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Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
6S.312/2003 /pai 
 
Urteil vom 1. Oktober 2003 
Kassationshof 
 
Besetzung 
Bundesrichter Schneider, Präsident, 
Bundesrichter Karlen, 
Ersatzrichterin Pont Veuthey, 
Gerichtsschreiber Monn. 
 
Parteien 
1. A.________, 
2. B.________, 
3. C.________, 
4. D.________, 
5. E.________, 
6. F.________, 
7. G.________, 
8. H.________, 
Beschwerdeführer, 
alle vertreten durch Advokat Guido Ehrler, Postfach 321, 4005 Basel, 
 
gegen 
 
Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Landschaft, Bahnhofplatz 3a, 4410 Liestal. 
 
Gegenstand 
Störung des öffentlichen Verkehrs (Art. 237 StGB), 
 
Nichtigkeitsbeschwerde gegen das Urteil des Kantonsgerichts Basel-Landschaft, Abteilung Zivil- und Strafrecht, vom 27. Mai 2003. 
 
Sachverhalt: 
A. 
Im Herbst 1999 ereigneten sich auf Autobahnbaustellen in der Schweiz innert kurzer Zeit drei tödliche Unfälle. Die Gewerkschaft Bau & Industrie (GBI) führte am 21. Oktober 1999 Aktionen durch, die bessere Arbeitsbedingungen auf Autobahnbaustellen forderten. Acht Mitglieder der GBI Nordwestschweiz, nämlich A.________, B.________, C.________, D.________, E.________, F.________, G.________ und H.________, demonstrierten an diesem Tag zwischen 09.55 und 11.25 Uhr auf der Autobahn A2 in Pratteln und blockierten eine Fahrbahn. Da die Autobahn an dieser Stelle wegen Bauarbeiten bereits auf zwei Spuren verengt war, führte dies zu einer empfindlichen Störung und teilweise zum Erliegen des Fahrzeugverkehrs. Es entstand ein Fahrzeugstau von über fünf Kilometern. 
 
Das Statthalteramt Liestal sprach am 19. September 2001 die acht Mitglieder der Gewerkschaft der Nötigung, der Störung des öffentlichen Verkehrs und der Verletzung von Verkehrsregeln schuldig. A.________, der die Blockade organisiert hatte, verurteilte es zu zehn Tagen, die übrigen sieben Gewerkschaftsmitglieder zu fünf Tagen Gefängnis, je unter Gewährung des bedingten Strafvollzugs. 
 
Die Angeschuldigten erhoben dagegen Einsprache. Der Strafgerichtspräsident des Kantons Basel-Landschaft sprach sie am 28. August 2002 frei und gab dem Verfahren wegen einfacher Verletzung von Verkehrsregeln wegen Eintritts der Verjährung keine Folge. 
 
Gegen diesen Entscheid erklärte die Staatsanwaltschaft Basel-Landschaft Appellation beim Kantonsgericht Basel-Landschaft. Dieses bestätigte am 27. Mai 2003 das vorinstanzliche Urteil, soweit es die Angeschuldigten vom Vorwurf der Nötigung freisprach und den Verfahren wegen Verkehrsregelverletzung keine Folge gab. Hingegen verurteilte es sie wegen fahrlässiger Störung des öffentlichen Verkehrs. Es bestrafte A.________ mit einer Busse von Fr. 250.-- und die übrigen Gewerkschaftsmitglieder mit einer solchen von je Fr. 150.--. 
B. 
A.________ und die sieben weiteren angeschuldigten Gewerkschaftsmitglieder führen eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde und beantragen die Aufhebung des Urteils des Kantonsgerichts. 
 
Das Kantonsgericht beantragt in seinen Gegenbemerkungen, die Beschwerde sei abzuweisen. Vernehmlassungen wurden nicht eingeholt. 
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 
1. 
Nach Ansicht der Beschwerdeführer hat sie die Vorinstanz zu Unrecht der fahrlässigen Störung des öffentlichen Verkehrs gemäss Art. 237 Ziff. 2 StGB schuldig gesprochen. Die ihnen vorgeworfenen Handlungen erschöpften sich in Verkehrsregelverletzungen, die gemäss Art. 90 SVG strafbar seien. Nach der ausdrücklichen Regel von Art. 90 Ziff. 3 SVG finde im vorliegenden Fall Art. 237 Ziff. 2 StGB keine Anwendung. 
1.1 Die Vorinstanz nimmt zu der von den Beschwerdeführern erwähnten Konkurrenzfrage nicht ausdrücklich Stellung. Sie geht vielmehr stillschweigend von der Anwendbarkeit von Art. 237 Ziff. 2 StGB aus. Tatsächlich kommt vorliegend eine Verurteilung wegen einfacher Verletzung von Verkehrsregeln gar nicht mehr in Betracht. Denn für diese Tat ist bereits die Verjährung eingetreten. Es stellt sich damit die Frage, ob die nach Art. 90 Ziff. 3 SVG grundsätzlich subsidiäre Norm der fahrlässigen Störung des öffentlichen Verkehrs zur Anwendung gelangt, wenn die vorrangige Tat - die Verkehrsregelverletzung gemäss Art. 90 SVG - verjährt ist. 
 
Nach der Rechtsprechung ist im Fall der Gesetzeskonkurrenz der Täter nach der zurücktretenden Norm zu belangen, wenn er nach der vorgehenden nicht bestraft werden kann. So konsumiert etwa der bei einem Verkehrsunfall erfüllte Tatbestand der fahrlässigen Körperverletzung (Art. 125 StGB) die damit verbundene Verletzung der Verkehrsregeln nur, wenn eine Beurteilung wegen der Körperverletzung tatsächlich erfolgt. Ist dies nicht der Fall, beispielsweise weil kein Strafantrag gestellt wurde, so ist der Täter wegen der Verletzung der Verkehrsregeln zur Rechenschaft zu ziehen. Anders verhält es sich lediglich, wenn der vorgehende Tatbestand gegenüber dem nachgehenden eine Privilegierung des Täters bezweckt, wie dies etwa bei der Tötung auf Verlangen (Art. 114 StGB) im Verhältnis zur vorsätzlichen Tötung (Art. 111 StGB) zutrifft (BGE 117 IV 475 E. 3a und b; Jürg-Beat Ackermann, Basler Kommentar, Strafgesetzbuch I, Art. 68 N. 26). 
 
Der zuletzt genannte Ausnahmefall ist hier nicht erfüllt, da Art. 90 SVG gegenüber Art. 237 Ziff. 2 StGB keine Privilegierung bezweckt. Das ergibt sich nicht nur aus der Verankerung der beiden Normen in unterschiedlichen Erlassen, sondern auch daraus, dass beide Bestimmungen - jedenfalls soweit eine grobe Verkehrsregelverletzung in Frage steht - die gleiche Strafdrohung vorsehen. Der Tatbestand der fahrlässigen Störung des öffentlichen Verkehrs (Art. 237 Ziff. 2 StGB) kommt somit zum Zug, wenn zufolge Eintritts der Verjährung eine Verurteilung wegen Verletzung der Verkehrsregeln (Art. 90 SVG) nicht mehr möglich ist. 
1.2 Die Anwendbarkeit von Art. 237 Ziff. 2 StGB folgt unter den gegebenen Umständen noch aus einer anderen Erwägung. Die Beschwerdeführer haben mit ihrem Verhalten nicht allein Verkehrsregeln verletzt. Zwar setzten sie sich wohl über die Vorschrift von Art. 36 Abs. 3 VRV hinweg, nach der Fahrzeugführer auf Autobahnen Pannenstreifen nur für Notfälle benützen und die Fahrzeuginsassen die Fahrbahn nicht betreten dürfen. Der ihnen gegenüber erhobene Vorwurf erschöpft sich indessen nicht in dieser Widerhandlung bzw. in dem von ihnen auch erwähnten - von den kantonalen Behörden aber nicht verfolgten - Abstellen von Fahrzeugen auf der Autobahn. Sie werden vielmehr darüber hinaus beschuldigt, den Verkehr blockiert zu haben, indem sie Transparente aufstellten und Flugblätter verteilten. Diese Behinderung bewirkten die Beschwerdeführer nicht als Verkehrsteilnehmer, sondern als Aussenstehende. Auf dieses Verhalten ist daher Art. 237 Ziff. 2 StGB anwendbar (vgl. Matthias Schwaibold, Basler Kommentar, Strafgesetzbuch II, Art. 237 N. 4 i.f.; Jürg Boll, Grobe Verkehrsregelverletzung, Davos 1999, S. 115; Jörg Rehberg, Strafrecht IV, 2. Aufl. 1996, S. 78). 
1.3 Die Vorinstanz hat demnach im vorliegenden Fall Art. 237 Ziff. 2 StGB zu Recht für anwendbar erachtet. 
2. 
Die Beschwerdeführer machen weiter geltend, die fragliche Blockade erfülle den objektiven Tatbestand der Störung des öffentlichen Verkehrs nicht. Die Vorinstanz gehe zu weit, wenn sie annehme, der verursachte Stau habe eine ernsthafte Gefahr für die Sicherheit anderer Personen geschaffen. 
2.1 Nach Art. 237 Ziff. 1 Abs. 1 StGB wird mit Gefängnis bestraft, wer vorsätzlich den öffentlichen Verkehr, namentlich den Verkehr auf der Strasse, auf dem Wasser oder in der Luft hindert, stört oder gefährdet und dadurch wissentlich Leib und Leben von Menschen in Gefahr bringt. Gemäss Art. 237 Ziff. 2 StGB ist die Strafe Gefängnis oder Busse, wenn der Täter fahrlässig handelt. 
 
Die Demonstration der Beschwerdeführer verursachte einen grösseren Stau der Fahrzeuge auf der Autobahn A2. Es ist unbestritten, dass darin eine Behinderung und Störung des Verkehrs liegt. Fraglich erscheint dagegen, ob davon eine Gefahr für Leib und Leben ausging, was zur Erfüllung des Tatbestands von Art. 237 StGB ebenfalls erforderlich ist. 
2.2 Die bundesgerichtliche Rechtsprechung verlangt, dass die in Art. 237 StGB vorausgesetzte Gefährdung nicht bloss abstrakt besteht; vielmehr muss eine nahe und ernstliche Wahrscheinlichkeit des Erfolgseintritts vorliegen. Ob eine solche konkrete Gefährdung zu bejahen ist, beurteilt sich dabei freilich nicht allein nach dem, was schliesslich eingetreten ist, sondern es kommt darauf an, ob das fragliche Vorkommnis nach dem normalen Gang der Dinge die Verletzung eines Menschen ernstlich wahrscheinlich gemacht hat. Art. 237 StGB ist deshalb auch anwendbar, wenn der Eintritt eines schädigenden Erfolgs durch Zufall oder das Verhalten der Beteiligten verhütet wird (BGE 106 IV 121 E. 3c; 85 IV 136 E. 1; 73 IV 183). In einem Entscheid hat das Bundesgericht angedeutet, jedenfalls bei vorsätzlicher Begehung seien beim Nachweis der Gefährdung die Anforderungen nicht zu überspannen (BGE 106 IV 121 E. 3c). Daraus ist jedoch nicht abzuleiten, dass bei fahrlässigen Taten generell ein anderer, strengerer Massstab anzulegen wäre als bei vorsätzlicher Begehungsweise (vgl. auch Stefan Trechsel, Schweizerisches Strafgesetzbuch, Kurzkommentar, 2. Aufl. 1997, Art. 237 N. 13; vgl. ferner die Kritik an einer Differenzierung der Erfordernisse für Vorsatz- und Fahrlässigkeitstaten bei Günter Stratenwerth, Schweizerisches Strafrecht, Besonderer Teil II, 5. Aufl. 2000, § 32 N. 8 i.f.). 
 
Die Vorinstanz stellt fest, dass die Demonstration der Beschwerdeführer einen längeren Verkehrsstau verursacht hat, wie er an dieser Stelle zur fraglichen Tageszeit normalerweise nicht vorkomme. In der Beschwerde wird dagegen vorgebracht, mit Staubildungen sei auch zur Tageszeit der Demonstration zu rechnen gewesen, und die entgegengesetzte Feststellung im angefochtenen Urteil beruhe auf einem Versehen, das von Amtes wegen berichtigt werden müsse. Aus den in der Beschwerde genannten Unterlagen (Verkehrsstatistik, Stauuhr) geht indessen nicht hervor, dass auch im Zeitraum zwischen 09.55 und 11.25 Uhr an der fraglichen Stelle regelmässig ein Verkehrsstau zu verzeichnen war. Im Übrigen beziehen sich die Angaben auf Messungen im November 2000, die Demonstration fand dagegen am 21. Oktober 1999 statt. 
 
Das Bundesgericht hat bereits in einem früheren Entscheid erklärt, dass eine planmässige Behinderung des Verkehrsflusses auf einer Autobahn, um Staus zu verursachen, eine ernstliche Gefahr für die Sicherheit der Verkehrsteilnehmer hervorruft (BGE 111 IV 167 E. 2b). Die Vorinstanz weist deshalb zu Recht auf die erheblichen Gefahren hin, die von unerwarteten Staus auf der Autobahn ausgehen. Wohl trifft es zu, dass auch von den Verkehrsstockungen, die auf Autobahnen wegen Baustellen auftreten, Gefahren ausgehen. Die Beschwerdeführer erwähnen indessen selber die vielfältigen Massnahmen, welche die Behörden zu deren Eindämmung im Raum Schweizerhalle getroffen haben (Einschaltung einer Gefahrensignalisation, Reduktion der Höchstgeschwindigkeit, Verkehrsleitsystem etc.). Im kantonalen Urteil fehlen Feststellungen dazu, ob und wie rasch die Polizei auch bei dem von den Beschwerdeführern verursachten Stau Vorkehrungen getroffen hat, um die Automobilisten vor dem Stau zu warnen. Selbst wenn solche Massnahmen rasch erfolgten, ändert sich nichts an der von den Beschwerdeführern geschaffenen ernstlichen Gefahr von Auffahrunfällen. Einerseits bestand die grösste Gefahr gerade zu Beginn der Demonstration, als die Polizei noch nicht reagieren konnte. In diesem Zeitpunkt war mit brüsken Brems- und allenfalls Ausweichmanövern der von der Demonstration überraschten Fahrzeuglenker zu rechnen. Anderseits können die Beschwerdeführer nach der erwähnten Rechtsprechung gerade nichts aus der Tatsache ableiten, dass der Eintritt eines schädigenden Ereignisses durch besonnenes Handeln von Beteiligten - hier der Polizei - verhindert worden ist. 
2.3 Die Verurteilung der Beschwerdeführer wegen fahrlässiger Störung des öffentlichen Verkehrs gemäss Art. 237 Ziff. 2 StGB verletzt aus diesen Gründen kein Bundesrecht. 
3. 
Die eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde ist demnach abzuweisen. Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind die bundesgerichtlichen Kosten den Beschwerdeführern aufzuerlegen (Art. 278 Abs. 1 BStP). 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
1. 
Die eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen. 
2. 
Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- wird den Beschwerdeführern zu gleichen Teilen und unter solidarischer Haftung auferlegt. 
3. 
Dieses Urteil wird den Beschwerdeführern, der Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Landschaft und dem Kantonsgericht Basel-Landschaft, Abteilung Zivil- und Strafrecht, schriftlich mitgeteilt. 
Lausanne, 1. Oktober 2003 
Im Namen des Kassationshofes 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: