Chapeau
143 IV 214
29. Auszug aus dem Urteil der Strafrechtlichen Abteilung i.S. Staatsanwaltschaft des Kantons Uri gegen Jäggi, A. gegen X., Staatsanwaltschaft des Kantons Uri gegen Jäggi und X. sowie X. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Uri und B. (Beschwerde in Strafsachen)
6B_824/2016 und andere vom 10. April 2017
Regeste a
Art. 345, 389 et 399 al. 3 let. c CPP; autorité des arrêts de renvoi du Tribunal fédéral; pouvoir d'examen de l'autorité d'appel statuant à nouveau; recevabilité des preuves nouvelles.
Lorsque la juridiction d'appel doit se prononcer à nouveau sur les preuves après renvoi par le Tribunal fédéral, elle peut s'écarter de l'appréciation qu'elle avait opérée dans son premier jugement sur appel pour peu qu'elle juge sa nouvelle appréciation plus juste. Une nouvelle appréciation des preuves, divergente, par l'autorité d'appel après renvoi est admissible en tant que l'état de fait en question peut encore être entrepris devant le Tribunal fédéral sous l'angle de l'arbitraire et n'est, partant, pas définitivement établi (consid. 5.3.2).
L'appelant doit - sous réserve des nova - formuler ses réquisitions de preuves dans la déclaration d'appel (cf. art. 399 al. 3 let. c CPP) ou, au plus tard, avant la clôture de la procédure probatoire. La juridiction d'appel n'est pas tenue d'inviter les parties à désigner leurs preuves en application de l'art. 345 CPP. Toutefois la maxime de l'instruction et le principe de la recherche de la vérité matérielle s'imposent également dans une procédure consécutive à un renvoi. Il n'est alors pas interdit au tribunal d'appel d'administrer des preuves complémentaires qui auraient pu l'être à un stade antérieur de la procédure lorsqu'il en va, à ses yeux, de la recherche de la vérité (consid. 5.4).
Regeste b
Art. 17 al. 3 Cst.,
art. 10 par. 1 CEDH,
art. 28a CP et
art. 172 CPP; protection des sources des médias en procédure pénale; limites du droit de refuser de témoigner; proportionnalité de l'obligation de témoigner.
Il s'agissait, en l'espèce, d'élucider une tentative d'assassinat, soit un homicide au sens des
art. 111-113 CP. Le droit de refuser de témoigner selon l'
art. 172 al. 1 CPP n'entrait donc pas en considération (
art. 28a al. 2 let. b CP et art. 172 al. 2 let. b ch. 1 CPP; consid. 16.5.1). Confirmation de la jurisprudence relative à l'exigence de proportionnalité pour la levée de la protection des sources (
ATF 132 I 181 consid. 4.2). Proportionnalité du devoir de remettre les documents et enregistrements niée in casu, au motifs que ceux-ci n'étaient pas déterminants pour l'appréciation des preuves (consid. 16.5.2).
Faits à partir de page 216
A. Die Anklage wirft X. u.a. vor, er habe am 4. Januar 2010, um ca. 05.00 Uhr, vor dem Nachtlokal C. in Erstfeld mit einer Pistole einen gezielten Schuss in Richtung des ca. 10-15 Meter entfernten B. abgefeuert, mit dem er kurz zuvor in der C. einen Streit gehabt habe, obwohl er im Umgang mit Schusswaffen nicht geübt und der Standort von B. nur wenig beleuchtet gewesen sei.
Y. habe am 12. November 2010, um ca. 00.40 Uhr, in Erstfeld mit einer Pistole aus einer Distanz von einigen Metern mindestens drei Schüsse auf A. abgefeuert mit der Absicht, diese zu töten. Ein Projektil habe A. in den Rücken getroffen, weshalb sie eine zu unmittelbarer Lebensgefahr führende Thoraxverletzung mit Rippenbruch erlitten und während einer Woche habe hospitalisiert werden müssen. Ein weiteres Projektil habe sie am Oberarm und Thorax rechts verletzt. X. habe die Tat zuvor zusammen mit Y. geplant und mit
BGE 143 IV 214 S. 217
diesem den Entschluss dazu gefasst, wobei X. Y. die Waffe für die Tat verschafft und ihm ein Entgelt dafür versprochen habe. Eventualiter habe X. Y. mit der Ausführung der Tat gegen ein Entgelt beauftragt und diesem die Waffe dafür verschafft.
