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Chapeau

148 II 273


20. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. A. gegen Staatssekretariat für Migration (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
1C_117/2021 vom 1. März 2022

Regeste

Art. 13 al. 1 LAr; art. 18 al. 3 et 4 OLAr; consultation des archives avant l'échéance du délai de protection à des fins de recherche; personne appartenant à l'histoire contemporaine; pesée d'intérêts.
Jurisprudence du Tribunal fédéral sur les notions de personne appartenant à l'histoire contemporaine au sens absolu et relatif, ainsi que de personnalité "relativement connue", et application de ces notions en droit des archives (consid. 5.1 et 5.5).
Absence d'une pesée globale des intérêts par l'instance précédente. L'étude critique de l'histoire doit être considérée comme un intérêt important à la consultation, qui se trouve encore renforcé par l'invocation légitime de la liberté de la science (consid. 6.5.2). Les intérêts privés au maintien du secret doivent en revanche être évalués de manière différenciée: une personnalité "relativement connue", qui a en outre déjà porté à la connaissance du public de nombreuses informations contenues dans le dossier d'archive, doit se voir reconnaître un droit plus restreint au respect de sa sphère privée (consid. 6.5.3). Le problème de l'atteinte aux droits de la personnalité se pose avant tout en cas de publication: le principe de la proportionnalité impose, le cas échéant, d'assortir la consultation de conditions concernant la publication (consid. 6.5.5).

Faits à partir de page 274

BGE 148 II 273 S. 274

A.

A.a A. schreibt eine Doktorarbeit bei Prof. Dr. B. an der Universität Freiburg über die Asylbewegung und -politik in der Schweiz während der 1980er- und 1990er-Jahre. In diesem Rahmen befasst er sich insbesondere mit dem aus dem damaligen Zaïre (heute die Demokratische Republik Kongo) stammenden Asylbewerber D.C. Die Ereignisse rund um den Asylantrag von D.C., sein Untertauchen, seine Festnahme sowie seine Ausschaffung prägten die Schweizer Asylpolitik der 1980er- und 1990er-Jahren.

A.b Mit Schreiben vom 19. März 2018 reichte A. beim Schweizerischen Bundesarchiv (BAR) ein Gesuch um Einsichtnahme in Akten verschiedener Bundesbehörden ein. Soweit das Gesuch die Akten N 126 971 (E.C., geb. 1952; F.C., geb. 1940 [nachfolgend: D.C.];
BGE 148 II 273 S. 275
E., geb. 1967; H.C., geb. 1985; G.C., geb. 1986) betraf, unterbreitete das BAR das Gesuch am 27. März 2018 dem dafür zuständigen Staatssekretariat für Migration (SEM) zur Prüfung. Das SEM teilte dem BAR am 26. April 2018 und 23. Mai 2018 mit, das Gesuch sei abzuweisen. Daraufhin informierte das BAR A. mit E-Mail vom 28. Mai 2018 entsprechend darüber.

A.c Mit weiteren Eingaben per E-Mail und Schreiben vom 23. Juli 2018 gelangte A. erneut an das BAR und ersuchte um Wiedererwägung des ablehnenden Entscheids, eventualiter um Erlass einer beschwerdefähigen Verfügung gemäss Art. 22 der Verordnung vom 8. September 1999 zum Bundesgesetz über die Archivierung (VBGA; SR 152.11). Mit E-Mail vom 27. Juli 2018 reichte er zudem ein Schreiben seines Doktorvaters, Prof. Dr. B., ein, in welchem dieser die grosse Bedeutung der nachgesuchten Akten für die Doktorarbeit von A. bestätigt. Das BAR gab ihm daraufhin Gelegenheit, mehrere offene Fragen zu beantworten und Unterlagen beizubringen, namentlich Einwilligungserklärungen und Identitätspapiere von D.C. und dessen im Dossier erwähnten Familienmitglieder.

A.d Am 24. Oktober 2018 übermittelte das BAR dem SEM ein Schreiben von A. vom 22. Oktober 2018, in welchem dieser auf die Schwierigkeiten bei der Beschaffung der Einwilligungserklärung von D.C. hinwies und darum ersuchte, von der Beibringung von Einwilligungspapieren der übrigen Familienmitglieder sowie von Kopien rechtsgenüglicher Identitätspapiere sämtlicher Familienmitglieder abzusehen.

A.e Mit Verfügung vom 16. November 2018 gewährte das SEM Einsicht in die im Dossier N 126 971 abgelegten Zeitungsartikel; das Gesuch um Einsicht in die übrigen Akten des Dossiers wies es ab.

B. Gegen diese Verfügung erhob A. am 7. Januar 2019 Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht, welches die Beschwerde mit Urteil vom 21. Januar 2021 abwies.

C. Dagegen erhebt A. Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beim Bundesgericht. Er beantragt, das angefochtene Urteil sei aufzuheben und ihm sei Einsicht in das archivierte Dossier N 126 971 zu gewähren. Eventualiter sei die Einsichtnahme in das erwähnte Dossier mit Auflagen zu versehen. Subeventualiter sei die Angelegenheit an die Vorinstanz zur Neubeurteilung zurückzuweisen.
(...)
BGE 148 II 273 S. 276
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut und weist die Sache zur Neubeurteilung im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurück.
(Auszug)

Considérants

Aus den Erwägungen:

5. (...)

5.1 Gemäss Art. 13 Abs. 1 des Bundesgesetzes vom 26. Juni 1998 über die Archivierung (Archivierungsgesetz, BGA; SR 152.1) und Art. 18 Abs. 3 VBGA können die abliefernden Stellen auf Antrag des Bundesarchivs Archivgut bereits vor Ablauf der in Artikel 9, 11 und 12 Abs. 1 festgelegten Schutzfristen für die Öffentlichkeit freigeben oder einzelnen Personen die Einsichtnahme gewähren, wenn (a) keine gesetzlichen Vorschriften entgegenstehen; und (b) keine überwiegenden schutzwürdigen öffentlichen oder privaten Interessen entgegenstehen. Bei Personen der Zeitgeschichte können hinsichtlich ihrer Tätigkeit in der Öffentlichkeit keine überwiegenden privaten Interessen entgegengestellt werden (Art. 18 Abs. 4 VBGA).

5.2 Das Bundesgericht hat den Begriff der "Person der Zeitgeschichte" mehrmals im Zusammenhang mit dem Persönlichkeitsrecht des ZGB bzw. mit Persönlichkeitsverletzungen verwendet. Dabei unterschied es zwischen absoluten und relativen Personen der Zeitgeschichte. Absolute Personen der Zeitgeschichte sind nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung solche, die kraft ihrer Stellung, ihrer Funktion oder ihrer Leistung derart in das Blickfeld der Öffentlichkeit getreten sind, dass ein legitimes Informationsinteresse an ihrer Person und ihrer gesamten Teilnahme am öffentlichen Leben zu bejahen ist, was etwa für bekannte Personen aus den Bereichen Politik, Verwaltung, Sport, Wissenschaft und Kunst zutrifft (BGE 147 III 185 E. 4.3.3; BGE 127 III 481 E. 2c/aa). Merkmal der relativen Person der Zeitgeschichte ist es demgegenüber, dass ein zur Berichterstattung legitimierendes Informationsbedürfnis nur vorübergehend, aufgrund und in Zusammenhang mit einem bestimmten aussergewöhnlichen Ereignis besteht. Über daran beteiligte Personen darf ohne deren Einwilligung nur im Zusammenhang mit dem betreffenden Ereignis resp. Anlass berichtet werden (BGE 147 III 185 E. 4.3.3; BGE 127 III 481 E. 2c/aa). Gemäss derselben Rechtsprechung vermag die strikte Zweiteilung in absolute und relative Personen der Zeitgeschichte jedoch nicht die gesamte Wirklichkeit sachgerecht zu erfassen. Den verschiedenen Abstufungen ist deshalb mit einer die
BGE 148 II 273 S. 277
Umstände des Einzelfalles würdigenden Abwägung gerecht zu werden, indem jeweils zu fragen ist, ob an der Berichterstattung über die betroffene, relativ prominente Person ein schutzwürdiges Informationsinteresse besteht, das deren Anspruch auf Privatsphäre überwiegt (BGE 147 III 185 E. 4.3.3; BGE 127 III 481 E. 2c/bb).
(...)

5.5

5.5.1 Was die Qualifikation der Familienmitglieder von D.C. als Personen der Zeitgeschichte betrifft, kann vorab auf die diesbezüglichen und überzeugenden Ausführungen der Vorinstanz verwiesen werden. Im Gegensatz zu D.C. selbst waren diese nie als Einzelpersonen im Fokus der Medien oder der Öffentlichkeit; blosse Hinweise auf sie in den Medienberichten wie auch in der Autobiographie von D.C. reichen nicht aus, um sie als absolute oder relative Personen der Zeitgeschichte zu qualifizieren. Im Übrigen substanziiert auch der Beschwerdeführer seine gegenteilige Auffassung kaum, indem er lediglich geltend macht, die Ausführungen betreffend D.C. träfen auch auf dessen Familienmitglieder zu.

5.5.2 Mit Bezug auf D.C. gestaltet sich die Ausgangslage etwas schwieriger. Auch hier ist jedoch der Vorinstanz darin zuzustimmen, dass es sich bei D.C. weder um eine absolute noch um eine relative Person der Zeitgeschichte gemäss der bundesgerichtlichen Rechtsprechung zu diesen Begriffen handelt (vgl. oben E. 5.2). In der Tat ist D.C. zwar relativ bekannt in der Öffentlichkeit, jedoch zu wenig, um als eine absolute Person der Zeitgeschichte zu gelten. Für die Qualifikation als relative Person der Zeitgeschichte fehlt, wie die Vorinstanz zu Recht ausgeführt hat, das diesbezüglich geforderte konkrete Ereignis.

5.5.3 Das Bundesgericht hat jedoch in mehreren Urteilen auf die Unzulänglichkeiten einer Zweiteilung der bekannten Personen in absolute und relative Personen der Zeitgeschichte hingewiesen (BGE 147 III 185 E. 4.3.3; BGE 127 III 481 E. 2c/bb; Urteile 5A_658/2014 vom 6. Mai 2015 E. 5.6; 5C.31/2002 vom 15. Mai 2002 E. 3b/cc). Es gibt demnach Personen, die zwar weder absolute noch relative Personen der Zeitgeschichte, aber trotzdem "relativ bekannte" Persönlichkeiten (BGE 127 III 481 E. 2c/bb) sind. Bei ihnen ist laut Bundesgericht eine den Umständen des Einzelfalls würdigende Abwägung zwischen dem Interesse an der Berichterstattung über sie und ihrem Anspruch auf Privatsphäre vorzunehmen (BGE 147 III 185 E. 4.3.3;
BGE 148 II 273 S. 278
BGE 127 III 481 E. 2c/bb). Da das Interesse an der Berichterstattung über "relativ bekannte Persönlichkeiten" höher liegt als bei einer Durchschnittsperson, müssen sie also gegebenenfalls einen grösseren Eingriff in ihre Privatsphäre dulden. Bei dieser Interessenabwägung ist unter anderem zu berücksichtigen, inwiefern die betroffenen Personen selbst die öffentliche (Medien-)Aufmerksamkeit gesucht haben (vgl. den Fall eines Zürcher Partyveranstalters, Urteil 5A_658/2014 vom 6. Mai 2015 E. 5.6 f., der eine Art Symbiose mit den Medien und der Öffentlichkeit pflegte).

5.5.4 Die Zugehörigkeit von Personen zur Gruppe der "relativ bekannten Persönlichkeit" ist archivrechtlich von Bedeutung. Während Personen der Zeitgeschichte überhaupt keine "überwiegenden Interessen" geltend machen können (Art. 18 Abs. 4 BGA), ist dies bei "relativ bekannten Persönlichkeiten" möglich, jedoch bloss in einem - verglichen mit der Durchschnittsperson - reduzierten Ausmass. Dies läuft auf die Vornahme einer Interessenabwägung hinaus, wie dies die Art. 13 Abs. 1 lit. b BGA bzw. Art. 18 Abs. 3 lit. b VBGA im Archivrecht vorsehen. Hervorzuheben ist noch, dass es vorliegend um ein Einsichtsgesuch geht und nicht um die Zulässigkeit einer öffentlichen Berichterstattung über eine Person. Wie weiter unten noch näher auszuführen sein wird (vgl. unten E. 6.5), ist dieser Umstand - entgegen der Auffassung der Vorinstanz - ein Argument, das für und nicht gegen die Einsichtsgewährung spricht, zumal immer noch die Möglichkeit besteht, die Einsicht mit Auflagen betreffend die Veröffentlichung der Informationen zu versehen.

5.5.5 Insgesamt kann also bezüglich des vorliegenden Falls festgehalten werden, dass die Vorinstanz kein Bundesrecht verletzt hat, indem sie D.C. aufgrund der diesbezüglichen bundesgerichtlichen Rechtsprechung nicht als Person der Zeitgeschichte gemäss Art. 18 Abs. 4 VBGA qualifiziert hat. Die privaten Interessen der "relativ bekannten Persönlichkeit" D.C. wiegen jedoch in der Interessenabwägung gegebenenfalls weniger schwer als jene einer Durchschnittsperson.

6. Der Beschwerdeführer macht in zweierlei Hinsicht eine Verletzung von Art. 13 Abs. 1 lit. b BGA bzw. Art. 18 Abs. 3 lit. b VBGA geltend.

6.1 Zunächst seien entgegen den Ausführungen der Vorinstanz im vorliegenden Fall keine entgegenstehenden privaten Interessen auszumachen. Die Annahme der Vorinstanz, wonach sich im Archivgut
BGE 148 II 273 S. 279
sensible Informationen befänden, sei höchstwahrscheinlich unzutreffend, da ausserordentlich viele Tatsachen aus dem Asylverfahren bereits öffentlich zugänglich seien, insbesondere durch die Publikation der erwähnten Autobiographie von D.C. im Jahr 1988. Dort seien mehrere Dokumente abgedruckt, die sensible Informationen enthielten: der umstrittene negative Asylentscheid vom 25. Oktober 1985; das detailliert begründete Asylgesuch der Familie C. vom 16. Juli 1985; ein Brief des Schweizer Botschafters in Kinshasa vom 30. September 1987, in dem dieser über scheinbar politisch begründete Todesfälle in der Verwandtschaft rapportierte; die Rekursschrift vom 27. November 1985 gegen den Entscheid vom 25. Oktober 1985; wesentliche Protokollauszüge seiner Asylanhörung sowie jener seiner Frau E.C., die ausführlich besprochen und kommentiert würden. Die Autobiographie enthalte ausserdem persönliche Korrespondenz und somit sensible Informationen über die Schwierigkeiten im Zusammenhang mit seiner akademischen Laufbahn sowie mit dem Gesundheitszustand und der medizinischen Behandlung seiner Kinder. Schliesslich befänden sich auch im Bericht vom 13. März 1989 der Geschäftsprüfungskommission an den Nationalrat betreffend Aufsichtseingaben H. und C. (BBl 1989 II 545 ff.) Informationen über das Asylverfahren von D.C. (z.B. auf den Seiten 545, 549 und 580). Durch diese Publikationen würde sich ein sehr dichtes Bild der Asylgründe, der Lebensverhältnisse sowie der Exilopposition der Familie C. ergeben, insbesondere durch die Autobiographie, die D.C. bewusst veröffentlicht habe. Es bestünden somit keine Anhaltspunkte dafür, dass die Asylakten tatsächlich noch "sensible Informationen" enthalten würden, die nicht bereits publik seien und dem Geheim- und Privatbereich zugeordnet werden müssten. Im Übrigen habe die Vorinstanz ihre Begründungspflicht verletzt, indem sie anerkannt habe, die Autobiographie enthalte sensible Informationen, dies jedoch bei ihrer Interessenabwägung nicht berücksichtigt habe.

