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Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
4P.130/2005 /ruo 
 
Urteil vom 30. August 2005 
I. Zivilabteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter Corboz, Präsident, 
Bundesrichterinnen Klett, Rottenberg Liatowitsch, 
Bundesrichter Nyffeler, Bundesrichterin Kiss, 
Gerichtsschreiber Mazan. 
 
Parteien 
A.________, 
Beschwerdeführer, vertreten durch 
Rechtsanwalt Thomas Schütz, 
 
gegen 
 
B.________, 
Beschwerdegegner, vertreten durch 
Rechtsanwalt Dr. Matthias Müller, 
Kassationsgericht des Kantons Zürich, Postfach, 
8022 Zürich. 
 
Gegenstand 
Art. 9 und 29 BV (Zivilprozess; Willkür; 
rechtliches Gehör; Fairnessgebot), 
 
Staatsrechtliche Beschwerde gegen den Sitzungsbeschluss des Kassationsgerichts des Kantons Zürich vom 11. April 2005. 
 
Sachverhalt: 
 
A. 
A.________ (Beschwerdeführer) war für B.________ (Beschwerdegegner) als Kellner im Restaurant X.________ in Uster tätig. Am 27. April 2004 erhob der Beschwerdeführer Klage beim Bezirksgericht Uster mit dem Antrag, der Beschwerdegegner sei zu verpflichten, ihm insgesamt Fr. 18'091.85 nebst 5 % Zins seit 1. Oktober 2003 zu bezahlen. Am 15. Juni 2004 wurde vor Bezirksgericht Uster die Hauptverhandlung durchgeführt. Nach der Klagebegründung und der Klageantwort wurde der anwaltlich nicht vertretene Beschwerdeführer aufgefordert, die Replik vorzutragen. Dazu war er offensichtlich unfähig, weshalb ihn der erstinstanzliche Richter gemäss § 29 Abs. 2 ZPO/ZH aufforderte, sich um einen Anwalt zu bemühen. Trotz der vom Einzelrichter festgestellten Unfähigkeit des Beschwerdeführers, die Sache selbst gehörig zu führen, wurde die Hauptverhandlung nicht ausgesetzt, sondern eine Vergleichsverhandlung durchgeführt. Im Verlauf der Vergleichsgespräche schlossen die Parteien folgenden Vergleich: 
1. Der Kläger zieht seine Klage zurück. 
2. Die Parteien verzichten gegenseitig auf eine Prozessentschädigung. 
3. Mit Vollzug dieser Vereinbarung erklären sich die Parteien als hinsichtlich sämtlicher gegenseitiger Ansprüche auseinandergesetzt." 
Mit Verfügung vom 15. Juni 2004 wurde dieser Vergleich vorgemerkt und das Verfahren als dadurch erledigt abgeschrieben. 
 
B. 
Am Tag nach der Hauptverhandlung suchte der Beschwerdeführer einen Anwalt auf, der im Anschluss an die Besprechung mit dem Beschwerdeführer den Vergleich mit Schreiben vom 16. Juni 2004 an den Präsidenten des Bezirksgerichts Uster wegen Willensmängeln widerrief. Diese Eingabe wurde vom Bezirksgericht als Rekurs entgegengenommen und zusammen mit einer umfangreichen Vernehmlassung des zuständigen Richters ans Obergericht des Kantons Zürich übermittelt. Mit Beschluss vom 8. September 2004 wies das Obergericht den Rekurs ab. 
 
C. 
Gegen diesen Beschluss erhob der Beschwerdeführer kantonale Nichtigkeitsbeschwerde ans Kassationsgericht des Kantons Zürich. Mit Sitzungsbeschluss vom 11. April 2005 wurde die Beschwerde abgewiesen, soweit darauf einzutreten war. 
 
D. 
Mit staatsrechtlicher Beschwerde vom 17. Mai 2005 beantragt der Beschwerdeführer dem Bundesgericht, der Sitzungsbeschluss des Kassationsgerichts des Kantons Zürich vom 11. April 2005 sei aufzuheben. Weiter ersucht er für das Verfahren vor Bundesgericht um unentgeltliche Rechtspflege. 
Der Beschwerdegegner beantragt die Abweisung der staatsrechtlichen Beschwerde, soweit darauf einzutreten sei. 
Das Kassationsgericht des Kantons Zürich hat auf eine Stellungnahme verzichtet. 
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 
 
1. 
Der erstinstanzliche Richter war nach der Klagebegründung und Klageantwort davon ausgegangen, dass der Beschwerdeführer nicht in der Lage sei, die Replik zu erstatten, weil ihm die Postulationsfähigkeit fehle. Dennoch führte der Richter sogleich im Anschluss an die Klagebegründung und Klageantwort mit dem nicht anwaltlich vertretenen Beschwerdeführer eine Vergleichsverhandlung durch, die im Ergebnis mit einem Rückzug der Klage endete. Nach Auffassung des erstinstanzlichen Richters und des mit Rekurs angerufenen Obergerichts kann eine Partei, deren Prozessfähigkeit (§ 27 ZPO) zu bejahen ist, an Vergleichsgesprächen teilnehmen und einen Vergleich abschliessen, auch wenn es ihr an der Postulationsfähigkeit fehlt (§ 29 Abs. 2 ZPO). 
Auch das Kassationsgericht geht im angefochtenen Urteil von dieser Meinung aus. Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus, dass die Rechtswirksamkeit eines Vergleichs, die auch vom Beschwerdeführer nicht in Frage gestellte Prozessfähigkeit beschlage und nicht die vom erstinstanzlichen Richter verneinte Postulationsfähigkeit. Wer wie der Beschwerdeführer prozessfähig sei, könne frei und selbständig entscheiden, ob er einem konkreten Vergleich zustimmen wolle. Auch sei es ihm unbenommen, sich auf Vergleichsgespräche ganz allgemein nicht einzulassen oder zu erklären, dass er erst zu Gesprächen bereit sei, wenn er einen Anwalt konsultiert habe. Weiter führte das Kassationsgericht aus, entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers habe das Obergericht seine Begründungspflicht im Zusammenhang mit der Rüge, er sei gar nicht in der Lage gewesen, den langen Vergleichsgesprächen und den dabei gemachten Ausführungen zu folgen, nicht verletzt. Vielmehr habe es unter Hinweis auf die Eingabe des Vertreters des Beschwerdeführers vom 16. Juni 2004 festgehalten, dass der Beschwerdeführer offensichtlich in der Lage gewesen sei, seinen Anwalt detailliert zu instruieren. 
 
2. 
Der Beschwerdeführer wirft dem Kassationsgericht eine falsche Anwendung von § 29 Abs. 2 ZPO vor. Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, die gehörige Führung von Vergleichsgesprächen setze die Fähigkeit voraus, den eigenen und den gegnerischen Standpunkt in materiell- und prozessrechtlicher Hinsicht umfassend beurteilen zu können. Da der erstinstanzliche Einzelrichter den Beschwerdeführer nicht dazu gebracht habe, eine verständliche mündliche Replik zu erstatten, obwohl er seine richterliche Fragepflicht wahrgenommen habe, sei nicht vorstellbar, wie der Beschwerdeführer seinen Standpunkt anlässlich der Vergleichsverhandlung gehörig habe vertreten können. Nachdem der erstinstanzliche Einzelrichter bereits die Replik des Beschwerdeführers nicht verstanden habe, sei auch nicht zu sehen, wie er dessen Standpunkt im Rahmen der Vergleichsverhandlung habe würdigen können. Indem das Verfahren aufgrund einer Vergleichsverhandlung, an welcher der Beschwerdeführer ohne den erforderlichen Rechtsbeistand teilgenommen habe, ohne materielle Anspruchsprüfung durch Vergleich erledigt worden sei, sei der Gehörsanspruch des Beschwerdeführers verletzt worden (Art. 29 Abs. 2 BV). Dem Beschwerdeführer, der anlässlich der Vergleichsverhandlung dem Beschwerdegegner, dessen Treuhänder und dessen Anwalt gegenüber gesessen habe, sei auch kein faires Verfahren zuteil geworden (Art. 29 Abs. 1 BV). Indem dem Beschwerdeführer einerseits die Postulationsfähigkeit für die Erstattung der mündlichen Replik abgesprochen, andrerseits aber zugemutet worden sei, ohne den erforderlichen Rechtsbeistand das ungleich höhere Anforderungen stellende Vergleichsgespräch zu führen, sei auch das Willkürverbot verletzt worden (Art. 9 BV). 
 
3. 
3.1 Unter dem Randtitel "Prozessfähigkeit" bestimmt § 27 ZPO, dass eine Partei selbständig Prozesse führen kann, soweit sie handlungsfähig ist. Die Prozessfähigkeit ist die prozessuale Seite der zivilrechtlichen Handlungsfähigkeit. Demnach ist prozessfähig, wer mündig und urteilsfähig ist (Art. 13 ZGB). Die Prozessfähigkeit schliesst nicht unbedingt die Befugnis in sich, den Prozess in eigener Person, d.h. ohne einen Prozessvertreter, zu führen. Vielmehr beinhaltet die Prozessfähigkeit lediglich die Befugnis, materiell die zu treffenden prozessualen Entscheidungen zu fällen, das heisst eine Klageeinleitung zu beschliessen, über die in Streit stehenden materiellrechtlichen Ansprüche durch Klagerückzug, Klageanerkennung oder Vergleich zu verfügen, Rechtsmittel zu ergreifen oder auf solche zu verzichten (Eugen Bucher, Berner Kommentar, Bern 1976, N 24 und 26 zu Art. 12 ZGB). 
3.2 Die Postulationsfähigkeit ist Teil der Prozessfähigkeit. Als Teil der Prozessfähigkeit setzt sie die Fähigkeit voraus, vor Gericht die im Prozessrecht vorgezeichneten Rechte wahrzunehmen, prozessuale Anträge zu stellen, schriftliche oder mündliche Parteivorträge zu halten etc. (Eugen Bucher, a.a.O. N 26 zu Art. 12 ZGB). Wenn eine "Partei offensichtlich unfähig ist ihre Sache selbst gehörig zu führen", kann sie vom Gericht gemäss § 29 Abs. 2 ZPO angehalten werden, einen Vertreter zu bestellen (Satz 1). Leistet sie der Auflage keine Folge, entscheidet das Gericht aufgrund des Vorbringens der Partei (Satz 2). Aus zureichenden Gründen kann es statt dessen selbst den Vertreter bezeichnen (Satz 3). 
3.3 Im vorliegenden Fall ist unbestritten, dass die Postulationsfähigkeit des Beschwerdeführers für die mündliche Erstattung der Replik anlässlich der Hauptverhandlung vom 15. Juni 2004 nicht gegeben war. Unstreitig ist auch, dass der Beschwerdeführer vom zuständigen Richter wegen offensichtlicher Unfähigkeit, seine Sache selbst gehörig zu führen, in Anwendung von § 29 Abs. 2 ZPO aufgefordert wurde, einen Vertreter zu bestellen. Dieser Aufforderung konnte er allerdings nicht nachkommen, weil gleich anschliessend - das heisst vor der gehörigen Erstattung der Replik - Vergleichsverhandlungen aufgenommen wurden, die schliesslich mit dem Abschluss eines Vergleichs endeten. Das Kassationsgericht geht im Ergebnis davon aus, dass auch eine nicht postulationsfähige Partei an Vergleichsverhandlungen mitwirken und einen Vergleich abschliessen kann, solange ihre Prozessfähigkeit zu bejahen sei. Dieser Auffassung kann nicht beigepflichtet werden. Ausgangspunkt ist die Feststellung, dass der Beschwerdeführer in Bezug auf die Erstattung der Replik nicht postulationsfähig war. Er war offensichtlich unfähig, seine Sache selbst gehörig zu führen. Dabei ist die Fähigkeit, die eigene Sache gehörig zu führen, nicht nur isoliert bezogen auf die Erstattung der Replik zu beurteilen, sondern danach zu bemessen, ob