B.a Das Landgericht Uri verurteilte X. am 24. Oktober 2012 wegen versuchten Mordes, Gefährdung des Lebens und mehrfacher Widerhandlung gegen das Waffengesetz zu einer Freiheitsstrafe von 10 Jahren und einer Busse von Fr. 1'000.-. Zudem widerrief es den bedingten Vollzug der mit Urteil des Obergerichts des Kantons Uri vom 17. Juli 2009 bedingt ausgesprochenen Geldstrafe von 20 Tagessätzen zu Fr. 50.-. Die Genugtuungsforderung von A. hiess es im Umfang von Fr. 10'000.- (zzgl. Zins) und diejenige von B. im Umfang von Fr. 500.- (zzgl. Zins) gut. Zudem sprach es der D.-Versicherung Fr. 15'382.75 Schadenersatz zu. Die Schadenersatzforderung von A. verwies es auf den Zivilweg. Über die Kostennoten der unentgeltlichen Rechtsbeistände der Privatkläger und des amtlichen Verteidigers von X., Rechtsanwalt Linus Jäggi, befand es je in separaten Beschlüssen. Gegen das Urteil vom 24. Oktober 2012 erhoben X. und A. Berufung und die Staatsanwaltschaft Anschlussberufung.
B.b Das Obergericht des Kantons Uri sprach X. am 11. September 2013 des versuchten Mordes, der versuchten Tötung und der mehrfachen Widerhandlung gegen das Waffengesetz schuldig und bestrafte ihn mit einer Freiheitsstrafe von 15 Jahren sowie einer Busse von Fr. 1'000.-. Es widerrief den bedingten Vollzug der Geldstrafe gemäss Urteil vom 17. Juli 2009 und sprach A. eine Genugtuung von Fr. 25'000.- (zzgl. Zins) zu. Im Übrigen bestätigte es im Zivilpunkt das erstinstanzliche Urteil. Rechtsanwalt Linus Jäggi entschädigte es für das Berufungsverfahren mit Fr. 40'000.-.
Das Obergericht hielt für erwiesen, dass X. den in der Anklage beschriebenen gezielten Schuss in Richtung von B. abgab und dass er Y. den Auftrag erteilte, auf A. zu schiessen, was dieser am 12. November 2010 auch tat.
B.c Das Bundesgericht hiess am 10. Dezember 2014 die von X. gegen das Urteil vom 11. September 2013 erhobene Beschwerde teilweise gut, soweit es darauf eintrat. Es hob das angefochtene Urteil auf und wies die Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurück (Urteil 6B_529/2014).
BGE 143 IV 214 S. 218
C. Mit Urteil vom 18. April 2016 erklärte das Obergericht des Kantons Uri X. der Gefährdung des Lebens und der mehrfachen Widerhandlung gegen das Waffengesetz schuldig. Von den Vorwürfen des versuchten Mordes und des Übertragens einer Waffe an einen Staatsangehörigen, der keine Waffe erwerben darf, sprach es ihn frei. Es verurteilte X. zu einer Freiheitsstrafe von 28 Monaten, zu einer Geldstrafe von 80 Tagessätzen zu Fr. 10.- sowie einer Busse von Fr. 900.- und widerrief den bedingten Vollzug der Geldstrafe gemäss Urteil vom 17. Juli 2009. Die Schadenersatz- und Genugtuungsforderung von A. und die Schadenersatzforderung der D.-Versicherung verwies es auf den Zivilweg. Die Genugtuungsforderung des zwischenzeitlich verstorbenen B. hiess es im Umfang von Fr. 500.- (zzgl. Zins) gut. Rechtsanwalt Linus Jäggi sprach es im Urteil vom 18. April 2016 sowie mit separatem Beschluss vom gleichen Tag für die amtliche Verteidigung von X. im zweiten Berufungsverfahren eine Entschädigung von Fr. 111'408.50 zu.
Anders als im Urteil vom 11. September 2013 hält das Obergericht im Urteil vom 18. April 2016 lediglich für erstellt, dass X. am 4. Januar 2010 ohne Tötungsabsicht in die ungefähre Richtung von B. schoss. Nicht als zweifelsfrei nachgewiesen erachtet das Obergericht, dass X. an der Tat vom 12. November 2010 zum Nachteil von A. im Sinne der Anklage beteiligt war, indem er diese zusammen mit Y. plante, diesem die Tatwaffe verschaffte und ihm ein Entgelt versprach bzw. indem er Y. gegen ein Entgelt mit der Ausführung der Tat beauftrage und diesem die Waffe dafür verschaffte.
