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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
6B_265/2020  
 
 
Urteil vom 11. Mai 2022  
 
Strafrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari, Präsidentin, 
Bundesrichter Denys, 
Bundesrichter Muschietti, 
Bundesrichterin Koch, 
Bundesrichter Hurni, 
Gerichtsschreiber Traub. 
 
Verfahrensbeteiligte 
Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich, Florhofgasse 2, 8090 Zürich, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen  
 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Stephan Schlegel, 
Beschwerdegegner, 
 
B.________. 
 
Gegenstand 
Schändung, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich, I. Strafkammer, vom 28. November 2019 (SB190282-O/U/cwo). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Die Staatsanwaltschaft Winterthur/Unterland lastet A.________ an, sich der Schändung (Art. 191 StGB) schuldig gemacht zu haben, indem er nach Beginn eines einvernehmlichen Geschlechtsverkehrs das Kondom entfernte, ohne dass die Sexualpartnerin dies erkennen konnte, und den Verkehr fortsetzte (sog. Stealthing). Die Partnerin habe sich zuvor ausdrücklich geschützten Geschlechtsverkehr ausbedungen.  
Das Bezirksgericht Bülach sprach A.________ vom Vorwurf der Schändung frei (Urteil vom 13. Februar 2019). 
 
B.  
Auf Berufung der Staatsanwaltschaft hin bestätigte das Obergericht des Kantons Zürich den Freispruch (Urteil vom 28. November 2019). 
 
C.  
Die Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich führt Beschwerde in Strafsachen. Sie beantragt die Aufhebung des angefochtenen Urteils und die Rückweisung an die Vorinstanz zur neuen Beurteilung. Eventuell sei der Beschwerdegegner gemäss Art. 191 StGB schuldig zu sprechen und angemessen zu bestrafen. 
A.________ beantragt, die Beschwerde sei abzuweisen. Das Obergericht und die Privatklägerin verzichten auf eine Stellungnahme. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Der Sachverhalt ist vor Vorinstanz strittig gewesen. Der Beschwerdegegner bestätigt den äusseren Vorgang, gibt aber an, der Privatklägerin sei bewusst gewesen, dass er kein Kondom mehr getragen habe. Sie selbst habe ihm dieses abgezogen. Ausserdem bestreitet er, dass sie ihm vor dem Geschlechtsverkehr ausdrücklich gesagt hat, sie bestehe auf geschütztem Sex. Nach Würdigung der Beweise stellt die Vorinstanz fest, der umstrittene Vorgang habe sich im Wesentlichen so abgespielt, wie er angeklagt sei. Angesichts des Freispruchs hatte der Beschwerdegegner keine Möglichkeit, diese Feststellung (im Rahmen von Art. 97 Abs. 1 BGG) anzufechten und auf ihre Willkürfestigkeit überprüfen zu lassen. Anfechtbar ist nur das Dispositiv, nicht die Begründung. Es kann auch nur das Dispositiv rechtskräftig werden (BGE 136 III 345 E. 2.1). Da der vorinstanzliche Freispruch vom Vorwurf der Schändung im Ergebnis zu bestätigen sein wird, werden dem Folgenden die vorinstanzlichen Feststellungen als Hypothese zugrunde gelegt. Im Einzelnen wird unterstellt, der Beschwerdegegner habe das Kondom ohne Wissen der Privatklägerin entfernt und er habe gewusst, dass der Geschlechtsverkehr nach dem Willen der Privatklägerin nur mit Kondom stattfinden durfte. Unbestritten ist, dass die Privatklägerin die Manipulation den Umständen nach nicht erkennen konnte. 
 
2.  
 
2.1. Die Staatsanwaltschaft macht geltend, der vorinstanzliche Freispruch missachte das Recht der Privatklägerin auf sexuelle Selbstbestimmung und Freiheit. Wem es nicht möglich sei, den Angriff auf seine geschlechtliche Integrität abzuwehren, weil er ihn nicht wahrnehme, sei widerstandsunfähig. Wer sich dies zunutze mache, indem er gegen den Willen resp. ohne Einwilligung der insoweit wehrlosen Sexualpartnerin das Kondom entferne, begehe sexuellen Missbrauch im Sinn von Art. 191 StGB. Nach Auffassung der Vorinstanz sei die Verwendung eines Kondoms nur eine Modalität des einvernehmlichen Geschlechtsverkehrs. Darum sei aus deren Sicht das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung nicht betroffen. Die Vorinstanz verkenne damit, dass keine gültige Einwilligung zum ungeschützten Verkehr vorliege, dieser also unfreiwillig erfolge. Der Beschwerdegegner habe nicht nur moralisch vorwerfbar gehandelt, sondern auch rechtswidrig.  
 
2.2. Das Obergericht des Kantons Zürich zieht einen Vergleich zu Fällen, in denen ein ärztlicher oder physiotherapeutischer Behandler im Rahmen der Therapie sexuelle Übergriffe auf eine Patientin begeht und das Opfer an sich in der Lage wäre, einen Abwehrwillen zu fassen, es die sexuelle Handlung jedoch zu spät wahrnimmt. In dieser Konstellation werde Schändung angenommen, weil das Opfer nicht mit sexuellen Handlungen rechne und daher keinen Abwehrwillen bilden könne. Die Privatklägerin jedoch sei mit dem Geschlechtsverkehr als solchem einverstanden gewesen, wenngleich sie die Bedingung gestellt habe, dass der Beschwerdegegner ein Kondom benütze. Beim geschützten und beim ungeschützten Geschlechtsverkehr gehe es zwar um unterschiedliche Qualitäten von Intimität. Im Rahmen der so oder anders sehr intimen Handlung mache die (Nicht-) Verwendung eines Kondoms aber letztlich nur einen graduellen Unterschied. Ein Kondom werde verwendet, um den Sexualpartner vor Infektionskrankheiten zu schützen resp. um ungewollte Schwangerschaften zu verhindern. Das diesbezügliche Interesse der Privatklägerin betreffe das einschlägige Rechtsgut der sexuellen Integrität und Selbstbestimmung nicht.  
Weiter führt die Vorinstanz aus, die von der Anklage vertretene Sichtweise führe dazu, dass jede überraschende Interaktion im Rahmen eines Geschlechtsverkehrs grundsätzlich den Tatbestand der Schändung objektiv erfülle, wenn die aktive Person daran zweifeln müsse, ob die betreffende Handlung für den Partner auch in Ordnung sei. Die individuell gezogene Grenze wäre dann der Massstab dafür, ob der Tatbestand erfüllt sei oder nicht. Durch Art. 191 StGB geschützt seien Personen, die sexuelle Übergriffe nicht abwehren, weil sie den dazu nötigen Willen nicht bilden, äussern oder betätigen könnten. Es entspreche nicht der Absicht des Gesetzgebers, spontane sexuelle Interaktionen zwischen grundsätzlich einwilligungsfähigen Personen unter Generalverdacht zu stellen. Es wäre lebensfremd, mit dem Sexualpartner vor dem Akt jede Einzelheit im Sinne eines "was geht, was nicht" besprechen zu müssen, nur um anschliessend nicht Gefahr zu laufen, dass es zu einer Anzeige wegen Schändung komme. Schliesslich gebiete das Legalitätsprinzip, dass der Adressat sein Verhalten nach dem Gesetz ausrichten könne. Diese Voraussetzung sei hier nicht gegeben. Auch wenn der Beschuldigte wissen musste, dass sein Verhalten nicht richtig sei, habe er doch nicht damit rechnen müssen, dass er einen mit bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe bewehrten Tatbestand erfülle. 
 
