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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
6B_1081/2017  
   
   
 
 
 
Urteil vom 21. Dezember 2017  
 
Strafrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Denys, Präsident, 
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari, 
Bundesrichter Rüedi, 
Gerichtsschreiberin Bianchi. 
 
Verfahrensbeteiligte 
X.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Peter Nideröst, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Rechtswidriger Aufenthalt, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich, I. Strafkammer, vom 10. Juli 2017 (SB170089). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Das Migrationsamt des Kantons Zürich widerrief mit Verfügung vom 7. Mai 2010 die Niederlassungsbewilligung von X.________ und wies ihn aus der Schweiz weg. X.________ focht den Widerruf erfolglos bis vor Bundesgericht an. 
Nachdem X.________ am 24. November 2014 vor Bundesgericht mit seiner gegen das abgelehnte Revisionsgesuch geführten Beschwerde ebenfalls unterlag, hielt er sich bis zu seiner Verhaftung am 6. Mai 2015 ohne Aufenthaltstitel in der Schweiz auf. 
 
B.  
Die Staatsanwaltschaft Limmattal/Albis verurteilte X.________ mit Strafbefehl vom 6. Mai 2015 wegen rechtswidrigen Aufenthalts (Art. 115 Abs. 1 lit. b AuG) für den Zeitraum vom 24. November 2014 bis 6. Mai 2015 zu einer unbedingten Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu Fr. 30.--. Dagegen erhob er Einsprache und beantragte die Einstellung des Strafverfahrens in Anwendung der EU-Rückführungsrichtlinie. 
 
C.  
Mit Verfügung vom 27. August 2015 stellte das Bezirksgericht Horgen das Strafverfahren ein. Dagegen führte die Staatsanwaltschaft Beschwerde beim Obergericht Zürich. Das Obergericht hob die Einstellungsverfügung am 27. Juni 2016 auf und wies die Sache zurück. Mit Urteil vom 19. Januar 2017 sprach das Bezirksgericht X.________ wegen rechtswidrigen Aufenthalts schuldig und bestrafte ihn mit einer unbedingten Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu Fr. 30.--. Dagegen erhob X.________ Berufung beim Obergericht Zürich. 
 
D.  
Das Obergericht sprach X.________ am 10. Juli 2017 des rechtswidrigen Aufenthaltes schuldig und bestrafte ihn mit einer unbedingten Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu Fr. 30.--, wovon 1 Tagessatz als durch Haft geleistet gilt. Da ihm nach Abweisung seines Revisionsgesuchs etwas Zeit zugestanden werden müsse, um seine Ausreise zu organisieren, verurteilte das Obergericht ihn für den Zeitraum vom 10. Januar 2015 bis zum 6. Mai 2015. 
 
E.  
X.________ führt Beschwerde in Strafsachen. Er beantragt, das Urteil der Vorinstanz sei aufzuheben und das Strafverfahren sei einzustellen. Eventualiter sei er freizusprechen und subeventualiter sei die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen. Zudem ersucht er um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege und Verbeiständung. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Der Beschwerdeführer rügt, seine Verurteilung wegen rechtswidrigen Aufenthaltes im Sinne von Art. 115 Abs. 1 lit. b AuG verstosse gegen die EU-Rückführungsrichtlinie.  
Das Rückkehrverfahren im Sinne der EU-Rückführungsrichtlinie sei im Zeitraum vom 10. Januar 2015 bis 6. Mai 2015 nicht abgeschlossen gewesen. Die Behörden hätten im Rahmen von Art. 64e AuG, Art. 69 ff. AuG und Art. 73 ff. AuG nicht alles Zumutbare unternommen, um ihn auszuschaffen. In diesem Zusammenhang habe die Vorinstanz fälschlicherweise festgehalten, dass ihm die Haft-/Ausschaffungsanordnung bereits am 12. März 2015 und nicht erst am 6. Mai 2015 eröffnet worden sei. Die Verurteilung verstosse auch unter Berücksichtigung des zum Anklagezeitpunkt hängigen Asylverfahrens gegen die EU-Rückführungsrichtlinie. 
 
1.2. Gemäss Art. 115 Abs. 1 lit. b AuG wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe bestraft, wer sich rechtswidrig, namentlich nach Ablauf des bewilligungsfreien oder des bewilligten Aufenthalts, in der Schweiz aufhält.  
Das Bundesgericht hat sich in BGE 143 IV 249 ausführlich und grundlegend mit der Vereinbarkeit der Strafbarkeit wegen rechtswidrigen Aufenthaltes mit der EU-Rückführungsrichtlinie befasst. Die Verhängung einer Geldstrafe ist mit der EU-Rückführungsrichtlinie vereinbar, vorausgesetzt sie erschwert das Verfahren der Entfernung nicht. Im Gegensatz zu einer Freiheitsstrafe kann eine Geldstrafe unabhängig von den für die Umsetzung der Wegweisung erforderlichen Massnahmen ausgesprochen werden (BGE 143 IV 249, Regeste und E. 1.6.2 bis 1.9 S. 257 ff. mit zahlreichen Hinweisen; Urteil 6B_1055/2017 vom 9. November 2017 E. 2.6.1). 
 
1.3. Die Vorinstanz erwägt, im Verfahren seien sämtliche verhältnismässigen Zwangsmassnahmen zur Ausschaffung des Beschwerdeführers angewendet worden. Nachdem ihm die Haft-/Ausschaffungsanordnung am 12. März 2015 eröffnet worden sei, sei er am 6. Mai 2015 in Administrativhaft genommen worden. Aufgrund seines Gesundheitszustands habe er jedoch am selben Tag wieder aus der Haft entlassen werden müssen. Es sei nicht nur eine Zwangsmassnahme angeordnet worden, sondern deren Vollzug sei mit der Verhaftung auch eingeleitet worden. Da der Beschwerdeführer berechtigt sei, sich bis zum Abschluss seines am 6. Mai 2015 anlässlich der Befragung der Kantonspolizei gestellten Asylgesuchs in der Schweiz aufzuhalten, könne die Ausreise bis zum Abschluss des hängigen Asylverfahrens nicht zwangsweise durchgesetzt werden.  
 
1.4. Im Sinne der bundesgerichtlichen Rechtsprechung ist im Zusammenhang mit der ausgefällten Geldstrafe das Vorbringen des Beschwerdeführers, die Behörden hätten nicht alles Zumutbare unternommen, um ihn auszuschaffen resp. das Rückkehrverfahren sei noch nicht abgeschlossen gewesen, unbehelflich. Insofern ist auch das am 6. Mai 2015 und damit nach dem tatrelevanten Zeitraum gestellte Asylgesuch für die Verurteilung wegen rechtswidrigen Aufenthalts nicht von Bedeutung. Unter Berücksichtigung der EU-Rechtsprechung ist vorliegend massgebend, dass die ausgesprochene Geldstrafe die Entfernung nicht erschwert (BGE 143 IV 249 E. 1.9 S. 260 f.; E. 3 nachfolgend).  
Mangels Bedeutung für den Ausgang des Verfahrens im Sinne von Art. 97 Abs. 1 BGG ist auf die Sachverhaltsrüge des Beschwerdeführers betreffend den Zeitpunkt der Eröffnung der Haft-/Ausschaffungsanordnung nicht einzugehen. 
 
2.  
 
2.1. Der Beschwerdeführer macht geltend, die Rückführungsrichtlinie stehe der Bestrafung wegen rechtswidrigen Aufenthaltes entgegen, wenn die Ausreise nicht an seinem Verhalten gescheitert sei. Es könne ihm nicht vorgeworfen werden, sich nicht um seinen Reisepass bemüht zu haben, da er im Besitz eines gültigen Reisepasses gewesen sei. Der zwangsweise Vollzug sei nicht an ihm, sondern an seinem gesundheitlichen Zustand gescheitert, der nach Einschätzung des beigezogenen Notfallpsychiaters die Einweisung in eine psychiatrische Klinik erforderte. Mit Verweis auf das Urteil des Bundesgerichts 6B_713/2012 vom 19. April 2013 E. 1.5 bringt er vor, der Schuldspruch lasse sich unter Berücksichtigung der EU-Rückführungsrichtlinie nicht damit begründen, dass er die Schweiz nicht freiwillig verlassen habe, obwohl er dazu verpflichtet war und ihm die Ausreise auch möglich war.  
 
2.2. Art. 115 Abs. 1 lit. b AuG gelangt nicht zur Anwendung, wenn es der betroffenen ausländischen Person objektiv unmöglich ist, legal aus der Schweiz auszureisen bzw. rechtmässig in das Heimatland zurückzukehren (vgl. BGE 130 II 56 E. 4.1.3 S. 61; 125 II 217 E. 2 S. 220 f.; Urteil 6B_1055/2017 vom 9. November 2017 E. 2.3.1). Von einer objektiven Unmöglichkeit im Sinne des Schuldprinzips ist gemäss der bisherigen Rechtsprechung auszugehen, wenn für die Undurchführbarkeit des Vollzugs der Wegweisung triftige Gründe sprechen oder praktisch feststeht, dass sich die Ausreise kaum realisieren lassen wird (vgl. BGE 125 II 217 E. 2 S. 220 mit Hinweis). Dies ist in der Regel nur der Fall, wenn die Ausreise trotz Mitwirkung bei der Papierbeschaffung mit grosser Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen erscheint. Zu denken ist etwa an eine längerdauernde Transportunfähigkeit aus gesundheitlichen Gründen bzw. an eine ausdrückliche oder zumindest klar erkennbare und konsequent gehandhabte Weigerung eines Staates, gewisse Staatsangehörige zurückzunehmen (vgl. BGE 125 II 217 E. 2 S. 220 f. mit Hinweisen).  
 
2.3. Die Vorinstanz erwägt, die Ausreise sei am Verhalten des Beschwerdeführers gescheitert, da sich dieser nicht um die Beschaffung eines neuen Passes bemüht habe. Anlässlich der polizeilichen Befragung habe er angegeben, sich nicht darum bemüht zu haben, da er diesen ja nicht brauche.  
 
2.4. Die vorinstanzliche Sachverhaltsfeststellungen, wonach sich der Beschwerdeführer nicht um einen neuen Pass bemüht hat, rügt der Beschwerdeführer nicht als willkürlich (Art. 9 BV). Sie sind deshalb für das Bundesgericht massgebend (Art. 105 Abs. 1 und 2 BGG). Im Übrigen ist dem Zuführungsauftrag der Sicherheitsdirektion des Kantons Zürich vom 12. März 2015 zu entnehmen, dass bei der Verhaftung nach dem gültigen kosovarischen Pass des Beschwerdeführers zu suchen sei. Aus dem Verhaftungsrapport der Staatsanwaltschaft Limmattal/Albis vom 6. Mai 2015 geht hervor, dass dieser Pass nicht auffindbar war und der Beschwerdeführer angab, ihn vor einem Jahr verloren zu haben (Verhaftungsrapport Staatsanwaltschaft Limmattal/Albis vom 6. Mai 2015). Wenn der Beschwerdeführer nun geltend macht, ihm könne nicht vorgeworfen werden, sich nicht um einen neuen Pass gekümmert zu haben, ist ihm nicht zu folgen. Er hätte sich entweder um den Ersatz des verlorenen Passes bemühen oder - wenn auf seinen abweichenden Sachverhalt abgestellt würde - seinen gültigen Pass vorlegen müssen. In beiden Fällen ist die erforderliche Mitwirkung bei der Papierbeschaffung nicht zu erkennen.  
Im Zuführungsauftrag vom 12. März 2015 wird festgehalten, dass der Beschwerdeführer unter psychischen Störungen leide. Am 6. Mai 2015 hat er auf die Frage der Kantonspolizei Zürich, ob er momentan gesund sei, geantwortet, dass er "momentan ein bisschen krank" sei und verneint, Medikamente zu brauchen (Einvernahmeprotokoll der Kantonspolizei Zürich vom 6. Mai 2015, Frage 11 f.). Kurz darauf musste die Kantonspolizei Zürich die Haftentlassung resp. Zuführung des Beschwerdeführers an das Sanatorium A.________ wegen einer psychotischen Dekompensation mit Suizidalität verfügen. Darauf beruhend ist jedoch nicht davon auszugehen und zudem vorinstanzlich nicht festgestellt, dass der Gesundheitszustand des Beschwerdeführers im tatrelevanten Zeitraum vom 10. Januar 2015 bis am 6. Mai 2015 eine längerdauernde Transportunfähigkeit aus gesundheitlichen Gründen im Sinne der bundesgerichtlichen Rechtsprechung begründet und dadurch die Ausreise verhindert hätte. Die Rückführung ist demnach am Verhalten des Beschwerdeführers gescheitert. 
Der Hinweis des Beschwerdeführers auf das Urteil 6B_713/2012 vom 19. April 2013 E. 1.5 ist im Zusammenhang mit dem Verhalten des Beschwerdeführers nicht einschlägig, da dort die im Hinblick auf die Ausschaffung getroffenen Massnahmen zu beurteilen waren (E.1; BGE 143 IV 249 E. 1.9 S. 260 f.). 
 
3.  
 
3.1. Der Beschwerdeführer macht geltend, unter Berücksichtigung der EU-Rechtsprechung (Urteil C_430/11 i.S. Md Sagor vom 6. Dezember 2012, Rz. 47) müsse sichergestellt sein, dass die in eine Freiheitsstrafe umgewandelte Geldstrafe beendet werde, sobald seine Ausschaffung möglich sei. Art. 115 Abs. 4 AuG vermöge dies nicht zu gewährleisten, da die Voraussetzungen für eine Strafbefreiung im Urteilszeitpunkt vorliegen müssen und es nicht möglich sei, später gestützt auf Art. 115 Abs. 4 AuG auf das Urteil zurückzukommen. Sollte gemäss Art. 36 Abs. 1 StGB an Stelle der Geldstrafe eine Freiheitsstrafe treten, wäre nicht sichergestellt, dass die Ersatzfreiheitsstrafe beendet werde, sobald er ausgeschafft werden könnte.  
 
3.2. Die Vorinstanz erwägt, die abstrakte Möglichkeit der Umwandlung einer Geldstrafe in eine Freiheitsstrafe genüge nicht, um eine Unvereinbarkeit mit der EU-Rückführungsrichtlinie zu begründen.  
 
3.3. Die finanziellen Verhältnisse des Beschwerdeführers sind bei der Bemessung des Tagessatzes gebührend berücksichtigt worden. Gemäss den verbindlichen vorinstanzlichen Feststellungen verfügt er aufgrund seiner IV-Rente und der Unterstützung durch seine Eltern über monatliche Nettoeinkünfte von mind. Fr. 2'470.-- und hat weder Schulden noch Familien- oder sonstige Unterstützungspflichten (angefochtenes Urteil, E. 1.5, mit Verweis auf das Urteil des Bezirksgerichts, E. 4.3). Die auf diesen Feststellungen beruhende Bemessung des Tagessatzes hat der Beschwerdeführer nicht angefochten. Aufgrund seiner finanziellen Verhältnisse ist es ihm durchaus möglich, die Geldstrafe freiwillig zu bezahlen resp. kann die Vollzugsbehörde gegebenenfalls gemäss Art. 35 Abs. 3 StGB die Betreibung anordnen.  
Bei dieser Ausgangslage liegen keine Gründe vor, welche die Annahme einer unzulässigen Verzögerung im Sinne der EU-Rückführungsrichtlinie durch die ausgesprochene Geldstrafe rechtfertigen. Eine allfällige Umwandlung nach Art. 36 Abs. 1 StGB ist nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens. Die ausgefällte Geldstrafe ist mit der EU-Rückführungsrichtlinie vereinbar. 
 
4.  
Die Beschwerde ist abzuweisen. Bei diesem Ausgang des Verfahrens trägt der Beschwerdeführer die Verfahrenskosten (Art. 66 Abs. 1 BGG). Sein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung ist infolge Aussichtslosigkeit der Beschwerde abzuweisen (Art. 64 Abs. 1 und 2 BGG). Die Gerichtskosten sind angesichts seiner finanziellen Verhältnisse praxisgemäss herabzusetzen (Art. 66 Abs. 1 i.V.m. Art. 65 Abs. 2 BGG). 
 
 
 Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.  
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen. 
 
3.  
Die Gerichtskosten von Fr. 1'200.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
4.  
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zürich, I. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 21. Dezember 2017 
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Denys 
 
Die Gerichtsschreiberin: Bianchi