D. Die Staatsanwaltschaft des Kantons Uri (Beschwerdeführerin 1) wandte sich mit Beschwerde an die Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts. Sie beantragt, der Beschluss vom 18. April 2016 sei aufzuheben und über die Entschädigung der amtlichen Verteidigung sei im Urteil in der Hauptsache zu befinden. Eventualiter sei die Entschädigung der amtlichen Verteidigung um Fr. 58'500.-, von ursprünglich Fr. 111'408.50 auf Fr. 52'908.50, zu kürzen.
Die Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts trat auf die Beschwerde mit Beschluss vom 19. Juli 2016 nicht ein und überwies die Angelegenheit zuständigkeitshalber dem Bundesgericht (Entscheid des Bundesstrafgerichts BB.2016.287 vom 19. Juli 2016; Verfahren 6B_824/2016).
E. Die Staatsanwaltschaft führt zudem beim Bundesgericht Beschwerde in Strafsachen mit den Anträgen, das Urteil vom 18. April 2016
BGE 143 IV 214 S. 219
sei aufzuheben, X. sei wegen versuchten Mordes in Mittäterschaft, versuchter vorsätzlicher Tötung und mehrfacher Widerhandlung gegen das Waffengesetz mit einer Freiheitsstrafe von 15 Jahren und einer Busse von Fr. 1'000.- zu bestrafen und zur Sicherung des Vollzugs unverzüglich in Sicherheitshaft zu nehmen. Der Beschluss betreffend die Entschädigung der amtlichen Verteidigung sei ebenfalls aufzuheben. Eventualiter sei die Entschädigung der amtlichen Verteidigung um Fr. 58'500.-, von ursprünglich Fr. 111'408.50 auf Fr. 52'908.50, zu kürzen (Verfahren 6B_946/2016).
F. A. (Beschwerdeführerin 2) beantragt mit Beschwerde in Strafsachen, X. sei wegen versuchten Mordes in Mittäterschaft, eventualiter wegen Gehilfenschaft zum versuchten Mord, subeventualiter wegen Gefährdung des Lebens in Mittäterschaft, schuldig zu sprechen und entsprechend zu bestrafen. Sie ersucht um unentgeltliche Rechtspflege (Verfahren 6B_844/2016).
G. X. (Beschwerdeführer 3) beantragt mit Beschwerde in Strafsachen, das angefochtene Urteil sei mit Ausnahme der Freisprüche aufzuheben und er sei von Schuld und Strafe freizusprechen. Eventualiter sei die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Er stellt ebenfalls ein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege (Verfahren 6B_960/2016).
H. Die Vorinstanz verzichtete auf Vernehmlassungen. Rechtsanwalt Linus Jäggi beantragt, auf die Beschwerde sei nicht einzutreten, eventualiter sei diese abzuweisen (Verfahren 6B_824/2016). X. stellt Antrag auf Abweisung der Beschwerden (Verfahren 6B_844/2016 und 6B_946/2016).
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde im Verfahren 6B_824/2016 gut. Die Beschwerde im Verfahren 6B_844/2016 heisst es gut, soweit darauf einzutreten ist. Die Beschwerde im Verfahren 6B_946/2016 heisst es teilweise gut und weist sie im Übrigen ab, soweit darauf einzutreten ist. Die Beschwerde im Verfahren 6B_960/2016 weist es ab, soweit darauf einzutreten ist.
Aus den Erwägungen:
5.1 Die Beschwerdeführerin 1 rügt, der angefochtene Entscheid missachte die Bindungswirkung des bundesgerichtlichen Rückweisungsentscheids vom 10. Dezember 2014. Die Vorinstanz hätte nach der Rückweisung durch das Bundesgericht kein neues
BGE 143 IV 214 S. 220
Beweisverfahren eröffnen dürfen. Als neue Beweismittel wären nur echte Noven zulässig gewesen. Stattdessen habe die Vorinstanz beinahe alle Beweisergänzungsbegehren des Beschwerdegegners 2 (X.) gutgeheissen, obschon dieser die entsprechenden Beweise bereits bei der erstinstanzlichen Verhandlung, spätestens aber bei der ersten Berufungsverhandlung hätte vorbringen können bzw. müssen. Die Vorinstanz habe in ihrem neuen Entscheid gegenüber ihrem Urteil vom 11. September 2013 zudem in Verletzung der Bindungswirkung eine komplett neue Beweiswürdigung vorgenommen. Richtigerweise hätte sie sich bloss noch mit den gutgeheissenen Rügen und den sich daraus ergebenden Sachverhalts- und Rechtsfragen auseinandersetzen müssen und dürfen. Zufolge unveränderten Sachverhalts hätte sie die gleichen Schuldsprüche wie im Urteil vom 11. September 2013 fällen müssen. Das Bundesgericht habe das Urteil vom 11. September 2013 nur in Bezug auf die Befragung des Beschwerdegegners 4 (B.) und die Verwendung der DNA-Spur auf der Patronenhülse aufgehoben. Materiell handle es sich demnach um eine Teilaufhebung. Im Übrigen gelte das Urteil vom 11. September 2013 als bestätigt. Die Vorinstanz hätte die Beurteilung des Vorfalls vom 12. November 2010 (Sachverhaltskomplex A.) daher nicht neu aufrollen und beurteilen dürfen.
5.2.1 Heisst das Bundesgericht eine Beschwerde gut und weist es die Angelegenheit zur neuen Beurteilung an das Berufungsgericht zurück, darf sich dieses von Bundesrechts wegen nur noch mit jenen Punkten befassen, die das Bundesgericht kassierte. Die anderen Teile des Urteils haben Bestand und sind in das neue Urteil zu übernehmen. Irrelevant ist, dass das Bundesgericht mit seinem Rückweisungsentscheid formell in der Regel das ganze angefochtene Urteil aufhebt. Entscheidend ist nicht das Dispositiv, sondern die materielle Tragweite des bundesgerichtlichen Entscheids (vgl. Urteile 6B_765/2015 vom 3. Februar 2016 E. 4; 6B_372/2011 vom 12. Juli 2011 E. 1.3.2 mit Hinweisen). Die neue Entscheidung der kantonalen Instanz ist somit auf diejenige Thematik beschränkt, die sich aus den bundesgerichtlichen Erwägungen als Gegenstand der neuen Beurteilung ergibt. Das Verfahren wird nur insoweit neu in Gang gesetzt, als dies notwendig ist, um den verbindlichen Erwägungen des Bundesgerichts Rechnung zu tragen (
BGE 123 IV 1 E. 1;
BGE 117 IV 97 E. 4; Urteile 6B_408/2013 vom 18. Dezember 2013 E. 3.1; 6B_35/2012 vom 30. März 2012 E. 2.2).
BGE 143 IV 214 S. 221
5.2.2 Das Bundesgericht hiess im Urteil 6B_529/2014 vom 10. Dezember 2014 die Rüge des Beschwerdegegners 2 gut, die Vorinstanz habe zu Unrecht auf eine gerichtliche Befragung des Beschwerdegegners 4 verzichtet (Urteil, a.a.O., E. 4.4, publ. in:
BGE 140 IV 196). Der Beschwerdegegner 4 war infolge dieser Gutheissung noch gerichtlich einzuvernehmen, weshalb keine verbindlichen Sachverhaltsfeststellungen zur Täterschaft des Beschwerdegegners 2 im Sachverhaltskomplex B. vorlagen. Noch offen war damit namentlich auch die Frage, ob der Beschwerdegegner 2 im Januar 2010 im Besitz der Waffe war, mit welcher im November 2010 auf die Beschwerdeführerin 2 (A.) geschossen wurde. Da dies im damals angefochtenen Urteil vom 11. September 2013 für die Beweisführung im Sachverhaltskomplex A. herangezogen wurde, wirkte sich die Gutheissung der Beschwerde auch darauf aus. Auch der Schuldspruch des Beschwerdegegners 2 wegen versuchten Mordes zum Nachteil der Beschwerdeführerin 2 (A.) wurde mit dem Bundesgerichtsurteil 6B_529/2014 vom 10. Dezember 2014 wegen der zu Unrecht unterbliebenen gerichtlichen Befragung des Beschwerdegegners 4 daher materiell aufgehoben. Damit erübrigte sich eine Behandlung der Rügen des Beschwerdegegners 2 betreffend die ihm vorgeworfene Tat zum Nachteil der Beschwerdeführerin 2 (Urteil, a.a.O., E. 7).
5.3.1 Fraglich ist, ob die Vorinstanz die bereits im ersten Berufungsverfahren vorhandenen Beweise im Rückweisungsverfahren neu würdigen und im Vergleich zum Urteil vom 11. September 2013 abweichende Sachverhaltsfeststellungen treffen durfte.
