Urteilskopf
138 I 225
20. Auszug aus dem Urteil der II. sozialrechtlichen Abteilung i.S. B. gegen Ausgleichskasse Schwyz (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
9C_881/2011 vom 27. Juni 2012
Regeste
Art. 14 ELG;
§ 8 Abs. 3 ELG/SZ; Vergütung von Krankheits- und Behinderungskosten im Rahmen von Ergänzungsleistungen.
Die Limitierung der Vergütung von Krankheits- und Behinderungskosten in Verweisung auf Art. 14 ELG verletzt weder das Gleichbehandlungsgebot von Art. 8 Abs. 1 BV und Art. 14 EMRK noch das Recht auf Familienleben gemäss Art. 13 Abs. 1 BV und Art. 8 Ziff. 1 EMRK (E. 3.5-3.9).
A.
Der 1977 geborene B. bezieht nebst einer ganzen Rente der Invalidenversicherung eine Hilflosenentschädigung für Hilflosigkeit schweren Grades. Die Ausgleichskasse Schwyz (nachfolgend: Ausgleichskasse) richtet Ergänzungsleistungen (EL) aus. Mit Verfügung vom 30. November und 2. Dezember 2010 kürzte die Ausgleichskasse die Rückerstattung von Krankheits- und Behinderungskosten mit der Begründung, diese würden nur bis zu einem Höchstbetrag von Fr. 90'000.- pro Jahr vergütet, welcher für das Jahr 2010 bereits erreicht sei. Daran hielt sie mit Einspracheentscheid vom 22. Juni 2011 fest.
B.
Die Beschwerde des B. wies das Verwaltungsgericht des Kantons Schwyz mit Entscheid vom 26. September 2011 ab.
C.
B. lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen und beantragen, unter Aufhebung des Entscheides vom 26. September 2011 sei die Ausgleichskasse zu verpflichten, ihm die Kosten der behinderungsbedingten Aufwendungen ohne betragsmässige jährliche Limite zu vergüten. Ferner lässt er um unentgeltliche Rechtspflege ersuchen.
Die Ausgleichskasse schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Das kantonale Gericht und das Bundesamt für Sozialversicherungen verzichten auf eine Stellungnahme.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
Aus den Erwägungen:
1.1
Die Kantone vergüten den Bezügerinnen und Bezügern einer jährlichen Ergänzungsleistung ausgewiesene, im laufenden Jahr entstandene Krankheits- und Behinderungskosten namentlich für
BGE 138 I 225 S. 227
Hilfe, Pflege und Betreuung zu Hause (
Art. 14 Abs. 1 lit. b ELG [SR 831.30]). Für die zusätzlich zur jährlichen Ergänzungsleistung vergüteten Krankheits- und Behinderungskosten können die Kantone Höchstbeträge festlegen. Diese dürfen jedoch für zu Hause lebende, alleinstehende Personen den Betrag von Fr. 25'000.- nicht unterschreiten (Art. 14 Abs. 3 lit. a Ziff. 1 ELG). Haben solche Personen einen Anspruch auf eine Hilflosenentschädigung der Invaliden- oder Unfallversicherung, erhöht sich der Mindestbetrag bei schwerer Hilflosigkeit auf Fr. 90'000.-, soweit die Kosten für Pflege und Betreuung durch die Hilflosenentschädigung nicht gedeckt sind (
Art. 14 Abs. 4 ELG in der bis 31. Dezember 2011 geltenden Fassung).
1.2
Unter dem Titel "Krankheits- und Behinderungskosten" lautet § 8 Abs. 3 des schwyzerischen Gesetzes vom 28. März 2007 über Ergänzungsleistungen zur Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung (ELG/SZ; SRSZ 362.200) wie folgt: "Die Höchstbeträge der Vergütungen richten sich nach dem Bundesgesetz (
Art. 14 ELG)."
2.
Die Vorinstanz ist der Auffassung, der kantonale Gesetzgeber habe mit
§ 8 Abs. 3 ELG/SZ zum Ausdruck gebracht, dass er die bundesrechtlichen Mindestbeträge als Anspruchsbegrenzung erachte und mit seinen Leistungen nicht darüber hinausgehen wolle. Die Bestimmung stehe namentlich nicht im Widerspruch zu
Art. 14 Abs. 3 und 4 ELG und die Beschränkung der Vergütung von Krankheits- und Behinderungskosten auf jährlich Fr. 90'000.- verletze auch sonst kein Bundesrecht.
