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Eidgenössisches Versicherungsgericht 
Tribunale federale delle assicurazioni 
Tribunal federal d'assicuranzas 
 
Sozialversicherungsabteilung 
des Bundesgerichts 
 
Prozess 
{T 7} 
I 457/03 
 
Urteil vom 11. November 2003 
III. Kammer 
 
Besetzung 
Präsident Borella, Bundesrichter Meyer und Kernen; Gerichtsschreiberin Hofer 
 
Parteien 
IV-Stelle des Kantons Thurgau, St. Gallerstrasse 13, 8500 Frauenfeld, Beschwerdeführerin, 
 
gegen 
 
G.________, 1996, Beschwerdegegnerin, vertreten durch ihre Eltern 
 
Vorinstanz 
AHV/IV-Rekurskommission des Kantons Thurgau, Weinfelden 
 
(Entscheid vom 5. Juni 2003) 
 
Sachverhalt: 
A. 
Die 1996 geborene G.________ hatte beidseits stark abstehende Ohrmuscheln. Am 20. September 2002 ersuchten ihre Eltern die Invalidenversicherung um Übernahme einer Ohrmuschelkorrektur. Die Ohrmuschelplastik wurde am 24. September 2002 in der Chirurgischen Klinik des Spitals, S.________, durchgeführt. Dr. med. T.________, Oberärztin FMH für Kinderchirurgie, diagnostizierte im Zeugnis vom 17. Oktober 2002 eine ausgeprägte Concha-Hyperplasie und eine Anthelix-Hypoplasie links mehr als rechts. Mit Verfügung vom 16. Januar 2003 lehnte die IV-Stelle des Kantons Thurgau den geltend gemachten Anspruch auf medizinische Massnahmen ab. Daran hielt sie mit Einspracheentscheid vom 4. März 2003 fest. 
B. 
Die hiegegen erhobene Beschwerde hiess die AHV/IV-Rekurskommission des Kantons Thurgau mit Entscheid vom 5. Juni 2003 in dem Sinne gut, als sie den angefochtenen Einspracheentscheid aufhob und die Sache an die IV-Stelle zurückwies, damit diese im Sinne der Erwägungen verfahre und insbesondere abkläre, ob und allenfalls in welchem Ausmass die abstehenden Ohren die Schulungs- und Ausbildungsfähigkeit beeinträchtigt und zu einer Einschränkung der Erwerbsfähigkeit geführt hätten. 
C. 
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt die IV-Stelle, es sei ihr Einspracheentscheid vom 4. März 2003, in Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheids, zu bestätigen. 
 
Die Eltern von G.________ schliessen auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde, während das Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) deren Gutheissung beantragt. 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: 
 
1. 
Auf den 1. Januar 2003 ist das Bundesgesetz über den allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober 2000 in Kraft getreten, welches im Hinblick darauf, dass Verfügung (16. Januar 2003) und Einspracheentscheid (4. März 2003) nach diesem Zeitpunkt ergangen sind, auf den vorliegenden Fall grundsätzlich anwendbar ist, auch wenn sich der massgebende Sachverhalt schon vor Inkrafttreten des ATSG verwirklicht hat (Art. 82 Abs. 1 ATSG; Ueli Kieser, ATSG-Kommentar, S. 818, Rz 4). 
2. 
2.1 Nach Art. 12 Abs. 1 IVG hat ein Versicherter Anspruch auf medizinische Massnahmen, die nicht auf die Behandlung des Leidens an sich, sondern unmittelbar auf die berufliche Eingliederung gerichtet und geeignet sind, die Erwerbsfähigkeit dauernd und wesentlich zu verbessern oder vor wesentlicher Beeinträchtigung zu bewahren. Um Behandlung des Leidens an sich geht es in der Regel bei der Heilung oder Linderung labilen pathologischen Geschehens. Die Invalidenversicherung übernimmt in der Regel nur solche medizinische Vorkehren, die unmittelbar auf die Beseitigung oder Korrektur stabiler oder wenigstens relativ stabilisierter Defektzustände oder Funktionsausfälle hinzielen und welche die Wesentlichkeit und Beständigkeit des angestrebten Erfolges gemäss Art. 12 Abs. 1 IVG voraussehen lassen (BGE 120 V 279 Erw. 3a mit Hinweisen). 
2.2 Bei nicht erwerbstätigen Personen vor dem vollendeten 20. Altersjahr bestimmt sich die Invalidität nach Art. 8 Abs. 2 ATSG (Art. 5 Abs. 2 IVG in der ab 1. Januar 2003 in Kraft stehenden Fassung). Laut Art. 8 Abs. 2 ATSG gelten nicht erwerbstätige Minderjährige als invalid, wenn die Beeinträchtigung ihrer körperlichen oder geistigen Gesundheit voraussichtlich eine ganze oder teilweise Erwerbsunfähigkeit zur Folge haben wird. Art. 8 Abs. 2 ATSG lehnt sich an die in der bisherigen Gesetzgebung enthaltene Umschreibung der Invalidität von Minderjährigen an, wobei der Begriff "voraussichtlich" an die Stelle von "wahrscheinlich" (vgl. Art. 5 Abs. 2 IVG in der bis 31. Dezember 2002 gültig gewesenen Fassung) getreten ist. Bereits im Rahmen der bis 31. Dezember 2002 gültig gewesenen Gesetzesbestimmung hatte indessen eine qualifiziert auf die Zukunft ausgerichtete Betrachtungsweise Platz zu greifen. Diesbezüglich hat das Eidgenössische Versicherungsgericht erwogen, medizinische Vorkehren könnten bei Jugendlichen schon dann der beruflichen Eingliederung dienen und trotz des einstweilen noch labilen Leidenscharakters von der Invalidenversicherung übernommen werden, wenn ohne diese Vorkehren eine Heilung mit Defekt oder ein sonst wie stabilisierter Zustand einträte, wodurch die Berufsausbildung oder die Erwerbsfähigkeit oder beide beeinträchtigt würden (BGE 105 V 20; AHI 2000 S. 64 Erw. 1). Diese zu altArt. 5 Abs. 2 IVG ergangene Rechtsprechung ist nach wie vor massgebend. Bei nichterwerbstätigen Minderjährigen ist somit zu überprüfen, ob die - erhebliche - gesundheitliche Beeinträchtigung auf dem in Betracht kommenden Arbeitsmarkt einen Verlust der Erwerbsmöglichkeiten verursachen wird. Damit sind bei Minderjährigen die invaliditätsmässigen Voraussetzungen der einzelnen Leistungsansprüche einer besonderen, in der Regel erleichterten, Auslegung zugänglich (vgl. Ueli Kieser, a.a.O., S. 108, Rz 10 und Ulrich Meyer-Blaser, Rechtsprechung des Bundesgerichts zum IVG, Zürich 1997, S. 31 ff.). 
3. 
3.1 Die Rekurskommission hat erwogen, abstehende Ohren stellten kein Geburtsgebrechen im Sinne der Liste im Anhang zur GgV dar. Sie könnten auch nicht dem Geburtsgebrechen der angeborenen Herz- und Gefässmissbildungen gemäss Ziffer 313 GgV-Anhang beigeordnet werden, an dem die Versicherte unbestrittenermassen leide und für welches die Invalidenversicherung Leistungen erbringe. Ob eine Leistung allenfalls gestützt auf Art. 12 IVG zugesprochen werden könne, hänge davon ab, ob die Hypoplasie voraussichtlich die Schulungs- und Ausbildungsfähigkeit beeinträchtigen und damit später wahrscheinlich zu einer ganzen oder teilweisen Erwerbsunfähigkeit führen würde. Da sich den ärztlichen Angaben diesbezüglich nichts entnehmen lasse, sei die Sache zur ergänzenden Abklärung an die Verwaltung zurückzuweisen. 
3.2 Die IV-Stelle wendet dagegen ein, mit der Ohrmuschelkorrektur sei ein rein kosmetischer Mangel behoben worden, der höchst wahrscheinlich keine berufliche Beeinträchtigung zur Folge gehabt hätte. Anhaltspunkte für einen besonderen Schweregrad des angeborenen Leidens, welcher geeignet wäre, die Leistungsfähigkeit in Schule, Ausbildung und Erwerbstätigkeit zu beeinträchtigen, lägen keine vor. Es gehe insbesondere nicht an, über die allgemeine Bestimmung von Art. 12 IVG eine Leistungspflicht für ein aus der Liste der Geburtsgebrechen gestrichenes Leiden wieder einzuführen. Das BSV weist in seiner Vernehmlassung darauf hin, dass keine Leistungspflicht der Invalidenversicherung nach Art. 12 Abs. 1 IVG gegeben sei mit Bezug auf Leiden, die wegen ihrer Geringfügigkeit Art. 13 IVG nicht zugänglich seien. 
4. 
Handelt es sich bei abstehenden Ohren nicht um eigentliche Missbildungen mit Schallleitungsschwerhörigkeit im Sinne einer Atresia auris (angeborene schwere Ohrmissbildung; vgl. Ziffer 441 GgV-Anhang), sondern ist die Ohrmuschelplastik zur Stellungskorrektur einer vorhandenen, aber abstehenden und deformierten Muschel ausgeführt worden, so liegt keine Leistungspflicht im Rahmen eines Geburtsgebrechens vor. Stellungs- und Formanomalien der Ohrmuschel (abstehende oder zu grosse Ohren) gelten nicht als Missbildungen im eigentlichen Sinne, sondern als unschöne ererbte Abweichungen von der Normalform der Muschel eines funktionell normalen Ohres, die keine Schallleitungs-Schwerhörigkeit verursachen (ZAK 1969 S. 310 Erw. 2). Ziffer 442 GgV-Anhang, welche "angeborene Missbildungen des Ohrmuschelskeletts (ausgenommen abstehende Ohren)" als Geburtsgebrechen anführte, wurde mit Wirkung ab 1. Januar 1998 aus der Liste gestrichen. Kann für die streitige Behandlung somit gestützt auf den erweiterten Tatbestand von Art. 13 IVG (Anspruch bei Geburtsgebrechen) keine Leistungspflicht abgeleitet werden, ist das Leistungsbegehren im Hinblick auf den Grundtatbestand der Eingliederung (Art. 12 IVG) zu prüfen (vgl. ZAK 1972 S. 679 Erw. 2b). Dies wird denn auch nicht bestritten. Fraglich ist einzig, ob dafür ergänzende (medizinische) Abklärungen erforderlich sind. 
5. 
5.1 Wie das Eidgenössische Versicherungsgericht wiederholt erwogen hat, beeinflussen körperliche Beeinträchtigungen kosmetischer Art die Erwerbsfähigkeit in der Regel nicht. Ästhetische Mängel können sich aber ausnahmsweise mittelbar auf die Erwerbsfähigkeit auswirken, wenn sie zu psychischen Belastungen führen, die ihrerseits die berufliche Leistungsfähigkeit beeinflussen. Sie sind aber invalidenversicherungsrechtlich nur relevant, wenn sie so schwerwiegend sind, dass mit einer effektiven und wesentlichen Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit gerechnet werden muss (ZAK 1977 S. 113 Erw. 2 mit Hinweis). So wurde der Anspruch auf Abgabe einer Perücke zu Lasten der Invalidenversicherung bejaht im Falle einer versicherten Person, welche an hochgradiger Alopezie (Haarausfall) und damit verbundenen psychoreaktiven Störungen litt (vgl. ZAK 1975 S. 33 Erw. 1). Nicht jede Gesichtsentstellung ist eine wesentliche Beeinträchtigung der Erwerbsfähigkeit (ZAK 1972 S. 680). In Fällen von Lippen-Kiefer-Gaumenspalten hat das Eidgenössische Versicherungsgericht erwogen, dass u.a. dann ein Anspruch auf medizinische Massnahmen besteht, wenn diese zur Behebung einer erheblichen Gesichtsentstellung dienen. Diese Beeinträchtigung könne sich nachteilig auf die Kontaktfähigkeit und namentlich auf die künftige Wettbewerbsfähigkeit auswirken, zumal wenn die versicherte Person noch jugendlichen Alters sei und daher den wesentlichen Teil ihrer beruflichen Aktivität und ihres möglichen beruflichen Aufstiegs noch vor sich habe (ZAK 1971 S. 101, 1970 S. 556). Die gleiche Betrachtungsweise rechtfertige sich auch, wenn das Gesicht in anderer Weise entstellt sei (nicht veröffentlichtes