5.3.2 Bezüglich des Sachverhaltskomplexes B. ist dies ohne Weiteres zu bejahen, zumal das Bundesgericht die Vorinstanz - für den Fall, dass eine gerichtliche Befragung des Beschwerdegegners 4 nicht möglich sein sollte - ausdrücklich anwies, ihren Entscheid besonders sorgfältig zu begründen und in Anwendung des Grundsatzes "in dubio pro reo" nötigenfalls von einem für den Beschwerdegegner 2 günstigeren Sachverhalt auszugehen (Urteil 6B_529/2014 vom 10. Dezember 2014 E. 4.4.5, publ. in:
BGE 140 IV 196). Gleiches gilt aber auch für den Sachverhaltskomplex A., da auch diesbezüglich keine verbindlichen Sachverhaltsfeststellungen vorlagen. Die Vorinstanz musste bezüglich beider Sachverhaltskomplexe eine neue mündliche Verhandlung ansetzen, da noch Tatfragen zu beurteilen
BGE 143 IV 214 S. 222
waren (vgl. Art. 405 f. StPO; Urteile 6B_57/2016 vom 26. Mai 2016 E. 1.3; 6B_1220/2013 vom 18. September 2014 E. 1.4; je mit Hinweisen). Sie musste sich mit der Beweislage daher nochmals befassen und durfte auch eine andere Beweiswürdigung vornehmen, wenn sie diese für richtiger hielt. Eine neue, abweichende Beweiswürdigung durch die Berufungsinstanz in einem Rückweisungsverfahren muss zulässig sein, soweit der entsprechende Sachverhalt mit einer Willkürrüge vor Bundesgericht noch angefochten werden kann und demnach noch nicht verbindlich feststeht (anders noch Urteil 6B_35/2012 vom 30. März 2012 E. 2.4).
5.3.3 Die Bindungswirkung bundesgerichtlicher Rückweisungsentscheide ergibt sich aus ungeschriebenem Bundesrecht (
BGE 135 III 334 E. 2.1 S. 335; Urteile 6B_35/2012 vom 30. März 2012 E. 2.2; 6B_372/2011 vom 12. Juli 2011 E. 1.1.1). Im Falle eines Rückweisungsentscheids hat die mit der Neubeurteilung befasste kantonale Instanz nach ständiger Rechtsprechung die rechtliche Beurteilung, mit der die Zurückweisung begründet wird, ihrer Entscheidung zugrunde zu legen. Wegen dieser Bindung der Gerichte ist es diesen wie auch den Parteien, abgesehen von allenfalls zulässigen Noven, verwehrt, der Beurteilung des Rechtsstreits einen anderen als den bisherigen Sachverhalt zu unterstellen oder die Sache unter rechtlichen Gesichtspunkten zu prüfen, die im Rückweisungsentscheid ausdrücklich abgelehnt oder überhaupt nicht in Erwägung gezogen worden sind (
BGE 135 III 334 E. 2 und E. 2.1 S. 335 f. mit Hinweisen).
Die zitierte Rechtsprechung kommt zum Tragen, wenn das Bundesgericht eine Angelegenheit lediglich zur neuen rechtlichen Würdigung an die Vorinstanz zurückweist. Dies ist der Fall, wenn die vorinstanzliche Sachverhaltsfeststellung vor Bundesgericht nicht angefochten war, wenn die Sachverhaltsrügen vom Bundesgericht als unbegründet abgewiesen und daher definitiv entschieden wurden (vgl.
BGE 131 III 91 E. 5.2 S. 94 mit Hinweisen) oder wenn auf Rügen betreffend die Beweiswürdigung nicht eingetreten wurde, da sie den gesetzlichen Begründungsanforderungen nicht genügten (siehe dazu nicht publ. E. 8.3). Steht im Rückweisungsverfahren nur noch die rechtliche Würdigung zur Diskussion, muss die mit der Neubeurteilung befasste kantonale Instanz keine neue mündliche Berufungsverhandlung durchführen und sie darf, abgesehen von allenfalls zulässigen Noven, auch keine neue Beweiswürdigung vornehmen. Wegen
BGE 143 IV 214 S. 223
der Bindungswirkung von bundesgerichtlichen Rückweisungsentscheiden ist es dem Gericht in solchen Fällen in der Regel daher verwehrt, auf ihre Sachverhaltsfeststellungen zurückzukommen (vgl.
BGE 135 III 334 E. 2 und E. 2.1 S. 335 f. mit Hinweisen).
Vorliegend stand der Sachverhalt nach dem bundesgerichtlichen Rückweisungsentscheid vom 10. Dezember 2014 wie dargelegt weder im Sachverhaltskomplex B. noch im Sachverhaltskomplex A. verbindlich fest. Unbegründet ist daher der Einwand der Beschwerdeführerin 1, die Vorinstanz hätte im angefochtenen Entscheid keine abweichenden Sachverhaltsfeststellungen treffen dürfen.