6.2 Der Beschwerdeführer zeigt in überzeugender Weise auf, dass mutmasslich viele der in den archivierten Akten enthaltenen Informationen, insbesondere jene über das Asylverfahren und jene, über die D.C. Bescheid wusste, bereits öffentlich zugänglich sind. Ein Grossteil dieser zwar als sensibel zu qualifizierenden Informationen hat die betroffene Person, D.C., zudem selbst aktiv an die Öffentlichkeit gebracht, unter anderem um eine öffentliche Diskussion über sein Asylverfahren anzuregen. Dieses Verhalten zeugt davon,
BGE 148 II 273 S. 280
dass dieser seine Geheim- und Privatsphäre, zumindest was sein Asylverfahren betrifft, nicht geheim halten wollte, im Gegenteil. Dies wird dadurch bestätigt, dass der Beschwerdeführer eine Einwilligungserklärung von D.C. erhältlich gemacht hat, die zwar nicht als formeller Beweis gewertet werden kann, doch zumindest ein Indiz dafür ist, dass dieser weiterhin an einer öffentlichen Diskussion und einer Berichterstattung über seinen Fall interessiert war. Schliesslich ist D.C., wie oben ausgeführt (vgl. E. 5.5), eine "relativ bekannte Persönlichkeit", die sich in reduzierterem Masse als die Durchschnittsperson auf ihre Geheim- und Privatsphäre berufen kann.
Aus all diesen Elementen kann jedoch noch nicht gefolgert werden, dass - wie der Beschwerdeführer behauptet - gar keine entgegenstehenden privaten Interessen auszumachen sind. Vielmehr haben diese in die Interessenabwägung einzufliessen.

6.3 Diesbezüglich macht der Beschwerdeführer eine Verletzung von Art. 13 Abs. 1 lit. b BGA bzw. Art. 18 Abs. 3 lit. b VBGA geltend. Er ist der Auffassung, die Vorinstanz habe die Interessenabwägung zwischen einer Einsichtnahme einerseits und dem Schutz der persönlichen Integrität andererseits fehlerhaft vorgenommen. Zunächst habe die Vorinstanz auf die "volatile" Situation im Heimatstaat der Familie C. verwiesen, ohne sich näher mit dem Widerspruch auseinanderzusetzen, dass die seinerzeit herrschenden politischen Verhältnisse nicht ausreichend volatil gewesen seien, um das Asylgesuch der Familie C. gutzuheissen. Weiter habe die Vorinstanz eine von der Rechtsprechung vorgeschriebene Prüfung der tatsächlichen und konkreten Schutzbedürfnisse unterlassen. Das öffentliche Interesse an der Aufarbeitung der Geschichte spiele bei der Anwendung des Archivgesetzes trotz fehlendem Wissenschaftsprivileg und gemäss Botschaft des Bundesrates eine grosse Rolle. Vorliegend müsse berücksichtigt werden, dass es sich um Akten über Vorgänge handle, die historisch extrem kontrovers gewesen seien und denen deshalb für die öffentliche Diskussion der Gegenwart prinzipiell grosse Bedeutung zukomme.

