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Chapeau

143 IV 361


46. Auszug aus dem Urteil der Strafrechtlichen Abteilung i.S. A.A. und B.A. gegen Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Aargau (Beschwerde in Strafsachen)
6B_360/2016 / 6B_361/2016 vom 1. Juni 2017

Regeste

Art. 222 al. 1 CP; incendie par négligence.
Les deux prévenus avaient allumé chacun deux fusées pyrotechniques. L'une de ces quatre fusées a causé un incendie. Il n'a pas pu être déterminé lequel des deux prévenus avait allumé la fusée à l'origine de l'incendie.
L'instance précédente a conclu à une action globale décidée et commise en commun et elle a condamné les deux prévenus pour incendie par négligence (consid. 4.5).
Les deux prévenus avaient certes décidé en commun d'allumer des fusées pyrotechniques. Pour le reste, il appartenait à chacun d'eux d'observer les devoirs de diligence qui lui incombaient en allumant ses propres fusées. L'impossibilité d'établir lequel des deux prévenus a commis l'acte causal en violation de son devoir de diligence ne peut pas conduire à admettre une responsabilité pénale commune (consid. 4.9-4.11).

Faits à partir de page 362

BGE 143 IV 361 S. 362

A. A.A. und B.A. wurden aufgrund einer identischen Sachverhaltsumschreibung mit separaten Strafbefehlen und einer auf BGE 113 IV 58 ("rolling stones") gestützten Begründung wegen fahrlässiger Verursachung einer Feuersbrunst sowie Widerhandlung gegen das Brandschutzgesetz bestraft:
Am 1. Januar 2013 ging um 00.05 Uhr bei der Einsatzzentrale der Kantonspolizei Aargau die Meldung ein, dass ein Balkon eines Mehrfamilienhauses in Flammen stand. A.A. und B.A. wurden über ein Ausschlussverfahren als Täter ermittelt: "Er und sein Cousin B.A. [bzw.: Er und sein Cousin A.A.] sind kurz vor Mitternacht zusammen mit weiteren Gästen auf dem Sitzplatz der Parterrewohnung und haben gemeinsam den Entschluss gefasst, Raketen der Marke 'Klasek' abzufeuern. [...] Die beiden hatten gemeinsam beschlossen, nach draussen zu gehen, um Feuerwerkskörper zu zünden, und wie die Ermittlungen ergeben haben, war eine der Raketen der Marke 'Klasek' ursächlich für den Brand. Somit hat der Beschuldigte pflichtwidrig unvorsichtig gehandelt, indem es zum Feuer kam und er die Raketen zusätzlich nicht ordnungsgemäss abgefeuert hat, da grundsätzlich keine Raketen inmitten von Liegenschaften gezündet werden dürfen und weiter für das Abfeuern notwendig ist, dass die Rakete aus einer gut fixierten Flasche oder einem Rohr gezündet wird. Es entstand Sachschaden in der Höhe von CHF 868'951.-, Personen wurden keine verletzt."
A.A. und B.A. erhoben Einsprache.

B. Der Präsident des Bezirksgerichts Laufenburg befragte beide Angeklagten sowie zwei Auskunftspersonen und führte einen Augenschein vor Ort durch. Er sprach am 19. März 2015 beide Angeklagten frei. Die Staatsanwaltschaft führte Berufung.
BGE 143 IV 361 S. 363
Das Obergericht des Kantons Aargau führte im Einverständnis der Parteien ein schriftliches Verfahren durch. Es sprach am 19. Januar 2016 A.A. und B.A. in Gutheissung der staatsanwaltschaftlichen Berufung von der Widerhandlung gegen das kantonale Brandschutzgesetz frei und der fahrlässigen Verursachung einer Feuersbrunst (Art. 222 Abs. 1 StGB) schuldig. Es verurteilte sie zu Geldstrafen von 80 Tagessätzen zu Fr. 200.- sowie Bussen von Fr. 800.- und gewährte den bedingten Vollzug der Geldstrafen.

C. A.A. und B.A. beantragen mit Beschwerden in Strafsachen, die Urteile aufzuheben und sie von Schuld und Strafe freizusprechen.
Das Obergericht und die Oberstaatsanwaltschaft verzichteten auf Vernehmlassung.
Das Bundesgericht führte eine Beratung durch (Art. 58 Abs. 1 BGG).
Das Bundesgericht heisst die Beschwerden gut, hebt die beiden vorinstanzlichen Urteile auf und weist die Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurück.

Considérants

Aus den Erwägungen:

4. Wer fahrlässig zum Schaden eines andern oder unter Herbeiführung einer Gemeingefahr eine Feuersbrunst verursacht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft (Art. 222 Abs. 1 StGB). Fahrlässig begeht ein Verbrechen oder Vergehen, wer die Folge seines Verhaltens aus pflichtwidriger Unvorsichtigkeit nicht bedenkt oder darauf nicht Rücksicht nimmt. Pflichtwidrig ist die Unvorsichtigkeit, wenn der Täter die Vorsicht nicht beachtet, zu der er nach den Umständen und nach seinen persönlichen Verhältnissen verpflichtet ist (Art. 12 Abs. 3 StGB).

4.1 Die Vorinstanz bejaht dem Grundsatz nach zutreffend eine fahrlässige Handlungsweise der beiden Beschwerdeführer (im Einzelnen vgl. Urteil 6B_1163/2016 vom 21. April 2017 E. 5.2). Eine Prüfung der Sache unter dem Gesichtspunkt einer Begehung durch Unterlassung (Art. 11 StGB) scheidet bereits mangels Anklageerhebung aus (vgl. Urteil 6B_877/2015 vom 20. Juni 2016 E. 1.1).

4.2 Nach den Beschwerdeführern ist mit der Erstinstanz lediglich von einem "Fehlverhalten" auszugehen. Sie bestreiten nicht, dass dieses Fehlverhalten als solches den Tatbestand von Art. 222 Abs. 1 StGB erfüllt. Sie wenden ein, die Rechtsprechung von BGE 113 IV 58 ("rolling stones") sei nicht anwendbar (nulla poena sine lege). Sie
BGE 143 IV 361 S. 364
berufen sich auf die Erstinstanz, wonach eine Mittäterschaft, wie sie der Anklägerin vorschwebe, gesetzlich nicht verankert sei (Art. 1 StGB).

4.3 Die Erstinstanz stellte fest, wer von den beiden die brandauslösende Rakete gezündet habe, lasse sich wegen des nur mangelhaft durchgeführten Beweisverfahrens nicht (mehr) eruieren. Damit fehle es an der individuellen Zurechenbarkeit. Der Hinweis der Anklägerin im Strafbefehl auf BGE 113 IV 58 E. 2 S. 60 ändere daran nichts, "weil unter den konkreten Umständen von einem 'gemeinsamen Beschluss' einer sorgfaltswidrigen Handlung nicht die Rede sein [könne]". Vielmehr sei "nur" von einem nicht abgesprochenen Fehlverhalten zweier gedankenloser Männer, die kindliche Freude am Abfeuern von Raketen gehabt hätten, auszugehen. Es "fehlten jegliche Hinweise auf einen gemeinsamen Tatentschluss". Beide seien von Schuld und Strafe freizusprechen.

4.4 In ihrer Berufung machte die Beschwerdegegnerin geltend, die beiden hätten sich gemeinsam entschieden, draussen die Feuerwerksraketen zu zünden. Sie hätten sich dementsprechend gemeinsam nach draussen begeben, die Raketen in den Rasen gesteckt und gezündet. Gemeinsames Handlungsziel sei es gewesen, dass jeder zwei Raketen zünde. Das Zünden stelle eine einzige Gesamthandlung dar, die arbeitsteilig vorgenommen worden sei. Die sorgfaltswidrige Handlung sei daher gemeinsam beschlossen und gemeinsam ausgeführt worden. Entscheidend für die Verurteilung sei, dass die gemeinsam vorgenommene Gesamthandlung kausal für den eingetretenen Erfolg gewesen sei. Ob der jeweilige Einzelbeitrag für den eingetretenen Erfolg kausal gewesen sei, sei hingegen unerheblich.

4.5 Die Vorinstanz geht davon aus, bei einer gemeinsam vorgenommenen Gesamthandlung sei nicht danach zu fragen, ob der jeweilige Einzelbeitrag für den tatbestandsmässigen Erfolg kausal geworden sei, sondern ob die Kausalität zwischen der gemeinsam vorgenommenen Gesamthandlung und dem eingetretenen Erfolg zu bejahen sei. Eine gemeinsam vorgenommene Gesamthandlung liege vor, wenn die sorgfaltswidrige Handlung gemeinsam beschlossen und in der Folge in einem nahen örtlichen und zeitlichen Zusammenhang gemeinsam durchgeführt würde, wobei es der zufälligen Arbeitsteilung überlassen bleibe, wer welchen Einzelbeitrag geleistet habe (mit Verweisung auf BGE 113 IV 58). Ein strafwürdiges Zusammenwirken bei fahrlässigem Handeln sei im Übrigen rechtlich nicht notwendig
BGE 143 IV 361 S. 365
als "fahrlässige Mittäterschaft" zu qualifizieren (mit Hinweis auf RIEDO/CHVOJKA, Fahrlässigkeit, Mittäterschaft und Unsorgfaltsgemeinschaft, ZStrR 2/2002 S. 152 ff.).
Die Vorinstanz stellt fest, es sei nicht mehr zu ermitteln, welcher der beiden die brandauslösende Rakete gezündet habe, wenngleich es einer der beiden gewesen sein müsse. Eine Verurteilung setze mithin voraus, dass beide die sorgfaltswidrige und zum Brand führende Handlung gemeinsam beschlossen und in der Folge in einem nahen örtlichen und zeitlichen Zusammenhang gemeinsam und in zufälliger Arbeitsteilung durchgeführt hätten.
Die Vorinstanz nimmt sodann an, aufgrund der Umstände und der Vorgehensweise könne ohne weiteres als erstellt gelten, dass die beiden gemeinsam beschlossen hatten, die vier gleichartigen Feuerwerksraketen an besagter Stelle arbeitsteilig zu starten. Dass sie "auch beschlossen hätten, dies durch jeweiliges In-den-Boden-Stecken der einzelnen Raketen zu tun, kann aber nicht festgestellt werden." Vielmehr sei davon auszugehen, dass sie "jeweils für sich, d.h. ohne vorgängige Absprache, die einzelnen Raketen in dieser zwar gefährlichen, aber nicht unüblichen Weise abgefeuert haben."
Die Vorinstanz verweist anschliessend auf die Empfehlungen der Beratungsstelle für Brandverhütung (BFB) und folgert, da bei Feuerwerksraketen immer mit Irrläufern zu rechnen sei, sei die Feuersbrunst nicht nur vermeidbar, sondern auch voraussehbar gewesen. Es sei vom Zufall abhängig gewesen, wer letztlich den Irrläufer gezündet habe. "Gestützt auf diese Ausführungen erscheint der wegen der irregeleiteten Rakete entstandene Brand, [...], als direkte Folge der [von beiden] gemeinsam beschlossenen und vorgenommenen und als sorgfaltswidrig zu bezeichnenden Gesamthandlung, die darauf abzielte bzw. darin bestand, auf dem hierfür ungeeigneten Gartenplatz Feuerwerk der besagten Art zu zünden bzw. gezündet zu haben. Damit steht, ohne dass weiter nach den Einzelbeiträgen zu fragen wäre, fest, dass die [Erstinstanz] zu Unrecht [...] freigesprochen hat."
Bei der Strafzumessung geht die Vorinstanz von Gedankenlosigkeit aus. Sie hätten auch den Kindern Freude machen wollen. Dass sie bewusst das damit einhergehende Risiko geradezu gesucht haben könnten, erscheine ausgeschlossen.

4.6 Die Vorinstanz folgt in ihrer Entscheidung der Argumentation der Beschwerdegegnerin (oben E. 4.4). Diese behauptete eine
BGE 143 IV 361 S. 366
"gemeinsam vorgenommene Gesamthandlung" im Sinne von BGE 113 IV 59 E. 2 S. 60, d.h. einen Umstand, der unbewiesen ist. Denn massgebend für den Nachweis der Tathandlung ist der Beweis dieser Tathandlung. Die vorinstanzliche Beweiswürdigung untersucht die Frage, ob eine der vier von den Beschwerdeführern abgefeuerten Raketen den Brand verursacht hatte. Das bejaht sie willkürfrei.
Ausgangspunkt der vorinstanzlichen Überlegungen bildet die Darlegung des juristischen Konzepts der "Gesamthandlung" im Sinne von BGE 113 IV 58. Anschliessend nimmt die Vorinstanz an, dass mit Irrläufern zu rechnen sei. Es hänge vom Zufall ab, welcher der beiden den Irrläufer gezündet habe. Gestützt auf diese Ausführungen sei der Brand die direkte Folge der Gesamthandlung, die darauf abgezielt habe, ein derartiges Feuerwerk zu zünden. Damit stehe fest, "ohne dass weiter nach den Einzelbeiträgen zu fragen wäre", dass die Erstinstanz zu Unrecht freigesprochen habe (oben E. 4.5). Vorangehend (oben E. 4.5, drittletzter Abs.) stellt die Vorinstanz aufgrund der Umstände fest, dass sie beschlossen, "arbeitsteilig" vier Raketen zu starten. Dass sie aber auch beschlossen hätten, dies durch In-den-Boden-Stecken der Raketen zu tun, habe nicht festgestellt werden können. Vielmehr hätten sie "jeweils für sich, d.h. ohne vorgängige Absprache", die Raketen in dieser nicht unüblichen Weise abgefeuert.
Aus dieser Beweisführung folgt, dass die beiden einzig "beschlossen", vier Raketen zu starten, und zwar jeder deren zwei. Die Art und Weise des Startens bestimmte jeder für sich, "d.h. ohne vorgängige Absprache" (ebenso bereits die Erstinstanz, oben E. 4.3).

4.7 Die kantonalen Behörden beziehen sich konträr auf BGE 113 IV 58. Auch in der Literatur wird der Entscheid kontrovers diskutiert.
Nach BERNARD CORBOZ gibt es keine Teilnahme an der Fahrlässigkeitsstraftat; die Konstruktion von BGE 113 IV 58 sei zurückzuweisen (in: Commentaire romand, Code pénal, Bd. I, 2009, N. 180 zu Art. 12 StGB). ANDREAS DONATSCH wendet sich gegen die Konstruktion einer fahrlässigen Mittäterschaft, wenn der Nachweis fehlt, wer von zwei sorgfaltswidrig Handelnden den schädigenden Erfolg verursachte (in: StGB Kommentar, Donatsch und andere [Hrsg.], 19. Aufl. 2013, N. 28 zu Art. 12 StGB: "mit dem Gesetz nicht vereinbar"). Ebenso dezidiert fällt nach EICKER/MANGO-MEIER (Repetitorium Nebenstrafrecht SVG und BetmG, 2016, S. 43) bei einer fahrlässigen Tatbegehung Mittäterschaft von vornherein ausser
BGE 143 IV 361 S. 367
Betracht. Andere Autoren stimmen BGE 113 IV 58 mit abweichenden Begründungen im Ergebnis durchaus zu. MARC FORSTER wertet den Entscheid als vertretbar; der in der Literatur erhobene Einwand, es sei die Kausalität des individuell vorwerfbaren Verhaltens nicht gegeben (was zur Straflosigkeit führe), hätte bedenkliche Folgen im Bereich der kollektiven Kriminalität (in: Basler Kommentar, Strafrecht, Bd. I, 3. Aufl. 2013, N. 22 f. Vor Art. 24 StGB), wobei angesichts der fragmentarischen Natur des Strafrechts und des Legalitätsgrundsatzes damit nicht eine sogenannte "Lückenfüllungs-Theorie" vertreten sein wird. NIGGLI/MAEDER halten es für nicht evident, dass nicht das Steinerollen als solches als die massgebliche Handlungseinheit verstanden werden müsste, an welchem die beiden Täter gleichermassen beteiligt waren (in: Basler Kommentar, a.a.O., N. 135 zu Art. 12 StGB). GÜNTER STRATENWERTH führt aus, wo mehrere die erfolgsverursachende Handlung gemeinsam ausführten, seien sie ohnehin Täter. Wo das fahrlässige Handeln ohne gemeinsamen Entschluss nicht erfolgt wäre, könne jedem der Beteiligten immerhin die psychische Mitverursachung des Erfolges zur Last gelegt werden, wie im sicherlich anfechtbar begründeten BGE 113 IV 58 (Schweizerisches Strafrecht, Allgemeiner Teil I, 4. Aufl. 2011, S. 516, Rz. 49 und Fn. 87). BERNHARD STRÄULI stimmt der Schlussfolgerung von BGE 113 IV 58 zu, wobei sich gegen die Motivation einwenden liesse, dass der Rückgriff auf das Konzept der Mittäterschaft unnötig sei, da angesichts eines reinen, verhaltensungebundenen Erfolgsdelikts das Verhalten (comportement) eines jeden der beiden eine natürliche und adäquate Ursache des Erfolges begründe (in: Commentaire romand, Code pénal, Bd. I, 2009, N. 8, 116 zu Intro aux art. 24 à 27 CP).
JOSÉ HURTADO POZO spricht sich gegen die vorherrschende Ansicht aus, welche die Teilnahme an der Fahrlässigkeitsstraftat über den Begriff der Mittäterschaft verneine. Diese Ansicht könne nicht in vertretbarer Weise die Sachverhalte von BGE 113 IV 58 oder jenes beispielhaften Falles lösen, in welchem zwei Freizeitler, ohne die notwendigen Vorsichtsmassnahmen zu treffen, im Wald zum Grillieren ein Feuer anzündeten und einen Waldbrand verursachten (Art. 222 Abs. 1 StGB). In beiden Fällen gehe es zum einen um das vereinte Verwirklichen eines gemeinsamen Projekts, welches den Schaden verursache (la réalisation conjointe d'un projet commun de comportement, laquelle est la cause du résultat préjudiciable); zum andern hätten die Täter die Gefährlichkeit ihrer Handlungsweise erkennen
BGE 143 IV 361 S. 368
können und müssen. Sie verletzten gemeinschaftlich (collectivement) ihre Vorsichts- oder Sorgfaltspflicht (Unsorgfaltsgemeinschaft) und verursachten damit einen voraussehbaren und vermeidbaren Erfolg (Droit pénal, Partie générale, 2008, N. 1409).
In der Literatur ist mithin umstritten, wie BGE 113 IV 58 zu verstehen ist und ob der Entscheidung überhaupt eine fahrlässige Mittäterschaft zugrunde liegt. Ohne die Literatur erschöpfend auszuwerten, lässt sich schliessen, dass die Konzeption einer fahrlässigen Mittäterschaft von der wohl herrschenden Lehre abgelehnt und BGE 113 IV 58 in der Begründung und weniger im Ergebnis kritisiert wird, während JOSÉ HURTADO POZO mit der Konzeption der "Unsorgfaltsgemeinschaft" einen konstruktiven dogmatischen Entwurf zu der mit BGE 113 IV 58 aufgeworfenen Sachproblematik vorlegt.

4.8 Die Anfänge der bundesgerichtlichen Rechtsprechung, soweit sie in diesen Rahmen einer rechtlichen Konstruktion einer fahrlässigen Mittäterschaft gestellt werden kann, dürften in BGE 98 IV 11 aufzufinden sein. In diesem Entscheid erkannte das Bundesgericht, dass sich nicht nur der Lenker, sondern mit ihm der Halter eines Motorfahrzeugs der fahrlässig begangenen Körperverletzung schuldig machen kann, wenn er dieses einem fahrunfähigen Lenker überlässt, der mit einem Fussgänger zusammenstösst. Im gleichen Entscheid ging es noch weiter und führte aus, bei Fahren in angetrunkenem Zustand sei nicht nur jener zur Rechenschaft zu ziehen, der sein Fahrzeug einem Angetrunkenen überlässt, "sondern beispielsweise auch der für seine Kollegen bestimmende Anführer eines Trinkgelages".
In der Folge distanzierte sich das Bundesgericht von dieser Rechtsprechung. In BGE 113 IV 84 liess es die Frage noch offen, ob Mittäterschaft eines an der Führung des Fahrzeugs nicht massgeblich Beteiligten möglich sei. Es erkannte aber, dass sich der Passagier, der in einem Fahrzeug mitfährt, das vom angetrunkenen Halter geführt wird, sich allein dadurch weder der Mittäterschaft noch der Teilnahme schuldig machen kann. Das eigene Interesse des Passagiers an der Fahrt vermöge Mittäterschaft bei Fahren in angetrunkenem Zustand schon deshalb nicht zu begründen, weil dieses als solches nicht einen Tatbeitrag, sondern lediglich ein Motiv für das Mitfahren darstelle.
Drei Jahre später verwarf das Bundesgericht in BGE 116 IV 71 diese Rechtsprechung. Beim Tatbestand des Fahrens in angetrunkenem
BGE 143 IV 361 S. 369
Zustand könne Täter nur sein, wer das Fahrzeug führt. Dass das Verschulden des Mitfahrers "angesichts von dessen Tatbeitrag und Interesse an der Fahrt allenfalls mindestens gleich schwer wieg[e] wie das Verschulden des angetrunkenen Fahrzeugführers, erlaub[e] es nicht, ihn kurzerhand als Mittäter zu qualifizieren".
In BGE 126 IV 84 E. 2c/aa S. 88 hielt das Bundesgericht - allerdings unter Bezugnahme auf den vorsätzlichen Mittäterschaftsbegriff (BGE 125 IV 134 E. 3a S. 136) und ohne BGE 113 IV 58 zu erwähnen - fest: "Par conséquent, la coactivité par négligence n'est pas concevable". In der Sache hatte es die Frage zu entscheiden, ob eine Person, welche die Charakteristik der vorsätzlichen Mittäterschaft (BGE 125 IV 134 E. 3a) aufweist, wegen grober Verkehrsregelverletzung verurteilt werden kann, selbst wenn sie nicht selber das Fahrzeug gelenkt hatte. Das Bundesgericht bejahte die Frage (BGE 126 IV 84 E. 2b S. 87 und E. 2d S. 90). - Anders verhält es sich beim Begleiter einer Lernfahrt: Übernimmt er diese Aufgabe effektiv, macht er sich des Führens eines Motorfahrzeuges im angetrunkenen Zustand im Sinne von Art. 91 SVG schuldig, weil er von Gesetzes wegen an der Führung des Fahrzeugs beteiligt ist (Urteil 6B_1387/2016 vom 5. Mai 2017 E. 2.2).
Schliesslich hielt das Bundesgericht im Urteil 6B_477/2011 vom 24. November 2011 E. 1.1 zur fahrlässigen Verursachung einer Feuersbrunst (in: SJ 2012 I S. 347) unter Bezugnahme auf BGE 113 IV 58 fest, Mittäterschaft setze die vorsätzliche Zusammenarbeit voraus, und zitierte dazu den Passus aus BGE 126 IV 84 E. 3a: "La coactivité par négligence [n'est] pas concevable"; und weiter: "Quant à la doctrine, elle considère qu'il ne peut pas y avoir de coactivité en cas d'infraction par négligence puisqu'une telle participation suppose une certaine association des volontés dans la perspective de la réalisation d'une infraction et qu'elle ne se conçoit que si les participants agissent intentionnellement (STRATENWERTH, Schweizerisches Strafrecht, Allgemeiner Teil, 4. Aufl. 2011, § 16, N. 49; CORBOZ, in: Commentaire romand, Code pénal, Bd. I, 2009, N. 180 zu Art. 12 StGB; JENNY, in: Basler Kommentar, Strafrecht, Bd. I, 2. Aufl. 2007, N. 106 zu Art. 12 StGB). Celui qui ne peut être qualifié de coauteur d'une infraction par négligence peut en revanche, le cas échéant, en être auteur s'il réalise, par ses agissements, les éléments de l'état de fait visé par la loi en provoquant la réalisation du risque qui pouvait se produire, mais aurait pu être évitée (STRATENWERTH, a.a.O., § 16, N. 48)." Nach dieser Argumentation ist lediglich
BGE 143 IV 361 S. 370
Nebentäterschaft ("auteur") möglich. Von Nebentäterschaft wird indessen gesprochen, wenn mehrere Täter unabhängig voneinander denselben Tatbestand verwirklichen (TRECHSEL/JEAN-RICHARD, in: Schweizerisches Strafgesetzbuch, Praxiskommentar, 2. Aufl. 2013, N. 23 Vor Art. 24 StGB). Das aber ist eine andere Konstellation als jene in der vorliegenden Fragestellung.

4.9 BGE 113 IV 58 vom 15. Mai 1987 ("rolling stones") beruht auf dem folgenden Sachverhalt: A. und B. sahen auf der Rückfahrt von ihrer Waldhütte zwei Steinbrocken neben der Strasse liegen, welche sie "hinunterzurollen beabsichtigten". Die örtlichen Verhältnisse waren ihnen "bestens bekannt" und sie "wussten", dass sich am Tössufer öfters Leute, vorwiegend Fischer, aufhielten. B. ging auf Vorschlag von A. zum Abgrund, um das "abzuklären", rief laut hinunter, ob jemand unten sei, wobei er aber das Tössufer nicht einsehen konnte. Als niemand geantwortet hatte, rollten B. und A. jeder einen der Steinbrocken hinunter. Der Fischer C. wurde tödlich getroffen. Es konnte nicht geklärt werden, von welchem der beiden. (Anzumerken ist, dass A. wegen fahrlässiger Tötung angeklagt gewesen war.)
Ganz anders stellt sich der hier zu beurteilende Sachverhalt dar. Die beiden Beschwerdeführer hatten die Art und Weise des Vorgehens (des Abfeuerns der Raketen) nicht miteinander abgesprochen, wie die Vorinstanz ausdrücklich feststellt (oben E. 4.6). Insbesonders hatten die beiden keine Risikoabschätzung vorgenommen. Dass sie ein Risiko eingegangen wären, schloss die Vorinstanz aus (oben E. 4.5, letzter Abs.). Sie hatten (einzig) "beschlossen", draussen Raketen zu zünden, und zwar jeder deren zwei (oben E. 4.4, 4.6). Jeder bestimmte selber, wie er die Raketen abfeuern wollte. Nur einer verursachte einen "Irrläufer", der aber aufgrund der vorinstanzlichen Feststellung nicht zufällig, sondern durch das unsachgemässe Abfeuern (mit Risikoerhöhung durch "falsches" In-den-Boden-Stecken) von einem der beiden verursacht wurde. Ein eigentlicher Irrläufer kann sich dagegen nur bei korrektem Abfeuern infolge eines technischen Defekts der Rakete selbst ergeben. Der eine gefährdete (nicht strafbar), der andere verursachte den Brand (strafbar).
Die Vorinstanz folgt auch hier der Beschwerdegegnerin (oben E. 4.4) und sieht sich nicht veranlasst, nach den "Einzelbeiträgen", d.h. dem rechtserheblichen Sachverhalt, zu fragen (oben E. 4.6), weil sie das zu Beweisende durch einen beweisbedürftigen Umstand ersetzt, nämlich durch die Behauptung der "Gesamthandlung". Diesen (vor
BGE 143 IV 361 S. 371
allem beim Indizienbeweis vorkommenden) Fehlschluss der petitio principii begeht, wer einen Satz als bewiesen annimmt, der des Beweises bedürftig ist. Die zu beweisende Behauptung soll selbst als Beweisgrund herhalten (FRIEDRICH E. SCHNAPP, Logik für Juristen, 7. Aufl., München 2016, S. 227, 228).
Denn subjektives Beweisergebnis ist lediglich, dass sie "gemeinsam beschlossen, nach draussen zu gehen, um Feuerwerkskörper zu zünden" (so die Formulierung in der Anklageschrift, oben Sachverhalt Bst. A). Mithin fehlt es an den Voraussetzungen der Annahme einer Gesamthandlung im Sinne von BGE 113 IV 58, so dass sich die Vorinstanz für die Schuldsprüche nicht auf dieses Präjudiz berufen kann. Das Bundesgericht hat deshalb weder auf BGE 113 IV 58 einzugehen noch sich mit der Kausalitätsfrage auseinanderzusetzen. Vielmehr ist festzustellen, dass die tatsächlichen Voraussetzungen der vorinstanzlich angenommenen Gesamthandlung im Sinne von BGE 113 IV 58 beweismässig nicht erstellt sind. Der gemeinsame Beschluss einer sorgfaltswidrigen Handlung ist nicht nachgewiesen (bereits Erstinstanz, oben E. 4.3).

4.10 Diese Beweislosigkeit kann nicht über eine wie auch immer begründete Mittäterschaft substituiert werden. Zwar ist die vorsätzliche Mittäterschaft im StGB nicht normiert. Der Gesetzgeber verzichtete auf eine entsprechende Norm, weil sie zwangsläufig entweder unvollständig oder sehr kompliziert wäre, und überliess die genaue Umschreibung Rechtsprechung und Lehre (Botschaft vom 21. September 1998 zur Änderung des Schweizerischen Strafgesetzbuches [...], BBl 1999 2012). Nicht anders verhielt es sich bis zur Inkraftsetzung von Art. 11 StGB am 1. Januar 2007 mit der Strafbarkeit des unechten Unterlassungsdelikts (a.a.O., S. 2001). Nach der Botschaft erfüllt allein der Einzeltäter alle Tatbestandserfordernisse, wohingegen der Mittäter bloss einen notwendigen Tatbeitrag leistet (a.a.O., S. 2012). Mittäterschaft kommt bei Teilnahmeformen wie der Anstiftung in Betracht, so dass infolge Zurechnung die Frage der natürlichen Kausalität der Einzelbeiträge gegenstandslos wird (Urteil 6B_1271/2015 vom 29. Juni 2016 E. 3.3.3). Die Rechtsfigur der Mittäterschaft führt damit zu einer Beweiserleichterung hinsichtlich des individuellen Nachweises von Tatbeiträgen, keineswegs aber hinsichtlich des Tatentschlusses.
Für die Begründung der vorsätzlichen Mittäterschaft ist ein gemeinsamer Beschluss im juristisch-technischen Sinne nicht erforderlich. Vorausgesetzt wird, dass das deliktische Verhalten aufgrund eines
BGE 143 IV 361 S. 372
von mehreren Personen gemeinsam getragenen Tatentschlusses verwirklicht wird, der auch bloss konkludent zum Ausdruck kommen kann (DONATSCH, a.a.O., N. 9 zu Art. 24 StGB mit Nachweisen). "La coactivité suppose une décision commune, mais qui n'est pas nécessairement expresse. [...] il faut que l'auteur s'associe à la décision dont est issu le délit" (Urteil 6B_1271/2015 vom 29. Juni 2016 E. 3.2.1).
Dieser (allenfalls auch bloss konkludent assoziiert eventualvorsätzlich zustandegekommene) gemeinsame Beschluss muss bewiesen sein. Das Sachgericht hat die in diesem Zusammenhang relevanten Tatsachen möglichst erschöpfend darzustellen (BGE 133 IV 9 E. 4.1 S. 17; zur Abgrenzung des Eventualvorsatzes zur bewussten Fahrlässigkeit bereits BGE 125 IV 242 E. 3c; BGE 119 IV 242 E. 2c). Während die vorsätzliche Mittäterschaft wissentlich und willentlich die gemeinsame Begehung einer Straftat bezweckt, die folglich nur vorsätzlich begangen werden kann, verhalten sich Fahrlässigkeitstäter bewusst oder unbewusst sorgfaltswidrig; sie nehmen einen strafrechtlichen Erfolg definitionsgemäss nicht in Kauf (Art. 12 Abs. 2 Satz 2 StGB). Der Erfolg ist bloss ein nicht gewolltes Resultat ihrer Unsorgfalt. Auf die Frage, ob und inwiefern sie sich auch "gemeinsam" sorgfaltswidrig verhalten könnten, ist nicht einzugehen. Denn klar ist, dass die Komponenten eines sorgfaltswidrigen gemeinsamen Unternehmens (projet commun de comportement) in subjektiver Hinsicht in jeder Eventualität erst nachgewiesen sein müssten.
Das Gesetz sieht einzig in gewissen Konstellationen von einem solchen Nachweis ab. So lässt sich bei tätlichen Auseinandersetzungen mehrerer Personen oft nicht nachweisen, wer die Körperverletzung einer Person verursacht hat. Gemäss dem abstrakten Gefährdungstatbestand von Art. 133 StGB ist in solchen Situationen bereits die Beteiligung strafbar. Der Verletzungserfolg ist objektive Strafbarkeitsbedingung (BGE 141 IV 454 E. 2.3.2 S. 457 f.; zur blossen Verteidigung vgl. Urteil 6B_1348/2016 vom 27. Januar 2017 E. 1.1.2). Ferner wird das Verbrechen oder Vergehen gemäss Art. 102 Abs. 1 StGB dem Unternehmen gesetzlich zugerechnet, wenn die Tat wegen mangelhafter Organisation des Unternehmens keiner natürlichen Person zugerechnet werden kann (BGE 142 IV 333). Eine spezifische Regelung findet sich auch zur Strafbarkeit der Medien in Art. 28 StGB.

4.11 Wegen des nur mangelhaft durchgeführten Beweisverfahrens lässt sich nicht mehr eruieren (Erstinstanz) bzw. ist nicht mehr zu
BGE 143 IV 361 S. 373
ermitteln (Vorinstanz), welcher der beiden Beschwerdeführer die brandauslösende Rakete gezündet hatte. Insbesonders ist auch deren individuell-konkretes Vorgehen und der diesbezüglich rechtserhebliche subjektive Sachverhalt nicht mehr zu eruieren. Weil dies zu einem prozessualen Leerlauf führen würde, ist davon abzusehen, die Sache im Sinne von Art. 112 Abs. 1 lit. b BGG zurückzuweisen (vgl. Urteile 6B_996/2016 vom 11. April 2017 E. 3.6 und 6B_1168/2016 vom 17. März 2017 E. 3.5.3 mit Hinweisen). (...)

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Etat de fait

Considérants 4

références

ATF: 113 IV 58, 126 IV 84, 125 IV 134, 113 IV 59 suite...

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