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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
9C_233/2021  
 
 
Urteil vom 3. November 2021  
 
II. sozialrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Parrino, Präsident, 
Bundesrichter Stadelmann, 
nebenamtlicher Bundesrichter Kradolfer, 
Gerichtsschreiberin Oswald. 
 
Verfahrensbeteiligte 
Sozialversicherungsanstalt des 
Kantons St. Gallen, EL-Durchführungsstelle, Brauerstrasse 54, 9016 St. Gallen, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen  
 
A.________, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Ergänzungsleistung zur AHV/IV (Rückerstattungspflicht), 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 4. März 2021 (EL 2019/45). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
B.________, geboren 1985, verstorben 2017, meldete sich am 29. Juni 2017 zum Bezug von Ergänzungsleistungen zu seiner ganzen IV-Rente an. Auf Nachfrage der Verwaltung hin hielten im Oktober 2017 A.________ und C.________ (Eltern des Verstorbenen) an der Anmeldung fest, wobei sie A.________ als Erbenvertreterin bezeichneten. Mit Verfügung vom 9. November 2017 wurden B.________ selig rückwirkend für die Zeit ab 1. März 2014 bis 31. Oktober 2017 Ergänzungsleistungen zugesprochen (Nachzahlung: Fr. 18'549.-). Die Auszahlung erfolgte am 10. November 2017 an A.________. Mit Verfügung vom 30. November 2017 wurden zudem für Krankheits- und Behinderungskosten der Jahre 2015 bis 2017 total Fr. 2439.65 zugesprochen. Mit Schreiben des Konkursamtes Regionalstelle Buchs vom 19. Dezember 2017erhielt die EL-Durchführungsstelle Kenntnis davon, dass die Erbschaft des Versicherten ausgeschlagen und am 15. Dezember 2017 darüber der Konkurs eröffnet worden war. Das Konkursverfahren wurde am 27. Dezember 2017 mangels Aktiven eingestellt. Daraufhin forderte die EL-Durchführungsstelle von A.________ die nachbezahlten Ergänzungsleistungen sowie die vergüteten Krankheits- und Behinderungskosten zurück, da auf sie bei Ausschlagung der Erbschaft kein Anspruch bestanden habe (Verfügungen vom 17. Januar 2018). Daran hielt sie mit Einspracheentscheid vom 20. Juni 2019 fest. 
 
B.  
Die hiergegen gerichtete Beschwerde der A.________ hiess das Sozialversicherungsgericht des Kantons St. Gallen mit Entscheid vom 4. März 2021 gut und hob den Einspracheentscheid vom 20. Juni 2019 auf. 
 
C.  
Die Sozialversicherungsanstalt des Kantons St. Gallen (als EL-Durchführungsstelle) führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten. Sie beantragt, es sei der vorinstanzliche Entscheid vom 4. März 2021 aufzuheben und ihr Einspracheentscheid vom 20. Juni 2019 zu bestätigen. 
A.________ sowie die Vorinstanz lassen sich am 1. bzw. 13. August 2021 vernehmen, ohne Anträge zu stellen. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Das kantonale Gericht stellte - für das Bundesgericht grundsätzlich verbindlich (Art. 105 Abs. 1 und 2 BGG) und insoweit auch unbestritten - fest, die Mutter des Versicherten habe im Oktober 2017 als Erbin und Erbenvertreterin erklärt, an der EL-Anmeldung festzuhalten. Am 14. Dezember 2017 hätten indes alle Erben, d.h. die Mutter und der Vater des Versicherten, die Erbschaft ausgeschlagen, was das zuständige Kreisgericht mit Entscheid vom 15. Dezember 2017 akzeptiert habe. Es erwog, durch ihr Verhalten (Erklärung, das EL-Verfahren weiterführen zu wollen, Annahme der Nachzahlung der jährlichen Ergänzungsleistungen, Stellen eines Gesuchs um Rückerstattung von Krankheits- und Behinderungskosten und Annahme der entsprechenden Vergütung) habe die Mutter des Versicherten dessen Erbe faktisch angetreten und ihr Ausschlagungsrecht verwirkt (Art. 571 Abs. 2 ZGB). Daran ändere nichts, dass das zuständige Kreisgericht die Ausschlagung mit Entscheid vom 15. Dezember 2017 (über die konkursamtliche Liquidation der ausgeschlagenen Verlassenschaft) akzeptiert habe. Dessen Entscheid könne "aufgrund der klaren Rechtslage und angesichts der Tatsache, dass das Ausschlagungsrecht kraft Gesetzes verwirkt" für das ergänzungsleistungsrechtliche Verfahren nicht bindend sein. Die Nachzahlung der laufenden Ergänzungsleistungen und die Vergütung der Krankheits- und Behinderungskosten an die Mutter des verstorbenen Versicherten seien damit zu Recht erfolgt und ihre Rückforderung gesetzwidrig. 
 
2.  
Die Beschwerdeführerin macht geltend, es könne die Beschwerdegegnerin nicht gleichzeitig zivil- und vollstreckungsrechtlich auf ihre Erbenstellung verzichtet haben und ergänzungsleistungsrechtlich Erbin bleiben. 
 
3.  
Die Gültigkeit einer Ausschlagung bzw. die Erbenstellung kann im Rahmen einer Feststellungsklage von den ordentlichen Zivilgerichten mit Bindungswirkung erga omnes beurteilt werden (vgl. in BGE 139 III 225 nicht publizierte E. 3 des Urteils 5A_44/2013 vom 25. April 2013; IVO SCHWANDER, in: Basler Kommentar, Zivilgesetzbuch II, 6. Aufl. 2019, N. 14 zu Art. 570 ZGB). Dass ein solcher Entscheid ergangen wäre, wird nicht geltend gemacht und ist auch nicht ersichtlich. Ob und inwieweit der Erkenntnis des Konkursgerichts diesbezüglich ebenfalls Bindungswirkung zukommt, kann offen gelassen werden. Im konkreten Fall ist vielmehr entscheidend, dass die Beschwerdegegnerin unbestritten die Erbschaft ihres Sohnes im Dezember 2017 ausgeschlagen hat, was zur - wenngleich mangels Aktiven eingestellten - konkursamtlichen Liquidation des Nachlasses geführt hat. Sie verhielte sich rechtsmissbräuchlich, wenn sie sich im ergänzungsleistungsrechtlichen Verfahren erstmals auf die Ungültigkeit dieser Ausschlagung beriefe, um einen Anspruch auf Erbschaftsaktiven zu begründen, nachdem sie sich unter Berufung auf dieselbe Ausschlagung der Haftung für die Erbschaftspassiven entzogen hat. Entsprechend kann auch das Vorgehen des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen nicht geschützt werden, das die Ausschlagung von Amtes wegen und ohne dahingehendes Vorbringen der Beschwerdegegnerin zufolge Einmischung für ungültig und die Beschwerdegegnerin für die Zwecke der Ergänzungsleistungen als Erbin erklärt hat. Dies gilt umso mehr, als die Ungültigkeit der Ausschlagung sich - entgegen dem kantonalen Gericht - aus den vorhandenen Akten jedenfalls nicht als offensichtlich aufdrängt. Die Vorinstanz hat insbesondere zur Verwendung der erhaltenen Gelder durch die Beschwerdegegnerin keine näheren Feststellungen getroffen, sondern sich einzig auf den pauschalen Hinweis beschränkt, es sei weder die Fortführung des EL-Verfahrens noch die Bezahlung der privaten Schulden so dringlich gewesen, dass es keinen Aufschub geduldet hätte. 
 
4.  
Nach dem Gesagten ist die Beschwerdegegnerin (auch) ergänzungsleistungsrechtlich nicht als Erbin zu betrachten. Demnach wurden ihr die Ergänzungsleistungen sowie Krankheits- und Behinderungskosten ihres verstorbenen Sohnes zu Unrecht ausgerichtet; ihre Rückforderung ist berechtigt (Art. 25 Abs. 1 ATSG). 
Ob gegebenenfalls die Erlassvoraussetzungen des guten Glaubens und der grossen Härte gemäss Art. 25 Abs. 1 ATSG vorliegen, was die Beschwerdegegnerin in ihrer Zuschrift vom 1. August 2021 anzusprechen scheint, ist nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens, sondern wäre gegebenenfalls gesuchsweise bei der EL-Durchführungsstelle geltend zu machen. Weiterungen dazu erübrigen sich. 
 
5.  
Die Beschwerde ist begründet. 
 
6.  
Auf die Erhebung von Gerichtskosten wird umständehalber verzichtet (Art. 66 Abs. 1 Satz 2 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Der Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 4. März 2021 wird aufgehoben und der Einspracheentscheid der Sozialversicherungsanstalt des Kantons St. Gallen, EL-Durchführungsstelle, vom 20. Juni 2019 bestätigt. 
 
2.  
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
 
3.  
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 3. November 2021 
 
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Parrino 
 
Die Gerichtsschreiberin: Oswald