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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
{T 0/2} 
 
5A_713/2015  
   
   
 
 
 
Urteil vom 21. Dezember 2015  
 
II. zivilrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter von Werdt, Präsident, 
Bundesrichter Marazzi, Herrmann, 
Gerichtsschreiber Möckli. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwältin Monika Leuenberger-Roiha, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen  
 
B.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Roland Götte, 
Beschwerdegegner. 
 
Gegenstand 
Aufhebung des Aufenthaltsbestimmungsrechts, 
 
Beschwerde gegen den Beschluss des Obergerichts des Kantons Zürich, II. Zivilkammer, vom 12. August 2015. 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.   
A.________ und B.________, beides deutsche Staatsangehörige, haben die 2004 geborene gemeinsame Tochter C.________. Die Mutter ist in der Schweiz angemeldet, der Vater lebt in Deutschland. 
Mit Entscheid vom 3. Februar 2015 entzog die KESB U.________ der Mutter, welche an einer Borderline-Persönlichkeitsstörung leidet, das Aufenthaltsbestimmungsrecht über das Kind und ordnete an, dass dieses in die Obhut des Vaters übergeben wird. Am 9. Juli 2015 bestätigte der Bezirksrat V.________ diese Anordnung. Seit dem 14. Juli 2015 befindet sich C.________ beim Vater in Deutschland. 
Mit Beschluss vom 12. August 2015 trat das Obergericht des Kantons Zürich auf die Beschwerde der Mutter gegen das Urteil des Bezirksrats nicht ein mit der Begründung, die schweizerische Zuständigkeit sei mit dem Verbringen des Kindes zum Vater nach Deutschland entfallen. 
 
B.   
Gegen diesen Beschluss hat die Mutter am 14. September 2015 eine Beschwerde erhoben mit welcher sie verlangt, das Verfahren sei zur materiellen Entscheidung an das Obergericht des Kantons Zürich zurückzuweisen, eventualiter sei festzustellen, dass der Entscheid der KESB U.________ und das Urteil des Bezirksrates V.________ nicht in Rechtskraft erwachen können. Ferner verlangt die Beschwerdeführerin die unentgeltliche Rechtspflege für das bundesgerichtliche und das vorinstanzliche Verfahren. Mit Eingabe vom 23. September 2015 zum Gesuch um aufschiebende Wirkung hat der Vater seinerseits die unentgeltliche Rechtspflege verlangt und ein Gesuch um Sicherheitsleistung gestellt. Mit Präsidialverfügung vom 28. September 2015 wurden das Gesuch um aufschiebende Wirkung bzw. Feststellung des Nichteintritts der Rechtskraft sowie das von der Gegenseite gestellte Gesuch um Sicherstellung abgewiesen. Mit Eingabe vom 17. November 2015 reichte der Beschwerdegegner Unterlagen betreffend seine Prozessarmut nach. In der Sache selbst wurden keine Vernehmlassungen eingeholt. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.   
Angefochten ist der kantonal letztinstanzliche Entscheid in einer Kindesschutzsache. Dagegen steht die Beschwerde in Zivilsachen grundsätzlich offen (Art. 72 Abs. 2 lit. b Ziff. 6, Art. 75 Abs. 1 und Art. 90 BGG). 
 
2.   
Vorab stellt sich die Frage der internationalen Zuständigkeit der schweizerischen Gerichte, nachdem das Kind die Schweiz am 14. Juli 2015 durch Wegzug in einen anderen Mitgliedstaat des Haager Kindesschutzübereinkommens (HKsÜ, SR 0.211.231.011) verlassen hat. 
 
2.1. Gemäss Art. 85 Abs. 1 IPRG bestimmt sich die Zuständigkeit für den Erlass von Massnahmen im Bereich des Kindesschutzes sowie das dabei anzuwendende Recht nach den Regeln des Haager Kindesschutzübereinkommens. Art. 5 Abs. 1 HKsÜ erklärt grundsätzlich die Behörden und Gerichte am gewöhnlichen Aufenthaltsort des Kindes als zuständig. Sodann sieht Art. 5 Abs. 2 HKsÜ vor, dass bei einem Wechsel des gewöhnlichen Aufenthaltes des Kindes in einen anderen Vertragsstaat die dortigen Behörden zuständig werden. Mithin besteht im Grundsatz keine  perpetuatio fori (zur Publikation bestimmtes Urteil 5A_202/2015 vom 26. November 2015 E. 2.1; sodann Urteile 5A_622/2010 vom 27. Juni 2011 E. 3; 5A_131/2011 vom 31. März 2011 E. 3.3.1; 5A_863/2013 vom 18. März 2014 E. 1; LAGARDE, Explanatory Report zum Kindesschutzübereinkommen vom 15. Januar 1997, Rz. 42), wie dies schon beim Minderjährigenschutzabkommen (MSA, SR 0.211.231.01) als Vorgängerabkommen der Fall war (vgl. BGE 123 III 411 E. 2a/bb S. 413; 132 III 586 E. 2.2.3 S. 591).  
 
2.2. Die Beschwerdeführerin behauptet den Fortbestand der schweizerischen Zuständigkeit gestützt auf Art. 7 Abs. 1 HKsÜ; das Kind sei vom Vater widerrechtlich nach Deutschland verbracht worden, weil noch kein rechtskräftiger Entscheid vorgelegen habe, welcher ihm die Obhut zugeteilt hätte.  
Der Bezirksrat hat in seinem Entscheid, mit welchem er den Entzug des Aufenthaltsbestimmungsrechtes gegenüber der Mutter und die Übergabe des Kindes in die Obhut des Vaters bestätigt hatte, einer allfälligen Beschwerde an das Obergericht die aufschiebende Wirkung entzogen. Dass dies nach dem anwendbaren Verfahrensrecht möglich war, wird von der Beschwerdeführerin nicht in Frage gestellt; diese Frage ist folglich nicht näher zu prüfen (vgl. Art. 42 Abs. 2 BGG). Im Übrigen lag keine Verfügung der Rechtsmittelbehörde vor, welche die aufschiebende Wirkung wiederum erteilt hätte. Mithin erfolgte das Verbringen des Kindes über die Grenze aufgrund eines vollstreckbaren Entscheides (vgl. Urteil Urteil 5A_863/2013 vom 18. März 2014 E. 1), gemäss welchem das Aufenthaltsbestimmungsrecht über das Mädchen ausschliesslich dem Vater zustand. Es lag mithin keine widerrechtliche Entführung im Sinn von Art. 3 und 5 des Haager Kindesentführungsübereinkommens (HKÜ, SR 0.211.230.02) vor. Entsprechend kam Art. 7 Abs. 1 HKsÜ, welcher eine  perpetuatio fori in Entführungsfällen vorsieht (vgl. auch die korrespondierenden Art. 16 und 19 HKÜ), entgegen der Behauptung der Beschwerdeführerin nicht zum Tragen.  
 
2.3. Die Beschwerdeführerin macht ferner geltend, die deutschen Behörden dürften gemäss Art. 13 HKsÜ gar nicht tätig werden, weil zeitlich früher in der Schweiz Massnahmen ergriffen worden seien.  
Wie bereits aus der Marginalie von Art. 13 HKsÜ hervorgeht, regelt dieser Artikel Zuständigkeitskonflikte. Solche bestehen im Zusammenhang mit der Grundnorm von Art. 5 HKsÜ nicht, weil mit dem Aufenthaltswechsel des Kindes die Behörden des anderen Vertragsstaates zuständig werden. Konflikte können sich hingegen dort ergeben, wo das HKsÜ konkurrierende internationale Zuständigkeiten vorsieht. Dies ist in erster Linie im Zusammenhang mit Art. 10 HKsÜ der Fall (vgl. LAGARDE, a.a.O., Rz. 78), welcher dem Scheidungs- oder Trennungsrichter unbekümmert um die Grundzuständigkeit gemäss Art. 5 ff. HKsÜ erlaubt, über die Kinderbelange zu befinden, soweit das Recht des betreffenden Staates eine solche Annexzuständigkeit vorsieht (vgl. PIRRUNG, in J. von Staudingers Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Internationales Kindschaftsrecht 2, Berlin 2009, G 73 zu Art. 10 HKsÜ; siehe auch Urteil 5A_863/2013 vom 18. März 2014 E. 1). Ist durch entsprechende Verfahrenseinleitung zuerst die Annexzuständigkeit des Scheidungs- oder Trennungsrichters in Anspruch genommen worden, so gilt für die gemäss Art. 5 ff. HKsÜ grundsätzlich zuständigen Behörden ein Ausübungsverbot (vgl. PIRRUNG, a.a.O., G 72 zu Art. 10 HKsÜ und G 92 f. zu Art. 13 HKsÜ). 
Vorliegend geht es um eine Kindesschutzmassnahme nach Art. 310 ZGB, welche in einem hierauf beschränkten Verfahren ergangen ist und nicht auf einer Annexzuständigkeit beruht. Mit dem Aufenthaltswechsel des Kindes kam es mithin zum Wechsel der internationalen Zuständigkeit im betreffenden Zusammenhang (Art. 5 HKsÜ), ohne dass die Koordinationsregel von Art. 13 HKsÜ ins Spiel hätte kommen können. 
 
3.   
Die Beschwerdeführerin macht ferner geltend, der Bezirksrat habe nicht einfach vollendete Tatsachen durch Entzug der aufschiebenden Wirkung schaffen können; das Obergericht hätte auf das Rechtsmittel unbekümmert um den Aufenthaltsort des Kindes eintreten müssen. 
 
3.1. Soweit die Beschwerdeführerin in diesem Zusammenhang eine Verletzung der Rechtsweggarantie rügt, ist festzuhalten, dass diese keinen Instanzenzug, sondern nur den Zugang zum Gericht gewährleistet (KLEY, in: Die Schweizerische Bundesverfassung, St. Galler Kommentar, 3. Aufl. 2014, N. 6 zu Art. 29a BV). Die Beschwerdeführerin hatte Zugang zu einer richterlichen Behörde (als welche auch der Bezirksrat gilt, vgl. BGE 139 III 98) und sie hat in Bezug auf das zivilrechtliche Eltern-Kind-Verhältnis auch in Deutschland Zugang zu einem Gericht.  
 
3.2. Nichts für die Frage der Zuständigkeit bzw. der aufschiebenden Wirkung kann die Beschwerdeführerin sodann aus Art. 13 Abs. 1 BV ableiten. Insbesondere kann im vorliegenden Verfahren, welches sich auf die Zuständigkeitsfrage beschränkt, nicht vorgebracht werden, dass aufgrund von Art. 13 Abs. 1 BV der Stiefvater in das Verfahren hätte einbezogen werden müssen. Ohnehin wäre die Auffassung auch in der Sache unzutreffend.  
Ebenso wenig kann vorliegend thematisiert werden, ob eine Dringlichkeit für die Platzierung des Kindes beim Vater bzw. für den Entzug der aufschiebenden Wirkung bestand. Immerhin sei festgehalten, dass der Bezirksrat die Umplatzierung (Gefährdung des Kindes aufgrund der psychischen Erkrankung der Mutter; fehlende rechtliche Möglichkeit, das Obhuts- und Sorgerecht auf den Stiefvater zu übertragen; Aufnahme in der väterlichen Familie, welche dem Kind aufgrund der jeweils dort verbrachten Ferien bestens vertraut ist; Anhörung und zustimmende Äusserung des Kindes) sowie insbesondere auch die Dringlichkeit (unbefriedigende aktuelle Situation der Fremdplatzierung in einer Pflegefamilie; starke Reibereien bei der Ausübung des begleiteten Besuchsrechtes, indem Mutter und Stiefvater dem Kind jeweils den Boden unter den Füssen weggezogen haben; anhaltende Ungewissheit für das Kind während eines zu erwartenden langwierigen Rechtsmittelverfahrens; Vorbereitung des Kindes für einen Aufenthaltswechsel per Mitte Juli 2015, auf welchen es sich auch eingestellt hat; Übereinstimmung des Aufenthaltswechsels mit dem Schuljahr) ausführlich begründet hat. 
 
4.   
Kein Erfolg beschieden sein kann schliesslich dem Eventualstandpunkt, für den Fall, dass das Vorgehen der Vorinstanzen geschützt werde und die Zuständigkeit an die deutschen Behörden übergegangen sei, müsse im Sinn der Klarheit festgehalten werden, dass der Entzug der Obhut gegenüber der Mutter nicht rechtskräftig feststehe. Die Frage, ob und unter welchen Bedingungen Entscheide in Kraft bleiben, bzw. die Frage der Anerkennung durch andere Vertragsstaaten richtet sich nach Art. 14 bzw. 23 HKsÜ. 
 
5.   
Zusammenfassend ergibt sich, dass die Beschwerde abzuweisen ist, soweit auf sie eingetreten werden kann. Die beidseitigen Gesuche um unentgeltliche Rechtspflege sind angesichts der Bedürftigkeit der Parteien gutzuheissen und diese sind durch die sie vertretenden Rechtsanwälte zu verbeiständen (Art. 64 Abs. 1 und 2 BGG). Die Gerichtskosten sind der Beschwerdeführerin aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
 
2.   
Die Gesuche um unentgeltliche Rechtspflege werden gutgeheissen und die Parteien werden je durch die sie vertretenden Rechtsanwälte verbeiständet. 
 
3.   
Die Gerichtskosten von Fr. 1'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt, jedoch einstweilen auf die Bundesgerichtskasse genommen. 
 
4.   
Rechtsanwältin Monika Leuenberger-Roiha wird aus der Bundesgerichtskasse mit Fr. 1'500.-- und Rechtsanwalt Roland Götte mit Fr. 750.-- entschädigt. 
 
5.   
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Obergericht des Kantons Zürich und der KESB U.________ schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 21. Dezember 2015 
Im Namen der II. zivilrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: von Werdt 
 
Der Gerichtsschreiber: Möckli