Der Beschwerdeführer rügt eine unrichtige Anwendung des Gesetzes (
§ 8 Abs. 3 ELG/SZ in Verbindung mit
Art. 14 Abs. 3 und 4 ELG). Überdies macht er eine Ungleichbehandlung von zu Hause und im Heim lebenden pflegebedürftigen Personen geltend, worin er eine Verletzung des Gleichbehandlungsgebotes von
Art. 8 Abs. 1 BV resp. des Diskriminierungsverbotes von
Art. 14 EMRK sowie des Rechts auf Privat- und Familienleben gemäss
Art. 13 Abs. 1 BV und
Art. 8 Ziff. 1 EMRK sieht.
3.1
Das Bundesgericht prüft die Handhabung kantonalen Rechts - vorbehältlich der in
Art. 95 lit. c und d BGG genannten Fälle - bloss auf Willkür hin (
Art. 9 BV). Mit freier Kognition beurteilt es indessen die Frage, ob die willkürfreie Auslegung des kantonalen Rechts mit den durch BV und EMRK garantierten Grundrechten
BGE 138 I 225 S. 228
vereinbar ist (Urteil 9C_149/2007 vom 4. Juni 2007 E. 3.3 mit Hinweis auf
BGE 129 V 335
E.1.3.2 S. 338).
3.2
Die Verletzung von Grundrechten (einschliesslich der willkürlichen Anwendung von kantonalem Recht,
BGE 133 II 249
E. 1.4.3 S. 255) prüft das Bundesgericht nicht von Amtes wegen, sondern nur insoweit, als eine solche Rüge in der Beschwerde vorgebracht und begründet worden ist (
Art. 106 Abs. 2 BGG;
BGE 133 II 249
E. 1.4.2 S. 254 mit Hinweisen).
3.3.1
Dem Beschwerdeführer ist zwar beizupflichten, dass das Bundesrecht mit
Art. 14 Abs. 3 und 4 ELG keine Höchstbeträge für Kostenvergütungen vorsieht, sondern lediglich für kantonalrechtliche Leistungslimitierungen untere Grenzen setzt. Die vorinstanzliche Auslegung von
§ 8 Abs. 3 ELG/SZ, wonach der Kanton damit von der Ermächtigung zur Festlegung von Höchstbeträgen Gebrauch machte und diese den bundesrechtlichen Mindestbeträgen (vgl.
Art. 14 Abs. 3 und 4 ELG) entsprechen, ist indessen - namentlich angesichts des Wortlautes der kantonalen Bestimmung und mit Blick auf die Materialien (vgl. E. 3.3.2) - im Ergebnis nicht willkürlich (vgl. dazu
BGE 134 II 124
E. 4.1 S. 133;
BGE 133 I 149
E. 3.1 S. 153 mit Hinweisen). Das wird denn auch nicht geltend gemacht, weshalb sich diesbezügliche Weiterungen erübrigen (E. 3.2). Die kantonale Norm genügt auch den Anforderungen an die Bestimmtheit: Der Umstand, dass über die Auslegung einer Regelung verschiedene Auffassungen vertreten werden können, trifft häufig zu und liegt regelmässig in der Natur der Sache. Zudem ist der Verweis auf die bundesrechtlich festgesetzten Mindestbeträge zulässig, zumal diese nur vom (Bundes-)Gesetzgeber in einem klar geregelten Verfahren geändert werden können, womit namentlich den Grundsätzen der Rechtssicherheit sowie der Berechenbarkeit und Vorhersehbarkeit staatlichen Handelns Genüge getan ist (vgl.
BGE 135 I 169
E. 5.4.1 S. 173).
3.3.2
Dass mit der kantonalen Leistungsbegrenzung die bundesrechtlich festgelegte Mindesthöhe unterschritten oder
Art. 14 ELG sonst wie verletzt sein soll, ist nicht ersichtlich. Bereits nach der früheren, im Rahmen der Neugestaltung des Finanzausgleichs und der Aufgabenteilung zwischen Bund und Kantonen (NFA [AS 20075779]) auf den 31. Dezember 2007 aufgehobenen bundesrechtlichen Regelung (Art. 3d Abs. 2
bis
aELG [AS 2003 3857]) war dieKostenvergütung für Krankheits- und Behinderungskosten bei schwer
BGE 138 I 225 S. 229
hilflosen Personen auf Fr. 90'000.- beschränkt. Anlässlich der Aufgabenneuverteilung sollte eine Verschlechterung der Stellung versicherter Personen vermieden werden, indessen wurde den Kantonen auch keine umfangreichere Leistungspflicht als die bisherige auferlegt (Botschaft vom 7. September 2005 zur NFA-Ausführungsgesetzgebung, BBl 2005 6224 Ziff. 2.9.8.2.2). Die schwyzerische Regelung, mit welcher die Ergänzungsleistungen für Krankheits- und Behinderungskosten unter Einhaltung der Mindestbeträge von
Art. 14 Abs. 3 und 4 ELG limitiert werden, steht daher im Einklang mit den bundesgesetzlichen Vorgaben.