Urteil S. vom 30. Mai 1978, I 547/77). Verwehrt ein Gebrechen lediglich den Zugang zu einem oder einigen wenigen Berufen, ohne im Übrigen die freie Berufswahl wesentlich zu behindern, so beeinträchtigt dieser Umstand die - auf den allgemeinen Arbeitsmarkt bezogene - Erwerbsfähigkeit praktisch nicht (vgl. ZAK 1983 S. 446 Erw. 1b; Ulrich Meyer-Blaser, a.a.O., S. 32). Mit Bezug auf einen markanten Vorstand des Oberkiefers bei einem Knaben hat das Eidgenössische Versicherungsgericht dafür gehalten, die unkorrigierte Kieferfehlstellung könne zwar im ungünstigsten Fall den Zugang zu einigen wenigen Berufen erschweren oder verunmöglichen sowie die Kontaktfähigkeit unter Umständen etwas beeinflussen. Die freie Berufswahl und Berufsbildung sei davon aber nicht wesentlich betroffen (nicht veröffentlichtes Urteil P. vom 24. Oktober 1988, I 193/87). 
5.2 Gemäss den Ausführungen von Dr. med. T.________ im Zeugnis vom 17. Oktober 2002 leidet die Versicherte körperlich wie auch psychisch stark unter den ausgeprägten abstehenden Ohren. Es sei ihr unmöglich, ein Stirnband, eine Kappe oder einen Helm zu tragen, da vor allem das linke Ohr nach vorne gerollt werde, was zu Schmerzen führe. Die Ärztin bejahte daher die medizinische Indikation für eine Ohrmuschelplastik bereits vor Schuleintritt. Nach Auffassung des Regionalen Ärztlichen Dienstes der Invalidenversicherung hätten die deutlich abstehenden Ohren ohne die erfolgte Behandlung eine psychische Belastung darstellen können. Dass ein solch rein kosmetischer Mangel zu einer beruflichen Beeinträchtigung führen könne, sei jedoch in allerhöchstem Masse unwahrscheinlich und durch praktische Beispiele vielfach widerlegt. 
5.3 Wie das Eidgenössische Versicherungsgericht im Urteil M. vom 10. Februar 2003 (I 693/92), auf welches die IV-Stelle verweist, erwogen hat, können Abweichungen des äusseren körperlichen Erscheinungsbildes von der idealen Norm, wie beispielsweise eine überproportionierte Nase oder abstehende Ohren mitunter zu psychischen Beschwerden führen. Die Versicherte leidet zudem an einer angeborenen Herz- und Gefässmissbildung, welche gemäss den Angaben der Eltern die Psyche und das Selbstbewusstsein ebenfalls belasten. Die vor der Operation aufgenommenen Photos zeigen eine deutlich abnorme Ohrstellung. Dies kann zweifellos eine psychische Belastung bedeuten, welche das Selbstvertrauen und die Leistungsfähigkeit zu beeinflussen vermag. Auch hat die äussere Erscheinung bei Kindern (Hänseleien in der Schule) und Berufstätigen eine gewisse Bedeutung. Es kann indessen nicht gesagt werden, die nachteilige äussere Erscheinung der Versicherten habe objektiv einen Schweregrad erreicht, welcher geeignet wäre, in psychischer Hinsicht eine derartige Belastung darzustellen, dass Schul- und Ausbildung sowie später das Erwerbsleben dadurch erheblich beeinträchtigt würden. Auch die freie Berufswahl wäre durch die Ohrfehlstellung nicht wesentlich tangiert gewesen. Die streitige Ohrmuscheloperation kann daher von der Invalidenversicherung auch nicht gestützt auf Art. 12 Abs. 1 IVG übernommen werden. 
6. 
Mit diesem Ausgang des Verfahrens - Verneinung der invalidenversicherungsrechtlich erforderlichen Bedeutung des Gebrechens auf die künftige schulische und spätere erwerbliche Entwicklung - ist die krankenversicherungsrechtlich entscheidende Frage nach einer objektiven Behandlungsbedürftigkeit nicht präjudiziert (vgl. RSKV 1983 Nr. 529 S. 93). 
 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht: 
1. 
In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird der Entscheid der AHV/IV-Rekurskommission des Kantons Thurgau vom 5. Juni 2003 aufgehoben. 
2. 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
3. 
Dieses Urteil wird den Parteien, der AHV/IV-Rekurskommission des Kantons Thurgau, der Ausgleichskasse des Kantons Thurgau und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt. 
Luzern, 11. November 2003 
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts 
Der Präsident der III. Kammer: Die Gerichtsschreiberin: