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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
1C_237/2010 
 
Urteil vom 30. August 2010 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter Féraud, Präsident, 
Bundesrichter Aemisegger, Raselli, 
Gerichtsschreiber Stohner. 
 
Verfahrensbeteiligte 
X.________, 
Beschwerdeführerin, 
vertreten durch Rechtsanwalt lic. iur. Peter Rütimann, 
 
gegen 
 
Y.________, 
Beschwerdegegner, vertreten durch Rechtsanwälte PD Dr. Peter Reetz und Placidus Plattner, 
Bausektion der Stadt Zürich, Lindenhofstrasse 19, Postfach, 8021 Zürich. 
 
Gegenstand 
Baubewilligung, 
 
Beschwerde gegen den Entscheid vom 27. Januar 2010 des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich, 1. Abteilung, 1. Kammer. 
Sachverhalt: 
 
A. 
Die X.________ AG plant auf dem Grundstück Kat.-Nr. HG7463 in Zürich-Höngg die Errichtung eines Mehrfamilienhauses mit Einstellhalle. Der Grenzabstand zum Nachbargrundstück Kat-Nr. HG7473 von Y.________ soll dabei gestützt auf eine im Grundbuch eingetragene Dienstbarkeit (Näherbaurecht; Grundbucheintrag vom 16. Juli 1979) unterschritten werden und 2,05 Meter statt den gemäss der Bau- und Zonenordnung der Stadt Zürich vom 23. Oktober 1991 (BZO) zulässigen fünf Metern betragen. Die zu überbauende Parzelle der X.________ AG ist der Zone W2 zugewiesen, währenddem sich das Grundstück von Y.________ in der Freihaltezone befindet. 
Am 3. Juni 2008 erteilte die Stadt Zürich der X.________ AG die nachgesuchte Baubewilligung. Im Hinblick auf die Unterschreitung des Grenzabstands durch das Bauvorhaben verwies die Baubehörde auf das im Grundbuch eingetragene Näherbaurecht und erwog, der reduzierte Abstand könne im Sinne von § 270 Abs. 3 des Planungs- und Baugesetzes vom 7. September 1975 (PBG/ZH) bewilligt werden. 
Den gegen die Baubewilligung von Y.________ erhobenen Rekurs wies die Baurekurskommission I des Kantons Zürich mit Entscheid vom 27. Februar 2009 ab. 
Y.________ focht diesen Entscheid beim Verwaltungsgericht des Kantons Zürich an, welches die Beschwerde mit Entscheid vom 27. Januar 2010 guthiess und den Rekursentscheid und die Baubewilligung aufhob. 
 
B. 
Die X.________ AG erhebt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ans Bundesgericht mit den Anträgen, der Entscheid des Verwaltungsgerichts sei aufzuheben und die Baubewilligung sei wiederherzustellen. Eventualiter sei die Sache zu neuem Entscheid an die Vorinstanz zurückzuweisen. 
Das Verwaltungsgericht wie auch Y.________ beantragen, die Beschwerde sei abzuweisen, soweit darauf einzutreten sei. Die Bausektion der Stadt Zürich stellt Antrag auf Gutheissung der Beschwerde. In ihrer Stellungnahme zu den Vernehmlassungen hält die X.________ AG an ihren Anträgen fest. 
 
Erwägungen: 
 
1. 
Gestützt auf Art. 82 lit. a BGG beurteilt das Bundesgericht Beschwerden gegen Entscheide in Angelegenheiten des öffentlichen Rechts. Dieses Rechtsmittel steht auch auf dem Gebiet des Raumplanungs- und Baurechts zur Verfügung. Das Bundesgerichtsgesetz enthält dazu keinen Ausschlussgrund (BGE 133 II 249 E. 1.2 S. 251). 
Zur Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ist berechtigt, wer vor der Vorinstanz am Verfahren teilgenommen oder keine Möglichkeit zur Teilnahme erhalten hat, durch den angefochtenen Entscheid besonders berührt ist und ein schutzwürdiges Interesse an dessen Aufhebung oder Änderung besitzt (Art. 89 Abs. 1 BGG). Verlangt ist somit neben der formellen Beschwer (Art. 89 Abs. 1 lit. a BGG), dass die beschwerdeführende Person über eine spezifische Beziehungsnähe zur Streitsache verfügt (Art. 89 Abs. 1 lit. b BGG) und einen praktischen Nutzen aus der Aufhebung oder Änderung des angefochtenen Entscheids zieht (Art. 89 Abs. 1 lit. c BGG; BGE 133 II 353 E. 3 S. 356 f., 400 E. 2.2 S. 404 f.). Diese Voraussetzungen sind bei der Beschwerdeführerin gegeben, da mit dem Entscheid der Vorinstanz die ihr erteilte Baubewilligung aufgehoben wird. Die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen sind ebenfalls erfüllt. Auf die Beschwerde ist einzutreten. 
 
2. 
2.1 Strittig ist vorliegend die Auslegung der am 16. Juli 1979 eingetragenen Dienstbarkeit "Recht, näher, höher und auf die Grenze zu bauen". Der Grundbucheintrag lautet wie folgt: 
"Grunddienstbarkeit 
Recht, näher, höher und auf die Grenze zu bauen 
Die jeweiligen Eigentümer von 
Kat. ... [Aufzählung der Katasternummern von 43 Grundstücken, darunter auch HG7463 und HG7473] 
räumen sich je gegenseitig unentgeltlich die notwendigen Rechte ein, näher, höher und auf die Grenze zu bauen, für die Bauten, wie diese von den zuständigen Behörden auf diesen Grundstücken, selbst unter Erteilung von irgendwelchen Ausnahmebewilligungen, bewilligt werden." 
 
2.2 Die Vorinstanz erwägt, die 43 involvierten Grundstückeigentümer hätten sich damals offenbar bereit erklärt, die für das Quartierplangebiet geplante gemeinsame Überbauung gemäss einem Überbauungsplan zu erstellen und hierzu Näherbaurechte einzuräumen. Dies deute auf eine projektbezogene Ausgestaltung der Grenzbaurechte hin. Allerdings seien die Grundstücke der Beschwerdeführerin und des Beschwerdegegners nicht im Perimeter des Überbauungsplans gelegen und das Grundstück von Y.________ sei darüber hinaus auch vom Quartierplan nicht erfasst, so dass unklar bleibe, welchen Sinn eine projektbezogene Dienstbarkeit vernünftigerweise haben könne. Hieraus folgert die Vorinstanz, die Tragweite der Dienstbarkeit erscheine unklar, weshalb der Entscheid über den Inhalt der Dienstbarkeit dem zuständigen Zivilgericht zu überlassen sei. 
2.3 
2.3.1 Die Beschwerdeführerin rügt, die Vorinstanz habe bei der Auslegung der streitbetroffenen Dienstbarkeit die nach Art. 738 ZGB zu beachtende Stufenordnung verletzt. Der Wortlaut des Grundbucheintrags sei klar und unmissverständlich. Demnach sei das Näherbaurecht genereller Natur und nicht projektbezogen ausgestaltet. Dies ergebe sich auch daraus, dass ihr Grundstück und jenes des Beschwerdegegners nicht in den Überbauungsplan einbezogen worden seien. Eine projektbezogene Vereinbarung hätte somit keinen Sinn gemacht, denn für den Vollzug des Quartierplans sei die Errichtung einer Dienstbarkeit schlicht nicht notwendig gewesen. Da das Grundstück des Beschwerdegegners nicht in einem Baugebiet gelegen sei, könne er im Übrigen ohnehin nicht in seinen Bauabsichten behindert werden. 
2.3.2 Die Beschwerdeführerin führt weiter aus, selbst wenn der Inhalt des Näherbaurechts in Übereinstimmung mit der Auffassung der Vorinstanz als unklar bewertet werde, verstosse deren Entscheid gegen Bundesrecht. Indem die Vorinstanz die Auslegung dem Zivilgericht überlassen wolle, schränke sie ihre Kognition in unhaltbarer Weise ein. Die Beschwerdeführerin präzisiert, mit dem Verweis auf den Zivilweg werde Art. 29 BV verletzt, da sie als Rechtssuchende bei der Verfolgung ihres Rechtsanspruchs behindert werde. Missachtet werde insbesondere der Grundsatz der Verfahrenskoordination, denn die Vorinstanz könne den Inhalt des in einem baurechtlichen Zusammenhang begründeten Näherbaurechts mindestens ebenso kompetent beurteilen wie das Zivilgericht. 
2.4 
2.4.1 Für die Ermittlung von Inhalt und Umfang einer Dienstbarkeit gibt Art. 738 ZGB eine Stufenordnung vor. Ausgangspunkt ist der Grundbucheintrag. Soweit sich Rechte und Pflichten aus dem Eintrag deutlich ergeben, ist dieser für den Inhalt der Dienstbarkeit massgebend (Art. 738 Abs. 1 ZGB). Nur wenn sein Wortlaut unklar ist, darf im Rahmen des Eintrags auf den Erwerbsgrund, das heisst auf den Dienstbarkeitsvertrag, zurückgegriffen werden. Ist auch der Erwerbsgrund nicht schlüssig, kann sich der Inhalt der Dienstbarkeit - im Rahmen des Eintrags - aus der Art ergeben, wie sie während längerer Zeit unangefochten und in gutem Glauben ausgeübt worden ist (Art. 738 Abs. 2 ZGB; BGE 130 III 554 E. 3.1 S. 556). 
2.4.2 Die Einräumung von Näherbaurechten ist zivilrechtlicher Natur, weshalb diesbezügliche Rechtsstreitigkeiten grundsätzlich vom Zivilgericht zu entscheiden sind. Die vorfrageweise Prüfung zivilrechtlicher Fragen durch Verwaltungsbehörden ist zulässig, wobei sich diese in Zurückhaltung zu üben haben. Die Auslegung eines zivilrechtlichen Vertrags durch eine Verwaltungsbehörde wird nach der im Kanton Zürich geltenden Praxis als zulässig erachtet, wenn der Vertragsinhalt leicht feststellbar ist und sich ein unzweifelhaftes Resultat ergibt. Eine Pflicht, zivilrechtliche Vorfragen zu entscheiden, besteht nicht (vgl. § 1 des Verwaltungsrechtspflegegesetzes des Kantons Zürich vom 24. Mai 1959 [VRG/ZH] und Alfred Kölz/Jürg Bosshart/Martin Röhl, Kommentar zum Verwaltungsrechtspflegegesetz des Kantons Zürich, 2. Aufl. 1999, § 1 N. 30 ff., mit Hinweisen). 
2.4.3 Die Beschwerdeführerin rügt die Anwendung dieser kantonalen Praxis durch die Vorinstanz. Dieses Vorbringen prüft das Bundesgericht nur unter dem Gesichtspunkt der Willkür (vgl. Art. 95 BGG). Die Frage lautet demnach nicht, ob der umstrittenen Dienstbarkeit in freier Prüfung nach Massgabe von Art. 738 ZGB die von der Beschwerdeführerin behauptete Bedeutung beizumessen ist, sondern ob die Vorinstanz in Willkür verfallen ist, wenn sie erwog, die Tragweite der Dienstbarkeit sei unklar. 
2.5 
2.5.1 Strittig ist, ob das in Frage stehende Näherbaurecht eindeutig genereller Natur ist oder ob eine projektbezogene Ausgestaltung zum Vollzug des damaligen Quartierplans gestützt auf den Wortlaut ebenso denkbar ist. 
Die Vorinstanz legt die Argumente, welche für eine projektbezogene Ausgestaltung des Näherbaurechts sprechen, plausibel dar. Insbesondere deutet die Tatsache, dass für sämtliche 43 betroffenen Grundstücke exakt dieselbe Dienstbarkeit errichtet wurde, darauf hin, dass die Einräumung zwecks Vollzug des Überbauungsplans geschah. Der Umstand, dass weder das Grundstück der Beschwerdeführerin noch jenes des Beschwerdegegners vom Überbauungsplan erfasst wurden, steht einer projektbezogenen Auslegung nicht zwingend entgegen. Vielmehr ist es denkbar, dass sämtliche sich im entsprechenden Gebiet befindlichen Gebäude in das Verfahren einbezogen wurden, selbst wenn sie, wie das Grundstück des Beschwerdegegners, bereits überbaut waren und deshalb keinen Nutzen aus einem Näherbaurecht ziehen konnten. Demgegenüber wäre eine Vereinbarung, wonach die Näherbaurechte unbeschränkt, d.h. generell für sämtliche zukünftig zu erstellenden Bauten Geltung beanspruchten, sehr weitreichend und daher zumindest aussergewöhnlich, zumal der Zweitbauende bei der zum Zeitpunkt der Errichtung der Dienstbarkeit geltenden Rechtslage benachteiligt gewesen wäre, weil er einen um den Näherbau vergrösserten Abstand hätte einhalten müssen. Schliesslich ist in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, dass Dienstbarkeiten im Zweifelsfall restriktiv, d.h. zugunsten des Belasteten auszulegen sind (Etienne Petitpierre, Basler Kommentar ZGB II, 3. Aufl. 2007, Art. 738 N. 11; Maja Schüpbach Schmid, Das Näherbaurecht in der zürcherischen baurechtlichen Praxis, Diss. Zürich 2001, S. 72). 
Aufgrund der gesamten Umstände ist damit der Schluss der Vorinstanz, wonach das fragliche Näherbaurecht jedenfalls nicht eindeutig genereller Natur ist, sondern eine projektbezogene Ausgestaltung zum Vollzug des Überbauungsplans ebenso denkbar ist, nicht zu beanstanden. Eine Verletzung der in Art. 738 ZGB verankerten Stufenordnung liegt angesichts des offen gehaltenen Wortlauts des Grundbucheintrags nicht vor. Die Vorinstanz durfte mithin den Erwerbsgrund, d.h. den Dienstbarkeitsvertrag, bei der Auslegung des Inhalts des Näherbaurechts würdigen. 
2.5.2 Ausgehend von der dargestellten Rechtslage (E. 2.4.2 hiervor), wonach die Verwaltungsbehörden in Anwendung von § 1 VRG/ZH hinsichtlich der vorfrageweisen Entscheidung von zivilrechtlichen Fragen Zurückhaltung zu üben haben, hat die Vorinstanz das kantonale Recht jedenfalls nicht willkürlich angewendet, indem sie angesichts des unklaren Inhalts des vereinbarten Näherbaurechts die Beurteilung dieser Vorfrage auf den Zivilweg verwiesen hat. 
 
3. 
Die Beschwerde ist abzuweisen. Bei diesem Ausgang des bundesgerichtlichen Verfahrens trägt die Beschwerdeführerin die Gerichtskosten (Art. 66 Abs. 1 BGG). Sie hat dem privaten Beschwerdegegner für das bundesgerichtliche Verfahren eine angemessene Parteientschädigung zu bezahlen (Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG). 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 3'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt. 
 
3. 
Die Beschwerdeführerin hat dem Beschwerdegegner für das bundesgerichtliche Verfahren eine Parteientschädigung von Fr. 2'000.-- zu bezahlen. 
 
4. 
Dieses Urteil wird den Parteien, der Bausektion der Stadt Zürich und dem Verwaltungsgericht des Kantons Zürich, 1. Abteilung, 1. Kammer, schriftlich mitgeteilt. 
 
Lausanne, 30. August 2010 
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: 
 
Féraud Stohner