3.4
Es trifft zu, dass für den Beschwerdeführer in finanzieller Hinsicht möglicherweise eine günstigere Situation resultieren würde, wenn er nicht (mehr) zu Hause, sondern in einer Institution lebte, weil in diesem Fall der Kanton ungedeckte Krankheitskosten - jedenfalls soweit sie mit diesem Aufenthalt in Zusammenhang stehen - zu übernehmen hätte (
Art. 7 des Bundesgesetzes vom 6. Oktober 2006 über die Institutionen zur Förderung der Eingliederung von invaliden Personen [IFEG; SR 831.26]). Nach Auffassung des Versicherten stellt dies eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung und, wenn er nicht Sozialhilfe beanspruchen will, faktisch einen "Heimzwang" dar, wodurch die bisher gelebte Hausgemeinschaft mit den Eltern verunmöglicht werde.
3.5
Die Grundrechte richten sich in erster Linie als Abwehrrechte gegen den Staat und geben nur ausnahmsweise und punktuell verfassungsunmittelbare Leistungsansprüche. Namentlich liegt keine Verletzung von Grundrechten darin, dass die Sozialversicherung nicht alle durch die Behinderung verursachten Kosten übernimmt. Aus den Grundrechten kann in der Regel kein direkter Anspruch auf positive staatliche Leistungen abgeleitet werden. Bei der Auslegung sozialversicherungsrechtlicher Leistungsnormen sowie bei der Ermessenshandhabung ist jedoch den Grundrechten und verfassungsmässigen Grundsätzen Rechnung zu tragen, soweit dies im Rahmen von
Art. 190 BV, wonach Bundesgesetze und Völkerrecht für das Bundesgericht und die anderen rechtsanwendenden Behörden massgebend sind, möglich ist (
BGE 134 I 105
E. 5 S. 109 f.; SVR 2009 IV Nr. 49 S. 149, 8C_315/2008 E. 3.4.2.1).
3.6.1
Das Gebot der rechtsgleichen Behandlung (
Art. 8 Abs. 1 BV) ist verletzt, wenn ein Erlass hinsichtlich einer entscheidwesentlichen Tatsache rechtliche Unterscheidungen trifft, für die ein vernünftiger
BGE 138 I 225 S. 230
Grund in den zu regelnden Verhältnissen nicht ersichtlich ist, oder wenn er Unterscheidungen unterlässt, die sich aufgrund der Verhältnisse aufdrängen. Die Rechtsgleichheit ist verletzt, wenn Gleiches nicht nach Massgabe seiner Gleichheit gleich oder Ungleiches nicht nach Massgabe seiner Ungleichheit ungleich behandelt wird. Dem Gesetzgeber bleibt im Rahmen dieser Grundsätze und des Willkürverbots ein weiter Spielraum der Gestaltung, den das Bundesgericht nicht durch eigene Gestaltungsvorstellungen schmälert (
BGE 136 I 1
E. 4.1 S. 5;
BGE 135 V 361
E. 5.4.1 S. 369;
BGE 134 I 23
E. 9.1 S. 42).
3.6.2
Das IFEG bezweckt, invaliden Personen den Zugang zu einer Institution zur Förderung der Eingliederung zu gewährleisten (
Art. 1 IFEG). Entsprechend den Vorgaben von
Art. 112 Abs. 2 und 3 BV war es die Absicht des Gesetzgebers, jeder invaliden Person, die darauf angewiesen ist und dies wünscht, den Zugang zu einer angemessenen Institution zu gewährleisten, und zwar insbesondere unabhängig von ihren finanziellen Mitteln (BBl 2005 6204 Ziff. 2.9.4.4 zu Art. 1). Das gewährleistete Angebot darf grundsätzlich nur Institutionen umfassen, deren Kosten die Mittel invalider Personen nicht übersteigen; andernfalls haben sich die Kantone daran zu beteiligen (BBl 2005 6207 f. Ziff. 2.9.4.4 zu Art. 7). Das Ziel, eine durch einen Pflegeheimaufenthalt bewirkte Sozialhilfeabhängigkeit zu verhindern, kann indessen nicht gleichgesetzt werden mit jenem, eine solche für alle invaliden Personen zu vermeiden. Davon abgesehen steht im Übrigen nicht von vornherein fest, dass der öffentlichen Hand durch den Aufenthalt in einer Eingliederungsinstitution insgesamt - sei es über die Sozialversicherung oder die kantonale Verwaltung - höhere Kosten erwachsen, als wenn die invalide Person zu Hause lebt. Weiter hat die Vorinstanz zutreffend erkannt, dass die Möglichkeiten des Kantons zur Steuerung des Kostenmanagements nur bei Institutionen gemäss IFEG, nicht aber bei zu Hause betreuten Versicherten gegeben sind. Dass für solche Personen keine "Defizitgarantie" im Sinne eines Anspruchs auf betragsmässig unbegrenzte Ergänzungsleistungen besteht, entbehrt nach dem Gesagten nicht eines sachlichen und vernünftigen Grundes. Ein solcher Anspruch kann deshalb auch nicht aus
Art. 7 IFEG in Verbindung mit
Art. 8 Abs. 1 BV hergeleitet werden.
3.7
Die Begrenzung der Ergänzungsleistungen gilt namentlich für alle invaliden Personen gleichermassen, auf welche die kantonale Bestimmung von
§ 8 Abs. 3 ELG/SZ anwendbar ist. Soweit sich der Beschwerdeführer auf das Diskriminierungsverbot von
Art. 8 Abs. 2
BGE 138 I 225 S. 231
BV und
Art. 14 EMRK beruft, legt er nicht dar, inwiefern die unterschiedliche Behandlung an ein verpöntes Kriterium (
BGE 134 I 105
E. 5 S. 108 f.; Urteil 9C_886/2010 vom 10. Juni 2011 E. 3.2) anknüpfen soll. Darauf ist nicht weiter einzugehen (E. 3.2).
3.8.1
Gemäss
Art. 8 EMRK hat jede Person das Recht auf Achtung ihres Familienlebens. Aus dieser Norm lässt sich kein Anspruch auf finanzielle Leistungen zugunsten von Familien ableiten (GRABENWARTER/PABEL, Europäische Menschenrechtskonvention, 5. Aufl. 2012, § 22 S. 238 Rz. 21). Die Bestimmung begründet jedoch ein Recht auf Zusammenleben und auf persönliche Kontakte unter den Familienmitgliedern (JENS MEYER-LADEWIG, Europäische Menschenrechtskonvention, Handkommentar, 3. Aufl. 2011, N. 53 zu
Art. 8 EMRK). Im Anschluss an diese konventionsrechtliche Garantie gewährleistet auch
Art. 13 Abs. 1 BV den Anspruch jeder Person auf Achtung ihres Familienlebens (SVR 2009 IV Nr. 49 S. 149, 8C_315/2008 E. 3.4.2.2).
3.8.2
Der Beschwerdeführer rügt zu Recht nicht einen (staatlichen) Eingriff in das Familienleben: Soweit er geltend macht, aus der Festlegung eines Höchstbetrages für die Ergänzungsleistungen ergebe sich die Konsequenz eines Heimeintritts, kann ihm nicht gefolgt werden, zumal sich an der Wohnsituation bisher auch tatsächlich nichts geändert zu haben scheint. Der angefochtene Entscheid bedeutet denn auch keinen Zwang, sich in institutionelle Pflege zu begeben, und keine Pflicht, die Familie auseinanderzureissen; er besagt nur, dass nicht sämtliche behinderungsbedingten Kosten von der Sozialversicherung gedeckt werden, worauf die Grundrechte aber keinen Anspruch geben (Urteil 9C_886/2010 vom 10. Juni 2011 E. 3.2).
3.9
Nach dem Gesagten liegt in der gesetzlich vorgesehenen Möglichkeit, die Ergänzungsleistungen für Krankheits- und Behinderungskosten zu limitieren (E. 1.1), keine Verletzung der angerufenen Grundrechte. Ebenso verbleibt angesichts des klaren Wortlauts für die Auslegung von
Art. 14 ELG mit Blick auf die Grundrechte kein Spielraum in dem Sinn, dass die Festsetzung eines Höchstbetrages unzulässig sein soll, soweit diesbezüglich überhaupt eine Überprüfungsbefugnis gegeben ist (vgl. E. 3.5 in fine). Die Beschwerde ist unbegründet.