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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
5A_223/2009 
 
Urteil vom 30. April 2009 
II. zivilrechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichterin Hohl, Präsidentin, 
Bundesrichter Marazzi, von Werdt, 
Gerichtsschreiber Möckli. 
 
Parteien 
X.________, 
Beschwerdeführer, 
vertreten durch Fürsprecherin Christine Bigler-Geiser, 
 
gegen 
 
Y.________, 
Beschwerdegegnerin, 
vertreten durch Fürsprecherin Eva Saluz. 
 
Gegenstand 
Massnahmen nach Art. 137 ZGB
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts des Kantons Bern, Appellationshof, 1. Zivilkammer, vom 27. Februar 2009. 
 
Sachverhalt: 
 
A. 
X.________ (1968) und Y.________ (1963) lernten sich 1997 kennen. Sie heirateten im Dezember 2000. Seit Mai 2005 leben sie getrennt. 
Aus der Ehe gingen die beiden Kinder A.________ (2001) und B.________ (2004) hervor. Beide Parteien wohnen mit einem neuen Partner zusammen, der je zwei eigene Kinder in die Partnerschaft brachte. A.________ und B.________ wohnen abwechselnd in der Patchwork-Familie des Vaters und der Mutter, in der letzten Zeit wegen des Schulortes von A.________ jedoch etwas mehr beim Vater. 
 
B. 
Im Rahmen des Scheidungsverfahrens gaben beide Parteien am Aussöhnungsversuch vom 6. September 2007 bekannt, dass nur die Kinderzuteilung strittig sei. 
Mit Gesuch um Erlass vorsorglicher Massnahmen gemäss Art. 137 ZGB beantragten beide Elternteile die alleinige Zuteilung der bislang wechselweise ausgeübten Obhut über A.________ und B.________ während des Scheidungsverfahrens. 
Gestützt auf ein kinderpsychologisches Gutachten vom 29. Mai 2008 und das Ergänzungsgutachten vom 25. August 2008 stellte der Gerichtspräsident C.________ des Gerichtskreises D.________ die Kinder mit Entscheid vom 5. Januar 2009 für die Dauer des Scheidungsverfahrens unter die Obhut der Mutter. 
Das Obergericht des Kantons Bern bestätigte diese Anordnung mit Entscheid vom 27. Februar 2009. 
 
C. 
Der Vater hat gegen diesen Entscheid am 31. März 2009 Beschwerde in Zivilsachen erhoben, im Wesentlichen mit den Begehren, die Kinder seien in dessen Aufhebung vorläufig unter seine Obhut zu stellen, unter Erteilung eines (näher ausgeführten) Besuchsrechts an die Mutter und Verpflichtung derselben zu monatlichen Unterhaltsbeiträgen von Fr. 500.-- pro Kind. 
Mit Präsidialverfügung vom 15. April 2009 wurde der Beschwerde die aufschiebende Wirkung erteilt. 
In ihrer Vernehmlassung vom 20. April 2009 verlangt die Mutter die Abweisung der Beschwerde, soweit darauf einzutreten sei. Das Obergericht hat auf eine Vernehmlassung verzichtet. 
Beide Parteien verlangen die unentgeltliche Rechtspflege. 
 
Erwägungen: 
 
1. 
Angefochten ist ein kantonal letztinstanzlicher Endentscheid in einer nicht vermögensrechtlichen Zivilsache (Art. 72 Abs. 1, Art. 75 Abs. 1 und Art. 90 BGG). Die Beschwerde in Zivilsachen ist somit grundsätzlich zulässig. 
Entscheide gestützt auf Art. 137 ZGB sind vorsorgliche Massnahmen im Sinn von Art. 98 BGG, weshalb nur die Verletzung verfassungsmässiger Rechte gerügt werden kann. Zur Anwendung gelangt deshalb das strenge Rügeprinzip (Art. 106 Abs. 2 BGG), wie es für die frühere staatsrechtliche Beschwerde gegolten hat (BGE 133 II 249 E. 1.4.2 S. 254). Das bedeutet, dass das Bundesgericht nur klar und detailliert erhobene und soweit möglich belegte Rügen prüft, während es auf ungenügend begründete Rügen und rein appellatorische Kritik am angefochtenen Entscheid nicht eintritt (BGE 125 I 492 E. 1b S. 495; 130 I 258 E. 1.3 S. 262). 
Wird die Verletzung des Willkürverbots gerügt, reicht es sodann nicht aus, die Rechtslage aus Sicht des Beschwerdeführers darzulegen und den davon abweichenden angefochtenen Entscheid als willkürlich zu bezeichnen; vielmehr ist im Einzelnen darzulegen, inwiefern das kantonale Gericht willkürlich entschieden haben soll und der angefochtene Entscheid deshalb an einem qualifizierten und offensichtlichen Mangel leidet (BGE 117 Ia 10 E. 4b S. 11 f.). Diese Grundsätze gelten insbesondere auch für die Rüge, es seien offensichtlich unrichtige Sachverhaltsfeststellungen getroffen worden (Art. 97 Abs. 1 BGG), weil "offensichtlich unrichtig" mit "willkürlich" gleichzusetzen ist (Botschaft, BBl 2001 IV 4338; BGE 133 II 249 E. 1.2.2 S. 252; 133 III 393 E. 7.1 S. 398). 
 
2. 
Der Beschwerdeführer ruft zwar das Willkürverbot an. Er beschränkt sich aber weitestgehend darauf, den gutachterlichen und sodann den gerichtlichen Ausführungen seine eigene Sichtweise gegenüberzustellen; dies ist typische appellatorische Kritik, wie sie dem Rügeprinzip nicht zu genügen vermag. 
Im Zusammenhang mit Gerichtsgutachten ist im Übrigen zu bemerken, dass diese wie jedes andere Beweismittel der freien Beweiswürdigung unterliegen. Kriterien der Beweiswürdigung bilden die Vollständigkeit, die Nachvollziehbarkeit und die Schlüssigkeit des Gutachtens. Das Gericht hat zu prüfen, ob das Gutachten alle Fragen beantwortet, sich auf den zutreffenden Sachverhalt stützt und den Befund ausreichend begründet. Für die Sachverhaltsermittlung und Beweisabnahme bleibt das Gericht verantwortlich. Aus diesem Grund muss es die Schlussfolgerungen des Gutachtens derart nachvollziehen können, dass es in der Lage ist zu beurteilen, ob die gutachterlichen Folgerungen in sich geschlossen sind. Jeder Widerspruch zwischen den vom Gutachter erörterten Grundlagen und seinen Folgerungen kann Zweifel an der Schlüssigkeit des Gutachtens wecken. Sodann hat das Gericht den gutachterlichen Befund auf seine rechtliche Erheblichkeit zu prüfen. Beweiswert hat nur das schlüssige Gutachten. Sofern die gutachterlichen Folgerungen weder als offensichtlich widersprüchlich erscheinen noch auf irrtümlichen tatsächlichen Feststellungen beruhen, muss sich das Gericht an die Auffassung des Gutachters halten. Es darf nur aus triftigen Gründen davon abweichen (Urteile 5A_12/2009, E. 6.1; 5P.39/2004, E. 4.2; allgemein: BGE 132 II 257 E. 4.4.1 S. 269; 133 II 384 E. 4.2.3 S. 391). 
 
2.1 Beide kantonalen Instanzen sind dem von zwei Kinderpsychologen erstellten ausführlichen und schlüssigen Gutachten (mit Ergänzungsgutachten) gefolgt. Dieses beruht auf zahlreichen Sitzungen mit allen Beteiligten und mehreren Hausbesuchen während rund sechs Monaten. Es attestiert beiden Elternteilen eine liebevolle, engagierte Beziehung zu den Kindern und eine (gleich) gute Erziehungsfähigkeit; ausserdem hält es fest, dass A.________ und B.________ sich in beiden Patchwork-Familien wohl fühlen und sie sich grundsätzlich mit den je dort lebenden beiden anderen Kindern gut verstehen. Es kommt zum Schluss, dass die Obhut aber deshalb an die Mutter zu übertragen sei, weil diese mehr Stabilität bieten und insbesondere die Aufrechterhaltung des Kontaktes zum anderen Elternteil besser gewährleisten könne. Der Vater versuche die Mutter bei den Kindern schlecht zu machen und setze diese stark unter Druck, was umgekehrt nicht der Fall sei. So halte er etwa mütterliche Anrufe, wenn die Kinder bei ihm seien, für eine ungebührliche Einmischung, und er sei ganz generell weniger kooperationswillig. Sodann wird im Gutachten und insbesondere im Ergänzungsgutachten ausführlich thematisiert, weshalb A.________ den Wunsch geäussert habe, beim Vater bleiben zu können. Der Vater setzte die Tochter diesbezüglich unter starken Druck und sie stehe in einem Loyalitätskonflikt, der sie fast zerreisse; in dieser Lage könne sie gar keine andere als die verlangte Äusserung abgeben. Massgebend für die Obhutszuteilung sei aber das Kindeswohl, und dieses sei mit einer Zuteilung an die Mutter besser gewahrt. 
Weil er mit den Folgerungen im Gutachten ebenso wenig einverstanden war wie mit der Haltung der beiden Gutachter im Zusammenhang mit dem Ergänzungsgutachten, eine erneute Anhörung der Tochter A.________ könne dieser nicht zugemutet werden, weil sie vom Vater so stark unter Druck gesetzt worden sei, liess dieser sie in der Folge von einer Kinderpsychologin privat "begutachten". Das Obergericht hat erwogen, dieses private "Gutachten" stelle eine Parteibehauptung dar, und es bestehe, gerade auch wegen des starken Loyalitätskonfliktes von A.________, der keine unabhängige Willensäusserung des Kindes zulasse, keine triftigen Gründe, von den Empfehlungen des offiziellen Gutachtens und Ergänzungsgutachtens abzuweichen. Vielmehr sei die Obhut der (grundsätzlich gleich gut wie der Vater erziehungsfähigen) Mutter zuzuteilen, weil nach der ausführlichen und glaubhaften Darlegung im Gutachten allein mit dieser Lösung Gewähr bestehe, dass die Kinder weiterhin auch zum anderen Elternteil umfassenden Kontakt pflegen könnten. 
 
2.2 Der Beschwerdeführer müsste im Einzelnen darlegen, inwiefern die kantonalen Instanzen bei der Obhutszuteilung unsachliche Kriterien angewandt haben oder auf der Grundlage des Gutachtens von aktenwidrigen Tatsachen ausgegangen sein bzw. triftige Gründe für ein Abweichen vom Gutachten missachtet haben sollen. 
Den in diesem Zusammenhang für Willkürrügen geltenden Begründungsanforderungen vermag die Beschwerde insoweit nicht zu genügen, als der Beschwerdeführer den Sachverhalt aus seiner eigenen Sicht schildert (Kooperationswille der Parteien, Beeinflussung der Kinder, wirklicher Kindeswille, Verhalten der Parteien in verschiedener Hinsicht [Telefongespräche, Kinderanlässe u.ä.m.], Betreuungsfähigkeit der Beschwerdegegnerin, Verfügbarkeit des jeweiligen Lebenspartners, Alter der Kinder in den jeweiligen Patchwork-Familien, etc.) und den angefochtenen Entscheid in allgemeiner, kaum auf einzelne Erwägungen Bezug nehmender Weise kritisiert. 
Dem auf das Gutachten abgestützten Kernargument der kantonalen Instanzen, der Vater übe auf A.________ grossen Druck aus und vermittle den Kindern zumindest unbewusst ein negatives Bild von der Mutter, was mütterlicherseits nicht der Fall sei, begegnet der Beschwerdeführer einfach mit der gegenteiligen Behauptung. Damit und mit dem blossen Hinweis, er habe den Betreuungsmodus stets eingehalten, ist jedoch keine Willkür darzutun. 
Keine Willkür ist ferner aufzuzeigen mit der ausführlichen Schilderung der finanziellen Verhältnisse der beiden Patchwork-Familien; für das Obergericht war nicht die finanzielle Situation das entscheidende Zuteilungskriterium, sondern die Ermöglichung einer guten Beziehung der Kinder zu beiden Elternteilen. 
Angesichts der speziellen vorliegenden Situation ergibt sich schliesslich keine Willkür aus dem seitens des Beschwerdeführers für sich in Anspruch genommenen "Kontinuitätsgrundsatz": Entgegen der sinngemässen Darstellung des Beschwerdeführers, als ob die Kinder seit je ausschliesslich von ihm betreut würden, leben sie wechselweise bei beiden Elternteilen, bezogen auf ihre gesamte Lebenszeit etwa je hälftig, in der letzten Zeit etwas überwiegend beim Vater. Von einer "Entwurzelung", wie sie der Beschwerdeführer behauptet, kann somit im Zusammenhang mit der Obhutszuteilung an die Mutter keine Rede sein, und entsprechend ist Willkür nicht ersichtlich. 
Die Willkürrüge ist nach dem Gesagten unbegründet, soweit sie überhaupt als genügend substanziiert gelten kann. 
 