3.  
 
3.1. Das als Stealthing - von englisch stealth : Heimlichkeit, List - bezeichnete Verhalten scheint sich in den letzten Jahren zunehmend verbreitet zu haben; mitunter wird von einem eigentlichen Trend gesprochen (zum Phänomen Stealthing : ANDRES WISSNER, "Stealthing": ein besorgniserregender Trend?, in: Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform 2020, S. 315 ff.; THOMAS MICHAEL HOFFMANN, Zum Problemkreis der differenzierten Einwilligung [Einverständnis] des Opfers im Bereich des § 177 StGB nach dem Strafrechtsänderungsgesetz 2016, in: Neue Zeitschrift für Strafrecht [NStZ] 2019, S. 17; KEVIN FRANZKE, Zur Strafbarkeit des so genannten "Stealthings", in: Bonner Rechtsjournal 2019, S. 114 f.; FELIX HERZOG, "Stealthing": Wenn Männer beim Geschlechtsverkehr heimlich das Kondom entfernen: Eine Sexualstraftat?, in: Festschrift für Thomas Fischer, Barton et al. [Hrsg.], 2018, S. 351 ff.; LINOH/WETTMANN, Sexuelle Interaktionen als objektuale Vertrauensbeziehung: Eine juristisch-soziologische Untersuchung des Phänomens Stealthing, in: Zeitschrift für Internationale Strafrechtsdogmatik [ZIS] 2020, S. 383 ff.; ALEXANDRA BRODSKY, "Rape-Adjacent": Imagining Legal Responses to Nonconsensual Condom Removal, in: Columbia Journal of Gender and Law, 2017, S. 183 ff.). Damit einhergehend ist Stealthing Gegenstand der Strafverfolgung und der rechtswissenschaftlichen Diskussion geworden (dazu MOHAMAD EL-GHAZI, Die strafrechtliche Bewertung des sogenannten Stealthings, in: SJZ 2019, S. 675 ff.; CAROLA GÖHLICH, Stealthing als Eingriff in die sexuelle Integrität?: Zur Einvernehmlichkeit des Geschlechtsverkehrs bei Täuschung und abredewidrigem Verhalten, in: AJP 2019, S. 522 ff.; MEIER/HASHEMI, Stealthing - Muss strafbar sein, was verwerflich ist?, in: forumpoenale 2020, S. 119 ff.; aus Sicht des deutschen resp. österreichischen Rechts: JOHANNES MAKEPEACE, "I'm not sure this is rape, but...": Zur Strafbarkeit von "Stealthing" nach dem neuen Sexualstrafrecht, in: KriPoZ 2021, S. 10 ff.; HOFFMANN, a.a.O., S. 16 ff.; SCHUMANN/SCHEFER, Das sog. Stealthing als Prüfstein des § 177 StGB n.F., in: Festschrift für Urs Kindhäuser zum 70. Geburtstag, Böse/Schumann/Toepel [Hrsg.], 2019, S. 811 ff.; DENZEL/KRAMER DA FONSECA CALIXTO, Strafbarkeit und Strafwürdigkeit der sexuellen Täuschung, in: KriPoZ 2019, S. 347 ff.; RITA VAVRA, Täuschungen als strafbare Eingriffe in die sexuelle Selbstbestimmung?, in: ZIS 2018, S. 611 ff.; MARIA SAGMEISTER, Stealthing verletzt die sexuelle Selbstbestimmung, in: Juridikum 2017, S. 296 ff.).  
 
3.2. Die Vorinstanz beurteilte die strafrechtliche Relevanz von Stealthing anhand des Tatbestands der Schändung (Art. 191 StGB). Unter diesem Titel macht sich schuldig, wer eine urteilsunfähige oder eine zum Widerstand unfähige Person in Kenntnis ihres Zustandes zum Beischlaf, zu einer beischlafsähnlichen oder einer anderen sexuellen Handlung missbraucht.  
Nach der Rechtsprechung gilt als im Sinn von Art. 191 StGB widerstandsunfähig, wer nicht imstande ist, sich gegen ungewollte sexuelle Kontakte zu wehren, weil er seinen Abwehrwillen nicht (wirksam) fassen oder äussern oder in einen Abwehrakt umsetzen kann. Die Gründe einer Widerstandsunfähigkeit können dauernd, vorübergehend oder situationsbedingt sein. Die Kasuistik umfasst etwa Fälle von schwerer geistiger Einschränkung infolge einer starken Intoxikation mit Alkohol oder Drogen, solche von fehlendem körperlichem Reaktionsvermögen (beispielsweise wegen eines Gebrechens oder einer Fesselung) und schliesslich auch besondere Konstellationen wie ein Zusammenwirken von Schläfrigkeit, Alkoholisierung und einem Irrtum über die Identität des (für den Ehemann gehaltenen) Sexualpartners. Vorausgesetzt wird, dass die Fähigkeit zu Abwehrhandlungen ganz aufgehoben und nicht nur eingeschränkt ist. Wird ein Rest von Widerstand überwunden, liegt eine Tat nach Art. 189 f. StGB vor (zum Ganzen BGE 133 IV 49 E. 7.2; 119 IV 230 E. 3a; Urteile 6B_1178/2019 vom 10. März 2021 E. 2.2 und 6B_232/2016 vom 21. Dezember 2016 E. 2.2; JOSÉ HURTADO POZO, Droit pénal, Partie spéciale, 2009, N 2998). Die Tathandlung des Missbrauchs nach Art. 191 StGB besteht darin, dass sich der Täter die Widerstandsunfähigkeit des Opfers bewusst zunutze macht, um eine sexuelle Handlung zu vollziehen (vgl. erwähntes Urteil 6B_1178/2019 E. 2.2.2; Urteile 6S.217/2002 vom 3. April 2003 E. 3 und 6S.359/2002 vom 7. August 2003 E. 4.2). 
 
3.3. Dem Beschwerdegegner wird vorgeworfen, während des einvernehmlichen Geschlechtsverkehrs mit einer Frau bei einem Stellungswechsel ohne deren Wissen das Kondom abgestreift und den Geschlechtsverkehr ungeschützt fortgesetzt zu haben, obwohl vereinbart war, ausschliesslich geschützt zu verkehren. Heimlich vorgegangen sei er, um den zu erwartenden Widerstand der Partnerin gegen den absprachewidrig fortgesetzten Geschlechtsverkehr abzuwenden (vgl. dazu oben E. 1).  
Die beschwerdeführende Oberstaatsanwaltschaft wendet sich gegen den vorinstanzlichen Ansatz, der prozessgegenständliche Geschlechtsverkehr erscheine wegen seiner grundsätzlichen Einvernehmlichkeit von vornherein nicht als Handlung im Sinn von Art. 191 StGB. In einem ersten Schritt ist zu prüfen, ob der ohne Wissen der Privatklägerin und gegen ihren erklärten Willen ungeschützt vollzogene Geschlechtsverkehr eine eigenständige sexuelle Handlung darstellt, die rechtserheblich vom an sich einvernehmlichen Geschlechtsverkehr abweicht. Die Rechtserheblichkeit beurteilt sich mit Blick darauf, inwiefern die Abweichung den Schutzbereich von Art. 191 StGB - die sexuelle Integrität und Selbstbestimmung - tangiert (nachstehend E. 4). Gegebenenfalls stellt sich die Anschlussfrage, ob die Privatklägerin angesichts des heimlich entfernten Kondoms widerstandsunfähig ist, weil sie so lange keine Möglichkeit hat, die ungeschützte Penetration abzuwehren, wie ihr der Beschwerdegegner einen (weiterhin) geschützten Geschlechtsverkehr vortäuscht. Der tatbestandsmässige Missbrauch bestünde im bewussten Ausnutzen einer solchen Widerstandsunfähigkeit (E. 5). 
 
