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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
5A_568/2012 
 
Urteil vom 24. Januar 2013 
II. zivilrechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter von Werdt, Präsident, 
Bundesrichterinnen Escher, Hohl, 
Gerichtsschreiber Möckli. 
 
Verfahrensbeteiligte 
X.________ AG, 
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Andreas Rüd, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen 
 
Y.________, Lda., 
vertreten durch Rechtsanwalt Urs Boller, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Vollstreckbarerklärung, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Zug, II. Zivilabteilung, vom 4. Juli 2012. 
 
Sachverhalt: 
 
A. 
Mit Urteil vom 29. August 2011 verpflichtete die 11. Zivilgerichtskammer von A.________ die X.________ AG mit Sitz in B.________, der Y.________ Lda mit Sitz in A.________ EUR 9'280'000.-- nebst MWSt und Verzugszins seit 8. Februar 2008 zu bezahlen. Gegen dieses Urteil legten beide Parteien Berufung ein. 
 
B. 
Am 18. November 2011 verlangte die Y.________ beim Kantonsgericht Zug, der vorgenannte Entscheid sei für vollstreckbar zu erklären und es seien sämtliche Vermögensgegenstände der X.________, insbesondere das Konto IBAN xxxx bei der Bank C.________, zu verarrestieren, alles soweit verarrestierbar bis zur Deckung der Arrestforderung von Fr. 2'879'413.67 (entsprechend EUR 2'322'107.80) zzgl. Zins zu 8,25 % seit 16. November 2011 auf dem Betrag von Fr. 11'507'200.-- (entsprechend EUR 9'280'000.--) sowie der Kosten. 
Mit Entscheid vom 23. November 2011 erklärte das Kantonsgericht das portugiesische Urteil für vollstreckbar und wies das Betreibungsamt Zug an, sämtliche Guthaben der X.________ bei der Bank C.________, insbesondere das Konto IBAN xxxx, in der Höhe der Arrestforderung von Fr. 2'879'413.67 nebst Zins zu 8,25 % seit 16. November 2011 auf dem Betrag von Fr. 11'507'200.-- nebst Kosten zu verarrestieren. 
Die hiergegen erhobene Beschwerde der X.________ wies das Obergericht des Kantons Zug mit Urteil vom 4. Juli 2012 ab, ebenso das Gesuch um Sisiterung des Verfahrens. 
 
C. 
Gegen den obergerichtlichen Entscheid erhob die X.________ AG am 6. August 2012 eine Beschwerde in Zivilsachen mit dem Begehren um dessen Aufhebung und Abweisung des Antrages auf Vollstreckbarerklärung des Urteils der 11. Zivilgerichtskammer von A.________ vom 29. August 2011. Mit Verfügung vom 8. August 2012 wurde der Antrag auf Gewährung der aufschiebenden Wirkung abgewiesen. Mit Schreiben vom 14. September 2012 beantragte das Obergericht die Abweisung der Beschwerde, soweit darauf einzutreten sei. Die Beschwerdegegnerin verzichtete mit Schreiben vom 28. September 2012 auf eine Vernehmlassung. 
 
Erwägungen: 
 
1. 
Angefochten ist die im Rechtsbehelfsverfahren gemäss Art. 43 LugÜ (revidiertes Lugano-Übereinkommen vom 30. Oktober 2007, SR 0.275.12) i.V.m. Art. 327a ZPO ergangene Entscheidung des Obergerichts Zug, gegen welche die Beschwerde in Zivilsachen gegeben ist (Art. 44 und Anhang IV LugÜ i.V.m. Art. 72 Abs. 2 lit. b Ziff. 1 und Art. 75 Abs. 1 BGG). Der für vermögensrechtliche Angelegenheiten erforderliche Mindeststreitwert gemäss Art. 74 Abs. 1 lit. b BGG ist gegeben. 
Die im speziellen Exequaturverfahren erfolgende Vollstreckbarerklärung ist nicht als vorsorgliche Massnahme im Sinn von Art. 98 BGG anzusehen (BGE 135 III 670 E. 1.3.2 S. 673); dies gilt auch dann, wenn der Entscheid im Ausland bloss vorläufig vollstreckbar ist, denn die Vollstreckbarerklärung erfolgt nicht bedingt (HOFMANN/KUNZ, in: Basler Kommentar, N. 136 zu Art. 38 LugÜ). Die Anwendung des Bundesrechts sowie völkerrechtlicher Verträge, wozu auch das LugÜ gehört, kann mithin umfassend gerügt und mit voller Kognition überprüft werden (Art. 95 lit. a und b sowie Art. 106 Abs. 1 BGG). Für die Verletzung verfassungsmässiger Rechte gilt allerdings das strenge Rügeprinzip (Art. 106 Abs. 2 BGG). 
Das revidierte LugÜ ist als Parallel-Abkommen zur Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVVO) konzipiert, weshalb die betreffende Rechtsprechung des EuGH - und mutatis mutandis auch dessen frühere Rechtsprechung zum Brüsseler Übereinkommen bzw. EuGVÜ (BGE 129 III 626 E. 5.2.1 S. 633) - zu berücksichtigen ist (vgl. Art. 1 Abs. 1 des Protokolles Nr. 2 zum LugÜ betreffend dessen einheitliche Auslegung; zu den Einschränkungen siehe Botschaft BBl 2009 1817). 
 
2. 
Im kantonalen Rechtsmittelverfahren war der primäre Streitpunkt, ob der portugiesische Entscheid ungeachtet der beidseitigen Berufung im Ursprungsstaat für vollstreckbar erklärt werden könne. Das Obergericht hat zusammengefasst erwogen, dass gemäss Art. 38 Abs. 1 LugÜ nicht die Rechtskraft des Entscheides erforderlich sei, sondern dieser lediglich im Ursprungsstaat vollstreckbar sein müsse, weshalb auch eine dort vorläufig vollstreckbare Entscheidung in der Schweiz für vollstreckbar erklärt werden könne; eine Bescheinigung des portugiesischen Gerichts im Sinn von Art. 54 LugÜ liege vor und der Entscheid sei folglich für vollstreckbar zu erklären. Ferner hat das Obergericht eine auf Art. 46 Abs. 1 LugÜ gestützte Sistierung des Exequaturverfahrens abgelehnt mit der Begründung, diese dürfe nur ausnahmsweise gewährt werden und die Beschwerdeführerin habe keine Gründe dargelegt, weshalb mit einer Aufhebung der Entscheidung im Ursprungsstaat ernsthaft zu rechnen sei. 
 
3. 
Das obergerichtliche Urteil wird in der vorliegend zu beurteilenden Beschwerde in keinem Punkt kritisiert. Vielmehr bringt die Beschwerdeführerin vor, mit Urteil vom 3. Mai 2012 habe das Berufungsgericht in A.________ in Abweichung zum erstinstanzlichen Entscheid vom 29. August 2011 den Verzugszins fallen lassen und die geschuldete MWSt von EUR 1'948'800.-- auf EUR 111'300.-- reduziert. Diese Tatsache habe vor dem Obergericht des Kantons Zug nicht mehr eingebracht werden können, da sie erst nach Abschluss des dortigen Schriftenwechsels eingetreten sei. Soweit das erstinstanzliche Urteil aufgehoben oder abgeändert worden sei, ändere die objektive Grundlage der Vollstreckbarkeitserklärung und fehle es insofern an einem tauglichen Objekt für das Exequatur, was für die Rechtsmittelinstanzen beachtlich sei. Es handle sich um ein Novum, welches unbekümmert um Art. 99 Abs. 1 BGG vorgebracht werden könne, weil es sich um eine Rechtsfrage bzw. um ein rechtliches Novum handle, müsse doch überprüft werden, ob die Vollstreckbarerklärung des ausländischen Urteils zu Recht erfolgt sei. Bei strikter Anwendung von Art. 99 Abs. 1 BGG käme es zur Vollstreckung eines gar nicht mehr bestehenden Urteils, was nicht sein dürfe, zumal wenn das Exequatur eines im Ursprungsstaat nur vorläufig vollstreckbaren Urteils auf eigene Gefahr verlangt worden sei. Weil die Abänderung des ausländischen Urteils nach Abschluss des Exequatur-Rechtsmittelverfahrens auf Revision hin zu berücksichtigen sei, müsse dies umso mehr während des Rechtsmittelverfahrens gelten. 
 
