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Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
2P.43/2003 /kil 
 
Urteil vom 16. Mai 2003 
II. Öffentlichrechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter Wurzburger, Präsident, 
Bundesrichter Hungerbühler, Merkli, 
Gerichtsschreiber Küng. 
 
Parteien 
Volksschulgemeinde A.________ (vormals 
Primarschulgemeinde B.________-C.________), 
z.H.v. D.________, Schulpräsidentin, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen 
 
E.________, gesetzlich vertreten durch seine Eltern, 
F.________ und G.________, 
Beschwerdegegner, vertreten durch Rechtsanwalt 
Stefan Wenger, Postfach, 9542 Münchwilen TG, 
 
Departement für Erziehung und Kultur des Kantons Thurgau, Regierungsgebäude, 8510 Frauenfeld, 
 
Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau, Frauenfelderstrasse 16, 8570 Weinfelden. 
 
Gegenstand 
Einweisung in eine Sonderklasse; Gemeindeautonomie, 
 
Staatsrechtliche Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Thurgau vom 
15. Januar 2003. 
 
Sachverhalt: 
A. 
Am 27. Juni 2002 verfügte die Primarschulgemeinde B.________-C.________ (im Folgenden: Primarschulgemeinde) auf Antrag des Pädagogisch-Psychologischen Dienstes des Kantons Thurgau, E.________ (geb. ... 1992), der damals die 3. Klasse der Primarschule wiederholte, werde für das kommende Schuljahr in die Sonderklasse (Kleinklasse) eingewiesen; diese wird nur im Nachbardorf H.________ geführt. 
 
Die Eltern von E.________, F.________ und G.________, wandten sich gegen diese Verfügung mit Rekurs vom 20. Juli 2002 an das Departement für Erziehung und Kultur des Kantons Thurgau. 
 
Im August 2002 trat E.________ in die vierte Regelklasse der Primarschule in B.________ ein. 
 
Am 13. September 2002 wies das Departement für Erziehung und Kultur des Kantons Thurgau den Rekurs der Eltern und deren Gesuch um Sistierung des Verfahrens bis zum Vorliegen eines neuen neuropädiatrischen Gutachtens ab. 
 
Die von F.________ und G.________ gegen diesen Entscheid gerichtete Beschwerde hiess das Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau mit Urteil vom 15. Januar 2003 gut und hob den Departementsentscheid sowie die Verfügung der Primarschulgemeinde auf. 
B. 
Mit staatsrechtlicher Beschwerde vom 21. Februar 2003 beantragt die Volksschulgemeinde A.________ (seit 1. Januar 2003 Rechtsnachfolgerin der Primarschulgemeinde B.________-C.________) dem Bundesgericht, das Urteil des Verwaltungsgerichts aufzuheben. 
 
E.________ beantragt die Abweisung der Beschwerde. 
Das Verwaltungsgericht beantragt, die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf einzutreten sei. 
 
Das Departement für Erziehung und Kultur stellt den Antrag, die Beschwerde gutzuheissen. 
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 
1. 
1.1 Die Beschwerdeführerin rügt eine Verletzung ihrer Gemeindeautonomie sowie von Ausstandsvorschriften (§ 7 Ziff. 4 VRPG/TG, "Art. 58 BV" und Art. 6 Ziff. 1 EMRK). Weiter macht sie eine "willkürliche, gesetzeswidrige Anmassung von Entscheidkompetenzen" und "gesetzeswidrige Überschreitung der Kognitionsbefugnis" sowie Verletzung der Begründungspflicht durch das Verwaltungsgericht geltend. Schliesslich rügt sie eine willkürliche Sachverhaltsfeststellung. 
1.2 Eine Gemeinde ist zur Erhebung einer staatsrechtlichen Beschwerde wegen Verletzung ihrer Autonomie (Art. 50 Abs. 1 und 189 Abs. 1 lit. b BV) befugt, wenn sie durch den angefochtenen Entscheid in ihrer Eigenschaft als Trägerin hoheitlicher Gewalt berührt wird. Ob ihr im betreffenden Bereich tatsächlich Autonomie zusteht, ist keine Frage des Eintretens, sondern bildet Gegenstand der materiellen Beurteilung (BGE 128 I 3 E. 1c, mit Hinweisen). 
 
