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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
9C_236/2011 
 
Urteil vom 8. Juli 2011 
II. sozialrechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter U. Meyer, Präsident, 
Bundesrichter Kernen, Bundesrichterin Glanzmann, 
Gerichtsschreiber Fessler. 
 
Verfahrensbeteiligte 
T.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Peter Sutter, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen 
 
IV-Stelle des Kantons Thurgau, 
St. Gallerstrasse 13, 8500 Frauenfeld, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Invalidenversicherung 
(Neuanmeldung; Nichteintreten), 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Thurgau 
vom 23. März 2011. 
 
Sachverhalt: 
 
A. 
Mit Verfügungen vom 16. März 2009 verneinte die IV-Stelle des Kantons Thurgau u.a. gestützt auf das Gutachten der Medizinischen Abklärungsstelle (MEDAS) vom 19. Februar 2009 den Anspruch der 1968 geboren T.________ auf Eingliederungsmassnahmen beruflicher Art (Berufsberatung/Umschulung) und eine Rente. 
Am 21. September 2010 meldete sich T.________ erneut bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. In der Folge reichte sie ein Schreiben des behandelnden Arztes Dr. med. K.________, Psychiatrie und Psychotherapie FMH, Chefarzt Klinik X.________, vom 1. November 2010 ein. Nach Stellungnahme des Dr. med. R.________, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, vom regionalen ärztlichen Dienst (RAD) vom 17. Dezember 2010 trat die IV-Stelle mit Verfügung vom 20. Dezember 2010 mangels glaubhaft gemachter wesentlicher Änderung der tatsächlichen Verhältnisse seit der letzten Verfügung auf die Neuanmeldung nicht ein. 
 
B. 
Die Beschwerde der T.________ wies das Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau als Versicherungsgericht mit Entscheid vom 23. März 2011 ab. 
 
C. 
T.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen mit dem Rechtsbegehren, der Entscheid vom 23. März 2011 sei aufzuheben und die IV-Stelle anzuweisen, auf ihr Leistungsbegehren einzutreten. 
Das kantonale Gericht und die IV-Stelle beantragen die Abweisung der Beschwerde. Das Bundesamt für Sozialversicherungen hat auf eine Vernehmlassung verzichtet. 
 
Erwägungen: 
 
1. 
Prozessthema bildet, ob die IV-Stelle nach Verneinung des Anspruchs auf Eingliederungsmassnahmen beruflicher Art und eine Rente gemäss Verfügungen vom 16. März 2009 zu Recht nicht auf die Neuanmeldung vom 21. September 2010 eingetreten ist (Art. 87 Abs. 3 und 4 IVV; Urteil 9C_436/2007 vom 6. Dezember 2007 E. 2 mit Hinweisen). 
 
2. 
2.1 Wurde eine Rente wegen eines zu geringen Invaliditätsgrades verweigert, wird eine neue Anmeldung nur geprüft, wenn die gesuchstellende Person glaubhaft macht, dass sich der Grad der Invalidität in einer für den Anspruch erheblichen Weise geändert hat (Art. 87 Abs. 3 und 4 IVV). Ob eine im Sinne dieser Bestimmungen erhebliche Tatsachenänderung eingetreten ist, beurteilt sich durch Vergleich der Verhältnisse im Zeitpunkt der Neuanmeldung mit denjenigen bei Erlass der letzten, auf einer materiellen Prüfung des Rentenanspruchs mit rechtskonformer Sachverhaltsabklärung, Beweiswürdigung und Ermittlung des Invaliditätsgrades beruhenden Verfügung (BGE 130 V 71 E. 3.2.3 S. 75 ff.; vgl. auch BGE 133 V 108). 
2.1.1 Unter Glaubhaftmachen im Sinne von Art. 87 Abs. 3 IVV ist nicht der Beweis nach dem im Sozialversicherungsrecht allgemein massgebenden Grad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit zu verstehen. Die Beweisanforderungen sind vielmehr herabgesetzt, indem nicht im Sinne eines vollen Beweises die Überzeugung der Verwaltung begründet zu werden braucht, dass seit der letzten, rechtskräftigen Entscheidung tatsächlich eine relevante Änderung eingetreten ist. Es genügt, dass für den geltend gemachten rechtserheblichen Sachumstand wenigstens gewisse Anhaltspunkte bestehen, auch wenn durchaus noch mit der Möglichkeit zu rechnen ist, bei eingehender Abklärung werde sich die behauptete Sachverhaltsänderung nicht erstellen lassen. Bei der Prüfung der Frage, ob die Vorbringen der versicherten Person glaubhaft sind, berücksichtigt die Verwaltung u.a., ob seit der rechtskräftigen Erledigung des letzten Leistungsgesuchs lediglich kurze oder schon längere Zeit vergangen ist; je nachdem sind an die Glaubhaftmachung einer Änderung des rechtserheblichen Sachverhalts höhere oder weniger hohe Anforderungen zu stellen (SVR 2003 IV Nr. 25 S. 76, I 238/02 E. 2.2; Urteil des Eidg. Versicherungsgerichts I 724/99 vom 5. Oktober 2001 E. 1c/aa, nicht publ. in: BGE 127 V 294, aber in: SVR 2002 IV Nr. 10 S. 25; Urteil 9C_688/2007 vom 22. Januar 2008 E. 2.2). 
2.1.2 Mit der Neuanmeldung ist die massgebliche Tatsachenänderung glaubhaft zu machen. Der Untersuchungsgrundsatz, wonach die IV-Stelle von Amtes wegen für die richtige und vollständige Abklärung des rechtserheblichen Sachverhalts zu sorgen hat (Art. 43 Abs. 1 ATSG), spielt insoweit nicht. Die versicherte Person trifft somit in Bezug auf das Vorliegen einer glaubhaften Änderung der tatsächlichen Verhältnisse seit der letzten rechtskräftigen Leistungsverweigerung eine Beweisführungslast (Urteil des Eidg. Versicherungsgerichts I 281/06 vom 24. Juli 2006 E. 3.1). Legt sie ihrem Gesuch keine Beweismittel bei, hat ihr die IV-Stelle eine angemessene Frist anzusetzen, um solche einzureichen, verbunden mit dem Hinweis, dass ansonsten auf das erneute Leistungsbegehren nicht eingetreten werden könne. Bei Nichteintreten legt die Beschwerdeinstanz ihrer Überprüfung den Sachverhalt zu Grunde, wie er sich der Verwaltung bot (BGE 130 V 64 E. 5.2.5 S. 68). 
 
2.2 Bei der Glaubhaftmachung (einer Tatsachenänderung im massgeblichen Vergleichszeitraum) als Beweismass geht es um eine frei überprüfbare Rechtsfrage (Urteil 9C_878/2007 vom 4. Juli 2008 E. 2.2). Ob der erforderliche Beweisgrad erreicht ist, stellt dagegen eine Tatfrage dar (vgl. BGE 122 III 219 E. 3b S. 222). Diesbezügliche Feststellungen des kantonalen Versicherungsgerichts sind somit für das Bundesgericht verbindlich, soweit sie nicht offensichtlich unrichtig sind oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruhen (Art. 105 Abs. 1 und 2 BGG; Urteil 9C_688/2007 vom 22. Januar 2008 E. 2.3). 
 
3. 
Die Vorinstanz ist in Würdigung der Akten (MEDAS-Gutachten vom 19. Februar 2009, Berichte des behandelnden Psychiaters Dr. med. K.________ vom 1. November 2010 und 27. August 2008, Stellungnahme des RAD-Psychiaters vom 17. Dezember 2010) zum Ergebnis gelangt, eine relevante Verschlechterung des Gesundheitszustandes mit Einfluss auf die Arbeitsfähigkeit sei nicht mit dem Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit glaubhaft gemacht worden. Die IV-Stelle sei daher zu Recht nicht auf die eineinhalb Jahre nach der "Leistungsabweisung" eingereichte Neuanmeldung eingetreten. 
 
4. 
4.1 Die Beschwerdeführerin rügt, die Vorinstanz setze ein zu hohes Beweismass an, indem sie von ihr den Nachweis einer Verschlechterung des Gesundheitszustandes mit dem Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit verlange. 
4.1.1 Nach Auffassung der Vorinstanz können an die Glaubhaftmachung einer relevanten Verschlechterung des psychischen Gesundheitszustandes höhere Anforderungen gestellt werden. Zum einen sei bereits der invalidisierende Charakter der Diagnosen (leichte bis gelegentlich mittelgradige mit Schmerzen verbundene depressive Episode mit somatischen Symptomen, Verdacht auf eine beginnende somatoforme Schmerzstörung und Schmerzsyndrom gemäss dem MEDAS-Gutachten vom 16. Februar 2009, rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig mittelgradige Episode mit somatischen Symptomen gemäss dem Bericht des behandelnden Arztes vom 1. November 2010) fraglich. Zum anderen sei die Neuanmeldung bereits eineinhalb Jahre nach Ablehnung des Leistungsbegehrens erfolgt. Diese Ausführungen sind als solche nicht bundesrechtswidrig. 
Was die streitige Neuanmeldung anbelangt, ist die vorinstanzliche Feststellung, eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes mit Einfluss auf die Arbeitsfähigkeit sei "nicht mit dem Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit glaubhaft gemacht" worden, insofern missverständlich, als die Glaubhaftmachung entweder gegeben oder nicht gegeben ist; mit überwiegender Wahrscheinlichkeit hat sie nichts zu tun. Weiter könnte der Umstand, dass die Vorinstanz eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes aufgrund des Berichts des behandelnden Psychiaters vom 1. November 2010 nicht als "ausgewiesen" bezeichnet hat, als Indiz für ein diesbezüglich zu hoch angesetztes Beweismass gewertet werden, wie in der Beschwerde vorgebracht wird. Ob aus den erwähnten Formulierungen zu schliessen ist, die Vorinstanz habe an die Glaubhaftmachung einer gesundheitlichen Verschlechterung überhöhte Anforderungen gestellt, ist fraglich. Dieser Punkt kann indessen offenbleiben. 
4.1.2 Die Vorinstanz hat eine gesundheitliche Verschlechterung seit den Verfügungen vom 16. März 2009 auch deshalb verneint, weil Dr. med. K.________ bereits in seinem Bericht vom 27. August 2008 eine mittelgradige depressive Episode diagnostiziert und eine dadurch bedingte Arbeitsunfähigkeit von 50 % angegeben habe. Die vom behandelnden Psychiater erwähnte Akzentuierung der depressiven Symptomatik änderte somit weder an der Diagnose noch an den Auswirkungen der Störung auf die Arbeitsfähigkeit etwas. Dieser Feststellung kommt umso mehr Gewicht zu, als gemäss MEDAS-Gutachten vom 19. Februar 2009 das klinisch-psychiatrische Bild weitgehend der Beschreibung des psychischen Zustandes durch den behandelnden Arzt entsprach. Der einzige Unterschied besteht in der Einschätzung der daraus resultierenden Arbeitsunfähigkeit von 30-35 % resp. 50 %, wobei es sich lediglich um eine unterschiedliche Beurteilung des gleichen Sachverhalts handelt. Unter diesen Umständen ist eine (voraussichtlich dauerhafte) invaliditätsrechtlich erhebliche Verschlechterung des psychischen Gesundheitszustandes nicht glaubhaft gemacht. 
4.2 
4.2.1 Weiter rügt die Beschwerdeführerin sinngemäss eine Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes (Art. 43 Abs. 1 ATSG). Die IV-Stelle habe weder das erneute Leistungsbegehren geprüft noch die notwendigen Abklärungen vorgenommen und schon gar nicht die erforderlichen Auskünfte eingeholt. Bei Zweifeln an der geltend gemachten Verschlechterung des Gesundheitszustandes hätte die Verwaltung beim behandelnden Arzt rückfragen oder eine weitere Abklärung veranlassen müssen. 
Bei dieser Argumentation wird verkannt, dass im Neuanmeldungsverfahren der Untersuchungsgrundsatz nur beschränkt gilt (E. 2.1.2). In diesem Zusammenhang bestreitet die Beschwerdeführerin zu Recht nicht, dass die IV-Stelle korrekt vorgegangen war und sie darauf hingewiesen hatte, dass es grundsätzlich ihr oblag, die behauptete gesundheitliche Verschlechterung glaubhaft zu machen und entsprechende medizinische Unterlagen beizubringen. Aufgrund des in der Folge eingereichten Schreibens des behandelnden Psychiaters vom 1. November 2010 hat der Psychiater des RAD am 17. Dezember 2010 zur Frage einer (glaubhaften) Verschlechterung des Gesundheitszustandes seit den Verfügungen vom 16. März 2009 resp. dem MEDAS-Gutachten vom 19. Februar 2009 Stellung genommen. Insoweit kann der IV-Stelle keine Rechtsverletzung vorgeworfen werden. 
4.2.2 Nicht stichhaltig ist schliesslich der Einwand, auf die Beurteilung des RAD-Psychiaters vom 17. Dezember 2010 könne u.a. wegen Befangenheit nicht abgestellt werden. Die Vorinstanz hat im Wesentlichen aus folgenden Gründen eine objektive Verschlechterung des Gesundheitszustandes nicht als "ausgewiesen" bzw "mit dem Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit glaubhaft gemacht" erachtet: Das Beschwerdebild gemäss dem MEDAS-Gutachten vom 19. Februar 2009 sei an sich noch nicht invalidisierend; gemäss dem Bericht des behandelnden Psychiaters vom 1. November 2010 stünden klar familiäre und psychosoziale Belastungsfaktoren im Vordergrund und habe sich der Anfang 2010 verschlechterte Gesundheitszustand offensichtlich wieder stabilisiert; der behandelnde Facharzt sei bereits in seinem Bericht vom 27. August 2008 von einer mittelgradigen depressiven Episode (und einer Arbeitsunfähigkeit von 50 %) ausgegangen. Die vorinstanzliche Begründung, weshalb eine Verschlechterung des psychischen Gesundheitszustandes nicht glaubhaft gemacht sei, beruht somit insoweit nicht auf der Beurteilung des RAD-Psychiaters vom 17. Dezember 2010. Davon abgesehen ist nicht ersichtlich, warum der RAD-Arzt befangen sein sollte. 
Der vorinstanzliche Entscheid verletzt kein Bundesrecht. 
 
5. 
Bei diesem Ausgang des Verfahrens hat die Beschwerdeführerin die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG). 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt. 
 
3. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt. 
 
Luzern, 8. Juli 2011 
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: 
 
Meyer Fessler