Chapeau
112 Ib 462
72. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 3. Dezember 1986 i.S. X. und Z. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Y. (Verwaltungsgerichtsbeschwerde)
Regeste
Entraide internationale en matière pénale.
Notion de la personne non impliquée dans la procédure pénale (art. 10 al. 1 EIMP). Cas de la victime.
Considérants à partir de page 462
Aus den Erwägungen:
2. b) Die Beschwerdeführer nehmen für sich einen erhöhten Geheimnisschutz in Anspruch, indem sie geltend machen, sie seien unbeteiligte Dritte im Sinne des
Art. 10 Abs. 1 IRSG. Im allgemeinen sind im Rahmen der internationalen Rechtshilfe Auskünfte zu erteilen, "soweit sie für ein Verfahren in strafrechtlichen Angelegenheiten im Ausland erforderlich erscheinen" (
Art. 63 Abs. 1 IRSG). Nach
Art. 10 Abs. 1 IRSG dürfen Auskünfte über den Geheimbereich von Personen, die nach dem Ersuchen am Strafverfahren im Ausland nicht beteiligt sind, erteilt werden, "sofern sie für die Feststellung des Sachverhalts unerlässlich erscheinen und die Bedeutung der Tat es rechtfertigt". Die Rechtshilfe ist damit gegenüber unbeteiligten Dritten in doppelter Weise beschränkt: Einmal genügt es nicht, dass die Auskünfte zur Abklärung der ausländischen Sache "erforderlich" sind, sie werden nur erteilt, wenn sie hiefür geradezu "unerlässlich" sind. Ferner wird die Rechtshilfe nur geleistet, wenn es sich um eine Sache von besonderer Bedeutung handelt. Da Auskünfte über den Geheimbereich unbeteiligter Dritter nur in beschränktem Umfang erteilt werden,
BGE 112 Ib 462 S. 463
ist zu prüfen, ob die Beschwerdeführer Personen sind, die am Strafverfahren im Ausland nicht beteiligt sind.
Der Begriff "unbeteiligter Dritter" wird in Lehre und Praxis als für sich allein undeutlich empfunden (vgl. Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, Wegleitung des BAP, 4. Auflage, 15. Oktober 1982, S. 18; SCHMID/FREI/WYSS/SCHOUWEY, L'entraide judiciaire internationale en matière pénale, ZSR 100/1981 II S. 333 f.; DE CAPITANI, Internationale Rechtshilfe, Eine Standortbestimmung, ZSR 100/1981 II S. 459 ff.). Die Bundesgerichtspraxis definiert diesen Begriff vorab indirekt. Danach kann von einem unbeteiligten Dritten dann nicht gesprochen werden, wenn eine wirkliche und unmittelbare Beziehung zwischen einer Person und einer der im Ersuchen geschilderten Tatsachen besteht, die Merkmal einer Straftat ist, wobei es nicht darauf ankommt, ob der Dritte in strafrechtlichem Sinne als Teilnehmer der Tat anzusehen ist (
BGE 107 Ib 255 E. 2b/bb). Auf dieser Grundlage hat das Bundesgericht die Abgrenzung jeweils unter Berücksichtigung der massgebenden Umstände des Einzelfalles vorgenommen. So hat es im Zusammenhang mit der Anwendung von Art. 10 Ziff. 2 des Rechtshilfevertrages zwischen der Schweiz und den USA erwogen, dass eine Gesellschaft, die als Mittlerin benützt wurde, um einer anderen Gesellschaft Gelder zur Verfügung zu stellen, die dazu bestimmt waren, die im Rechtshilfegesuch erwähnte Straftat zu begehen oder zu ermöglichen, nicht als unbeteiligte Dritte betrachtet werden kann (
BGE 107 Ib 254 ff. E. 2b und c). Gleiches gilt für die eine solche Gesellschaft beherrschenden oder leitenden natürlichen Personen (
BGE 107 Ib 260 E. 2c). Auch Personen oder Gesellschaften, die an der Übermittlung von Schmiergeldern mitgewirkt haben, werden nicht als unbeteiligte Dritte qualifiziert (
BGE 105 Ib 429 E. 6). Im nicht veröffentlichten Urteil vom 11. Januar 1984 in Sachen Bank G. liess das Bundesgericht die Frage offen, ob die Erben eines ermordeten Politikers als unbeteiligte Dritte nach
Art. 10 Abs. 1 IRSG anzusehen seien; es hielt dafür, dass das Interesse an der zur Abklärung möglicher Tathintergründe dienenden Offenlegung der Bewegungen auf den Bankkonten des Verstorbenen dem Geheimhaltungsinteresse der Erben auf jeden Fall vorgehe.
Es ist somit nach der bundesgerichtlichen Praxis nicht massgebend, ob jemand in irgendeiner Weise schuldhaft an der Tat mitgewirkt hat, die Gegenstand des ausländischen Strafverfahrens ist. Entscheidend ist ein objektives Kriterium. Beteiligt ist eine Person,
BGE 112 Ib 462 S. 464
wenn sie eine besondere sachliche Beziehung zur Tat hat. Dass sie am Delikt teilgenommen, bei der Verwirklichung eines Tatbestandsmerkmals mitgewirkt oder dass ihr irgendein Vorwurf gemacht werden kann, ist, wie die Beschwerdeführer selber anerkennen, nach der Praxis des Bundesgerichts nicht entscheidend. Dass die Beschwerdeführer nach ihrer eigenen Darstellung Opfer des Verbrechens sind, das die ausländische Behörde abzuklären sucht, ändert daran nichts. Wie ausgeführt, ist objektiv die besondere sachliche Beziehung zur Tat, die Beziehungsnähe, massgebend, und diese kann durchaus auch bei einer Person gegeben sein, welche durch die Straftat geschädigt wurde. Anderseits ist es nicht ausgeschlossen, dass ausnahmsweise bei einem Opfer die Beziehungsnähe fehlt und es demzufolge nicht als beteiligte Person qualifiziert werden kann. ... Es mag beigefügt werden, dass die Staatsanwaltschaft das Gesetz unrichtig auslegte, wenn sie im angefochtenen Entscheid annahm, unbeteiligter Dritter im Sinne des
Art. 10 Abs. 1 IRSG sei jede Person, die nicht Verfolgter gemäss
Art. 11 Abs. 1 IRSG ist. Die Begriffe des Verfolgten und des an der Tat Beteiligten decken sich nicht. Die Beschwerdeführer berufen sich nach dem Gesagten zu Unrecht auf
Art. 10 Abs. 1 IRSG.