5.4 Zu prüfen ist sodann, ob die Vorinstanz im Rückweisungsverfahren neue Beweise erheben durfte.
Das Bundesgericht wies die Vorinstanz im Urteil 6B_529/2014 vom 10. Dezember 2014 an, den Beschwerdegegner 4 noch gerichtlich einzuvernehmen. Im Übrigen verlangte es jedoch keine Beweisergänzungen, sondern wies die Angelegenheit lediglich zur erneuten Beweiswürdigung an die Vorinstanz zurück.
Die Vorinstanz informierte die Parteien mit Schreiben vom 27. April 2015, dass eine erneute Befragung des Beschwerdegegners 4 kaum möglich sein werde. Gleichzeitig räumte sie diesen eine Frist von 20 Tagen ein, um allfällige Beweisanträge zu stellen und zu begründen. In der Folge nahm die Vorinstanz gestützt auf die Beweisergänzungsbegehren des Beschwerdegegners 2 vom 8. Juni 2015, 5. Juli 2015, 18. August 2015 und 22. Januar 2016 zahlreiche Beweisergänzungen vor.
Die neuen Beweisanträge des Beschwerdegegners 2 im vorinstanzlichen Rückweisungsverfahren betrafen zumindest grossmehrheitlich keine Noven und wurden auch nicht durch den bundesgerichtlichen Rückweisungsentscheid veranlasst. Von diesem wäre daher zu erwarten gewesen, dass er seine Beweisanträge rechtzeitig im ersten Berufungsverfahren stellt, d.h. in der Berufungserklärung (vgl.
Art. 399 Abs. 3 lit. c StPO) oder spätestens vor Abschluss des Beweisverfahrens im ersten Berufungsverfahren (vgl. Urteil 6B_591/2013 vom 22. Oktober 2014 E. 2.1). Das Berufungsverfahren beruht gemäss
Art. 389 Abs. 1 StPO auf den Beweisen, die im Vorverfahren und im erstinstanzlichen Hauptverfahren erhoben worden sind. Im Berufungsverfahren sind die Beweisanträge bereits in der Berufungserklärung anzugeben (
Art. 399 Abs. 3 lit. c StPO). Das
BGE 143 IV 214 S. 224
Berufungsgericht muss die Parteien daher nicht nach
Art. 345 StPO zur Nennung von Beweisen auffordern (Urteile 6B_4/2016 vom 2. Mai 2016 E. 3.2; 6B_1196/2013 vom 22. Dezember 2014 E. 1.6; 6B_859/2013 vom 2. Oktober 2014 E. 3.4.3 mit Hinweisen auf die Lehre). Dass die Vorinstanz die Parteien nach der Rückweisung durch das Bundesgericht explizit einlud, neue Beweisanträge zu stellen, war daher nicht zwingend.
Zu beachten ist allerdings, dass der Wahrheits- und Untersuchungsgrundsatz auch im Rechtsmittelverfahren (
BGE 140 IV 196 E. 4.4.1 S. 199; Urteil 6B_1212/2015 vom 29. November 2016 E. 1.3.2) und folglich auch in einem Rückweisungsverfahren gilt. Vorliegend war der Sachverhalt im Rückweisungsverfahren vor der Vorinstanz einer Neubeurteilung zugänglich (oben E. 5.3). Dieser war es daher nicht untersagt, zusätzliche Beweise, welche bereits in einem früheren Verfahrensstadium hätten erhoben werden können, abzunehmen, wenn dies ihres Erachtens der Wahrheitsfindung diente. Neue Beweise sind auch im Berufungsverfahren grundsätzlich jederzeit zulässig. Gemäss Art. 349 i.V.m.
Art. 379 StPO und
Art. 389 Abs. 2 und 3 StPO kann das Berufungsgericht selbst im Stadium der Urteilsberatung noch Beweisergänzungen vornehmen, wenn es dies als notwendig erachtet. Dass der Beschwerdegegner 2 gewisse Beweisanträge bereits im ersten Berufungsverfahren hätte stellen können und müssen, führt daher auf jeden Fall nicht zur Unverwertbarkeit der im zweiten Berufungsverfahren neu erhobenen Beweise.
(...)
16.1 Der Beschwerdegegner 2 macht geltend, im Falle einer Aufhebung des angefochtenen Freispruchs seien die Passagen des Fernsehinterviews von Y., in welchen der Schütze benannt werde, zwangsweise zu edieren. Er habe dies bereits im Verfahren vor der Vorinstanz beantragt. Obschon es sich beim infrage stehenden Delikt (Mord) um eine Katalogtat handle und die Voraussetzungen dafür daher erfüllt gewesen wären, habe die Vorinstanz nur einen halbherzigen Versuch dazu unternommen und auf eine weitere Durchsetzung verzichtet.
