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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
                 
 
 
6B_1221/2018  
 
 
Urteil vom 27. September 2019  
 
Strafrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Denys, Präsident, 
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari, 
Bundesrichter Oberholzer, 
Bundesrichter Rüedi, 
Bundesrichterin Jametti, 
Gerichtsschreiber Briw. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Babak Fargahi, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Landesverweisung (Art. 66a Abs. 1 lit. d StGB), 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts 
des Kantons Zürich, I. Strafkammer, vom 27. September 2018 (SB170481-O/U/cwo). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.   
Das Obergericht des Kantons Zürich stellte im Berufungsverfahren am 27. September 2018 die Rechtskraft der folgenden vom Bezirksgericht Zürich am 12. September 2017 gegen A.________ ausgesprochenen Schuldsprüche fest: 
 
- mehrfacher Diebstahl (Art. 139 Ziff. 1 StGB), 
- Sachbeschädigung (Art. 144 Abs. 1 StGB), 
- mehrfacher Hausfriedensbruch (Art. 186 StGB), 
- mehrfaches Vergehen gegen Art. 19 Abs. 1 lit. c BetmG
- mehrfache Übertretung von Art. 19a Ziff. 1 BetmG
 
Das Obergericht sprach ihn in einem Anklagepunkt (Doss. 2) vom Vorwurf des Diebstahls frei und bestrafte ihn mit 10 Monaten Freiheitsstrafe und Fr. 300.-- Busse. Den Vollzug der Freiheitsstrafe schob es mit einer Probezeit von vier Jahren auf. 
 
Es verwies ihn für 5 Jahre des Landes (Ziff. 6 des Dispositivs). 
 
B.   
A.________ beantragt mit Beschwerde in Strafsachen, das vorinstanzliche Urteil in Ziff. 6 des Dispositivs aufzuheben, von einer Landesverweisung abzusehen oder eventualiter die Sache zu weiteren Abklärungen an die Vorinstanz zurückzuweisen. Er beantragt die unentgeltliche Rechtspflege. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Der Beschwerdeführer macht geltend, ein Ladendiebstahl in Verbindung mit Hausfriedensbruch sei keine Katalogtat.  
 
Einzig der am 11./12. März 2017 verübte Einbruch in das dermatologische Ambulatorium des Stadtspitals Triemli stelle eine Katalogtat für eine obligatorische Landesverweisung gemäss Art. 66a Abs. 1 lit. d StGB dar. Der Diebstahl mit Hausfriedensbruch, ohne ein Hindernis überwinden zu müssen, stelle keine Katalogtat dar. Jedenfalls müsse ein Hindernis überwunden werden (mit oder ohne Sachbeschädigung), weshalb als Katalogtat etwa der "Einschleichdiebstahl" gelte (Botschaft vom 26. Juni 2013 zur Änderung des Strafgesetzbuchs [...], Umsetzung von Art. 121 Abs. 3-6 BV über die Ausschaffung krimineller Ausländerinnen und Ausländer, BBl 2013 5975, S. 6022). Die Kaufhäuser Coop (Doss. 1) und Manor (Doss. 4 und 5) seien öffentlich zugängliche Orte bzw. Geschäfte, die ohne weiteres von jedermann betreten werden könnten, solange das Geschäft geöffnet sei. Er habe die angeklagten Handlungen während den Ladenöffnungszeiten begangen. Es handle sich mithin um keine Katalogtaten (BRUN/FABRI, Die Landesverweisung - neue Aufgaben und Herausforderungen für die Strafjustiz, in: recht 4/2017, S. 231, S. 236 f.). Dies habe die Erstinstanz mit Hinweisen auf die Botschaft rechtlich zutreffend erwogen, worauf die Vorinstanz zu Unrecht nicht Bezug nehme. 
 
Komme einzig der Einbruch in das Ambulatorium als Katalogtat in Frage, welchen die Erstinstanz mit einer Einsatzstrafe von 5 Monaten belegt habe, sei einzig zu prüfen, ob er deshalb mit der Landesverweisung bestraft werden könne. 
 