3. 
Was das rechtliche Gehör anbelangt, scheint der Beschwerdeführer sinngemäss geltend zu machen, die kantonalen Instanzen hätten nicht auf den von A.________ geäusserten Willen, bei ihm zu bleiben, gehört. Indes äussert sich das Gutachten sowie insbesondere auch das Ergänzungsgutachten ausführlich zu dieser Frage sowie zur Abgrenzung zwischen Willensäusserung und Kindeswohl, und die kantonalen Instanzen haben sich eingehend mit diesen Ausführungen auseinandergesetzt und eigene Wertungen vorgenommen. Inwiefern vor diesem Hintergrund das rechtliche Gehör verletzt sein soll, ist nicht ersichtlich. 
Keine Verletzung des rechtlichen Gehörs ergibt sich sodann aus der fraglichen Handlung des Vaters, die in einem heftigen Loyalitätskonflikt stehende Tochter eigenmächtig zu einer Kinderpsychologin zu bringen und sie dort aussagen zu lassen, dass sie in der väterlichen Patchwork-Familie leben möchte; umso weniger lässt sich damit eine Gehörsverletzung dartun, als die kantonalen Instanzen den Bericht der Kinderpsychologin in ihre Erwägungen aufgenommen, jedoch in einem für den Vater nachteiligen Sinn gewertet und das offizielle Gutachten als sachlicher und stringenter angesehen haben. 
Die Gehörsrüge ist somit unbegründet, soweit sie überhaupt als genügend substanziiert gelten kann. 
 
4. 
Der Beschwerdeführer ruft schliesslich eine Verletzung des Rechtsgleichheitsgebots an. Inwiefern die Parteien rechtsungleich behandelt worden sein sollen, wird indes nicht oder jedenfalls nicht substanziiert dargelegt. 
Völlig an der Sache vorbei geht angesichts der ausführlichen Begründung, weshalb die Obhut an die Mutter zugeteilt werde, die sinngemässe Unterstellung, das Obergericht habe dies einzig aus einem traditionellen Rollenbild heraus getan. 
 
5. 
Zusammenfassend ergibt sich, dass die Beschwerde abzuweisen ist, soweit auf sie eingetreten werden kann. Bei diesem Verfahrensausgang wird der Beschwerdeführer kosten- und entschädigungspflichtig (Art. 66 Abs. 1 und Art. 68 Abs. 2 BGG). 
Wie die vorstehenden Erwägungen zeigen, muss die Beschwerde als von Anfang an aussichtslos gelten, weshalb die materiellen Voraussetzungen für das Gesuch des Beschwerdeführers um unentgeltliche Rechtspflege nicht gegeben sind (Art. 64 Abs. 1 BGG) und dieses folglich abzuweisen ist. Demgegenüber ist das Gesuch der einlassungspflichtigen und im Übrigen prozessbedürftigen Beschwerdegegnerin gutzuheissen und es ist ihr Eva Saluz als unentgeltliche Rechtsanwältin beizuordnen (Art. 64 Abs. 1 und 2 BGG). 
Zufolge der grundsätzlichen Entschädigungspflicht des Beschwerdeführers ist die Beschwerdegegnerin bzw. ihre Anwältin allerdings nur bei Nichteinbringlichkeit der Entschädigung bei der Gegenpartei direkt aus der Bundesgerichtskasse zu entschädigen (vgl. BGE 122 I 322 E. 2d S. 326 f.). Angesichts der kurzen Eingaben kann im Übrigen nicht das in der Honorarnote verlangte, sondern nur ein dem mutmasslichen Aufwand entsprechendes Honorar zugesprochen werden. 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1. 
Die Beschwerde in Zivilsachen wird abgewiesen, soweit auf sie einzutreten ist. 
 
2. 
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege des Beschwerdeführers wird abgewiesen. 
 
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege der Beschwerdegegnerin wird gutgeheissen und es wird ihr Fürsprecherin Eva Saluz als unentgeltliche Anwältin beigegeben. 
 
3. 
Die Gerichtskosten von Fr. 1'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
4. 
Der Beschwerdeführer hat die Beschwerdegegnerin für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 1'500.-- zu entschädigen. 
 
Bei Nichteinbringlichkeit dieses Betrages wird Fürsprecherin Eva Saluz aus der Bundesgerichtskasse mit Fr. 1'500.-- entschädigt. 
 
5. 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Bern, Appellationshof, 1. Zivilkammer, schriftlich mitgeteilt. 
 
Lausanne, 30. April 2009 
Im Namen der II. zivilrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Die Präsidentin: Der Gerichtsschreiber: 
 
Hohl Möckli