Im vorliegenden Fall wird die Beschwerdeführerin durch den angefochtenen Entscheid verpflichtet, den Beschwerdegegner - entgegen der von ihr verfügten Einweisung in eine Sonderklasse (Kleinklasse) - weiterhin in der Regelklasse der Primarschule zu unterrichten. Sie wird insoweit in ihrer Eigenschaft als Trägerin hoheitlicher Gewalt betroffen und ist daher zur Autonomiebeschwerde legitimiert. Auf die frist- und formgerecht erhobene staatsrechtliche Beschwerde ist mithin grundsätzlich einzutreten. 
1.3 Die staatsrechtliche Beschwerde ist ein Rechtsmittel zum Schutze verfassungsmässiger Rechte der Bürger gegen Übergriffe der Staatsgewalt (Art. 84 Abs. 1 lit. a OG). Solche verfassungsmässigen Individualrechte - dazu zählen insbesondere die Grundrechte der Bundesverfassung - stehen grundsätzlich nur Privaten zu oder Gemeinden, soweit sie gleich oder ähnlich betroffen sind wie ein Privater, nicht dagegen dem Gemeinwesen als Inhaber hoheitlicher Gewalt. Sie ermöglichen einer hoheitlich handelnden Behörde deshalb nicht, sich gegen allfällige (prozessuale) Fehler einer im Rechtsmittelverfahren übergeordneten Instanz zur Wehr zu setzen. Eine Ausnahme gilt für Gemeinden und andere öffentlichrechtliche Körperschaften, welche sich mit staatsrechtlicher Beschwerde gegen eine Verletzung ihrer durch das kantonale Recht gewährleisteten Autonomie oder Bestandesgarantie zur Wehr setzen können (BGE 119 Ia 214 E. 1a). 
 
Wohl kann ein Beschwerdeführer, dem gestützt auf kantonales Recht Parteistellung zukommt, unabhängig von der Legitimation in der Sache die Verletzung jener Parteirechte geltend machen, die ihm nach dem kantonalen Verfahrensrecht oder unmittelbar aufgrund der Bundesverfassung zustehen (sog. "Star-Praxis"; BGE 114 Ia 307 E. 3c S. 312 f.). Diese Rechtsprechung gilt für in ihrer hoheitlichen Stellung betroffene Gemeinden aber nur soweit, als sie die betreffenden Rügen im Zusammenhang mit einer behaupteten Verletzung ihrer Autonomie oder Bestandesgarantie erheben. Ausserhalb dieses Bereiches sind sie zu Verfahrensrügen nicht unabhängig von der Legitimation in der Sache befugt (BGE 121 I 218 E. 4 S. 223 f.; 120 Ia 95 E. 2 S. 100, mit Hinweisen). 
2. 
2.1 Die thurgauischen Schulgemeinden sind öffentlichrechtliche Gebietskorporationen mit eigener Rechtspersönlichkeit, welche von Verfassungs wegen im Rahmen des Gesetzes Aufgaben auf dem Gebiet des Schul- und Bildungswesens zu erfüllen haben (§ 57 der thurgauischen Kantonsverfassung vom 16. März 1987, KV/TG). Sie fallen damit als Träger einer verfassungsrechtlich geschützten Autonomie grundsätzlich in Betracht (Urteil 2P.193/1994 vom 31. August 1994 E. 1). 
2.2 Eine Gemeinde ist in einem Sachbereich autonom, wenn das kantonale Recht diesen nicht abschliessend ordnet, sondern ihn ganz oder teilweise der Gemeinde zur Regelung überlässt und ihr dabei eine relativ erhebliche Entscheidungsfreiheit einräumt. Der geschützte Autonomiebereich kann sich auf die Befugnis zum Erlass oder Vollzug eigener kommunaler Vorschriften beziehen oder einen entsprechenden Spielraum bei der Anwendung des kantonalen oder eidgenössischen Rechts betreffen. Der Schutz der Gemeindeautonomie setzt eine solche nicht in einem ganzen Aufgabengebiet, sondern lediglich im streitigen Bereich voraus. Ist die Autonomie zu bejahen, kann sich die Gemeinde dagegen zur Wehr setzen, dass eine kantonale Behörde in einem Rechtsmittelverfahren ihre Prüfungsbefugnis überschreitet oder die den betreffenden Sachbereich ordnenden kommunalen, kantonalen oder bundesrechtlichen Vorschriften falsch anwendet. Die Gemeinden können in diesem Rahmen auch geltend machen, die kantonalen Instanzen hätten die Tragweite eines Grundrechts verkannt und dieses zu Unrecht als verletzt betrachtet. Ebenso können sie eine Verletzung des Willkürverbots oder eine Verweigerung des rechtlichen Gehörs rügen, sofern diese Vorbringen mit der behaupteten Verletzung der Autonomie in engem Zusammenhang stehen. Soweit es um die Handhabung von eidgenössischem oder kantonalem Verfassungsrecht geht, prüft das Bundesgericht das Vorgehen der kantonalen Behörden mit freier Kognition, sonst nur auf Willkür hin (BGE 128 I 3 E. 2 mit Hinweisen). 
 