die betreffende Partei fähig ist, ihre Sache als Ganzes gehörig zu führen (ZR 96 [1997] Nr. 117 S. 250 ff.). Wenn eine Partei "offensichtlich unfähig" ist, im Rahmen der Hauptverhandlung die Replik gehörig zu erstatten, dann ist anzunehmen, dass die gleiche Partei ebenso unfähig ist, die Vergleichsverhandlungen sinnvoll zu führen. Die Vergleichsgespräche stellen an Richter und Parteien hohe Anforderungen. Die Beteiligten müssen den Prozessstoff überblicken und in voller Kenntnis desselben zu den Streitpunkten Stellung nehmen können. Wenn eine Vergleichsverhandlung wie im vorliegenden Fall vor dem Abschluss des Behauptungsverfahrens durchgeführt wird, werden die Parteien zudem ihre Positionen, die sie in der Replik und Duplik vorgetragen hätten, in der Regel in modifizierter Form in die Vergleichsverhandlung einbringen. Die Mitwirkung der Parteien erschöpft sich somit nicht einzig in der Annahme oder Ablehnung eines Vergleichsvorschlages, für welchen Entscheid das Vorliegen der Prozessfähigkeit genügen könnte. Wenn der Richter den Beschwerdeführer für "offensichtlich unfähig" hält, nicht einmal mit Hilfe der richterlichen Befragung (§ 55 ZPO) die Replik zu erstatten, kann keine Rede davon sein, dass die gleiche Partei ihre Position in den mindestens so anforderungsreichen Vergleichsverhandlungen ohne rechtskundige Vertretung wirksam zu vertreten vermag. Zumindest hätte unter diesen Umständen Anlass bestanden, den Vergleich mit einem Ratifikations- oder Widerrufsvorbehalt abzuschliessen, um der nicht postulationsfähigen Prozesspartei wenigstens die Möglichkeit einer nachträglichen Rechtsberatung einzuräumen. Demgegenüber ist widersprüchlich und damit willkürlich, einerseits die Postulationsfähigkeit für die Erstattung der Replik zu verneinen, für die Mitwirkung an Vergleichsgesprächen aber vorbehaltlos zu bejahen. Aus diesen Gründen ist die staatsrechtliche Beschwerde gutzuheissen. Damit erübrigt es sich, auf die weiteren Rügen des Beschwerdeführers einzugehen. 
 
4. 
Bei diesem Ausgang des Verfahrens wird der Beschwerdegegner entschädigungspflichtig (Art. 159 Abs. 2 OG). Demgegenüber ist keine Gerichtsgebühr zu erheben (Art. 343 Abs. 3 OR). Das Gesuch des Beschwerdeführers um unentgeltliche Rechtspflege ist somit gegenstandslos geworden. 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1. 
Die staatsrechtliche Beschwerde wird gutgeheissen und der Sitzungsbeschluss des Kassationsgerichts des Kantons Zürich vom 11. April 2005 aufgehoben. 
 
2. 
Das Gesuch des Beschwerdeführers um unentgeltliche Rechtspflege ist gegenstandslos. 
 
3. 
Der Beschwerdegegner hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2'500.-- zu entschädigen. 
 
4. 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Kassationsgericht des Kantons Zürich schriftlich mitgeteilt. 
Lausanne, 30. August 2005 
Im Namen der I. Zivilabteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: