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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
8C_713/2010 
 
Urteil vom 23. März 2011 
I. sozialrechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter Ursprung, Präsident, 
Bundesrichterin Leuzinger, Bundesrichter Frésard, Bundesrichterin Niquille, Bundesrichter Maillard, 
Gerichtsschreiberin Riedi Hunold. 
 
Verfahrensbeteiligte 
Bundesamt für Sozialversicherungen, Effingerstrasse 20, 3003 Bern, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen 
 
Familienausgleichskasse des Vereins für Sozialversicherungsfragen von öffentlichen Institutionen des Kantons Bern (FAK ÖKB), 
handelnd durch die Ausgleichskasse des Kantons Bern, Abteilung Beiträge und Zulagen, 
Chutzenstrasse 10, 3007 Bern, 
Beschwerdegegnerin, 
 
S.________. 
 
Gegenstand 
Familienzulage, 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern 
vom 3. August 2010. 
 
Sachverhalt: 
 
A. 
S.________, geboren 1974, bezog im Anschluss an ihren Mutterschaftsurlaub zusätzlich vom 30. September 2009 bis 6. Februar 2010 unbezahlten Urlaub. Mit Verfügung vom 5. Januar 2010, bestätigt mit Einspracheentscheid vom 19. Februar 2010, lehnte die Familienausgleichskasse des Vereins für Sozialversicherungsfragen von öffentlichen Institutionen des Kantons Bern (FAK ÖKB) für die Zeit von 1. Oktober 2009 bis 6. Februar 2010 einen Anspruch auf Familienzulagen ab. 
 
B. 
Das Verwaltungsgericht des Kantons Bern wies die dagegen erhobene Beschwerde mit Entscheid vom 3. August 2010 ab. 
 
C. 
Das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit dem Antrag, es sei der vorinstanzliche Entscheid aufzuheben und die Sache an die Vorinstanz zum Erlass einer neuen Verfügung im Sinne der Erwägungen zurückzuweisen. 
Die FAK ÖKB schliesst auf Abweisung der Beschwerde. S.________ verzichtet auf eine Vernehmlassung. 
 
Erwägungen: 
 
1. 
Das Bundesgericht prüft von Amtes wegen und mit freier Kognition, ob das bei ihm erhobene Rechtsmittel zulässig ist (BGE 135 II 94 E. 1 S. 96; 135 III 1 E. 1.1 S. 3, 212 E. 1 S. 216; 134 V 138 E. 1 S. 140). Die Beschwerdelegitimation des BSV ist gegeben (Art. 89 Abs. 2 lit. a BGG in Verbindung mit Art. 19 Abs. 1 der Verordnung vom 31. Oktober 2007 über die Familienzulagen [Familienzulagenverordnung, FamZV; SR 836.21]). 
 
2. 
Streitig ist die Bundesrechtskonformität der Rz. 519.1 der Wegleitung zum Bundesgesetz über die Familienzulagen FamZG (FamZWL), gemäss welcher bei unbezahltem Urlaub die Familienzulagen oder die Differenzzahlungen noch während des laufenden und der drei folgenden Monate ausgerichtet werden, sofern der Jahreslohn immer noch Fr. 6'840.- erreicht. 
 
