Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
7B_654/2024
Urteil vom 1. Oktober 2024
II. strafrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Abrecht, Präsident,
Bundesrichterin Koch,
Bundesrichter Hurni, Kölz, Hofmann,
Gerichtsschreiberin Kern.
Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Fatih Aslantas,
Beschwerdeführer,
gegen
Stadtrichteramt Zürich,
Verwaltungszentrum Eggbühl,
Eggbühlstrasse 23, 8050 Zürich,
Beschwerdegegner.
Gegenstand
Einstellung; Entschädigung,
Beschwerde gegen die Verfügung des Obergerichts des Kantons Zürich, III. Strafkammer, vom 3. Mai 2024 (UH240057-O/U/HON).
Sachverhalt:
A.
Mit Strafbefehl vom 20. September 2022 verhängte das Stadtrichteramt Zürich gegen A.________ eine Busse von Fr. 400.-- gestützt auf Art. 83 Abs. 1 lit. k des Bundesgesetzes vom 28. September 2012 über die Bekämpfung übertragbarer Krankheiten des Menschen (Epidemiengesetz, EpG; SR 818.101) in Verbindung mit Art. 8 Abs. 1 und 3 der Verordnung vom 23. Juni 2021 über Massnahmen zur Bekämpfung der Covid-19-Epidemie im Bereich des internationalen Personenverkehrs (Covid-19-Verordnung internationaler Personenverkehr; SR 818.101.27) in der Fassung vom 20. Dezember 2021. Dagegen erhob A.________ am 8. Dezember 2023 - vertreten durch seinen Verteidiger Rechtsanwalt Fatih Aslantas - Einsprache.
Am 16. Januar 2024 kündigte das Stadtrichteramt die bevorstehende Einstellung der Strafuntersuchung an, worauf A.________ die Entschädigung der Kosten für die anwaltliche Vertretung in Höhe von Fr. 298.-- beantragte. Mit Verfügung vom 5. Februar 2024 stellte das Stadtrichteramt die Strafuntersuchung gegen A.________ ein und hob die am 20. September 2022 ausgefällte Busse auf (Dispositiv-Ziffer 1). Die Kosten nahm es auf die Amtskasse (Dispositiv-Ziffer 2), eine Entschädigung sprach es nicht zu (Dispositiv-Ziffer 3).
B.
Gegen die Verweigerung der Entschädigung erhob A.________ - handelnd durch seinen Verteidiger - Beschwerde an das Obergericht des Kantons Zürich. Er beantragte, ihm (A.________) sei eine angemessene Entschädigung zuzusprechen, mindestens aber Fr. 298.--. Mit Verfügung vom 3. Mai 2024 trat das Obergericht mangels Beschwerdelegitimation von A.________ nicht auf dessen Beschwerde ein.
C.
A.________ hat mit Eingabe vom 14. Juni 2024 Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht erhoben. Er begehrt, die Verfügung des Obergerichts sei aufzuheben und auf seine Beschwerde sei einzutreten. Dispositiv-Ziffer 3 der Einstellungsverfügung vom 6. Februar 2024 sei aufzuheben und es sei ihm "eine angemessene Entschädigung (mindestens Fr. 298.--) zuzusprechen". Eventualiter sei die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Das Stadtrichteramt hat sich nicht vernehmen lassen, das Obergericht hat auf Vernehmlassung verzichtet.
Erwägungen:
1.
Angefochten ist ein letztinstanzlicher Entscheid in einer Strafsache, in der die Beschwerde in Strafsachen nach den Art. 78-81 BGG grundsätzlich offensteht. Da die Strafuntersuchung gegen den Beschwerdeführer mit der Verfügung vom 5. Februar 2024 eingestellt wurde, handelt es sich beim angefochtenen Entscheid über die Entschädigungsfolgen um einen Endentscheid im Sinne von Art. 90 BGG, gegen den die Beschwerde an das Bundesgericht zulässig ist. Die Frage, ob der Beschwerdeführer nach Art. 81 BGG zur Beschwerde berechtigt ist, deckt sich mit dem Beschwerdegegenstand und ist daher im Rahmen der materiellen Beurteilung zu beantworten (vgl. BGE 147 IV 188 E. 1.4).
2.
2.1. Die Vorinstanz begründet ihr Nichteintreten auf die Beschwerde damit, die Beschwerdeschrift sei zwar vom Verteidiger Rechtsanwalt Fatih Aslantas verfasst, die Beschwerde indes im Namen des Beschwerdeführers erhoben worden. Wenn die beschuldigte Person einen Wahlverteidiger mit ihrer Verteidigung betraut habe, sei "in Bezug auf eine Entschädigung allein der Wahlverteidiger materiell anspruchsberechtigt und in Bezug auf den Entschädigungsentscheid ausschliesslich der Verteidiger beschwerdelegitimiert (Art. 429 Abs. 3 StPO) ". Gegen den Entscheid des Stadtrichteramts hätte - so die Vorinstanz - folglich Rechtsanwalt Aslantas persönlich, das heisst in eigenem Namen, Beschwerde erheben müssen. Der Beschwerdeführer selbst sei hingegen nicht legitimiert, den Entschädigungsentscheid mit Beschwerde anzufechten.
2.2. Art. 429 StPO regelt die Ansprüche der beschuldigten Person, wenn diese ganz oder teilweise freigesprochen oder das Verfahren gegen sie eingestellt wird. In seiner aktuellen, per 1. Januar 2024 revidierten Fassung (AS 2023 468; BBl 2019 6697), die hier Anwendung findet (vgl. Art. 448 Abs. 1 StPO), vermittelt Abs. 1 lit. a Anspruch auf "eine nach dem Anwaltstarif festgelegte Entschädigung ihrer Aufwendungen für die angemessene Ausübung ihrer Verfahrensrechte, wobei beim Anwaltstarif nicht unterschieden wird zwischen der zugesprochenen Entschädigung und den Honoraren für die private Verteidigung". Der neue Abs. 3 lautet wie folgt: "Hat die beschuldigte Person eine Wahlverteidigung mit ihrer Verteidigung betraut, so steht der Anspruch auf Entschädigung nach Absatz 1 Buchstabe a ausschliesslich der Verteidigung zu unter Vorbehalt der Abrechnung mit ihrer Klientschaft. Gegen den Entschädigungsentscheid kann die Verteidigung das Rechtsmittel ergreifen, das gegen den Endentscheid zulässig ist."
Art. 429 Abs. 3 StPO war im Entwurf des Bundesrats zur Änderung der Strafprozessordnung vom 28. August 2019 (BBl 2019 6789) noch nicht vorgesehen. Sie wurde von der Kommission für Rechtsfragen des Ständerates vorgeschlagen und von Berichterstatter Jositsch im Rat wie folgt begründet: "Artikel 429 Absatz 3 soll eine Klärung bringen, nämlich dass das Geld bei den Entschädigungen für Anwaltshonorare an Rechtsanwälte gehen soll. An und für sich handelt es sich dabei um geltendes Recht, das in der Praxis aber unterschiedlich gehandhabt wird. Aus diesem Grund beantragt Ihnen die Kommission für Rechtsfragen einstimmig diese Ergänzung in Absatz 3" (Berichterstatter Jositsch, AB 2021 S 1372). Nachdem sie im Ständerat angenommen worden war, stimmte ihr auch der Nationalrat zu, ohne dass sie - soweit ersichtlich - zu weiteren Diskussionen Anlass gegeben hätte.
Indem der Anspruch nun direkt und ausschliesslich der Wahlverteidigung zusteht, wird gewährleistet, dass die Entschädigung tatsächlich an diese gelangt und nicht anders verwendet - namentlich mit Forderungen gegenüber der beschuldigten Person verrechnet - wird (siehe JOSITSCH/SCHMID, Schweizerische Strafprozessordnung [StPO], Praxiskommentar, 4. Aufl. 2023, N. 7a zu Art. 429 StPO), wie es unter dem früheren Recht noch möglich war (siehe Urteile 1B_34/2023 vom 13. Februar 2023 E. 5.3; 6B_111/2017 vom 17. Oktober 2017 E. 3.3.1; 6B_1146/2016 vom 14. Juli 2017 E. 2.1; 6B_648/2016 vom 4. April 2017 E. 1, nicht publ. in BGE 143 IV 293; 6B_802/2015 vom 9. Dezember 2015 E. 9.2 mit Hinweis; kritisch dazu WEHRENBERG/FRANK, in: Basler Kommentar, Strafprozessordnung/Jugendstrafprozessordnung, 3. Aufl. 2023, N. 21 f. zu Art. 429 StPO). Die damit einhergehende Beschwerdelegitimation der Wahlverteidigung verhindert, dass der Entschädigungsentscheid gegen deren Willen unangefochten bleibt, so insbesondere nach Beendigung des Mandatsverhältnisses. Zudem stellt Art. 429 Abs. 3 StPO klar, dass das gegen den Endentscheid zulässige Rechtsmittel zu ergreifen ist.
2.3. Wie der Beschwerdeführer zu Recht beanstandet, findet die Auffassung der Vorinstanz, wonach die Rechtsmittellegitimation der Verteidigung
an die Stelle von derjenigen der beschuldigten Person getreten sei, in den Gesetzgebungsmaterialien keine Stütze und entspricht auch nicht dem Regelungszweck der neuen Bestimmung. Im Gegenteil hat die beschuldigte Person ein selbständiges Interesse daran, den Entschädigungsentscheid überprüfen zu lassen:
Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung sind die Strafbehörden bei der Festlegung der Entschädigung nicht an Honorarvereinbarungen zwischen der beschuldigten Person und ihrer Verteidigung gebunden, weshalb die beschuldigte Person dazu verpflichtet sein kann, der Wahlverteidigung die Differenz zwischen der in Anwendung von Art. 429 Abs. 1 lit. a StPO zugesprochenen Parteientschädigung und dem vertraglich vereinbarten Honorar zu bezahlen (siehe BGE 142 IV 163 E. 3.1.2 S. 169 mit Hinweis; Urteile 7B_35/2022 vom 22. Februar 2024 E. 5.2.2; 7B_16/2022 vom 6. November 2023 E. 4.1.2; 6B_380/2021 vom 21. Juni 2022 E. 2.2.2; 6B_1459/2021 vom 24. November 2022 E. 4.1.3; 6B_361/2018 vom 15. Juni 2018 E. 6.4; 6B_802/2015 vom 9. Dezember 2015 E. 11; 6B_30/2010 vom 1. Juni 2010 E. 5.4.2; teilweise mit Hinweisen; WEHRENBERG/FRANK, a.a.O., N. 16 zu Art. 429 StPO; vgl. auch Urteil des Obergerichts des Kantons Bern SK 23 258 vom 12. Juni 2024 E. 8.2). Die Situation ist somit nicht mit derjenigen bei der amtlichen Verteidigung zu vergleichen, bei der die beschuldigte Person kein eigenes (rechtlich geschütztes) Interesse an der Erhöhung der Entschädigung hat (siehe BGE 148 IV 275 E. 1.4; Urteile 6B_146/2021 vom 14. Februar 2022 E. 3.2; 6B_511/2016 vom 4. August 2016 E. 5.3.1; 6B_45/2012 vom 7. Mai 2012 E. 1.2; je mit Hinweisen).
Unter Berücksichtigung dieser Interessenlage ist Art. 429 Abs. 3 StPO dahingehend auszulegen, dass er eine
zusätzliche Befugnis der Wahlverteidigung statuiert, den Entscheid über ihre Entschädigung gemäss Abs. 1 lit. a anzufechten. Das gilt unabhängig davon, dass die Entschädigung gegebenenfalls - gemäss dem klaren Wortlaut von Art. 429 Abs. 3 StPO - direkt der Wahlverteidigung zuzusprechen ist. Dass der Beschwerdeführer im hier zu beurteilenden Fall verlangt, die Entschädigung sei
ihm zuzusprechen, ist in diesem Zusammenhang ohne Bedeutung. Bereits mit Blick auf den Wortlaut von Art. 429 Abs. 1 StPO wäre es überspitzt formalistisch, auf die Beschwerde mit der Begründung nicht einzutreten, es werde eine Entschädigung an die nicht berechtigte Person verlangt. Indem die Vorinstanz davon ausgeht, der Beschwerdeführer sei als beschuldigte Person angesichts des Beschwerderechts seines Wahlverteidigers persönlich nicht zur Beschwerde legitimiert und auf seine Beschwerde nicht eintritt, verstösst sie gegen Bundesrecht.
3.
Die Beschwerde ist gutzuheissen, die angefochtene Verfügung der Vorinstanz aufzuheben und die Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Der Kanton Zürich trägt keine Gerichtskosten (Art. 66 Abs. 4 BGG). Dagegen hat er den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren zu entschädigen (Art. 68 Abs. 2 BGG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Die Verfügung des Obergerichts des Kantons Zürich vom 3. Mai 2024 wird aufgehoben und die Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückgewiesen.
2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
3.
Der Kanton Zürich hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 1'000.-- zu entschädigen.
4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zürich, III. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 1. Oktober 2024
Im Namen der II. strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Abrecht
Die Gerichtsschreiberin: Kern