracht, dass er nicht gewillt ist, die Schweiz freiwillig zu verlassen. Ab dem 5. Januar 2018 befand er sich in Ausschaffungshaft und mit Wirkung ab 13. Juni 2018 wurde Durchsetzungshaft angeordnet (Vgl. Urteile Einzelrichterin für Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht, Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt als Verwaltungsgericht, vom 28. März und 15. Juni 2018).  
 
B.b. Die algerischen Behörden haben A.________ identifiziert und somit anerkannt und sind jederzeit bereit, ein Laissez-Passer auszustellen. Am 2. März 2018 scheiterte ein Rückführungsversuch der Vollzugsstufe 2 (Level 2) per Linienflug nach Algerien am Widerstand von A.________. Letzterer verfügt über keine familiären Beziehungen in der Schweiz. Gesundheitliche Gründe, welche einer Rückführung entgegenstehen würden, liegen nicht vor.  
 
B.c. Mit Urteil der Einzelrichterin für Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht, Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt als Verwaltungsgericht, vom 19. September 2018, wurde die Durchsetzungshaft bis zum 11. November 2018 verlängert. Anlässlich der in diesem Rahmen durchgeführten mündlichen Verhandlung hat A.________ bekräftigt, dass er nicht gewillt ist, die Schweiz zu verlassen und nach Algerien zurückzukehren.  
 
 
C.   
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten vom 18. Oktober 2018 an das Bundesgericht beantragt A.________ (Beschwerdeführer) die Aufhebung des vorinstanzlichen Urteils und die Entlassung aus der Durchsetzungshaft. Ausserdem beantragt er für das bundesgerichtliche Verfahren die unentgeltliche Rechtspflege. 
Das Migrationsamt und die Vorinstanz schliessen in ihrer Vernehmlassung jeweils auf Abweisung der Beschwerde. Das SEM schliesst ebenfalls auf Abweisung der Beschwerde. Der Beschwerdeführer hat nicht repliziert. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Gegen letztinstanzliche kantonale richterliche Entscheide betreffend die Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht steht die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten offen (Art. 82 lit. a, Art. 83 lit. c e contrario, Art. 86 Abs. 1 lit. d und Abs. 2 sowie Art. 90 BGG). Der Beschwerdeführer ist gemäss Art. 89 Abs. 1 BGG zur Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten legitimiert, weshalb auf das frist- und formgerecht eingereichte Rechtsmittel einzutreten ist (Art. 100 Abs. 1 und Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG).  
 
1.2. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG), prüft jedoch unter Berücksichtigung der allgemeinen Rüge- und Begründungspflicht (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG) nur die geltend gemachten Rechtsverletzungen, sofern rechtliche Mängel nicht geradezu offensichtlich sind (BGE 142 I 135 E. 1.5 S. 144). In Bezug auf die Verletzung von Grundrechten gilt eine qualifizierte Rüge- und Substanziierungspflicht (Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 139 I 229 E. 2.2 S. 232; 136 II 304 E. 2.5 S. 314).  
Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Eine Berichtigung oder Ergänzung der vorinstanzlichen Sachverhaltsfeststellungen ist von Amtes wegen (Art. 105 Abs. 2 BGG) oder auf Rüge hin (Art. 97 Abs. 1 BGG) möglich. Von den tatsächlichen Grundlagen des vorinstanzlichen Urteils weicht das Bundesgericht jedoch nur ab, wenn diese offensichtlich unrichtig sind oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruhen und die Behebung des Mangels für den Verfahrensausgang entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG; BGE 142 I 135 E. 1.6 S. 144 f.). Eine entsprechende Rüge ist substanziiert vorzubringen (Art. 106 Abs. 2 BGG); auf rein appellatorische Kritik an der Sachverhaltsfeststellung bzw. Beweiswürdigung geht das Gericht nicht ein (BGE 140 III 264 E. 2.3 S. 266; 139 II 404 E. 10.1 S. 444 f.). 
 
2.   
 
2.1. Hat eine Person ihre Pflicht zur Ausreise aus der Schweiz innerhalb der ihr angesetzten Frist nicht erfüllt und kann die rechtzeitige Weg- oder Ausweisung auf Grund ihres persönlichen Verhaltens nicht vollzogen werden, so kann sie, um der Ausreisepflicht Nachachtung zu verschaffen, in Haft genommen werden, sofern die Anordnung der Ausschaffungshaft nicht zulässig ist und eine andere mildere Massnahme nicht zum Ziel führt (Durchsetzungshaft; Art. 78 Abs. 1 AuG). Die Durchsetzungshaft darf zusammen mit der bereits verbüssten Vorbereitungs- oder Ausschaffungshaft maximal 18 Monate dauern (Art. 78 Abs. 2 i.V.m. Art. 79 Abs. 2 AuG).  
 