3. 
Verwaltungsweisungen richten sich an die Durchführungsstellen und sind für das Sozialversicherungsgericht nicht verbindlich. Dieses soll sie bei seiner Entscheidung aber berücksichtigen, sofern sie eine dem Einzelfall angepasste und gerecht werdende Auslegung der anwendbaren gesetzlichen Bestimmungen zulassen. Das Gericht weicht also nicht ohne triftigen Grund von Verwaltungsweisungen ab, wenn diese eine überzeugende Konkretisierung der rechtlichen Vorgaben darstellen. Insofern wird dem Bestreben der Verwaltung, durch interne Weisungen eine rechtsgleiche Gesetzesanwendung zu gewährleisten, Rechnung getragen (BGE 133 V 587 E. 6.1 S. 591; 133 V 257 E. 3.2 S. 258 mit Hinweisen; vgl. BGE 133 II 305 E. 8.1 S. 315). 
Verordnungsrecht ist gesetzeskonform auszulegen. Es sind die gesetzgeberischen Anordnungen, Wertungen und der in der Delegationsnorm eröffnete Gestaltungsspielraum mit seinen Grenzen zu berücksichtigen. Im Rahmen verfassungskonformer oder verfassungsbezogener Auslegung sind sodann der Gleichbehandlungsgrundsatz sowie das Verhältnismässigkeitsprinzip zu beachten. Danach muss eine Massnahme, insbesondere eine verwaltungsrechtliche Sanktion, das geeignete Mittel zur Erreichung des angestrebten Zieles sein und darf nicht über das hiezu Erforderliche hinausgehen. Ferner muss zwischen Ziel und Mitteln ein vernünftiges Verhältnis bestehen (BGE 131 I 91 E. 3.3 S. 99, 130 V 196 E. 8 S. 214, 130 II 425 E. 5.2 S. 438, je mit Hinweisen). Der klare Sinn einer Gesetzesnorm darf indessen nicht durch eine verfassungskonforme Auslegung beiseite geschoben werden (BGE 128 V 20 E. 3a S. 24, 126 V 468 E. 5a S. 472, 122 V 85 E. 5a/aa S. 93). 
Ausnahmebestimmungen sind weder restriktiv noch extensiv, sondern nach ihrem Sinn und Zweck im Rahmen der allgemeinen Regelung auszulegen (BGE 136 I 297 E. 4.1 S. 300 mit Hinweisen). 
 
4. 
4.1 Art. 13 Abs. 1 des am 1. Januar 2009 in Kraft getretenen Bundesgesetzes vom 24. März 2006 über die Familienzulagen (Familienzulagengesetz, FamZG; SR 836.2) lautet: 
 
"Die als Arbeitnehmerinnen oder Arbeitnehmer in der AHV obligatorisch versicherten Personen, die von einem diesem Gesetz unterstellten Arbeitgeber beschäftigt werden, haben Anspruch auf Familienzulagen. Die Leistungen richten sich nach der Familienzulagenordnung des Kantons gemäss Artikel 12 Absatz 2. Der Anspruch entsteht und erlischt mit dem Lohnanspruch. Der Bundesrat regelt den Anspruch nach dem Erlöschen des Lohnanspruchs." 
Dieser Absatz regelt somit den Anspruch auf Familienzulagen in persönlicher (Satz 1), sachlicher (Satz 2) und zeitlicher Hinsicht (Satz 3). 
 
4.2 In Wahrnehmung der Delegation gemäss Satz 4 von Art. 13 Abs. 1 FamZG hat der Bundesrat in Art. 10 FamZV folgende Regelung vorgesehen: 
"1 Ist der Arbeitnehmer oder die Arbeitnehmerin aus einem der in Artikel 324a Absätze 1 und 3 des Obligationenrechts (OR) genannten Gründe an der Arbeitsleistung verhindert, so werden die Familienzulagen nach Eintritt der Arbeitsverhinderung noch während des laufenden Monats und der drei darauf folgenden Monate ausgerichtet, auch wenn der gesetzliche Lohnanspruch erloschen ist. 
2 Der Anspruch auf Familienzulagen bleibt auch ohne gesetzlichen Lohnanspruch bestehen: 
a. während eines Mutterschaftsurlaubs von höchstens 16 Wochen; 
b. während eines Jugendurlaubs gemäss Artikel 329e Absatz 1 OR. 
3 Stirbt der Arbeitnehmer oder die Arbeitnehmerin, so werden die Familienzulagen noch während des laufenden Monats und der drei darauf folgenden Monate ausgerichtet." 
 
4.3 Der Bundesrat hat den Anspruch auf Familienzulagen während eines unbezahlten Urlaubs im Sinne der Befreiung von der Arbeitsleistungs- und Lohnzahlungspflicht bei fortbestehendem Arbeitsverhältnis in der FamZV weder direkt geregelt noch dessen Regelung an das BSV übertragen. Insofern kann sich das BSV für den Erlass der strittigen Rz. 519.1 FamZWL weder auf eine explizite Regelung noch auf eine Subdelegation von Rechtsetzungsbefugnissen stützen. Zu prüfen bleibt, ob die Verwaltungsweisung im Gesetz oder in der Verordnung eine Stütze findet und deren rechtsgleichen Anwendung dient (vgl. E. 3). 
 
5. 
5.1 Art. 13 Abs. 1 FamZG lässt sich keine Regelung des Anspruchs auf Familienzulagen für jene Fälle entnehmen, in welchen der Lohnanspruch erloschen ist. Diese Aufgabe wurde vielmehr dem Bundesrat übertragen. Auch in den Materialien ist kein Anhaltspunkt ersichtlich, wonach der Gesetzgeber in Art. 13 FamZG einen Anspruch auf Familienzulagen bei vorübergehend fehlendem Lohnanspruch statuieren wollte. So gaben die genauere Bestimmung von Beginn und Ende des Anspruchs auf Familienzulagen und die Delegation zur Regelung dieser Sache an den Bundesrat in den Räten keinen Anlass zu einlässlichen Bemerkungen; umstritten war einzig der Einbezug der Selbstständigerwerbenden (vgl. AB 2005 N 330, 1572 ff. und 2006 N 246 sowie AB 2005 S 719 f. und 2006 S 99). Art. 13 Abs. 1 FamZG ist somit keine Grundlage für Rz. 519.1 FamZWL. 
 
5.2 Der Gesetzgeber hat in Art. 13 Abs. 1 FamZG den Grundsatz statuiert, wonach der Anspruch auf Familienzulagen mit dem Lohnanspruch entsteht und erlischt. Bezüglich der Regelung allfälliger Ausnahmen hat er dem Bundesrat hingegen keine Vorgaben gemacht und ihm so ein grosses Ermessen eingeräumt. 
Bei der Bestimmung dieses Anspruchs hat der Bundesrat an spezifische Tatbestände angeknüpft. Vom Wortlaut her fällt der ohne einen solchen Tatbestand bezogene unbezahlte Urlaub nicht darunter. Diese spezifischen Tatbestände in Art. 10 FamZV beziehen sich auf Arbeitsverhinderungs- und Urlaubsgründe des Arbeitsrechts (Art. 324a Abs. 1 und 3 sowie Art. 329e Abs. 1 OR) sowie auf den Tod des Arbeitnehmers oder der Arbeitnehmerin (Art. 338 OR) und den Bezug von Mutterschaftsurlaub; diese Tatbestände sind - mit Ausnahme von Art. 329e OR (Urlaub für ausserschulische Jugendarbeit) - mit einer Lohnfortzahlungspflicht des Arbeitgebers bzw. im Falle des Mutterschaftsurlaubs mit Lohnersatzleistungen gemäss dem Bundesgesetz vom 25. September 1952 über den Erwerbsersatz für Dienstleistende und bei Mutterschaft (Erwerbsersatzgesetz, EOG; SR 834.1) verbunden. Art. 10 FamZV dehnt die Anspruchsberechtigung gegenüber der Lohn(ersatz)- zahlungspflicht in zeitlicher Hinsicht aus und vereinheitlicht sie für die einzelnen Tatbestände; es lässt sich ihm jedoch kein Anspruch auf Familienzulagen bei einem nicht spezifisch begründeten Urlaub ohne Lohn(ersatz)zahlungspflicht entnehmen. Auch aus den Erläuterungen zur Familienzulagenverordnung ergibt sich nichts, das für eine Ausdehnung der Anspruchsberechtigung sprechen würde (vgl. Erläuterungen des BSV vom Oktober 2007 zur Verordnung über die Familienzulagen vom 31. Oktober 2007 [Familienzulagenverordnung, FamZV] und zu den Änderungen der Verordnung vom 11. November 1952 über die Familienzulagen in der Landwirtschaft [FLV], S. 8 f. «http://www.news.admin.ch/message/index.html?lang=de&msg-id=15365»). Eine sachliche Ausdehnung auf unspezifisch begründeten Urlaub war vom Verordnungsgeber somit offensichtlich nicht geplant. 
 
