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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
{T 0/2} 
 
9C_257/2016  
   
   
 
 
 
Urteil vom 29. Juni 2016  
 
II. sozialrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichterin Glanzmann, Präsidentin, 
Bundesrichter Meyer, Parrino, 
Gerichtsschreiber Fessler. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Roger Zenari, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
IV-Stelle des Kantons Aargau, 
Bahnhofplatz 3C, 5000 Aarau, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Invalidenversicherung (Ausstand; Sachverständiger), 
 
Beschwerde gegen den Beschluss des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau 
vom 24. März 2016. 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.   
Mit Urteil 9C_858/2014 vom 3. September 2015 hob das Bundesgericht den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau vom 21. Oktober 2014 betreffend die Aufhebung der ganzen Rente der Invalidenversicherung des A.________ auf den 1. November 2013 auf und wies die Sache zu neuer Entscheidung im Sinne der Erwägungen (u.a. Einholung eines Gerichtsgutachtens) an die Vorinstanz zurück. 
 
B.   
Das Versicherungsgericht fragte zuerst Frau Dr. med. B.________ und danach med. pract. C.________, beide Fachärzte für Psychiatrie und Psychotherapie, an, ob sie bereit wären, das Gerichtsgutachten zu erstellen. Gegen den Zweitgenannten brachte A.________ Ausstandsgründe vor. Mit Beschluss vom 24. März 2016 ordnete das Versicherungsgericht des Kantons Aargau an, dass bei med. pract. C.________ ein Gutachten eingeholt werde (Dispositiv-Ziffer 1). 
 
C.   
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragt A.________, Dispositiv-Ziffer 1 des Beschlusses vom 24. März 2016 sei aufzuheben und das kantonale Versicherungsgericht anzuweisen, den Auftrag zur Erstellung eines gerichtlichen Gutachtens an Dr. med. B.________, eventualiter an einen anderen Gutachter als med. pract. C.________ zu vergeben, unter Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.   
Mit seinem Entscheid, soweit angefochten, hat das kantonale Versicherungsgericht eine psychiatrische Begutachtung des Beschwerdeführers durch med. pract. C.________ angeordnet. Dabei handelt es sich um einen selbständig eröffneten Zwischenentscheid nach Art. 92 Abs. 1 BGG (BGE 138 V 271 E. 2.2.1 S. 277; Urteil 8C_467/2014 vom 29. Mai 2015 E. 2.4 mit Hinweisen). 
 
2.   
Im vorinstanzlichen Entscheid werden die massgeblichen Rechtsgrundlagen zu den formellen Ausstandsgründen medizinischer Sachverständiger zutreffend dargelegt, worauf verwiesen wird. Zu ergänzen ist, dass die Anforderungen an deren Unbefangenheit sich aus dem Anspruch auf ein faires Verfahren gemäss Art. 29 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK ableiten und sich nicht aus der Garantie eines unabhängigen und unparteiischen Gerichts nach Art. 30 Abs. 1 BV ergeben (BGE 120 V 357 E. 3a S. 364; Urteil 9C_970/2012 vom 23. April 2013 E. 2 mit Hinweis). Hinsichtlich der Unparteilichkeit und Unbefangenheit kommt Art. 29 Abs. 1 BV indessen ein mit Art. 30 Abs. 1 BV weitgehend übereinstimmender Gehalt zu (Urteil 1B_188/2011 vom 1. Juni 2011 E. 3.2 mit Hinweisen, in: Pra 2012 Nr. 2 S. 5). Wer als Richter in den Ausstand treten müsste, kann auch nicht als Sachverständiger mitwirken (Urteil 2C_991/2011 vom 18. Juli 2012 E. 2.2). 
Ob bei einer gegebenen Sachlage auf die Voreingenommenheit des Sachverständigen zu schliessen ist, stellt eine vom Bundesgericht frei prüfbare Rechtsfrage dar (Art. 95 BGG; Urteile 8C_531/2014 vom   23. Januar 2015 E. 6.1.1, in: SVR 2015 IV Nr. 23 S. 69, und 9C_893/2009 vom 22. Dezember 2009 E. 1.3, in: SVR 2010 IV Nr. 36 S. 112). 
 
3.   
Die Vorinstanz hat die streitige Frage, ob med. pract. C.________ als voreingenommen zu gelten hat und daher als Gerichtsgutachter ausser Betracht fällt, verneint. Der psychiatrische Facharzt sei im Rahmen seiner Tätigkeit im regionalen ärztlichen Dienst (RAD) der am Recht stehenden IV-Stelle weder als versicherungsinterne Beratungs- noch Beurteilungsperson im Fall des Beschwerdeführers tätig gewesen. Weitere konkrete Gründe für eine Befangenheit würden nicht vorgebracht. 
Demgegenüber erweckt nach Auffassung des Beschwerdeführers schon der Umstand, dass med. pract. C.________ vor noch nicht langer Zeit, insbesondere als die rentenaufhebende Verfügung vom 9. September 2013 erlassen worden war, als RAD-Arzt in einem Arbeitsverhältnis mit der Beschwerdegegnerin stand, den Anschein von Befangenheit. 
 
4.  
 
4.1. Der Beschwerdeführer verweist in seiner Begründung auf das Urteil des Bundesgerichts 4P.256/2002 vom 14. April 2003, er vermag jedoch nicht aufzuzeigen, inwiefern diesem Entscheid präjudizielle Bedeutung zukommt. Streitig in diesem Fall war, ob der Präsident eines unteren kantonalen Gerichts zu Recht von der oberen Instanz in den Ausstand geschickt worden war. Es ging somit nicht um den Anspruch des Beschwerdegegners auf ein unabhängiges und unparteiisches Gericht gemäss Art. 30 Abs. 1 BV bzw. Art. 6 Ziff. 1 EMRK, sondern um den auf denselben Normen beruhenden Anspruch des Beschwerdeführers auf das Tätigwerden des nach der gesetzlichen Ordnung zuständigen Gerichts. Zu prüfen war mithin lediglich, ob der angefochtene Ausstandsentscheid auf einem zureichenden Grund beruhte. Dagegen war, wie das Bundesgericht festhielt, nicht zu beurteilen, ob die von der Vorinstanz angeführten Gründe zwingend zum Ausstand des Gerichtspräsidenten hätten führen müssen, ob also der Beschwerdegegner einen sein Ausstandsbegehren ablehnenden Entscheid mit Erfolg hätte anfechten können (Urteil 4P.256/2002 vom 14. April 2003 E. 3.5).  
 
4.2.  
 
4.2.1. Umstände, die geeignet sind, Misstrauen in die Unparteilichkeit eines Mitglieds einer Gerichtsbehörde oder eines Sachverständigen zu wecken, können auch in funktionellen oder organisatorischen Gegebenheiten begründet sein (BGE 119 V 456 E. 5b S. 465). Zu denken ist namentlich an bestehende oder frühere Beziehungen wirtschaftlicher, beruflicher und auch persönlicher Natur zu einer der Parteien (Urteil 1B_188/2011 vom 1. Juni 2011 E. 3.2 mit Hinweisen, in: Pra 2012 Nr. 2 S. 5). Diese müssen eine gewisse Intensität aufweisen, was regelmässig dort zu bejahen ist, wo zu einer Partei ein noch offenes Mandat besteht oder wenn die betreffende Gerichtsperson für eine Partei mehrmals oder kurze Zeit vorher anwaltlich tätig gewesen ist (Urteil 4A_256/2010 vom 25. Juli 2010 E. 2.4 mit Hinweisen; vgl. auch Urteile 1C_79/2009 vom 24. September 2009 E. 2, in: ZBl 112/2011 S. 275 und 2P.78/2005 vom 21. Juli 2005 E. 2.2 und 3.2).  
 
4.2.2. Es kann offen bleiben, wann genau und wie lange med. pract. C.________ beim RAD tätig war. Sein diesbezügliches früheres Verhältnis zur Beschwerdegegnerin weist nicht die Merkmale auf, die in Bezug auf das Mandat als Gerichtsgutachter - bei objektiver Betrachtungsweise - den Anschein von Befangenheit erwecken müssten. RAD-Ärztinnen und -Ärzte arbeiten zwar für eine oder mehrere IV-Stellen der Region (vgl. Art. 47 IVV), indem sie ihnen zur Beurteilung der medizinischen Voraussetzungen des Leistungsanspruchs beratend zur Verfügung stehen; in ihrem medizinischen Sachentscheid im Einzelfall sind sie jedoch unabhängig (Art. 59 Abs. 2bis IVG sowie Art. 49 Abs. 1 und 3 IVV). Eine und zwar lediglich eine allgemeine Weisungsbefugnis im medizinischen Fachbereich kommt dem BSV zu (Art. 64a Abs. 1 lit. c IVG). So besehen ist die Tätigkeit von RAD-Ärztinnen und -Ärzten in erster Linie eine solche im Interesse der Invalidenversicherung an sich und dient nicht der Wahrung der Interessen der jeweiligen IV-Stelle im eigentlichen engeren Sinne. Es kommt dazu, dass die regionalen ärztlichen Dienste von den IV-Stellen in personeller Hinsicht getrennt sind (BGE 137 V 210 E. 1.2.1 S. 219). Unter diesen Umständen lässt sich kein erhöhtes Gefahrenpotenzial für Befangenheit als Gerichtsgutachter in einem Rentenstreit einzig aufgrund einer früheren Tätigkeit bei einem regionalen ärztlichen Dienst ausmachen. Abgesehen davon kann die Erfahrung als RAD-Ärztin oder RAD-Arzt ein Pluspunkt für die Vergabe von Gutachtensaufträgen sein.  
 
4.3. Andere Gründe für eine Befangenheit von med. pract. C.________ stehen nicht zur Diskussion (vgl. E. 3 hiervor).  
Die Beschwerde ist unbegründet. 
 
5.   
Ausgangsgemäss hat grundsätzlich der Beschwerdeführer die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG). 
 
 
 Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.   
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
3.   
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 29. Juni 2016 
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Die Präsidentin: Glanzmann 
 
Der Gerichtsschreiber: Fessler