2.2. Dass ein rechtskräftiger Wegweisungsentscheid vorliegt und der Beschwerdeführer die Ausreisefrist nicht wahrgenommen hat, steht vorliegend ausser Frage. Die Durchsetzungshaft ist subsidiär zur Ausschaffungshaft anzuordnen. Zweck der Durchsetzungshaft ist es, die ausreisepflichtige Person in jenen Fällen zu einer Verhaltensänderung zu bewegen, in denen nach Ablauf der Ausreisefrist der Vollzug der rechtskräftig gegen sie angeordneten Weg- oder Ausweisung - trotz entsprechender behördlicher Bemühungen - ohne ihre Kooperation nicht (mehr) als möglich erscheint. Sie bildet das letzte Mittel, wenn und soweit keine andere Massnahme (mehr) zum Ziel führt, den illegal anwesenden Ausländer auch gegen seinen Willen in seine Heimat verbringen zu können. Die Durchsetzungshaft muss verhältnismässig sein. Innerhalb der Höchstdauer von 18 Monaten ist jeweils aufgrund der Umstände des Einzelfalles zu prüfen, ob die ausländerrechtliche Festhaltung insgesamt noch geeignet bzw. erforderlich erscheint und nicht gegen das Übermassverbot verstösst (BGE 140 II 409 E. 2.1 S. 411; 135 II 105 E. 2.2.1 S. 107; 134 I 92 E. 2.3.1 und 2.3.2 S. 96 f.; 133 II 97 E. 2.2 S. 99 f.; Urteile 2C_1182/2014 vom 20. Januar 2015 E. 3.3.3; 2C_624/2011 vom 12. September 2011 E. 2.1). Neben dem Verhalten der betroffenen Person bildet ihr erklärtes, konsequent unkooperatives Verhalten diesbezüglich nur einen - allenfalls aber gewichtigen - Gesichtspunkt unter mehreren. Von Bedeutung können auch ihre familiären Verhältnisse sowie der Umstand sein, dass sie wegen ihres Alters, Geschlechts oder Gesundheitszustands als "besonders schutzbedürftig" gelten muss (BGE 135 II 105 E. 2.2.2 S. 107 f.; 134 I 92 E. 2.3.2 S. 97; Urteile 2C_1182/2014 vom 20. Januar 2015 E. 3.3.3; 2C_624/2011 vom 12. September 2011 E. 2.1).  
 
3.   
 
3.1. Der Beschwerdeführer führt einerseits aus, die Voraussetzungen der Durchsetzungshaft lägen bei seiner Person und Situation vor, um andererseits vorzubringen, sein Verhalten habe sich seit Juni 2018 nicht geändert, weshalb gegebenenfalls Ausschaffungshaft anzuordnen wäre. Die Durchsetzungshaft sei für Fälle gedacht, in denen das Herkunftsland zwangsweise ausgeschaffte Staatsangehörige nicht akzeptiere, was vorliegend nicht der Fall sei. Zudem sei die mangelnde Kooperation unter Verweis auf das Urteil 2C_898/2017 vom 2. Februar 2018 ein Tatbestandselement der Ausschaffungshaft, demzufolge die Verweigerung der Ausschaffung vorliegend nicht zur Unzulässigkeit der Ausschaffungshaft führe. Im Weiteren wird vom Beschwerdeführer bestritten, dass er anlässlich des Rückführungsversuchs vom 2. März 2018 den Piloten "wohl massiv bedrohte" wie von der Vorinstanz angenommen. Lediglich die Weigerung, in das Flugzeug einzusteigen, wird zugestanden. Wegen Unzulässigkeit der Durchsetzungshaft sei er aus der Haft zu entlassen. Sinngemäss rügt der Beschwerdeführer damit eine Verletzung von Art. 78 Abs. 1 AuG.  
 
3.2. Zunächst ist festzuhalten, dass die zwangsweise Rückführung nach Algerien mittels Linienflug zwar nicht unmöglich ist, Algerien jedoch  keine zwangsweise Rückführung mittels Sonderflug akzeptiert (vgl. Art. 4 Abs. 3 des Abkommens zwischen dem Bundesrat der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Regierung der Demokratischen Volksrepublik Algerien über den Personenverkehr vom 3. Juni 2006; SR 0.142.111.279). Deshalb ist die zwangsweise Rückführung nach Algerien gemäss Vollzugsstufe 4 (Level 4)  nicht möglich (Vgl. zu den Vollzugsstufen 1 bis 4 Art. 28 der Verordnung über die Anwendung polizeilichen Zwangs und polizeilicher Massnahmen im Zuständigkeitsbereich des Bundes [Zwangsanwendungsverordnung, ZAV; SR 364.3]). Die mangelnde Kooperation ist je nachdem ein Tatbestandselement der Ausschaffungshaft und in jedem Fall ein solches der Durchsetzungshaft, was sich bereits aus dem Gesetz ergibt (Art. 76 Abs. 1 lit. b Ziff. 3 und 4 sowie Art. 78 Abs. 1 AuG), weshalb hieraus nichts gegen die Zulässigkeit der Durchsetzungshaft abgeleitet werden kann. Kennzeichnend für die Begründung der Durchsetzungshaft ist, dass der Vollzug der Rückführung ohne Verhaltensänderung der betroffenen Person nicht als möglich erscheint. Dies ist vorliegend der Fall. Nachdem der Beschwerdeführer eine Rückführung mittels Linienflug gemäss Vollzugsstufe 2 (Level 2; Begleitung durch zwei Polizistinnen oder Polizisten, Handfesselung falls nötig; vgl. Art. 28 Abs. 1 lit. b ZAV) verweigert hat, kommt nur noch eine Rückführung gemäss Vollzugsstufe 3 in Frage (Linienflug; Begleitung durch zwei Polizistinnen oder Polizisten, Handfesseln und andere Fesselungsmittel sowie Einsatz körperlicher Gewalt sind möglich). Gemäss vorinstanzlicher Sachverhaltsfeststellung, von welcher aufgrund unsubstanziierter bzw. appellatorischer Sachverhaltskritik des Beschwerdeführers auszugehen ist, hat letzterer anlässlich des organisierten Linienflugs vom 2. März 2018 den Piloten "wohl massiv bedroht". Jedenfalls hat sich der Pilot nach einer Unterhaltung mit dem Beschwerdeführer in arabischer Sprache geweigert, den Beschwerdeführer mitzunehmen, weshalb die Rückführung abgebrochen werden musste. Ohne Verhaltensänderung des Beschwerdeführers wird sich auch eine Rückführung der Vollzugsstufe 3 kaum realisieren lassen und ein erneuter Versuch auf Vollzugsstufe 2 macht angesichts dessen bisherigen Verhaltens wenig Sinn. Der Beschwerdeführer hat es vorliegend in der Hand, durch Änderung seines Verhaltens, nämlich die Kooperation bei der Rückführung mittels Linienflug, die Durchsetzungshaft zu beenden. Es ist denn auch gerade Sinn und Zweck der Durchsetzungshaft, Druck zugunsten einer Verhaltensänderung auf den Beschwerdeführer auszuüben, weshalb der Durchsetzungshaft auch der Charakter einer Beugehaft zukommt (BGE 134 II 201 E. 2.2.2 und 2.2.4 S. 204 ff.; Urteile 2C_1143/2014 vom 7. Januar 2015 E. 2.3.2; 2C_624/2011 vom 12. September 2011 E. 2.1 und 3). Im Übrigen steht das vom Beschwerdeführer zitierte Urteil 2C_898/ 2017 vom 2. Februar 2018 der vorliegenden Anordnung von Durchsetzungshaft nicht entgegen. Dass gemäss zitiertem Urteil in einem Fall, in welchem die Rückführung gemäss Vollzugsstufe 1 (selbständige Rückreise per Linienflug ohne Begleitung während des Flugs; vgl. Art. 28 Abs. 1 lit. a ZAV) verweigert, aber die Vollzugsstufe 2 noch nicht angewendet und schliesslich Ausschaffungshaft angeordnet wurde, steht der vorliegenden Anordnung von Durchsetzungshaft angesichts des Verhaltens des Beschwerdeführers und der gescheiterten Rückführung gemäss Vollzugsstufe 2 nicht entgegen. Vielmehr ist vorliegend Durchsetzungshaft umso mehr angebracht und zweckgerichtet, als nur bei einer (positiven) Verhaltensänderung des Beschwerdeführers die Rückführung realistisch erscheint.  
 
3.3. Aufgrund des geschilderten Verhaltens des Beschwerdeführers, seiner mehrfachen Straffälligkeit, des Fehlens familiärer Beziehungen zur Schweiz und sonstiger Gründe, welche ihn als "besonders schutzbedürftig" erscheinen lassen, ist die Anordnung von Durchsetzungshaft vorliegend verhältnismässig. Der Beschwerdeführer hat bis zum 19. September 2018 rund 8 1/2 Monate in ausländerrechtlicher Haft verbracht. Vor dem gegebenen Hintergrund ist das Mittel der Durchsetzungshaft geeignet und auch nicht übermässig, um zukünftig eine Verhaltensänderung zu bewirken. Die Anordnung der Durchsetzungshaft erweist sich somit vorliegend als bundesrechtskonform.  
 
4.  
 
4.1. Die Beschwerde ist demnach unbegründet und abzuweisen.  
 
4.2. Dem Gesuch des Beschwerdeführers um unentgeltliche Rechtspflege für das bundesgerichtliche Verfahren kann entsprochen werden, und Rechtsanwältin Lena Weissinger ist ihm als Rechtsvertreterin beizugeben (Art. 64 BGG).  
 
 
 Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.   
Dem Beschwerdeführer wird für das bundesgerichtliche Verfahren die unentgeltliche Rechtspflege gewährt. 
 
3.   
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. Dem Beschwerdeführer wird Rechtsanwältin Lena Weissinger als Rechtsvertreterin beigegeben und letzterer wird aus der Bundesgerichtskasse eine Entschädigung von Fr. 1'500.-- ausgerichtet. 
 
4.   
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Migrationsamt des Kantons Basel-Stadt, dem Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt als Verwaltungsgericht, Einzelrichterin für Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht, und dem Staatssekretariat für Migration schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 7. November 2018 
 
Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Seiler 
 
Der Gerichtsschreiber: Quinto