16.2 Art. 17 Abs. 3 BV gewährleistet in genereller Weise das Redaktionsgeheimnis. Ein entsprechender Schutz journalistischer Quellen leitet sich zudem aus
Art. 10 Ziff. 1 EMRK ab (
BGE 136 IV 145 E. 3.1 S. 149;
BGE 132 I 181 E. 2 S. 184). Im Strafverfahren wird der
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Quellenschutz für Medienschaffende und dessen Einschränkung - materiell übereinstimmend - in
Art. 28a StGB und
Art. 172 StPO umschrieben und konkretisiert (vgl.
BGE 136 IV 145 E. 3.1 S. 149; Urteil 1B_293/2013 vom 31. Januar 2014 E. 2.1.1). Personen, die sich beruflich mit der Veröffentlichung von Informationen im redaktionellen Teil eines periodisch erscheinenden Mediums befassen, sowie ihre Hilfspersonen können gemäss
Art. 172 Abs. 1 StPO das Zeugnis über die Identität des Autors oder über Inhalt und Quellen ihrer Informationen verweigern. Verweigert eine Person unter Berufung auf den Quellenschutz der Medienschaffenden das Zeugnis, so dürfen nach
Art. 28a Abs. 1 StGB weder Strafen noch prozessuale Zwangsmassnahmen gegen sie verhängt werden. Der Quellenschutz gilt gemäss
Art. 28a Abs. 2 lit. b StGB und Art. 172 Abs. 2 lit. b Ziff. 1 StPO nicht und die betroffenen Personen haben auszusagen, wenn ohne das Zeugnis ein Tötungsdelikt im Sinne der
Art. 111-113 StGB nicht aufgeklärt werden oder die einer solchen Tat beschuldigte Person nicht ergriffen werden kann.
16.3 Die Vorinstanz forderte Schweizer Radio und Fernsehen (SRF) mit Verfügung vom 26. August 2015 auf, sämtliche Bild- und Tonaufnahmen der mit Y. geführten Gespräche, sämtliche von Y. an die Redaktion oder an Redaktionsmitglieder der Rundschau gerichtete Schreiben und sämtliche sonstige Unterlagen und Aufzeichnungen im Zusammenhang mit den von Redaktionsmitgliedern der Rundschau mit Y. geführten Gespräche und Korrespondenz einzureichen. SRF stellte der Vorinstanz daraufhin am 1. September 2015 verschiedene schriftliche Unterlagen sowie zwei DVDs zu, die bereits ausgestrahlte oder auf der Webseite publizierte Interviewausschnitte und eine Rohfassung eines am 21. Mai 2015 aufgenommenen Interviews enthalten. Die schriftlichen Unterlagen waren teilweise geschwärzt und die Filmaufnahmen so bearbeitet, dass der von Y. genannte Name des angeblichen Schützen nicht daraus hervorging. Bei den herausgegebenen Unterlagen handelte es sich bloss um eine Auswahl. Insbesondere fehlten die Aufnahmen der bereits vor dem 21. Mai 2015 mit Y. geführten Interviews. Die Vorinstanz verlangte von SRF mit Verfügung vom 16. November 2015 daher nochmals die Herausgabe der vollständigen Aufnahmen und Unterlagen und zwar in unbearbeiteter und ungeschwärzter Form. Zudem ersuchte sie um schriftliche Beantwortung der Fragen, aufgrund welcher Kriterien, auf wessen Veranlassung und mit welcher Absicht
BGE 143 IV 214 S. 226
bei den am 1. September 2015 zugestellten Unterlagen eine Selektion getroffenen worden sei. Mit Schreiben vom 23. November 2015 verweigerte SRF die Herausgabe weiterer Unterlagen und Informationen.
16.4 Die von SRF herausgegebenen Unterlagen sind offensichtlich unvollständig. Unklar ist, wie die Interviews zustande kamen, welche Vorbesprechungen stattfanden und mit welchen Informationen und Anliegen der Journalist zuerst an Y. herantrat. Nicht herausgegeben wurden auch die vor dem 21. Mai 2015 mit Y. geführten Interviews. Die Vorinstanz weist darauf hin, dass Y. gemäss der Rohfassung des Interviews vom 21. Mai 2015 in einem früheren Interview offenbar abweichende Äusserungen tätigte, was die Würdigung erschwere (vgl. angefochtenes Urteil E. 12.5.2 S. 100).
Das Schreiben von Y. vom 5. April 2015, in welchem dieser die Planung und Ausführung des angeblichen Komplotts schildert, wurde in ungeschwärzter Form auch im Rahmen einer Hausdurchsuchung im Kanton Luzern sichergestellt. Der Vergleich zwischen der ungeschwärzten und der von SRF eingereichten geschwärzten Version dieses Schreibens zeigt weiter, dass die Einschwärzungen offenbar selektiv vorgenommen und der Sinn des Dokuments dadurch verändert wurde. So vermittelt die Lektüre des ungeschwärzten Schreibens vom 5. April 2015 den Eindruck, V. habe geschossen, da Y. die Tatwaffe von diesem unmittelbar nach den Schüssen entgegengenommen haben will. Durch die selektive Einschwärzung des Namens "V." entsteht demgegenüber der Eindruck, eine vierte Person, deren Namen nicht genannt werden soll, sei als Schütze ebenfalls in das Komplott involviert gewesen. Dies kommt einer eigentlichen Manipulation gleich. Anders lässt sich nicht erklären, warum der Name "V." im Schreiben vom 5. April 2015 genannt wird, soweit Y. diesen zusammen mit der Beschwerdeführerin 2 des Komplotts beschuldigt, dessen Name aber dort eingeschwärzt wird, wo der Leser davon ausgeht, es handle sich bei diesem um den Schützen. Dies lässt sich insbesondere auch nicht damit begründen, dass sich der Journalist gegenüber seiner Quelle verpflichtet haben soll, Namensnennung und Identifizierung des angeblichen Dritttäters zu unterlassen.
Das erwähnte Vorgehen (selektive Herausgabe von Unterlagen und selektive, den Sinn verändernde Einschwärzung einzelner Unterlagen) erscheint wenig verständlich.
BGE 143 IV 214 S. 227
16.5.1 Vorliegend geht es um die Aufklärung eines versuchten Mordes, d.h. um ein Tötungsdelikt nach
Art. 111-113 StGB. Das Zeugnisverweigerungsrecht von
Art. 172 Abs. 1 StPO kommt insoweit nicht zum Tragen (
Art. 28a Abs. 2 lit. b StGB und Art. 172 Abs. 2 lit. b Ziff. 1 StPO). Nicht gefolgt werden kann dem Rechtsanwalt von SRF im Schreiben vom 23. November 2015, der eine Katalogtat verneint mit der Begründung, es liege lediglich ein Mordkomplott vor.
16.5.2 Eine Pflicht zur Herausgabe der Unterlagen und Aufzeichnungen besteht allerdings nur, wenn das Tötungsdelikt anders nicht aufgeklärt werden kann (vgl.
Art. 28a Abs. 2 lit. b StGB und Art. 172 Abs. 2 lit. b Ziff. 1 StPO). Dies ergibt sich aus dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismässigkeit. Dieser verlangt zunächst, dass die Zeugenaussage geeignet ist, zur Aufklärung des fraglichen Delikts unmittelbar beizutragen. Es muss eine einigermassen begründete Erwartung bestehen, dass die Aussage eine für die Beurteilung wesentliche Abklärung der mutmasslichen Straftat erlaubt. Ob das Zeugnis letztlich zur Überführung des Täters oder aber zu dessen Entlastung beiträgt, ist nicht entscheidend, denn im einen wie im anderen Fall dient es der Wahrheitsfindung im Strafprozess. Die Verhältnismässigkeit bleibt sodann nur gewahrt, wenn das Zeugnis erforderlich ist. Eine Zeugnispflicht besteht nicht, wenn und solange andere taugliche Beweismittel zur Verfügung stehen. Schliesslich gebietet das Verhältnismässigkeitsprinzip eine Abwägung der einander entgegengesetzten Interessen (vgl. zum Ganzen
BGE 132 I 181 E. 4.2 S. 191).
Verlangt wird demnach, dass die zu edierenden Fernsehinterviews für die Beweiswürdigung relevant sind. Davon kann nicht ausgegangen werden, da die Komplotttheorie klar verworfen werden muss und nicht ersichtlich ist, inwiefern die Unterlagen und Aufzeichnungen anderweitig zur Klärung der Tat beitragen könnten. Die Vorinstanz durfte daher in antizipierter Beweiswürdigung auf den Beizug der erwähnten Fernsehinterviews verzichten. Der angefochtene Entscheid ist insofern nicht zu beanstanden. (...)