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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
5A_439/2022  
 
 
Urteil vom 31. August 2022  
 
II. zivilrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Herrmann, Präsident, 
Bundesrichter Marazzi, von Werdt, Schöbi, Bovey, 
Gerichtsschreiber Möckli. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Fürsprecher Dr. Urs Fasel, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen  
 
B.________, 
Beschwerdegegner. 
 
Gegenstand 
Regelung des persönlichen Verkehrs, 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts des Kantons Bern, Kindes- und Erwachsenenschutzgericht, vom 19. Mai 2022 (KES 21 951, KES 21 952, KES 22 4). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Die Parteien sind die nicht verheirateten Eltern einer am xx.xx.2017 geborenen Tochter. Der Vater hält sich seit dem Jahr 2015 illegal in der Schweiz auf. Mit Entscheid vom 5. November 2021 verfügte die Sicherheitsdirektion des Kantons Bern dessen Ausweisung, welche zwischenzeitlich rechtskräftig ist (vgl. Urteil 2C_238/2022 vom 21. März 2022). 
Bereits mit Entscheid vom 15. Juni 2020 hatte die KESB Emmental für den Wiederaufbau der Kontakte zwischen Vater und Tochter sechs monatlich stattfindende begleitete Besuche von je drei Stunden im begleiteten U.________ und mit Entscheiden vom 6. Mai 2021 die Fortführung dieser begleiteten Treffen angeordnet. 
 
B.  
Nach Eingang des in Auftrag gegebenen Zwischenberichtes der Erziehungsaufsicht ordnete die KESB Emmental mit Entscheid vom 8. November 2021 sechs weitere monatlich stattfindende Besuche von drei Stunden im U.________ an. 
Aufgrund des zwischenzeitlich ergangenen ausländerrechtlichen Ausweisungsentscheides wandte sich die Mutter am 22. November 2021 mit einem gegen den Entscheid vom 8. November 2021 gerichteten Wiedererwägungsgesuch an die KESB und forderte die Sistierung des Besuchsrechts. 
Sodann reichte sie am 8. Dezember 2021 gegen den KESB-Entscheid auch eine Beschwerde beim Obergericht des Kantons Bern ein, mit welcher sie nebst dessen Aufhebung ebenfalls eine Sistierung des Besuchsrechts forderte, wobei sie nachträglich auch eine Rechtsverweigerung monierte, weil die KESB das Wiedererwägungsgesuch nicht an die Hand nehme. 
Mit Entscheid vom 19. Mai 2022 trat das Obergericht auf die Rechtsverweigerungsbeschwerde nicht ein und wies die gegen den KESB-Entscheid gerichtete Beschwerde sowie das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege ab. 
 
C.  
Dagegen hat die Mutter am 8. Juni 2022 eine Beschwerde in Zivilsachen eingereicht mit den Begehren um dessen Aufhebung und Sistierung des Besuchsrechts des Vaters, eventualiter um Rückweisung der Sache an das Obergericht, und um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege im kantonalen Beschwerdeverfahren. Ferner stellt ihr Rechtsvertreter im Namen des Kindes für das bundesgerichtliche Beschwerdeverfahren ein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Der von der Vorinstanz festgestellte Sachverhalt ist für das Bundesgericht grundsätzlich verbindlich (Art. 105 Abs. 1 BGG). Diesbezüglich kann nur eine willkürliche Sachverhaltsfeststellung gerügt werden, für welche das strenge Rügeprinzip gilt (Art. 97 Abs. 1 und Art. 106 Abs. 2 BGG), was bedeutet, dass das Bundesgericht nur klar und detailliert erhobene und belegte Rügen prüft, während es auf ungenügend substanziierte Rügen und rein appellatorische Kritik am Sachverhalt nicht eintritt (BGE 140 III 264 E. 2.3; 141 IV 249 E. 1.3.1). 
In rechtlicher Hinsicht hat die Beschwerde eine Begründung zu enthalten, in welcher in gedrängter Form dargelegt wird, inwiefern der angefochtene Entscheid Recht verletzt (Art. 42 Abs. 2 BGG), was eine sachbezogene Auseinandersetzung mit dessen Begründung erfordert (BGE 140 III 115 E. 2; 142 III 364 E. 2.4). 
 
2.  
Ausgangspunkt des vorliegenden Verfahrens bildet die Entscheidung der KESB Emmental vom 8. November 2021, mit welcher sechs weitere monatlich stattfindende begleitete Besuche angeordnet wurden. Da seither mehr als ein halbes Jahr vergangen ist, dürfte die Beschwerdeführerin - mit Ausnahme der Beurteilung des Anspruches auf unentgeltliche Rechtspflege - kein rechtlich geschütztes Interesse mehr an einem Entscheid haben, welches Voraussetzung für die materielle Beschwerdebeurteilung ist (Art. 76 Abs. 1 lit. b BGG). Zu bedenken ist allerdings, dass vorinstanzlich auch eine angebliche Rechtsverweigerung durch die KESB thematisiert war. Die Frage des Rechtsschutzinteresses muss insofern nicht abschliessend beurteilt werden, als die Beschwerdebegründung ohnehin weitestgehend an der Sache vorbeigeht und im Übrigen der Begründungspflicht von Art. 42 Abs. 2 BGG nicht genügt, so dass auf die Beschwerde auch vor diesem Hintergrund nicht einzutreten ist (dazu E. 4). 
 
 
3.  
Das Obergericht hat in tatsächlicher Hinsicht auf den Bericht der Erziehungsaufsicht verwiesen, wonach der bisherige Verlauf des Kontaktaufbaus gut verlaufen und als für die persönliche Entwicklung des Kindes positiv zu werten sei; es freue sich auf die Besuche mit seinem Vater und die Sprachbarriere scheine den Kontaktaufbau bisher nicht beeinträchtigt zu haben, wobei es für die Zukunft zentral sei, dass der Vater sich mit ihm auf Deutsch verständigen könnte. 
In rechtlicher Hinsicht hat das Obergericht erwogen, dass dem Vater nach Art. 273 ZGB ein Besuchsrecht zustehe, selbst wenn er im Ausland wohnen würde, und dieses nur unter den Bedingungen von Art. 274 Abs. 2 ZGB im Sinn einer ultimo ratio verweigert werden dürfte. Mithin sei der Aufenthaltsstatus des Vaters für die Ausgestaltung des Besuchsrechts nicht massgeblich, umso weniger als er nicht seine Aufenthaltsbewilligung verloren, sondern von Anfang an nie eine solche für die Schweiz besessen habe. Auch wenn die Ausweisung nunmehr rechtskräftig sei, würden weggewiesene Ausländer sich bekanntlich oft noch lange in der Schweiz aufhalten. Die Mutter mache denn auch nicht konkret geltend, dass die begleiteten Besuche während dieser Zeit nicht mehr stattfinden könnten, und die Ausweisung als solche sei kein Sistierungsgrund für das Besuchsrecht; sodann seien allfällige sich aufgrund der Ausweisung ergebende Vollzugsprobleme bei der Umsetzung des Besuchsrechts nicht Verfahrensgegenstand. Schliesslich gebe es keinerlei Hinweise darauf, dass die Gefahr einer Entführung des Kindes bestehen könnte; auch die Mutter vermöge keine Anhaltspunkte zu nennen. Vor diesem Hintergrund seien die von der KESB angeordneten Besuchskontakte rechtens. 
 
4.  
Zunächst übergeht die Mutter vollständig die - für das Bundesgericht verbindlichen (Art. 105 Abs. 1 BGG) - Sachverhaltsfeststellungen im angefochtenen Entscheid, wonach sich die Tochter jeweils auf die Besuche mit dem Vater freut, der Kontaktaufbau positiv verläuft und die Kontakte gut für die Entwicklung des Kindes sind. Ferner lässt sie unbeachtet, dass das Recht auf den konkreten Sachverhalt anzuwenden ist, so wie er sich präsentiert. 
Soweit die Beschwerdeführerin behauptet, der Anspruch des Kindes auf Schaffung einer Klarheit der Besuchsrechtsregelung und auf Stabilität der Verhältnisse sei verletzt, bleibt sie abstrakt; es wäre denn auch nicht zu sehen, inwiefern die Fortführung eines vorbestandenen Zustandes zu Instabilität führen soll. Halbwegs greifbar ist einzig das diesbezügliche Vorbringen, bei Säuglingen und Kleinkindern sei die Stabilität besonders wichtig und angesichts der Vollzugsprobleme bei der Umsetzung des Besuchsrechts sei nicht klar, wann die Tochter den Vater das nächste Mal sehen könne. Abgesehen davon, dass dies wiederum den (mit keinen Verfassungsrügen, insbesondere mit keinen Willkürrügen angefochtenen) Sachverhalt beschlägt, könnten allenfalls auftretende Probleme bei der Umsetzung für sich genommen nicht die Grundlage der materiellen Ausgestaltung des Besuchsrechts bilden; sodann handelt es sich bei der nunmehr fünf Jahre alten Tochter nicht mehr um einen Säugling oder ein Kleinkind (nach gängiger Definition: Säugling bis zwölf Monate, Kleinkind bis drei Jahre), sondern um ein Kind im Kindergartenalter. Mithin sind die Ausführungen, soweit sie nicht ohnehin abstrakt bleiben, nicht sachbezogen und eine Bundesrechtsverletzung ist mit ihnen nicht ansatzweise dargetan. 
Sodann gehen die Verweise und Ausführungen betreffend die öffentlich-rechtliche Rechtsprechung des Bundesgerichtes im Zusammenhang mit allfälligen Aufenthaltsansprüchen bei bestehendem engen Verhältnis zu einem Kind sowie der Vorwurf, der rechtskräftige Ausweisungsentscheid werde missachtet, an der Sache und an den in allen Teilen zutreffenden Erwägungen des angefochtenen Entscheides vorbei: Vorliegend geht es nicht um die öffentlich-rechtliche Frage des Aufenthaltsanspruches bzw. der Ausweisung des Vaters, sondern um die zivilrechtliche Frage des Besuchsrechts zwischen Vater und Tochter, welche auf der Grundlage von Art. 273 ZGB und der diesbezüglichen Rechtsprechung zu beantworten ist. Das Obergericht hat sich spezifisch dazu geäussert und in der vorliegenden Beschwerde findet keine sachbezogene Auseinandersetzung mit diesen Erwägungen statt. Ebenso wenig findet sich eine irgendwie geartete Kritik an der vorinstanzlichen Erwägung, ein Entzug des Besuchsrechts könnte nur unter den äusserst strengen Voraussetzungen von Art. 274 Abs. 2 ZGB in Betracht kommen. Weil (ausschliesslich) Art. 273 ZGB die Grundlage für die materielle Ausgestaltung des Besuchsrechts bildet, geht auch das Vorbringen, die Einheit der Rechtsordnung werde missachtet, an der Sache vorbei; es gibt keine zu beachtende Einheit von Besuchsrecht und Ausländerrecht. Vielmehr hat sich die Besuchsrechtsregelung - wie übrigens alle Regelungen im Bereich des Kindesrechts - ausschliesslich am Kindeswohl zu orientieren (BGE 129 III 250 E. 3.4.2; 141 III 312 E. 4.24; 141 III 328 E. 5.4; 142 III 481 E. 2.6; 143 III 193 E. 3). 
 
 
5.  
Nach dem Gesagten ist auf die Beschwerde in der Sache selbst (d.h. betreffend das Besuchsrecht), soweit überhaupt von einem Rechtsschutzinteresse auszugehen wäre, mangels irgendwelcher Verfassungsrügen in Bezug auf die obergerichtliche Tatsachenfeststellung und mangels hinreichender Begründung einer Rechtsverletzung nicht einzutreten. 
Was die vom Obergericht wegen Aussichtslosigkeit des Beschwerdeverfahrens verweigerte unentgeltliche Rechtspflege anbelangt, erweist sich die Beschwerdebegründung als knapp hinreichend. Indes geht sie inhaltlich an der Sache vorbei, indem die Beschwerdeführerin wiederum auf die öffentlich-rechtliche Rechtsprechung zur Aufenthalts- bzw. Ausweisungspraxis verweist und daraus ableitet, dass das Besuchsrecht vorliegend hätte entzogen werden müssen und es insofern nicht angehe, wenn das Obergericht ihrer Beschwerde jegliche Erfolgsschancen abgesprochen habe. Indes zeigen die Ausführungen in E. 4, dass der von der Beschwerdeführerin vertretene Standpunkt offenkundig bereits im kantonalen Verfahren als aussichtslos anzusehen war. Das Obergericht hat folglich die unentgeltliche Rechtspflege zu Recht verweigert und die Beschwerde ist diesbezüglich abzuweisen. 
 
6.  
Die Beschwerde wird von deren Rechtsvertreter allein im Namen der Mutter eingereicht und entsprechend erscheint auch nur sie im Rubrum. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege für das bundesgerichtliche Verfahren hat der Rechtsvertreter hingegen allein im Namen der Tochter gestellt, was nicht möglich ist, weil diese nicht Verfahrenspartei ist. Auf das Gesuch ist somit nicht einzutreten. Weil das Gesuch jedoch aus der Sicht der Mutter begründet wird, ist der Vollständigkeit halber festzuhalten, dass die Beschwerde, wie die vorstehenden Erwägungen zeigen, ohne jegliche Erfolgschancen war, weshalb die materiellen Voraussetzungen für die unentgeltliche Rechtspflege nicht gegeben sind und das Gesuch ohnehin abzuweisen wäre (Art. 64 Abs. 1 BGG). 
 
Die Gerichtskosten sind ausgangsgemäss der Beschwerdeführerin aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit auf sie einzutreten ist. 
 
2.  
Auf das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird nicht eingetreten. 
 
3.  
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt. 
 
4.  
Dieses Urteil wird den Parteien, der KESB Emmental und dem Obergericht des Kantons Bern, Kindes- und Erwachsenenschutzgericht, mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 31. August 2022 
 
Im Namen der II. zivilrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Herrmann 
 
Der Gerichtsschreiber: Möckli