6.4 Die vom BGA vorgesehene Einsicht vor Ablauf der Schutzfrist ist nicht von einem speziellen Interessennachweis oder von speziellen Qualifikationen abhängig; es wurde bewusst auf das problematische und letztlich nicht überprüfbare sog. Wissenschaftsprivileg verzichtet. Im Sinne der Informationsfreiheit kommt damit zum Ausdruck, dass die Einsicht - vorbehältlich der entgegenstehenden
BGE 148 II 273 S. 281
Interessen - grundsätzlich allen frei gewährt werden soll (BGE 127 I 145 E. 4c/bb; Botschaft vom 26. Februar 1997 über das Bundesgesetz über die Archivierung [nachfolgend: Botschaft zum Archivierungsgesetz], BBl 1997 II 941 ff., 962).
Gemäss der Botschaft zum Archivierungsgesetz ist es zwar unbestritten, dass Personendaten einen besonderen Schutz beanspruchen. Dem Schutzbedürfnis der Betroffenen stehe jedoch immer ein legitimes - und häufig überwiegendes - Bedürfnis der Öffentlichkeit an der Aufarbeitung der kollektiven Vergangenheit gegenüber. Solche historischen Diskussionen sollen und können gemäss Botschaft nicht durch eine Behinderung des Zugangs zu Quellen unterbunden werden. Forschung solle nicht immer durch den Hinweis auf potentielle Gefahren unterbunden werden. Die Schutzbedürfnisse der Betroffenen sollen deshalb nicht a priori zur Sperrung des Archivguts vor einer Einsichtnahme führen, sondern in erster Linie dort geltend gemacht werden können, wo das Problem wirklich liegt, nämlich bei der Veröffentlichung des Archivguts (Botschaft zum Archivierungsgesetz, a.a.O., BBl 1997 II 959 f.). So hat das Bundesgericht in BGE 127 I 145 festgehalten, dass sowohl die Einsicht nach Ablauf der Schutzfrist als auch die vorgängige Einsicht keine freie Verfügbarkeit über die gewonnenen Daten zu Lasten der betroffenen Personen bedeuteten. Die Einsicht nehmende Person dürfe die dem Archiv entnommenen Informationen nicht durch Bekanntmachung, Aufmachung oder Publikation in einer Art verwenden, welche die betroffene Person in ihrer Persönlichkeit verletzen würde. Dem Archivbenutzer bzw. der Archivbenutzerin komme Verantwortung für den Persönlichkeitsschutz zu (BGE 127 I 145 E. 4c/bb).
Das Bundesgericht hielt in BGE 127 I 145 überdies fest, bei der Anwendung des Archivierungsrechts könne im Einzelfall über den Schutz betroffener Interessen durch die Grundordnung hinaus nach den tatsächlichen und konkreten Schutzbedürfnissen gefragt werden (BGE 127 I 145 E. 4c/bb).

6.5 Vor diesem Hintergrund macht der Beschwerdeführer zu Recht geltend, die Vorinstanz habe keine umfassende Interessenabwägung vorgenommen.

6.5.1 Zunächst ist festzuhalten, dass von keiner Seite behauptet wird, vorliegend würden gesetzliche Vorschriften (Art. 13 Abs. 1 lit. a BGA; Art. 18 Abs. 3 lit. a VBGA) oder schutzwürdige öffentliche Interessen (Art. 13 Abs. 1 lit. b BGA; Art. 13 Abs. 3 lit. b VBGA)
BGE 148 II 273 S. 282
einer Einsichtnahme entgegenstehen; dies ist im Übrigen auch nicht ersichtlich.

6.5.2 Sodann scheint die Vorinstanz im Umstand, dass das Archivierungsgesetz kein Wissenschaftsprivileg enthält, eine Bestätigung darin zu erblicken, dass dem Beschwerdeführer keine Einsicht in die nachgesuchte Akte zu gewähren sei. Auf das Wissenschaftsprivileg wurde jedoch gemäss Botschaft und bundesgerichtlicher Rechtsprechung lediglich aus Gründen der problematischen Grenzziehung zwischen wissenschaftlicher und nicht-wissenschaftlicher Auswertung verzichtet. Daraus folgt also vielmehr, wie bereits erwähnt, dass die Einsicht im Sinne der Informationsfreiheit - vorbehältlich der entgegenstehenden Interessen - grundsätzlich allen frei gewährt werden soll. Das vom Beschwerdeführer geltend gemachte Interesse an der Aufarbeitung der Geschichte hat somit - entgegen der vorinstanzlichen Argumentation - vielmehr als gewichtiges Interesse in die Interessenabwägung einzufliessen. Dabei ist auch zu beachten, dass sein Einsichtsinteresse durch die legitime Anrufung der Wissenschaftsfreiheit (Art. 20 BV) zusätzlich verstärkt wird (vgl. nicht publ. E. 7; KLEY/ZIHLER, Historiker vor Gericht: Geschichtswissenschaftliches Arbeiten im Rahmen der Kommunikationsgrundrechte, Medialex 2003 S. 86).

6.5.3 Weiter hat sich die Vorinstanz zu den der Einsicht entgegenstehenden privaten Interessen zu wenig differenziert geäussert. Es mag zwar zutreffen, dass das Asyldossier zum Geheim- bzw. Privatbereich der betroffenen Personen gehört und die Veröffentlichung einiger Informationen der Archivakte heikel sein könnte. Bei der Ermittlung der privaten Interessen an der Geheimhaltung der betroffenen Personen hätte die Vorinstanz aber insbesondere auch die Eigenschaft der "relativ bekannte Persönlichkeit" von D.C. in Betracht ziehen müssen (vgl. oben E. 5.5), weshalb ihm ein weniger weit reichender Anspruch auf Privatsphäre zukommt. Weiter hätte sie berücksichtigen müssen, dass D.C. viele der Informationen über sein Asyldossier und sein Leben insgesamt - und somit Informationen aus seinem Geheim- bzw. Privatbereich - selbst an die Öffentlichkeit getragen hat. Aus diesem Verhalten ist ein Interesse an einer möglichst grossen Publizität seines Asylverfahrens und überhaupt seiner Lebensumstände abzuleiten. Die Vorinstanz hätte zudem auch beachten müssen, dass durch die aktive Veröffentlichung von Informationen über sein Leben durch D.C. selbst sowie den Bericht der Geschäftsprüfungskommission an den Nationalrat viele Details aus
BGE 148 II 273 S. 283
seinem Privat- und Geheimbereich bereits öffentlich zugänglich sind (vgl. oben E. 6.2). Schliesslich wäre zu fragen gewesen, inwiefern allfällige private Geheimhaltungsinteressen mehrere Jahrzehnte nach Abschluss des Asylverfahrens und nach der Ausreise D.C.s aus der Schweiz noch fortbestehen.

6.5.4 Überdies hat die Vorinstanz die "volatile" Situation im Heimatstaat der Familie C. als Argument gegen eine Einsichtsgewährung aufgeführt. Allerdings hat sie es unterlassen, diese Umschreibung der Lage in der Demokratischen Republik Kongo näher zu erklären. Sie hat nicht dargelegt, inwiefern diese "Volatilität" einer Einsichtnahme des Beschwerdeführers in das Archivgut entgegenstehen könnte. Eine blosse Vermutung in diese Richtung kann jedenfalls nicht ausreichen, um die Einsicht in das Archivgut zu verweigern, zumal sich aus einer "volatilen" Situation in einem bestimmten Land nicht in allgemeiner Weise folgern lässt, es bestehe ein Interesse - oder gar ein erhebliches Interesse - einer Privatperson, Gegebenheiten geheim zu halten, die sich vor mehreren Jahrzehnten in der Schweiz abgespielt haben.

6.5.5 Schliesslich hat die Vorinstanz in ihrer Interessenabwägung ausser Acht gelassen, dass das Problem der Persönlichkeitsverletzung vor allem bei der Veröffentlichung des Archivguts liegt, und kaum bei der Einsichtnahme durch einen Wissenschaftler oder eine Wissenschaftlerin zu Forschungszwecken. Aus der Botschaft zum Archivierungsgesetz ergibt sich klar, dass - wo möglich - die Einsicht gewährt werden muss, wobei bei der Veröffentlichung des Archivguts aufgrund des Schutzes der Privatsphäre allenfalls Auflagen gemacht werden können (vgl. oben E. 6.4). Dieser Ansatz ergibt sich ebenfalls aus dem allgemeinen Verhältnismässigkeitsprinzip, das der Beschwerdeführer im Übrigen auch anruft. Ausserdem ist der privat- und strafrechtliche Persönlichkeitsschutz auch durch Forschende zu respektieren, denen Einsicht in Archive gewährt wird. Vorliegend ist überdies noch zu beachten, dass der Beschwerdeführer im Rahmen seiner Doktorarbeit anscheinend insbesondere an der Handhabung der Affäre C. durch die staatlichen Behörden bzw. an deren Bedeutung für die schweizerische Asylpolitik und weniger an den Details des Privatlebens der Familie C. interessiert ist. Auch dieses Element hat in die Interessenabwägung als Argument für eine Einsichtnahme miteinzufliessen.

6.6 Zusammenfassend ergibt sich, dass die Vorinstanz die Interessenabwägung fehlerhaft vorgenommen und somit Bundesrecht verletzt
BGE 148 II 273 S. 284
hat. Damit ist die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten gutzuheissen. Die Sache ist an die Vorinstanz zur erneuten Vornahme der Interessenabwägung unter Berücksichtigung der obenstehenden Ausführungen zurückzuweisen.
Hierbei wird die Vorinstanz insbesondere abklären müssen, ob und inwiefern eine Einsicht in bzw. eine Veröffentlichung gewisser archivierter Informationen über das Asylverfahren der Familie C. die dort lebenden Familienmitglieder von D.C. gefährden könnten. Dabei ist zu beachten, dass eine allfällige Veröffentlichung heikler Informationen in der Schweiz und im Rahmen einer durch einen Universitätsprofessor betreuten Doktorarbeit geschieht: Eine nach anerkannten Forschungsregeln durchgeführte Dissertation sollte Gewähr dafür bieten, dass Informationen nicht aus ihrem Kontext gerissen und einseitig manipuliert werden.
Neben den unter E. 6.5 aufgelisteten Elementen hat die Vorinstanz bei der Interessenabwägung auch zu berücksichtigen, dass das Recht auf Schutz des Geheim- und Privatbereichs der Familienangehörigen von D.C. gegebenenfalls höher zu gewichten ist als jenes von D.C. selbst, insbesondere soweit deren Intim- bzw. Privatleben auch heute noch in relevanter Weise betroffen sein sollte.
Schliesslich hat die Vorinstanz unter Berücksichtigung des Verhältnismässigkeitsprinzips in Erwägung zu ziehen, die Einsicht bzw. Veröffentlichung unter Auflagen zu gewähren.
Um die Interessenabwägung in Kenntnis der Sachlage durchzuführen, steht es der Vorinstanz frei, bei Bedarf das umstrittene Dossier zu sichten oder allenfalls das SEM damit zu beauftragen.

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Etat de fait

Considérants 5 6

références

ATF: 127 III 481, 147 III 185, 127 I 145

Article: Art. 13 Abs. 1 lit. b BGA, Art. 18 Abs. 3 lit. b VBGA, Art. 18 Abs. 4 VBGA, Art. 13 al. 1 LAr suite...