4.  
 
4.1. An Sexualkontakten beteiligte Personen verstehen den Einsatz eines Kondoms oft als wesentliche Bedingung, um sich überhaupt auf den Kontakt einzulassen (Hinweise auf die Empirie in E. 4.2). Das Kondom dient ihnen vorab - aber, wie zu zeigen sein wird, nicht nur - als Schutz vor sexuell übertragbaren Krankheiten und zur Verhütung einer Schwangerschaft. Im vorliegenden Fall beklagte sich die Privatklägerin denn auch über eine psychische Belastung im Hinblick auf die Möglichkeit einer HIV-Infektion; sie unterzog sich einer präventiven Behandlung, die mit Nebenwirkungen verbunden sein kann (vgl. EL-GHAZI, a.a.O., S. 676 f.). Unter dem Aspekt der sexuell übertragbaren Krankheiten kann das streitgegenständliche Verhalten strafrechtlich unter Umständen als (versuchte) eventualvorsätzliche Körperverletzung (Art. 122 f. StGB) zu behandeln sein (vgl. Urteil 6B_1225/2019 vom 8. April 2020 E. 1.2 und 1.3 mit Hinweisen auf die Rechtsprechung); diesbezüglich kommt allenfalls auch der Tatbestand des Verbreitens menschlicher Krankheiten infrage (Art. 231 StGB; GÖHLICH, a.a.O., S. 524 und 526 f.; vgl. BGE 134 IV 193; 131 IV 1 E. 4).  
Art. 191 StGB dient indessen nicht Aspekten des Gesundheitsschutzes (MEIER/HASHEMI, a.a.O., S. 120 f.; vgl. SCHUMANN/SCHEFER, a.a.O., S. 815). Angesprochen ist einzig die sexuelle Integrität und Selbstbestimmung als besondere Ausprägung des Persönlichkeitsrechts (INEKE PRUIN, "Nein heisst nein" und "Ja heisst ja": Zur Einführung eines konsensorientierten Ansatzes im Sexualstrafrecht in der Schweiz und in Deutschland, in: ZStrR 2021, S. 132; PHILIPP MAIER, in: Basler Kommentar, Strafrecht II, 4. Aufl. 2019, N 1 zu Art. 191 StGB; PETER HANGARTNER, Selbstbestimmung im Sexualbereich: Art. 188 bis 193 StGB, 1998, passim; vgl. auch LAURA JETZER, Stealthing: Strafrechtlich nicht fassbare Verletzung der von Art. 28 ZGB geschützten sexuellen Integrität?, in: Aspekte rechtlicher Nähebeziehungen, Eitel/Graham-Siegenthaler [Hrsg.], 2021, S. 185 f.; zu Umfang und Natur der sexuellen Freiheit: TATJANA HÖRNLE, Sexuelle Selbstbestimmung: Bedeutung, Voraussetzungen und kriminalpolitische Forderungen, in: Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft [ZStW] 2015, S. 851 ff.). Die sexuelle Selbstbestimmung hat zwei Seiten: die (positive) Freiheit, sein Sexualleben nach eigenen Vorstellungen zu gestalten, sowie die (negative) Freiheit von sexueller Fremdbestimmung (PRUIN, a.a.O., S. 145; EL-GHAZI, a.a.O., S. 677; NORA SCHEIDEGGER, Das Sexualstrafrecht der Schweiz: Grundlagen und Reformbedarf, 2018, Rz. 26 ff.; SCHEIDEGGER/LAVOYER/STALDER, Reformbedarf im schweizerischen Sexualstrafrecht, in: sui generis 2020, S. 59 Rz. 3; HÖRNLE, a.a.O., S. 859 ff.). Das Sexualstrafrecht sichert in erster Linie letztere Dimension, nämlich die Abwehr ungewollter sexueller Handlungen (vgl. aber auch E. 4.2 a.E.). Grundmerkmal der sexuellen Selbstbestimmung ist die Einvernehmlichkeit der betreffenden Handlungen (unten E. 5.2). 
 
4.2. Die von einer Seite gestellte (positive oder negative) Bedingung, unter der nur sich die betreffende Person auf den Geschlechtsverkehr einlassen will, kann strafrechtlich erst relevant sein, wenn sich die Bedingung und ihre Motive mit dem Schutzzweck des fraglichen Tatbestands decken, sie also der sexuellen Selbstbestimmung direkt zuzurechnen sind (vgl. SCHUMANN/SCHEFER, a.a.O., S. 814). Wer beim anderen eine falsche Vorstellung über Eigenschaften seiner Person oder über bestimmte Rahmenbedingungen des Geschlechtsverkehrs hervorruft oder in täuschender Absicht stehen lässt, beeinträchtigt dadurch die strafrechtlich geschützte sexuelle Freiheit seines Gegenübers auch dann nicht, wenn klar ist, dass die getäuschte Person im Wissen um die wahren Verhältnisse dem Geschlechtsverkehr nicht zugestimmt hätte. Es ist offenkundig nicht Aufgabe des Staats, sämtliche persönlichen, individuell gesetzten Bedingungen für einen sexuellen Kontakt unter strafrechtlichen Schutz zu stellen (HOVEN / WEIGEND, Zur Strafbarkeit von Täuschungen im Sexualstrafrecht, in: KriPoZ 2018, S. 160). Unerheblich sind beispielsweise ein gebrochenes Eheversprechen (GÖHLICH, a.a.O., S. 524), die entgegen erfolgter Zusicherungen unterbliebene Einnahme von Verhütungsmitteln ("Pillenlüge"; HOFFMANN, a.a.O., S. 17) sowie falsche Erklärungen zu Vorbedingungen eines Partners, was etwa den Beziehungsstatus oder die Religionszugehörigkeit des anderen angeht (DENZEL/KRAMER DA FONSECA CALIXTO, a.a.O., S. 350 f.; WISSNER, Das Phänomen Stealthing, in: KriPoZ 2021, S. 282; anderer Meinung: FRANZKE, a.a.O., S. 120; VAVRA, a.a.O., 618). In solchen Fällen von Motiv- resp. "Hintergrundirrtümern" (HÖRNLE, a.a.O., S. 880) scheidet eine Schändung bereits deswegen aus, weil die sexuelle Selbstbestimmung nicht tangiert ist.  
Die Bedingung muss sich vielmehr auf wesentliche Merkmale des Sexualverkehrs beziehen, die dem Recht auf sexuelle Integrität zuzurechnen sind. Dessen Träger hat die Möglichkeit, einem sexuellen Kontakt selbstbestimmte Grenzen zu setzen. Die missachtete Vorgabe, unter der die Privatklägerin in den Geschlechtsverkehr eingewilligt hat - nämlich die Verwendung eines Kondoms -, ist gemessen an diesem Normzweck erheblich (zur Figur der rechtsgutbezogenen Bedingung vgl. GUNTHER ARZT, Willensmängel bei der Einwilligung, 1970, S. 15 ff.; GERHARD FIOLKA, Das Rechtsgut, 2006, passim; vgl. HÖRNLE, a.a.O., S. 880 f.). Dies gilt unabhängig davon, dass sich die Privatklägerin hier vorab aus Gründen des Gesundheitsschutzes geschützten Verkehr ausbedungen hat. Die empirische Forschung und sozialwissenschaftliche Lehre gehen überwiegend davon aus, dass die Verwendung oder Nichtverwendung eines Kondoms einen erheblichen Unterschied in der Intensität des Sexualkontakts begründet, etwa weil es für die betroffene Person regelmässig nicht gleichgültig ist, ob sie physisch mit dem Ejakulat in Berührung kommt oder nicht. Das Kondom scheint demzufolge als Eingrenzung einer ansonsten als zu gross empfundenen Intimität wichtig (in diesem Sinn EL-GHAZI, a.a.O., S. 681 mit Hinweis auf BRODSKY, a.a.O., S. 195; WISSNER, Das Phänomen "Stealthing", S. 282 f.; MAKEPEACE, a.a.O., S. 12 ff.; LINOH/WETTMANN, a.a.O., S. 387 f.; HERZOG, a.a.O., S. 354; SCHUMANN/SCHEFER, a.a.O., S. 816; HÖRNLE, a.a.O., S. 881; vgl. auch Amtsgericht Berlin-Tiergarten, Urteil vom 11. Dezember 2018, zitiert nach WISSNER, "Stealthing": ein besorgniserregender Trend?, S. 316 f.; im Ergebnis anderer Meinung: DENZEL/KRAMER DA FONSECA CALIXTO, a.a.O., S. 353 f.; MEIER/HASHEMI, a.a.O., S. 124; GÖHLICH, a.a.O., S. 525 f.; JETZER, a.a.O., S. 185). Zudem sind selbst die (hier an sich nicht einschlägigen) Anliegen der Schwangerschaftsverhütung und gesundheitlichen Prävention ("Safer Sex") mittelbar als Frage der (positiven) sexuellen Selbstbestimmung zu begreifen: Sexualität auszuleben, ohne das Risiko einzugehen, sich mit einer übertragbaren Krankheit zu infizieren oder ungewollt schwanger zu werden resp. potentiell belastende hormonelle Verhütungsmittel einnehmen zu müssen, hängt massgeblich von der Gewissheit ab, dass der Verkehr geschützt abläuft (vgl. SCHUMANN/SCHEFER, a.a.O., S. 815 f.; FRANZKE, a.a.O., S. 120). In ihrer mittelbaren Rechtsgutbezogenheit unterscheiden sich diese Motive massgeblich von anderen, beliebig gesetzten Bedingungen. 
 
4.3. Wird das Tatbestandselement der sexuellen Handlung anhand eines aktuellen Normverständnisses objektiv-zeitgemäss ausgelegt (BGE 141 II 262 E. 4.2; 137 II 164 E. 4.4; vgl. auch E. 5.1 a.E.), so ist bis hierhin festzuhalten, dass Stealthing die individuelle sexuelle Autonomie und Integrität beeinträchtigt. Die Privatklägerin hat ungeschützten Geschlechtsverkehr abgelehnt, dies ausdrücklich oder jedenfalls den Umständen nach erkennbar. Damit hat sie eine (mit Blick auf das geschützte Rechtsgut) erhebliche Bedingung gesetzt. Indem der Beschwerdegegner diese Bedingung heimlich missachtet hat, nahm er der Privatklägerin die Möglichkeit, den Sexualkontakt effektiv selbstbestimmt und eigenverantwortlich zu gestalten (vgl. SCHEIDEGGER, Das Sexualstrafrecht der Schweiz, Rz. 12; MAIER, in: Basler Kommentar, N 1 zu Art. 190 StGB; LINOH/WETTMANN, a.a.O., S. 385; VAVRA, a.a.O., S. 616 und 618; HÖRNLE, a.a.O., S. 880 f.). Soweit sie sich diesbezüglich getäuscht sieht, ist der nach dem Entfernen des Kondoms fortgesetzte sexuelle Verkehr kein einvernehmlicher mehr.  
Unter diesen Voraussetzungen bringt die Beschwerdeführerin zutreffend vor, dass die ungeschützte Penetration nicht auf einen blossen Begleitumstand, eine Modalität des an sich einvernehmlichen Geschlechtsverkehrs reduziert werden kann. Anders als der Beschwerdegegner meint, bildet das Entfernen des Kondoms gegen den Willen und ohne das Wissen der Partnerin eine Zäsur zum bisher einvernehmlichen Geschlechtsverkehr. Es begründet eine gesonderte, neue Handlung (" aliud "; vgl. EL-GHAZI, a.a.O., S. 680 f.; SCHEIDEGGER, Das Sexualstrafrecht der Schweiz, Rz. 168; HERZOG, a.a.O., S. 356 f.; MAKEPEACE, a.a.O., S. 12 und 14; SAGMEISTER, a.a.O., S. 296 ff.; WISSNER, Das Phänomen "Stealthing", S. 282 f.), die das für Art. 191 StGB relevante Rechtsgut verletzt. Demnach entspricht Stealthing dem Tatbestandselement einer sexuellen Handlung gemäss Art. 191 StGB.  
 
5.  
Der in Art. 191 StGB unter Strafe gestellte Missbrauch hängt indessen nicht allein davon ab, ob eine Handlung gegeben ist, die die sexuelle Selbstbestimmung verletzt. Zusätzlich bleibt zu prüfen, ob die Arglosigkeit der getäuschten Privatklägerin einer tatbestandsmässigen Widerstandsunfähigkeit entspricht. 
 
5.1. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) sind die Mitgliedstaaten der EMRK gestützt auf die Art. 3 und 8 EMRK verpflichtet, alle nicht-einvernehmlichen sexuellen Handlungen zu verfolgen und zu bestrafen (Urteil 39272/98 vom 4. Dezember 2003, M.C. gegen Bulgarien, § 166; die Tragweite dieser Feststellung relativierend LARA BLUME/KILIAN WEGNER, Reform des § 177 StGB? - Zur Vereinbarkeit des deutschen Sexualstrafrechts mit Art. 36 der "Istanbul-Konvention", in: HRRS: Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht 2014, S. 362). Ebenso verpflichtet Art. 36 des Übereinkommens des Europarats vom 11. Mai 2011 zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (Istanbul-Konvention, SR 0.311.35; für die Schweiz in Kraft seit 1. April 2018) die angeschlossenen Staaten, jeden vorsätzlichen Sexualakt unter Strafe zu stellen, der nicht auf freiwilligem Einverständnis beruht (vgl. den Erläuternden Bericht des Europarates zur Istanbul-Konvention, Ziff. 189 ff., mit Hinweis auf das erwähnte Urteil des EGMR; Botschaft vom 2. Dezember 2016 zur Genehmigung des Übereinkommens [...] [Istanbul-Konvention], BBl 2017 S. 241 Ziff. 2.5.8); LUZIA SIEGRIST, Übereinkommen des Europarates zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt vom 11. Mai 2011 [Istanbul-Konvention], in: Sicherheit und Recht, 2017, S. 178 ff., vgl. auch Urteil 6B_894/2021 vom 28. März 2022 E. 3.1 und 3.8, zur Publikation vorgesehen).  
Diese völkerrechtlichen Verpflichtungen adressieren den Gesetzgeber (Erläuternder Bericht, a.a.O., Ziff. 193; zur Publikation vorgesehenes Urteil 6B_894/2021 vom 28. März 2022 E. 3.7.1 a.E.). Sie können zwar die Auslegung von geltendem Recht beeinflussen (vgl. etwa betreffend den ausländerrechtlichen Aufenthaltsanspruch die Urteile 2C_45/2021 vom 12. März 2021 E. 3.2 und 2C_1024/2019 vom 27. August 2020 E. 4.2). Eine völkerrechtliche Auslegung darf aber nicht so weit gehen, dass allfällige "Strafbarkeitslücken" mittels ausdehnender Interpretation von bestehenden Tatbeständen geschlossen werden (vgl. SCHEIDEGGER, Das Sexualstrafrecht der Schweiz, Rz. 198 und 617; DIESELBE, in: Annotierter Kommentar StGB, Graf [Hrsg.], 2020, N 4 zu Art. 191 StGB; JETZER, a.a.O., S. 182 f.). Nach dem strafrechtlichen Legalitätsprinzip ( nullum crimen, nulla poena sine lege) darf eine Strafe nur wegen einer Tat verhängt werden, die das Gesetz ausdrücklich unter Strafe stellt (Art. 1 StGB; BGE 147 IV 274 E. 2.1.1; 138 IV 13 E. 4.1). Der Grundsatz verbietet, über den Sinn, wie er dem Gesetz bei richtiger Auslegung zukommt, hinauszugehen, also neue Straftatbestände zu schaffen oder bestehende derart zu erweitern, dass die Auslegung durch den Sinn des Gesetzes nicht mehr gedeckt wird (BGE 128 IV 272 E. 2). Die rechtsanwendenden Behörden sind an die Entscheidung des Gesetzgebers darüber, in welchem Umfang das betroffene Rechtsgut strafrechtlich geschützt werden soll - d.h. an seine Auswahl der strafbaren Verhaltensweisen aus allen gegebenenfalls strafwürdigen -, gebunden. Der Beschwerdegegner betont zu Recht, dass Tatbestandselemente grundsätzlich eng auszulegen sind (vgl. TRECHSEL/FATEH-MOGHADAM, in: Schweizerisches Strafgesetzbuch, Praxiskommentar, 4. Aufl. 2021, N 24 zu Art. 1 StGB).  
Unter diesen Vorgaben gehört es zwar zu den Aufgaben der Rechtsprechung, Entwicklungen im tatsächlichen Umfeld eines Straftatbestands zu verfolgen und veränderten lebensweltlichen (gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, technischen etc.) Rahmenbedingungen (sog. Rechtstatsachen; Urteil 6B_582/2017 vom 19. Juni 2018 E. 2.1.2) bei der Auslegung des Gesetzes Rechnung zu tragen. Dem Gesetzgeber bleibt es dagegen vorbehalten, das materielle Strafrecht anhand der gewandelten gesellschaftlichen Anschauungen nachzuführen. 
 
5.2. Gegenwärtig ist eine Revision des Sexualstrafrechts im Gang (Vorentwurf der Kommission für Rechtsfragen des Ständerates [RK-S] "Bundesgesetz über eine Revision des Sexualstrafrechts" mit Bericht vom 28. Januar 2021 [www.admin.ch>Bundesrecht>Vernehmlassungen>Abgeschlossene Vernehmlassungen>2021>Parl.] sowie Erlass-entwurf mit Bericht der RK-S vom 17. Februar 2022 [www.parlament.ch/press-releases/Pages/mm-rk-s-2022-02-18-2.aspx]). Die Re-vision soll das Sexualstrafrecht modernisieren (Bericht RK-S vom 17. Februar 2022 S. 13 Ziff. 2.1). Mehr als in früheren Jahren gilt heute die Einvernehmlichkeit jeder sexuellen Handlung als strafrechtlich zu schützendes Rechtsgut (Konsensprinzip; PRUIN, a.a.O., S. 130 ff., 144 ff.; NORA SCHEIDEGGER, Revision des Sexualstrafrechts: Die Verankerung des Konsensprinzips im StGB, in: Juristinnen Schweiz [Hrsg.], Recht und Geschlecht, 2022, S. 208 f.; vgl. auch Urteil 6B_894/2021 vom 28. März 2022 E. 3.7.1, zur Publikation vorgesehen). Die bisherigen Artikel 189 ff. StGB (Randtitel: "Angriffe auf die sexuelle Freiheit und Ehre") umschreiben Nötigungs- oder Missbrauchstatbestände, die die Fähigkeit schützen, die sexuelle Autonomie wahrzunehmen. Die sexuelle Selbstbestimmung als solche, d.h. das Recht, über das Ob, Wann und Wie eines sexuellen Kontakts zu entscheiden, erfassen sie indessen nicht (LINOH/WETTMANN, a.a.O., S. 385). Zur Zeit ihrer Entstehung stand nicht der Schutz der sexuellen Selbstbestimmung, sondern der weiblichen Ehre und körperlichen Integrität im Vordergrund (PRUIN, a.a.O., S. 147). Heute werden zunehmend schon Handlungen als strafwürdig wahrgenommen, durch die allein die sexuelle Selbstbestimmung als solche verletzt wird. Die Vorlage der RK-S vom 17. Februar 2022 ordnet die Tatbestände, die - entsprechend den bisherigen Art. 189 f. StGB - dem Nötigungsprinzip folgen (sexuelle Nötigung nach Art. 189 Abs. 2 E-StGB und qualifizierte Vergewaltigung nach Art. 190 Abs. 2 E-StGB), dem Schutz der Fähigkeit zur sexuellen Selbstbestimmung zu. Auch das Ausnützen einer Wehrlosigkeit im Sinn von Art. 191 StGB bezieht sich nur auf diese Voraussetzung und nicht auf die sexuelle Autonomie selbst. Weitergehend schützen die neu vorgeschlagenen (nötigungsfreien) Grundtatbestände, die sexuelle Handlungen gegen den Willen einer Person unter Strafe stellen (sexueller Übergriff nach Art. 189 Abs. 1 E-StGB und Vergewaltigung nach Art. 190 Abs. 1 E-StGB), die "Achtung der Willensentscheidung einer Person in sexueller Hinsicht, das heisst die sexuelle Unversehrtheit (psychisch wie physisch) an sich" (Bericht RK-S vom 17. Februar 2022 S. 30, ferner S. 22 Ziff. 3.4). Hier, bei der Achtung der Willensentscheidung als solcher (und nicht bei der Fähigkeit, sie umzusetzen), ortet die RK-S auch das in der Stealthing -Konstellation betroffene Schutzgut (a.a.O. S. 31).  
Die Neuordnung der Kerntatbestände des Sexualstrafrechts macht deutlich, dass die bisherigen, dem Nötigungsprinzip folgenden Tatbestände der Art. 189 ff. StGB das nach heutigem Verständnis schützenswerte Rechtsgut nicht vollständig abdecken (PRUIN, a.a.O., S. 147; vgl. unten E. 5.4). Die in E. 4.3 bejahte Frage, ob Stealthing eine eigenständige sexuelle Handlung im Sinn von Art. 191 StGB ist, war nach einer objektiv-zeitgemässen Auslegung auf der Grundlage eines aktuellen Verständnisses der massgebenden Rechtstatsachen (E. 4.2) zu beantworten; dies erscheint unter dem Aspekt des strafrechtlichen Legalitätsprinzips unproblematisch. Hingegen geht es bei der Prüfung, ob auch eine tatbestandsmässige Widerstandsunfähigkeit gegeben ist, nicht mehr bloss darum, das vom historischen Gesetzgeber formulierte Gesetz so auszulegen, dass es etablierten neueren Anschauungen gerecht wird. Um Stealthing als Schändung - inskünftig "Missbrauch einer urteilsunfähigen oder zum Widerstand unfähigen Person" (Bericht RK-S vom 17. Februar 2022 S. 43 Ziff. 3.7.1) - zu qualifizieren, wäre vielmehr der strafrechtliche Schutzumfang zu erweitern.  
Nach dem geltenden, dem Nötigungsprinzip folgenden Recht begründet nicht jede nichtkonsensuale sexuelle Handlung, nicht einmal jeder beliebige Zwang, einen Schuldspruch (so etwa BGE 131 IV 167 E. 3.1). Im Kernbereich des Sexualstrafrechts setzt die Strafbarkeit jeweils einen qualifizierten Übergriff voraus (PRUIN, a.a.O., S. 146 ff.). Bei den sexuellen Nötigungsdelikten (Art. 189 f. StGB) besteht diese Qualifizierung im Einsatz von Gewalt oder anderen Zwangsmitteln, mittels derer ein Widerstand gebrochen wird (Urteil 6B_894/2021 E. 3.3, zur Publikation vorgesehen; BGE 133 IV 49 E. 4; PHILIPP MAIER, Die Nötigungsdelikte im neuen Sexualstrafrecht, 1994, passim); der entgegenstehende Wille allein ist nicht geschützt (PRUIN, a.a.O., S. 132). Bei anderen Delikten wird eine Notlage oder eine Abhängigkeit ausgenutzt (vgl. Art. 192 f. StGB). Bei der Schändung liegt der besondere Handlungsunwert im Missbrauch einer persönlich oder situativ bedingten Wehrlosigkeit des (dadurch schutzbedürftigen) Opfers (EL-GHAZI, a.a.O., S. 679). Dieses wird vom Täter als willenloses Mittel zum Zweck der eigenen sexuellen Befriedigung instrumentalisiert (HERZOG, a.a.O., S. 356; SCHUMANN/SCHEFER, a.a.O., S. 815; VAVRA, a.a.O., S. 616; HÖRNLE, a.a.O., S. 861 ff.). Kennzeichnend - und für den Schutz durch Art. 191 StGB vorausgesetzt - ist eine in der Person des Opfers liegende dauerhafte Eigenschaft (kindliches Alter, geistige Behinderung etc.) oder eine vorübergehende körperliche oder kognitive Beeinträchtigung (durch Schlaf, Rausch etc.), d.h. ein Schwächezustand, der das dergestalt verwundbare Opfer dem Täter ausliefert (vgl. Urteil 6S.850/1996 vom 20. Mai 1997 E. 2). 
Somit stellt Art. 191 StGB den Missbrauch einer vorbestehenden Urteils- oder Widerstandsunfähigkeit unter Strafe (BGE 133 IV 49 E. 4; QUELOZ/ILLÀNEZ, in: Commentaire romand, Code pénal II, 2017, N 3 und 13 zu Art. 191 StGB). Das Unvermögen, frei über seine Beteiligung an einer konkreten sexuellen Handlung zu entscheiden und Zustimmung oder Ablehnung zu artikulieren, begründet dann eine Wehrlosigkeit im Sinn von Art. 191 StGB, wenn dieses Defizit auf eine unabhängig von den Umständen des Sexualkontakts bestehende Beeinträchtigung der Fähigkeit zur Abwehr zurückzuführen ist. Hingegen ist dieser Tatbestand nicht erfüllt, wenn die fehlende Abwehr auf andere Hindernisse beim Finden oder Betätigen des Willens betreffend den Sexualkontakt zurückzuführen ist, d.h. wenn etwa ein Irrtum über die Natur der (sexuellen) Handlung vorliegt oder eine unvermittelt mit einem Übergriff konfrontierte Person allein aufgrund des Überraschungseffekts nicht rechtzeitig reagieren kann. Dabei handelt es sich um Fälle einer "einfachen", nicht im Sinn von Art. 191 StGB qualifizierten Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung.  
 
5.3. Die dargelegten Kriterien waren in allen vom Bundesgericht beurteilten Zweifelsfällen betreffend die Anwendbarkeit von Art. 191 StGB wegleitend (zur Kasuistik: SCHEIDEGGER, in: Annotierter Kommentar StGB, N 3 zu Art. 191 StGB) :  
 
5.3.1. Nimmt etwa ein Arzt oder Physiotherapeut - gegebenenfalls unter Vortäuschung fachlich begründeter Notwendigkeit (dazu Urteil 6B_33/2020 vom 24. Juni 2020 E. 2) - unerwartet eine sexuell motivierte Handlung an seiner Patientin vor, so wird deren Widerstandsunfähigkeit bejaht, weil die Betroffene den überraschenden Angriff auf ihre geschlechtliche Integrität im therapeutischen Kontext zunächst kaum einordnen resp. als solchen erkennen kann, gerade auch wenn sie das Geschehen lagebedingt (z.B. bäuchlings auf einer Massageliege) nicht überblickt (vgl. BGE 133 IV 49 E. 7; 103 IV 165; Urteile 6B_206/2009 vom 21. Juli 2009 E. 3.4; 6S.580/2001 vom 31. Oktober 2001 E. 2). Entscheidend ist das therapeutische Vertrauensverhältnis und das damit notwendig verbundene Ausgeliefertsein (vgl. MAIER, in: Basler Kommentar, N 7 f. zu Art. 191 StGB; GÖHLICH, a.a.O., S. 526; HÖRNLE, a.a.O., S. 881). Duldet das Opfer die Handlung nur, weil es über die medizinische Indikation irrt, besteht hingegen keine Widerstandsunfähigkeit im Sinn von Art. 191 StGB (Urteil 6B_453/2007 vom 19. Februar 2008 E. 3.4.3). Ausserhalb eines therapeutischen Kontextes begründen überraschende sexuell motivierte körperliche Übergriffe allein keine Schändung (Urteil 6B_118/2012 vom 8. November 2012 E. 1.5). So wurde ein Täter, der zwei Frauen im Schwimmbecken eines Freizeitbades unvermittelt im Intimbereich angefasst hatte, nicht nach Art. 191 StGB, sondern nach Art. 198 Abs. 2 StGB (tätliche sexuelle Belästigung) bestraft, obwohl die geschlechtliche Integrität der Opfer massiv verletzt war (Urteil 6B_630/2014 vom 20. Januar 2015 E. 4; vgl. Bericht RK-S vom 17. Februar 2022 S. 32 f.). Eine Schändung bejaht hat das Bundesgericht hingegen in einem Fall, in dem die Frau nach sexuellen Handlungen, die im Rahmen ihrer Beziehung mit dem Täter üblich waren, überraschend eine unerwünschte anale Penetration über sich ergehen lassen musste (Urteil 6B_445/2015 vom 29. Januar 2016 E. 1.5 und E. 3). Der Täter wusste, dass seine Partnerin diese Praktik ablehnte, und, hätte sie Gelegenheit gehabt, sich dagegen gewehrt hätte. Er hat den Widerstand, wie er den Umständen nach zu erwarten war, durch unvermitteltes, gewaltsames Vorgehen ausgeschaltet, namentlich indem er seine Partnerin durch sein Gewicht körperlich fixierte. Dieser Faktor unterscheidet den betreffenden Fall entscheidend von anderen überraschenden Übergriffen, die regelmässig keine Widerstandsunfähigkeit im Sinn des Schändungstatbestands begründen (kritisch: SCHEIDEGGER, Das Sexualstrafrecht der Schweiz, Rz. 473 f.).  
 
5.3.2. Stealthing charakterisiert sich durch die irrtümliche Annahme der getäuschten Person, der Geschlechtsverkehr verlaufe (weiterhin) geschützt. Die obige Kasuistik offenbart, dass damit vergleichbare Konstellationen jeweils nicht als Schwächezustände kognitiver, psychischer oder physischer Art im Sinn des Tatbestandsmerkmals "Widerstandsunfähigkeit" behandelt worden sind.  
 
5.4. Der mit der laufenden Reform des Sexualstrafrechts geplante Ausbau der Strafbarkeit beruht auf einem Konzept, das ebenfalls dagegen spricht, Stealthing nach geltendem Recht unter Art. 191 StGB einzuordnen:  
 
5.4.1. Der Vorentwurf (VE StGB) vom 28. Januar 2021behielt das bisherige Konzept der Art. 189 ff. StGB prinzipiell bei. Die Art. 189 und 190 VE-StGB waren weiterhin als Nötigungsdelikte ausgestaltet, so wie Art. 191 VE-StGB nach wie vor den Missbrauch einer urteilsunfähigen oder zum Widerstand unfähigen Person erfasste und Art. 193 VE-StGB das Ausnützen einer Notlage oder Abhängigkeit. Diese jeweils durch ein qualifizierendes Element gekennzeichneten Tatbestände sollten mit dem Grundtatbestand des "sexuellen Übergriffs" (Art. 187a VE-StGB) ergänzt werden. Diese Bestimmung sah vor, sexuelle Handlungen, die gegen den Willen einer Person (erste Tatvariante) oder überraschend (zweite Tatvariante) erfolgen, mit einer Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe zu belegen (Art. 187a Abs. 1 VE-StGB); ebenso sexuelle Handlungen bei der Ausübung einer Tätigkeit im Gesundheitsbereich, wenn damit ein Irrtum über den Charakter der Handlung ausgenützt wird (Abs. 2). Art. 187a VE-StGB war auf Fälle zugeschnitten, die einerseits nicht im Sinn der Tatbestände nach Art. 189 ff. StGB qualifiziert sind, anderseits aber nicht als wenig erheblich erscheinen und deswegen auch nicht bloss als Übertretung nach Art. 198 StGB behandelt werden sollen (Bericht RK-S vom 28. Januar 2021 S. 18 f. Ziff. 3.4.1 und S. 22 f. Ziff. 3.4.4.2; vgl. auch Bericht RK-S vom 17. Februar 2022 S. 11, 24 und 31; PRUIN, a.a.O., S. 137, dort auch rechtsvergleichende Ausführungen zu § 177 Abs. 1 des deutschen StGB [2016]; zur Strafbarkeit sexueller Übergriffe gegen den Willen des Opfers, insbesondere auch in Form von Stealthing, in anderen europäischen Ländern: Gutachten des Schweizerischen Instituts für Rechtsvergleichung vom 31. Mai 2020 über die rechtliche Einordnung sexueller Übergriffe ohne Einverständnis in Belgien, Deutschland, England & Wales, Österreich, Schweden; www.bj.admin.ch>Publikationen & Service>Berichte, Gutachten und Verfügungen>Berichte und Gutachten). Stealthing wäre allenfalls unter die erste Tatvariante von Art. 187a Abs. 1 VE-StGB gefallen, sofern das Merkmal "gegen den Willen" kein zum Tatzeitpunkt aktuelles, akutes Bewusstsein hinsichtlich des Übergriffs verlangt, sondern eine zuvor geäusserte und nicht widerrufene Ablehnung genügen lässt.  
 
5.4.2. Nach Abschluss des Vernehmlassungsverfahrens legte die RK-S am 17. Februar 2022 einen überarbeiteten Entwurf (E-StGB) vor. Dieser sieht keinen separaten Grundtatbestand für gegen den Willen erfolgende Handlungen mehr vor (Bericht S. 27 ff.). Stattdessen erfassen nun die ersten Absätze von Art. 189 (sexueller Übergriff) und Art. 190 (Vergewaltigung) E-StGB - als Grundtatbestände - jeweils sexuelle Handlungen, die gegen den Willen einer Person erfolgen, aber nicht mit nötigenden Mitteln durchgesetzt werden. Die zweiten Absätze enthalten qualifizierte Formen der Tatbegehung (Art. 189 Abs. 2 E-StGB: sexuelle Nötigung). Sie sind einschlägig, wenn eine Nötigung hinzutritt. Überraschende sexuelle Übergriffe, die bisher nicht (resp. nur als Übertretung) strafbar sind, sollen fortan unter den Grundtatbestand des sexuellen Übergriffs oder der Vergewaltigung fallen; auf eine besondere Erwähnung (wie noch in Art. 187a Abs. 1 VE-StGB) wird verzichtet (Bericht RK-S vom 17. Februar 2022 S. 32 f.).  
Während die Vorlage der RK-S in den Grundtatbeständen jeweils eine Handlung "gegen den Willen einer Person" voraussetzt (Ablehnungslösung, "Nein heisst Nein"), soll nach der Kommissionsminderheit schon das Fehlen einer Einwilligung genügen (Zustimmungslösung, "Nur Ja heisst Ja"; Bericht RK-S vom 17. Februar 2022 S. 27 ff.; dazu PRUIN, a.a.O., S. 131 f., 146 und 153 ff.; SCHEIDEGGER, Revision des Sexualstrafrechts, S. 198 ff.). Eine Missachtung des Willens kann nach Auffassung der RK-S auch dann vorliegen, wenn das Opfer umständebedingt keine Gelegenheit hat, seinen entgegenstehenden Willen rechtzeitig zu äussern, so bei überraschenden Handlungen und beim Stealthing (Bericht vom 17. Februar 2022 S. 13 und 32 ff.). Unter dem Konzept der Ablehnungslösung muss also nicht unmittelbar auf den Übergriff reagiert werden; die Ablehnung kann aus einer vorgängigen Willensbekundung oder aus den Umständen abzuleiten und auch dann gegeben sein, wenn das (überraschte) Opfer keine Zeit hat, sich entsprechend zu äussern (vgl. HÖRNLE, a.a.O., S. 871) oder wenn es - wie beim Stealthing - zum Zeitpunkt des Übergriffs die tatbestandsmässige Situation nicht erkennt.  
Die vorbereitende Kommission geht zunächst davon aus, Stealthing falle unter den Grundtatbestand der Vergewaltigung (gegen den Willen einer Person vollzogener "Beischlaf oder [...] beischlafsähnliche Handlung, die mit einem Eindringen in den Körper verbunden ist"; Bericht RK-S vom 17. Februar 2022 S. 13 oben). Infrage kommt indessen auch ein sexueller Übergriff (vgl. a.a.O., S. 13 Ziff. 2.1). Die Normkonkurrenz zwischen den Artikeln 189 Abs. 1 und 190 Abs. 1 E-StGB ist anhand der Frage aufzulösen, ob der entgegenstehende Wille auch auf die Penetration als solche zu beziehen ist, obwohl diese nach Entfernung des Kondoms einvernehmlich bleibt. In E. 4.3 wurde festgehalten, dass Stealthing eine eigenständige Handlung im Sinn von Art. 191 StGB darstellt. Damit ist indessen noch nichts darüber gesagt, ob die Handlung gegen den Willen - wegen der grundsätzlichen Einvernehmlichkeit des Geschlechtsverkehrs - auf die abredewidrige Art des ohne Kondom fortgesetzten Verkehrs beschränkt ist (dann wäre der Tatbestand des sexuellen Übergriffs einschlägig) oder ob die tatbestandsmässige Handlung die Penetration einschliesst (womit auf eine Vergewaltigung im Grundtatbestand zu erkennen wäre).  
 
5.4.3. Das Bestreben, die sexuelle Selbstbestimmung und Unversehrtheit strafrechtlich umfassender zu schützen, ist rechtspolitischer Natur. Mit Blick auf die Schranken, wie sie für eine gerichtliche Rechtsfortbildung zumal im Strafrecht gelten (oben E. 5.1), kann dieses Anliegen nicht zum Anlass genommen werden, in einem Fall von Stealthing den Tatbestand von Art. 191 StGB über die bisher gezogenen Grenzen (oben E. 5.2 und 5.3) hinaus anzuwenden (vgl. SCHEIDEGGER, Das Sexualstrafrecht der Schweiz, Rz. 486 und 488). Dazu besteht umso weniger Grund, als die auf dem Merkmal "gegen den Willen" beruhenden Strafbestimmungen gemäss dem Entwurf zu einem neuen Sexualstrafrecht gerade auch Konstellationen wie das Stealthing erfassen sollen.  
 
5.5. Damit bleibt festzuhalten, dass Wehrlosigkeit im Sinn von Art. 191 StGB nach wie vor eine Situation meint, in der das Opfer infolge einer persönlichen Eigenschaft oder wegen eines vorübergehenden kognitiven oder physischen Schwächezustands dem Täter ausgeliefert ist. Ein solcher Zustand war bei der Privatklägerin nicht gegeben (vgl. TRECHSEL/BERTOSSA, in: Praxiskommentar, 4. Aufl. 2021, N 4 zu Art. 191 StGB; EL-GHAZI, a.a.O., S. 679; MEIER/HASHEMI, a.a.O., S. 122; SCHEIDEGGER, Das Sexualstrafrecht der Schweiz, Rz. 632). Die Täuschung des Beschwerdegegners liess sie irrtümlich glauben, der Geschlechtsverkehr erfolge durchgehend geschützt. Allein deshalb war ihr die Gelegenheit genommen, abwehrend zu reagieren. Entscheidend ist jedoch, dass die Fähigkeit zur Abwehr als solche intakt blieb.  
Der Umstand, dass der Beschwerdegegner das Kondom während des Geschlechtsverkehrs abredewidrig entfernt und den Verkehr ohne das Wissen der Privatklägerin ungeschützt fortgesetzt haben soll, begründet mithin keine Widerstandsunfähigkeit im Sinn von Art. 191 StGB. Der vorinstanzliche Freispruch erweist sich im Ergebnis als rechtens. 
 
6.  
 
6.1. Nach Art. 198 StGB wird, wer jemanden tätlich sexuell belästigt, auf Antrag mit Busse bestraft. Diese Übertretungsstrafnorm der sexuellen Belästigung dient im geltenden Recht als Grund- resp. Auffangtatbestand, wenn es, wie hier, im Einzelfall an einer tatbestandsspezifischen Nötigungs- oder Missbrauchskomponente der nichtkonsensualen sexuellen Handlung fehlt (vgl. PRUIN, a.a.O., S. 143). Es ist angezeigt, das streitgegenständliche Verhalten des Beschwerdegegners unter diesem Titel formell und materiell zu prüfen (vgl. HANS WIPRÄCHTIGER, Neuer Tatbestand für sexuelle Handlungen ohne Konsens?, in: AJP 2020 S. 928; EL-GHAZI, a.a.O., S. 681 f.). Zu diesem Zweck ist die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen (Art. 106 Abs. 1 und Art. 107 Abs. 2 BGG).  
 
6.2. Aus prozessualen Gründen kam es im bisherigen Verfahren nicht zu einer endgültigen Klärung des Sachverhalts, soweit dieser vor Vorinstanz strittig war (vgl. oben E. 1). Einwendungen gegen tatsächliche Grundlagen eines allfälligen Schuldspruchs nach Art. 198 StGB werden im Rahmen einer eventuellen Beschwerde in Strafsachen gegen den neuen Entscheid vorzubringen sein.  
 
7.  
Das angefochtene Urteil ist insoweit aufzuheben, als die Vorinstanz noch zu prüfen haben wird, ob sich der Beschwerdegegner der sexuellen Belästigung (Art. 198 StGB) schuldig gemacht hat. Hingegen ist der Freispruch vom Vorwurf der Schändung zu bestätigen. 
 
8.  
Bei diesem Ausgang des Verfahrens wird der Beschwerdegegner teilweise kostenpflichtig (Art. 66 Abs. 1 BGG). Dem Kanton Zürich sind weder Kosten aufzuerlegen noch ist ihm eine Parteientschädigung zuzusprechen (Art. 66 Abs. 4 und Art. 68 Abs. 3 BGG). Der Kanton entschädigt den Beschwerdegegner angemessen für das bundesgerichtliche Verfahren (Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen. Das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich vom 28. November 2019 wird aufgehoben und die Sache zur ergänzenden Entscheidung an die Vorinstanz zurückgewiesen. Im Übrigen wird die Beschwerde abgewiesen. 
 
2.  
Die Gerichtskosten werden dem Beschwerdegegner im Umfang von Fr. 500.-- auferlegt. 
 
3.  
Der Kanton Zürich hat dem Beschwerdegegner für das bundesgerichtliche Verfahren eine Parteientschädigung von Fr. 2'500.-- zu bezahlen. 
 
4.  
Dieses Urteil wird den Parteien, B.________ und dem Obergericht des Kantons Zürich, I. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 11. Mai 2022 
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Die Präsidentin: Jacquemoud-Rossari 
 
Der Gerichtsschreiber: Traub