5.3 Das Gebot der rechtsgleichen Behandlung (Art. 8 Abs. 1 BV) ist verletzt, wenn ein Erlass hinsichtlich einer entscheidwesentlichen Tatsache rechtliche Unterscheidungen trifft, für die ein vernünftiger Grund in den zu regelnden Verhältnissen nicht ersichtlich ist, oder wenn er Unterscheidungen unterlässt, die sich aufgrund der Verhältnisse aufdrängen, wenn also Gleiches nicht nach Massgabe seiner Gleichheit gleich oder Ungleiches nicht nach Massgabe seiner Ungleichheit ungleich behandelt wird. Die Frage, ob für eine rechtliche Unterscheidung ein vernünftiger Grund in den zu regelnden Verhältnissen ersichtlich ist, kann zu verschiedenen Zeiten unterschiedlich beantwortet werden, je nach den herrschenden Anschauungen und Verhältnissen. Dem Gesetzgeber bleibt im Rahmen dieser Grundsätze und des Willkürverbots ein weiter Gestaltungsspielraum (BGE 136 I 1 E. 4.1 S. 5; 135 V 361 E. 5.4.1 S. 369; 134 I 23 E. 9.1 S. 42 mit Hinweisen). 
Das Gebot der rechtsgleichen Behandlung (Art. 8 Abs. 1 BV) gebietet keine Auslegung im Sinne der Gleichbehandlung des nicht spezifisch begründeten unbezahlten Urlaubs mit den anspruchsberechtigenden Tatbeständen. Denn angesichts der fehlenden Lohn(ersatz)zahlungspflicht beim nicht spezifisch begründeten unbezahlten Urlaub ist gerade ein sachlicher Grund gegeben, um diesen anders zu behandeln als die in Art. 10 FamZV geregelten Tatbestände, bei welchen der Arbeitnehmerin oder dem Arbeitnehmer ein Lohn(ersatz) auch während des Aussetzens der Arbeit ausgerichtet wird. 
 
5.4 Nach dem Gesagten erweist sich die gemäss Verordnung fehlende Anspruchsberechtigung auf Familienzulagen bei nicht spezifisch begründetem unbezahltem Urlaub nicht als gesetzwidrig. Da Rz. 519.1 FamZWL über die Gesetzes- und die Verordnungsbestimmung hinausgeht, fehlt es an einer Rechtsgrundlage für den Zulagenanspruch während eines solchen Urlaubs (vgl. auch UELI KIESER/MARCO REICHMUTH, Bundesgesetz über die Familienzulagen [FamZG], Praxiskommentar, 2010, N. 94 ff. zu Art. 13 FamZG). Gleiches gilt, wenn nach den 16 Wochen Mutterschaftsurlaub das Aussetzen der Arbeit mit einem unbezahlten Urlaub verlängert wird. 
Daran ändern auch die vom BSV für die Ausdehnung der Anspruchsberechtigung auf den unbezahlten Urlaub geltend gemachten Gründe (Gleichstellung der trotz andauerndem Arbeitsverhältnis nur einen Teil des Jahres erwerbstätigen Arbeitnehmenden mit regelmässig in einem kleinen Pensum tätigen Arbeitnehmenden; Vermeidung von Anspruchslücken; Vermeidung von administrativem Mehraufwand) nichts. Denn das BSV hat sich als Aufsichtsbehörde an die gesetzlichen Anspruchsvoraussetzungen zu halten. 
 
6. 
Gemäss Art. 66 Abs. 4 BGG werden keine Gerichtskosten erhoben. 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2. 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
 
3. 
Dieses Urteil wird den Parteien, S.________ und dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, schriftlich mitgeteilt. 
 
Luzern, 23. März 2011 
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin: 
 
Ursprung Riedi Hunold