1.2. Die Vorinstanz geht davon aus, der Beschwerdeführer sei wegen mehrfachen Diebstahls in Verbindung mit mehrfachem Hausfriedensbruch verurteilt worden. Dabei handle es sich um eine Katalogtat (Art. 66a Abs. 1 lit. d StGB; Urteil S. 16). Mit der vom Beschwerdeführer aufgeworfenen Fragestellung setzt sie sich nicht auseinander.  
 
1.3. Die Erstinstanz stellte klar (erstinstanzliches Urteil S. 22 f.), dass von den zur Last gelegten Delikten einzig der Einbruchdiebstahl in das Ambulatorium eine Katalogtat für die obligatorische Landesverweisung darstelle. Nicht als Katalogtaten würden demgegenüber blosse Ladendiebstähle unter Missachtung eines Hausverbots gelten, da mit Blick auf Art. 121 Abs. 3 lit. a BV nur sogenannte "Einbruchsdelikte" von Art. 66a Abs. 1 lit. d StGB erfasst seien (BBl 2013 6022).  
 
1.4. Doss. 1 betrifft eine Anklage wegen Diebstahls und Hausfriedensbruchs: Der Beschwerdeführer habe sich trotz Hausverbots in den Coop begeben und das Deliktsgut aus der Verkaufsauslage genommen.  
 
Doss. 2 betrifft die Anklage wegen Diebstahls eines Fahrrads. Die Staatsanwaltschaft beantragte vor der Vorinstanz einen Schuldspruch. Der Beschwerdeführer machte Dereliktion geltend [Art. 729 ZGB: Dereliktion; Art. 718 ZGB: Okkupation]. Die Vorinstanz sprach ihn in dubio pro reo frei (Urteil S. 8). 
 
Doss. 3 betrifft die Anklage wegen Diebstahls, Sachbeschädigung und Hausfriedensbruchs, indem er im Ambulatorium eine Fensterscheibe einschlug, eindrang, Behältnisse durchsuchte und Deliktsgut an sich nahm. 
 
Doss. 4 und 5 betreffen Anklagen wegen Diebstahls und Hausfriedensbruchs im Manor, indem er sich trotz Hausverbots in die Filiale begab und Deliktsgut aus der Verkaufsanlage an sich nahm. 
 
Doss. 6 betrifft eine Anklage wegen mehrfachen Vergehens gegen Art. 19 BetmG durch Helfen beim Verkauf namentlich von Marihuana und Kokain. 
 
Doss. 3 [sic] betrifft die Anklagen wegen mehrfachen Übertretens von Art. 19a BetmG durch durchschnittliches wöchentliches Rauchen von ca. 5 g Kokain und tägliches Rauchen von 1 g Marihuana. 
 
1.5. Gemäss Art. 66a Abs. 1 lit. d StGB ist der Ausländer wegen Diebstahls (Art. 139) in Verbindung mit Hausfriedensbruch (Art. 186) unabhängig von der Höhe der Strafe für 5-15 Jahre aus der Schweiz zu verweisen. Das Gericht kann ausnahmsweise von einer Landesverweisung absehen (Art. 66a Abs. 2 StGB). In den Urteilen 6B_1117/2018 vom 11. Januar 2019 E. 2.1 und 6B_598/2019 vom 5. Juli 2019 E. 4.1 war Art. 66a Abs. 1 lit. d StGB nicht in der vorliegenden Konstellation anzuwenden.  
 
1.5.1. Wie die Erstinstanz legt die Kommentarliteratur Art. 66a Abs. 1 lit. d StGB nach Art. 121 Abs. 3 lit. a BV aus, sodass Ausländer erfasst werden, die wegen "eines Einbruchsdelikts" rechtskräftig verurteilt worden sind, also namentlich einen Einschleich- oder Einbruchdiebstahl begangen haben (ZURBRÜGG/HRUSCHKA, in: Basler Kommentar, Strafrecht I, 4. Aufl. 2019, N. 14 zu Art. 66a StGB); die Autoren nehmen in historischer Auslegung mit BRUN/FABRI (a.a.O., S. 236) an, dass der durch ein Hausverbot belegte Ladendieb nicht erfasst wird. Wie TRECHSEL/BERTOSSA (in: Trechsel/Pieth, Schweizerisches Strafgesetzbuch, Praxiskommentar, 3. Aufl. 2018, N. 9 zu Art. 66a StGB) ausführen, stellt der Deliktskatalog die Konkretisierung von Art. 121 Abs. 3 und 4 BV dar und ist abschliessend. Die in der Verfassung verwendete Bezeichnung "eines Einbruchsdelikts" ("l'effraction"; "effrazione") ist kein Begriff des schweizerischen Strafrechts und wurde mit Art. 66a Abs. 1 lit. d StGB umgesetzt. Der Tatbestand setzt keinen Sachschaden voraus (BBl 2013 6022). Es genügt, wenn der Täter in das Haus durch eine Tür oder ein Fenster eindringt oder einschleicht ("s'introduise"), ohne dass er etwa ein Schloss aufbrechen müsste (MICHEL DUPUIS ET AL., CP, Code pénal, 2. Aufl. 2017, N. 3 zu Art. 66a StGB).  
 
1.5.2. Bei der Verfassungsauslegung ist vom Wortlaut der Norm auszugehen; dem Verhältnismässigkeitsgrundsatz kommt dabei besondere Bedeutung zu (BBl 2013 5983 f.; zur Publikation bestimmtes Urteil 6B_378/2018 vom 22. Mai 2019 E. 3.3). Das Wort "Einbruch" ist die Substantivierung des Verbs "einbrechen", das primär bedeutet: "gewaltsam in ein Gebäude, in einen Raum o.Ä. eindringen (um etwas zu stehlen) " (Duden, Deutsches Universalwörterbuch, 8. Aufl. 2015). Der über die "Ausschaffungsinitiative" in die Verfassung eingeführte politisierte kriminologische Begriff des "Einbruchsdelikts" ist (wie jener des "Drogenhandels") ohne "strafrechtlich bestimmten Inhalt" (BBl 2013 6022), aber von medial eingängiger Bildhaftigkeit (vgl. JUKSCHAT/WOLLINGER, Vermummte Männer mit Brecheisen bei Nacht, Zur medialen Visualisierung kriminologischer Befunde am Beispiel des Wohnungseinbruchsdiebstahls, in: Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform, MschrKrim 1/2019 S. 43). Das dürfte auch die landläufig "gewöhnliche" Bedeutung des Worts Einbruchsdelikt in der Schweiz wiedergeben. Ein eigentlicher Gewaltakt ist nach der Umsetzungsnorm von Art. 66a Abs. 1 lit. d StGB indes nicht erforderlich, da bereits der "Einschleichdiebstahl" erfasst wird (BBl 2013 6022). Auch das Unrecht des Hausfriedensbruchs liegt im Eindringen in einen Raum durch die unerwünschte Person (DELNON/RÜDY, in: Basler Kommentar, Strafrecht II, 4. Aufl. 2019, N. 9 zu Art. 186 StGB). Bereits ein Betreten entgegen dem Willen des Hausherrn ist objektiv tatbestandsmässig. Dieses Eindringen als solches ist kein "Einbruchsdelikt".  
 
1.5.3. Der Deliktskatalog enthält die schwersten Straftaten, aber auch solche, die im Einzellfall Bagatellen darstellen können (STEFAN HEIMGARTNER, in: Andreas Donatsch et al., StGB/JStG, 20. Aufl. 2018, N. 4 zu Art. 66a StGB), sodass eine systematische Auslegung des Art. 66a Abs. 1 StGB nicht weiterführt. Nach dem Verhältnismässigkeitsprinzip ist nicht anzunehmen, dass ein Ladendiebstahl unter schlichter Verletzung eines (hier soweit ersichtlich privatrechtlichen) Hausverbots in einem dem Publikum offenstehenden Verkaufsgeschäft zu einer obligatorischen Landesverweisung führt. Massgebend ist der Wortlaut der BV. Mit der Erstinstanz und der Literatur ist Art. 66a Abs. 1 lit. d StGB im Sinne der BV tatsächlich als Einschleich- oder Einbruchdiebstahl auszulegen. Der gemeinübliche Ladendiebstahl in Verbindung mit Hausfriedensbruch (der bei Verletzung eines Hausverbots in einem Kaufhaus vorliegt) ist nicht unter Art. 66a Abs. 1 lit. d StGB zu subsumieren (BRUN/FABRI, a.a.O., S. 236).  
 
Diese restriktive Interpretation von Art. 66a Abs. 1 lit. d StGB stützt sich auf die wortlautkonforme Auslegung des in Art. 121 Abs. 3 lit. a BV verwendeten Begriffs des "Einbruchsdelikts" und schliesst einzig den schlichten Ladendiebstahl unter Verletzung eines Hausverbots in einem Kaufhaus vom Anwendungsbereich des Art. 66a Abs. 1 lit. d StGB aus. 
 
1.6. Die Vorinstanz stellt für die Anordnung der obligatorischen Landesverweisung darauf ab, der Beschwerdeführer sei  
 
"nebst weiteren Delikten des mehrfachen Diebstahls in Verbindung mit mehrfachem Hausfriedensbruch schuldig gesprochen und verurteilt (Urk. 42 S. 27, Dispositiv-Ziffer 1). Dabei handelt es sich um eine Katalogtat der obligatorischen Landesverweisung (Art. 66a Abs. 1 lit. d StGB), welche in der Regel zur Landesverweisung des Täters führt" (Urteil S. 16). 
 
Mit der Dispositiv-Ziffer 1 verweist die Vorinstanz auf das erstinstanzliche Dispositiv (oben Sachverhalt A). Unter den von der Vorinstanz zugrunde gelegten Diebstählen kann einzig der Sachverhalt des Einbruchdiebstahls im Ambulatorium (Doss. 3) Gegenstand einer Katalogtat sein. Die Vorinstanz verletzt mithin Bundesrecht, indem sie die Landesverweisung ebenfalls gestützt auf die Sachverhalte der Doss. 1 (Coop) sowie 4 und 5 (Manor) begründet. Das Urteil ist aufzuheben und die Sache zu neuer Beurteilung zurückzuweisen. 
 
1.7. Auf die Beschwerde ist daher im Übrigen nicht einzutreten.  
 
2.   
Auf eine Vernehmlassung kann angesichts der beurteilten reinen Rechtsfrage (iura novit curia; Art. 106 Abs. 1 BGG) auf der Grundlage rechtskräftiger Schuldsprüche und des Beschleunigungsgebots sowie angesichts des im bundesgerichtlichen Beschwerdeverfahren (NICOLAS VON WERDT, in: Hansjörg Seiler et al., Bundesgerichtsgesetz [BGG], 2. Aufl. 2015, N. 3 zu Art. 107 BGG) und bei der Neubeurteilung nach bundesgerichtlicher Rückweisung geltenden Verschlechterungsverbots (Urteil 6B_1047/2017 vom 17. November 2017 E. 3) verzichtet werden. Die Parteien werden anlässlich der Neubeurteilung ihr Gehörsrecht wahrnehmen können. 
 
 
3.   
Die Beschwerde ist gutzuheissen, soweit darauf einzutreten ist, das Urteil aufzuheben und die Sache zu neuer Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Mit der Gutheissung der Beschwerde ist das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege gegenstandslos geworden. Es sind keine Kosten zu erheben. Der Kanton Zürich ist zu einer Parteientschädigung an den Beschwerdeführer zu verpflichten (Art. 68 Abs. 2 BGG). Die Parteientschädigung ist bei Gesuchen um unentgeltliche Rechtspflege praxisgemäss in analoger Anwendung von Art. 64 Abs. 2 BGG dem Anwalt zuzusprechen. 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird gutgeheissen, soweit darauf einzutreten ist, das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich vom 27. September 2018 aufgehoben und die Sache zu neuer Beurteilung an die Vorinstanz zurückgewiesen. 
 
2.   
Es werden keine Kosten erhoben. 
 
3.   
Der Kanton Zürich wird verpflichtet, Rechtsanwalt Babak Fargahi mit Fr. 3'000.-- zu entschädigen. 
 
4.   
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zürich, I. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 27. September 2019 
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Denys 
 
Der Gerichtsschreiber: Briw