4. 
Die Beschwerdeführerin bestreitet zu Recht nicht mehr, dass auch ein im Ursprungssstaat bloss vorläufig vollstreckbares Urteil in der Schweiz für vollstreckbar erklärt werden kann, soweit die nötigen Voraussetzungen vorliegen (Art. 38 Abs. 1 i.V.m. Art. 53 und 54 LugÜ; statt vieler: STAEHELIN/BOPP, in: Dasser/Oberhammer, Lugano-Übereinkommen, 2. Aufl. Bern 2011, N. 33 zu Art. 38 LugÜ). Ebenso wenig wird das angefochtene Urteil in irgendeiner anderen Weise kritisiert. Vielmehr wird dessen Aufhebung und die Abweisung des Exequaturbegehrens einzig unter Verweis auf ein zwischenzeitlich ergangenes abänderndes portugiesisches Berufungsurteil verlangt. 
Das portugiesische Berufungsurteil datiert vom 3. Mai 2012, der angefochtene Entscheid vom 4. Juli 2012. Die Beschwerdeführerin macht folglich kein echtes Novum geltend und es geht deshalb nicht um die Frage, ob überhaupt und gegebenenfalls unter welchem Titel ein solches im Exequaturverfahren vor Bundesgericht eingebracht werden könnte. Vielmehr macht sie ein unechtes Novum geltend, welches im bundesgerichtlichen Verfahren ausnahmsweise dann beachtlich sein kann, wenn erst der angefochtene Entscheid zu dessen Einreichung Anlass gegeben hat (Art. 99 Abs. 1 BGG). Die Beschwerdeführerin bringt in dieser Hinsicht vor, dass das portugiesische Berufungsurteil nach dem obergerichtlichen Schriftenwechsel ergangen sei und deshalb in jenem Verfahren nicht mehr habe eingebracht werden können. Dies trifft indes nicht zu, wie die nachfolgenden Ausführungen zeigen. 
Im obergerichtlichen Verfahren handelte es sich beim portugiesischen Berufungsurteil um ein echtes Novum, weil dieses zeitlich nach Erlass des erstinstanzlichen Exequaturentscheides erging. Zumal das erstinstanzliche Verfahren einseitig ist und die Gegenpartei erst im Rechtsmittelverfahren ihren Standpunkt einzubringen vermag, kann Art. 326 ZPO im Exequatur-Verfahren nicht zum Tragen kommen, sondern müssen Noven im Rechtsmittelverfahren gemäss Art. 43 LugÜ i.V.m. Art. 327a ZPO zulässig sein (HOFMANN/KUNZ, a.a.O., N. 43 zu Art. 43 LugÜ; SCHWANDER, Arrestrechtliche Neuerungen, in: ZBJV 2010, S. 685; SOGO, Vollstreckung ausländischer Entscheide über Geldforderungen, in: ZZZ 2008/2009, S. 52), was insbesondere auch bei einem nachträglich ergangenen Berufungsurteil des Ursprungsstaates gelten muss (STAEHELIN/BOPP, a.a.O., N. 34 zu Art. 38 LugÜ; dahingehend auch Urteil 5A_79/2008 vom 6. August 2008 E. 4.2.2). Als verfahrensrechtliche Grundlage für die Zulassung von Noven im Verfahren von Art. 327a ZPO ist ein Rückgriff auf Art. 229 ZPO nicht statthaft (vgl. zur Publ. bestimmtes Urteil 4A_228/2012 vom 28. August 2012 E. 2.2). Indes kann die für die Berufung aufgestellte Regelung in Art. 317 Abs. 1 ZPO per Analogie herangezogen werden, zumal sich die Beschwerde gemäss Art. 327a ZPO in ihrer Ausgestaltung der Berufung annähert (JEANDIN, in: Code de procédure civile commenté, Basel 2011, N. 2 zu Art. 327a ZPO). Nach Art. 317 Abs. 1 ZPO sind neue Tatsachen und Beweismittel zulässig, soweit sie ohne Verzug vorgebracht werden (lit. a) und trotz zumutbarer Sorgfalt nicht schon vor erster Instanz vorgebracht werden konnten (lit. b). Das bedeutet, dass im Rechtsmittelverfahren echte Noven - welche gerade dadurch charakterisiert sind, dass sie nach dem erstinstanzlichen Entscheid entstanden sind und somit im erstinstanzlichen Verfahren begriffsgemäss nicht geltend gemacht werden konnten - innerhalb der Rechtsmittelfrist ohne Beachtung eines Zeitrahmens vorgebracht werden können und nach Ablauf der Rechtsmittelfrist ohne Verzug vorgebracht werden müssen (VOLKART, in: Brunner/Gasser/Schwander [Hrsg.], Schweizerische Zivilprozessordnung, Kommentar, Zürich 2011, N. 7 und 9 zu Art. 317 ZPO; MATHYS, in Stämpflis Handkommentar, Bern 2010, N. 5 zu Art. 317 ZPO), was gegebenenfalls im Rahmen einer Noveneingabe zu erfolgen hat (GASSER/RICKLI, Schweizerische Zivilprozessordnung, Kurzkommentar, Zürich 2010, N. 2 zu Art. 317 ZPO; JEANDIN, a.a.O., N. 7 zu Art. 317 ZPO); Entscheidgrundlage soll der Sachverhalt im Zeitpunkt der zweitintanzlichen Entscheidfällung sein (REETZ/ HILBER, in: Sutter-Somm/Hasenböhler/Leuenberger [Hrsg.], Kommentar zur Schweizerischen Zivilprozessordnung, Zürich 2010, N. 56 zu Art. 317 ZPO). Vorliegend hat es die Beschwerdeführerin unterlassen, eine solche Noveneingabe zu machen, was sie in der vorliegend zu beurteilenden Beschwerde fälschlicherweise damit begründet, dass der obergerichtliche Schriftenwechsel abgeschlossen gewesen sei und sie das portugiesische Berufungsurteil deshalb nicht mehr ins obergerichtliche Verfahren habe einbringen können. 
Vor dem Hintergrund des Gesagten geht es der Beschwerdeführerin darum, Versäumtes nachzuholen und dem bundesgerichtlichen Verfahren unbekümmert um die grundsätzliche Sachverhaltsbindung (vgl. Art. 105 Abs. 1 BGG) einen anderen als den vom Obergericht festgestellten Sachverhalt zugrunde zu legen. Dafür steht die Beschwerde in Zivilsachen nicht zur Verfügung, und insbesondere hat auch nicht der - in keiner Weise beanstandete - angefochtene Entscheid Anlass gegeben, das unechte Novum vorzubringen (vgl. Urteil 5A_79/2008 vom 6. August 2008 E. 2.5), weshalb die Voraussetzungen von Art. 99 Abs. 1 BGG nicht erfüllt sind. 
 
5. 
Zusammenfassend ergibt sich, dass die Beschwerde in Zivilsache abzuweisen ist, soweit auf sie eingetreten werden kann. Die Gerichtskosten sind der Beschwerdeführerin aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Zufolge Verzichtes auf eine Vernehmlassung ist der Beschwerdegegnerin kein entschädigungspflichtiger Aufwand entstanden. 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1. 
Die Beschwerde in Zivilsachen wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
 
2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 20'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt. 
 
3. 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zug, II. Zivilabteilung, schriftlich mitgeteilt. 
 
Lausanne, 24. Januar 2013 
Im Namen der II. zivilrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: von Werdt 
 
Der Gerichtsschreiber: Möckli