Ein geschützter Autonomiebereich kann nach der Rechtsprechung somit auch bei der Anwendung kantonalen Rechts bestehen, wenn dieses der Gemeinde eine relativ erhebliche Entscheidungsfreiheit belässt und der bestehende Spielraum "gemeindefreiheitsbezogen", d.h. auf die Berücksichtigung der besonderen Verhältnisse und Bedürfnisse in den jeweiligen Gemeinden ausgerichtet ist (BGE 118 Ia 218 E. 3d/e S. 222). 
2.3 Dies ist nicht bei jedem Ermessensentscheid der Fall. So besteht keine Autonomie der kommunalen Schulbehörden, wenn diese als erste Instanz ein pädagogisches Sachurteil über einen einzelnen Schüler zu fällen haben; die Offenheit der anwendbaren Norm will hier lediglich eine einzelfallgerechte Sachentscheidung und nicht die Rücksichtnahme auf besondere lokale Bedürfnisse ermöglichen (BGE 118 Ia 218 E. 3e S. 222 f.). 
 
Bejaht wurde die Autonomie einer solothurnischen Gemeinde hinsichtlich der Zuteilung eines Schülers in ein bestimmtes Schulhaus, weil diese organisatorische Fragen betrifft (Urteil 2P.27/1990 vom 7. Februar 1991). Autonomie steht auch den Zürcher Gemeinden in Bezug auf die Einrichtung eines Transportdienstes für den Besuch des Kindergartens zu (Urteil 2P.34/1993 vom 28. Januar 1994 E. 4, in: ZBl 95/1994 S. 300 ff.). Betreffend die Aufhebung einer Lehrstelle an der Primarschule durch die Primarschulgemeinde I.________ hat das Bundesgericht erkannt, dass den Schulgemeinden nach der thurgauischen Schulgesetzgebung in dieser Frage keine Autonomie zukommt (Urteil 2P.355/1998 vom 17. Dezember 1998 E. 2, in: ZBl 101/2000 S. 467 ff.). Ebenso verneint wurde die Autonomie bezüglich der Frage, ob ein Kind die Voraussetzungen für eine vorzeitige Einschulung erfüllt (BGE 118 Ia 218). 
2.4 Gemäss § 9 Abs. 1 lit. b des thurgauischen Gesetzes vom 15. November 1978 über das Unterrichtswesen (Unterrichtsgesetz; UG/TG) führen die Volksschulgemeinden die Volksschule. Der Regierungsrat kann Bildungsaufgaben für einen kleinen Kreis von Schülern, namentlich für schulpflichtige entwicklungsbehinderte Kinder, kantonal selbst erfüllen oder einzelnen Gemeinden oder privaten Institutionen übertragen (§ 10 UG/TG). Ist ein Kind in der Regelklasse dauernd überfordert, ist es gemäss § 9 des thurgauischen Gesetzes über die Volksschule und den Kindergarten vom 23. Mai 1995 (VKG/TG) durch die Schulvorsteherschaft in eine Sonderklasse oder Sonderschule einzuweisen, sofern seine Schulschwierigkeiten nicht mit anderen Massnahmen behoben werden können. Nach § 26 der thurgauischen Verordnung des Regierungsrates über die Volksschule und den Kindergarten vom 12. Dezember 1995 (VVKG/TG) dienen Sonderklassen der Förderung von schulbildungsfähigen Kindern mit allgemeiner Lernbehinderung oder Verhaltensstörungen. 
 
Die dargelegte Regelung betreffend "Kinder mit Schulschwierigkeiten" (Randtitel zu § 9 VKG/TG) ist abschliessend. Bei der Beurteilung der Frage, ob ein Kind nach dieser Bestimmung die individuellen Voraussetzungen für die Einweisung in die Sonderklasse erfüllt oder ob den bestehenden schulischen Schwierigkeiten mit anderen Massnahmen begegnet werden kann, steht der kommunalen Schulbehörde zweifellos ein gewisser Entscheidungs- bzw. Anordnungsspielraum zu (vgl. BGE 118 Ia 218 E. 3e). Dabei geht es indessen keineswegs darum, einer allfälligen Verschiedenheit der Bedürfnisse und Verhältnisse in den einzelnen Gemeinden und damit lokalen oder organisatorischen Anliegen Rechnung zu tragen, sondern um in jedem Einzelfall eine pädagogisch sachgerechte Entscheidung zu ermöglichen. Das in diesem Bereich durch die Thurgauer Schulgesetzgebung der Volksschulgemeinde eingeräumte Ermessen ist damit nicht "gemeindefreiheitsbezogen" und stellt keinen autonomiebegründenden Spielraum dar (vgl. BGE 118 Ia 218 E. 3e, betreffend den vorzeitigen Schuleintritt). 
2.5 Geniesst die Beschwerdeführerin in der streitigen Sache somit nicht den Schutz der Autonomie, ist sie nicht legitimiert, mit dieser zusammenhängende Willkür- und Verfahrensrügen vorzutragen (BGE 128 I 3 E. 2b; Urteile 1P.235/1997 5. November 1997, in: ZBl 99/1998 S. 421 ff., 2P.355/1998 vom 17. Dezember 1998 E. 2c, in ZBl 101/2000 S. 467 ff., und 2P.193/1994 vom 31. August 1994 E. 4c/aa). Auf die von der Beschwerdeführerin erhobenen weiteren Rügen (Verletzung von Ausstandsvorschriften, willkürliche Anmassung von Entscheidkompetenz, Überschreiten der Kognitionsbefugnis, Verletzung der Begründungspflicht, willkürliche Sachverhaltsfeststellung) ist daher nicht einzutreten. 
 
3. 
Die staatsrechtliche Beschwerde ist aus diesen Gründen abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Da die Beschwerdeführerin mit der vorliegenden Beschwerde keine Vermögensinteressen verfolgte, ist sie von der Tragung von Verfahrenskosten befreit (Art. 156 Abs. 2 OG). Sie hat hingegen dem Beschwerdegegner für das bundesgerichtliche Verfahren eine Parteientschädigung zu bezahlen (Art. 159 Abs. 1 und 2 OG). Der mit der eingereichten Honorarnote ausgewiesene Aufwand von zehn Stunden (à Fr. 250.--) erscheint eher hoch, kann aber noch als angemessen bezeichnet werden, weshalb die Entschädigung auf Fr. 2'700.-- festgesetzt wird. 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
1. 
Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
2. 
Es werden keine Kosten erhoben. 
3. 
Die Beschwerdeführerin hat dem Beschwerdegegner für das bundesgerichtliche Verfahren eine Parteientschädigung von Fr. 2'700.-- zu bezahlen. 
4. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Departement für Erziehung und Kultur des Kantons Thurgau und dem Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau schriftlich mitgeteilt. 
Lausanne, 16. Mai 2003 
Im Namen der II. öffentlichrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: