[AZA 0/2]
5C.184/2000/SAT/bnm
II. Z I V I L A B T E I L U N G ********************************
20. Juni 2001
Es wirken mit: Bundesrichter Reeb, Präsident der II. Zivilabteilung,
Bundesrichter Raselli, Ersatzrichter Hasenböhler
und Gerichtsschreiber Schett.
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In Sachen
A.________, Beklagte und Berufungsklägerin, vertreten durch Rechtsanwalt Diethelm Baumann, Freigutstrasse 24, Post-fach 220, 8027 Zürich,
gegen
B.________, Kläger und Berufungsbeklagten, vertreten durch Rechtsanwalt Pius Huber, General Guisan-Quai 36, Postfach, 8002 Zürich,
betreffend
Auslegung eines Testamentes/Teilung, hat sich ergeben:
A.- B.________ und A.________ sind als Geschwister infolge einer Erbengemeinschaft Gesamteigentümer an mehreren Grundstücken in der Gemeinde Y.________ aus dem Nachlass ihres am 10. August 1964 verstorbenen Vaters. Nach erfolglos verlaufenem Sühneversuch reichte B.________ am 29. Oktober 1991 Klage beim Bezirksgericht Zürich ein und verlangte die Auflösung der Erbengemeinschaft, wobei die Grundstücke freihändig zu versteigern seien. A.________ erhob Widerklage.
Damit verlangte sie ebenfalls die Auflösung der Erbengemeinschaft, beantragte aber gleichzeitig die Feststellung und Einräumung eines Wohnrechtes zu ihren Gunsten und zu Gunsten ihrer Söhne C.________ und D.________ an den beiden Dachräumen in der Liegenschaft X.________ in Y.________.
Am 4. Oktober 1995 wies das Bezirksgericht (6. Abteilung) die Widerklage ab und ordnete eine öffentliche Versteigerung von 8 Grundstücken sowie die Aufteilung des entsprechenden Nettoerlöses je zur Hälfte auf die Parteien an.
Das Obergericht des Kantons Zürich, an welches A.________ mit Appellation und B.________ mit Anschlussappellation gelangt waren, fasste am 27. Juni 2000 den Beschluss, es sei vorzumerken, dass die Dispositiv-Ziffern 2 (Vermerk der einzelnen Grundstücke) und 3 (Hinweis auf die Steigerungsbedingungen) des angefochtenen Urteils rechtskräftig seien. Gleichentags wies es die Widerklage ab.
B.- Mit eidgenössischer Berufung beantragt A.________ dem Bundesgericht, das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich vom 27. Juni 2000 aufzuheben, die Widerklage auf Feststellung und Einräumung eines Wohnrechts zu ihren Gunsten und zu Gunsten ihrer Nachkommen in den beiden Dachräumen der Liegenschaft X.________ in Y.________ gutzuheissen und ein dingliches Wohnrecht zu ihren Gunsten und zu Gunsten ihrer beiden Söhne zu Lasten des Wohnhauses in die Steigerungsbedingungen aufzunehmen.
Das Obergericht des Kantons Zürich hat auf Gegenbemerkungen verzichtet. Eine Berufungsantwort ist nicht eingeholt worden.
C.- A.________ hat auch Nichtigkeitsbeschwerde beim Kassationsgericht des Kantons Zürich eingereicht und damit den obergerichtlichen Beschluss, dass Dispositiv-Ziffer 3 des erstinstanzlichen Urteils rechtskräftig geworden sei, angefochten.
Mit Beschluss vom 5. Februar 2001 hat das Kassationsgericht die Beschwerde gutgeheissen, Dispositiv-Ziffer 1 des obergerichtlichen Beschlusses vom 27. Juni 2000 aufgehoben und durch die Bestimmung ersetzt, dass nur DispositivZiffer 2 des erstinstanzlichen Urteils rechtskräftig sei.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.- Vorliegend beträgt der Streitwert Fr. 67'000.--, sodass aus der Sicht von Art. 46 OG auf die Berufung einzutreten ist.
2.- In der Sache selbst geht es um die Bedeutung der folgenden Passage im Testament vom 20. April 1960 des Erblassers E.________:
"Im Hause X.________ Gemeinde Y.________ hat die Tochter A.________, deren Gatte und Nachkommen das Recht die zwei Zimmer oben im Dachstock zinslos zu benützen.. "
In Übereinstimmung mit dem Bezirksgericht hat das Obergericht darin eine Nutzungsordnung für die Dauer der Erbengemeinschaft erblickt. Dagegen wendet sich die Beklagte und wirft dem Obergericht vor, es habe das Testament falsch ausgelegt. In Wirklichkeit enthalte die betreffende Bestimmung ein Vermächtnis, worin der Erblasser ihr, ihrem Gatten und ihren Kindern ein dingliches Wohnrecht an den beiden Dachstockzimmern eingeräumt habe.
a) Einmal kritisiert sie, die Vorinstanz habe das von ihr (der Beklagten) postulierte dingliche Wohnrecht mit der unzutreffenden Begründung abgelehnt, die fragliche Anordnung des Erblassers sei eine blosse Teilungsvorschrift und kein Vermächtnis. Indessen habe die Vorinstanz übersehen, dass Teilungsvorschriften nur unter Miterben gelten würden.
In der betreffenden Testamentsbestimmung sei aber nicht nur sie - die Beklagte -, sondern seien auch ihre Söhne genannt, die indessen keine Miterben seien. Deshalb gehe die Argumentation, es handle sich um eine blosse Teilungsvorschrift, fehl.
Im angefochtenen Entscheid hat das Obergericht bemerkt, gerade weil eine Teilungsvorschrift sich nur an Erben richte, liege die Annahme einer Nutzungsordnung für die Zeit der Erbengemeinschaft nahe. Mit dieser Erwägung setzt sich die Beklagte aber gar nicht ernsthaft auseinander, vielmehr beharrt sie einfach auf ihrem schon im kantonalen Verfahren eingenommenen Standpunkt. Dies genügt indessen den Anforderungen von Art. 55 Abs. 1 lit. c OG nicht (dazu: BGE 116 II 745 E. 3 S. 748/749), weshalb auf die Berufung in diesem Punkt nicht einzutreten ist.
b) Weiter wendet sich die Beklagte gegen die Argumentation der Vorinstanz, es müsse ein qualifiziertes Schweigen des Erblassers angenommen werden, weil dieser die von ihm ausgesetzten Vermächtnisse deutlich als solche bezeichnet, dagegen bei der Benützung der Dachstockräume gerade nicht von einem Vermächtnis gesprochen habe. Indessen stamme das Argument des qualifizierten Schweigens aus der Methodik der Gesetzesauslegung.
Weil ein Gesetzestext in einem jahrelangen Verfahren mehrfach überarbeitet werde, könne man vom Gesetzgeber eher erwarten, dass er eine Materie umfassend und vollständig regle; angesichts der heute herrschenden Normendichte erscheine der Schluss auf ein qualifiziertes Schweigen in diesem Bereich als plausibel. Anders präsentiere sich jedoch die Lage bei der Erstellung eines Testamentes. Dafür werde viel weniger Zeit aufgewendet als für die Schaffung eines Gesetzes und zudem verfasse der Testator seine Anordnung oft allein, weshalb kaum eine absolut vollständige Regelung erwartet werden könne. Deshalb sei das Argument des qualifizierten Schweigens im Zusammenhang mit der Testamentsauslegung, wenn überhaupt, so nur mit grösster Vorsicht anzuwenden.
Im angefochtenen Entscheid hat das Obergericht ausgeführt, der Erblasser habe in Ziff. 4a und 4b des Testaments seiner Tochter A.________ und seinem Sohn B.________ je ein Grundstück in Zürich zugeteilt, dagegen in Ziff. 4c die Liegenschaften in Y.________ in eine Erbengemeinschaft, bestehend aus der überlebenden Gattin und den beiden Kindern, gewiesen.
Dieses Gesamteigentum habe er mit drei Vermächtnissen belastet. Darauf habe er mit dem Titel "Vermächtnisse" hingewiesen; weiter habe er die Legatsempfänger durch Unterstreichung ihrer Namen hervorgehoben, und schliesslich seien die Vermächtnisse auch sprachlich abgeschlossen worden. Dagegen habe der Erblasser beim Dachstock im Wohnhaus X.________ nicht von einem Vermächtnis gesprochen, was den Schluss auf ein qualifiziertes Schweigen zulasse. Die Vorinstanz hat demnach aus der Tatsache, dass der Erblasser die von ihm ausgesetzten Vermächtnisse deutlich als solche gekennzeichnet, bei der Benützung der Dachstockräume dies aber nicht getan hat, darauf geschlossen, er habe in Bezug auf diese Räume kein Legat angeordnet. Was die Vorinstanz in diesem Zusammenhang als qualifiziertes Schweigen bezeichnet, ist im Grunde genommen ein Umkehrschluss (argumentum e contrario).
Dabei handelt es sich um eine Auslegungsregel, die nicht nur bei der Gesetzesinterpretation, sondern auch bei der Auslegung von Rechtsgeschäften Anwendung findet. Dies gilt auch für letztwillige Verfügungen, bei deren Interpretation die üblichen Auslegungsregeln einschliesslich des Umkehrschlusses herangezogen werden.
Im Übrigen ist unerfindlich, weshalb der Erblasser, wenn er bei der Dachstockzimmer-Nutzung tatsächlich an ein Legat gedacht hätte, nicht gleich vorgegangen wäre wie bei den von ihm sonst angeordneten Vermächtnissen, zumal er, wie aus seinem Testament erhellt, ein Vermächtnis durchaus als solches erkennen und bezeichnen konnte.
c) Ferner macht die Beklagte geltend, wenn schon das Argument des qualifizierten Schweigens herangezogen werde, dies dann auch konsequent gehandhabt werden müsse. Weil der Erblasser nicht ausdrücklich eine Befristung des strittigen Benutzungsrechts an den Dachstockräumen erwähnt habe, liege auch diesbezüglich ein qualifiziertes Schweigen vor. Es würden sich also zwei qualifizierte Schweigen gegenüberstehen, wobei jene Lösung zu bevorzugen sei, welche die Aufrechterhaltung der erblasserischen Anordnung ermögliche. Ohne zeitliche Begrenzung sei ein Recht zwangsläufig als lebenslänglich zu qualifizieren.
Im angefochtenen Entscheid wird dazu bemerkt, die Befristung des Benutzungsrechts an den Dachstockräumen ergebe sich aus dem Aufbau und der Wortwahl des Testaments. Weil eine Teilungsvorschrift sich nur an Erben richte und ein Vermächtnis nicht bejaht werden könne, liege die Annahme einer Nutzungsordnung für die Zeit der Erbengemeinschaft nahe.
Das Benutzungsrecht an den beiden Dachstockzimmern betrifft das Haus X.________ in der Gemeinde Y.________.
Dieses Haus gehört zu jenen Liegenschaften, die der Erblasser ins Gesamteigentum der aus seiner überlebenden Gattin und den Kindern bestehenden Erbengemeinschaft gewiesen hat. Diese Zuweisung hat er mit einem Veräusserungsverbot an Dritte verknüpft.
Schon dies deutet darauf hin, dass er eine Regelung nur für die Dauer dieser Erbengemeinschaft im Auge hatte, zumal kein Grund ersichtlich ist, weshalb er Anordnungen für die Zeit nach deren Beendigung hätte treffen sollen. Von einem dinglichen, die Erbengemeinschaft überdauernden Wohnrecht ist in der betreffenden Bestimmung des Testaments denn auch nicht die Rede. Dabei ist zu beachten, dass dem Erblasser die Möglichkeit der dinglichen Sicherung von Rechten sehr wohl bekannt war, hat er doch z.B. die zugunsten seiner Gattin angeordnete lebenslängliche Nutzniessung grundbuchlich abgesichert.
Hinzu kommt, dass der Erblasser die Benutzungsbefugnis an den Dachstockzimmern auch Personen zugestanden hat, die selber nicht Mitglieder der Erbengemeinschaft sind (Ehegatte und Kinder der Beklagten). Darin ist ein weiterer Anhaltspunkt dafür zu erblicken, dass er eine Benutzungsordnung nur für die Dauer der Erbengemeinschaft gewollt hat. Die erwähnten Umstände sprechen dafür, dass der Erblasser die Benutzungsbefugnis nur für eine begrenzte Dauer, nämlich für die Zeit der Erbengemeinschaft, angeordnet hat. Damit ist der Argumentation der Beklagten, weil das Benutzungsrecht nicht ausdrücklich zeitlich begrenzt worden sei, es zwangsläufig als lebenslänglich zu gelten habe, die Grundlage entzogen.
d) Die Beklagte wirft dem Obergericht auch vor, es habe das vorliegende Testament eigenmächtig ergänzt, indem es das strittige Benutzungsrecht als Nutzungsordnung für die Dauer der Erbengemeinschaft eingestuft habe. Davon stehe im Testament jedoch nichts. Wenn im erstinstanzlichen Urteil ausgeführt werde, der Erblasser habe sich um eine klare Ausdrucksweise bemüht, so könne dies nur heissen, dass er eine Nutzungsordnung für die Dauer der Erbengemeinschaft wörtlich angeordnet hätte, wenn dies wirklich seine Absicht gewesen wäre. Die Vorinstanz könne nicht auf der einen Seite aus der mangelnden Verwendung des Wortes "Vermächtnis" auf ein qualifiziertes Schweigen des Erblassers schliessen und anderseits dort, wo er nichts gesagt habe, eigenmächtig Ergänzungen anbringen.
Die Vorinstanz hat sich um das richtige Verständnis der fraglichen Testamentspassage bemüht, indem sie den wirklichen Willen des Erblassers ermittelte. Hingegen hat sie keineswegs von sich aus dem Erblasser etwas unterschoben, was dieser nicht gewollt hat. Sie hat also das Testament ausgelegt, keineswegs aber eigenmächtig ergänzt.
e) Weiter beanstandet die Beklagte, bei der vom Obergericht angenommenen Benutzungsordnung für die Dauer der Erbengemeinschaft handle es sich um ein "heimatloses juristisches Etwas", das im ZGB gar nicht geregelt sei. Indessen kenne das Gesetz nur zwei Arten der Verfügung von Todes wegen, nämlich die Erbeinsetzung und das Vermächtnis.
Bei dieser beschränkten Auswahl müsse vorliegend ein Legat angenommen werden.
Der Erblasser kann Anordnungen für die Erbengemeinschaft treffen und direkt bestimmte Verwaltungs- oder Verfügungshandlungen vorschreiben. So kann er die Weiterverpachtung einer Liegenschaft an den bisherigen Pächter zum gleichen Preis oder die Veräusserung bestimmter Wertschriften oder anderer Objekte anordnen (Picenoni, Berner Kommentar, N. 22 zu Art. 602 ZGB). Auf der gleichen Linie liegt die vom Erblasser angeordnete Benutzungsregelung für die Dachstockräume.
Damit ist dem Vorwurf, die Vorinstanz habe ein undefinierbares Institut kreiert, die Grundlage entzogen.
f) Schliesslich wendet die Beklagte ein, das Obergericht habe unter Berufung auf die Systematik des Testaments das Vorliegen eines Vermächtnisses verneint. Indessen dürfe die Systematik bei einem Testament nicht überbewertet werden.
Denn erfahrungsgemäss würden bei der Abfassung eines eigenhändigen Testaments noch während der Niederschrift neue Ideen auftauchen, ohne dass der Testator deswegen die Niederschrift ganz von neuem beginnen würde. Kleine Systemwidrigkeiten seien daher eher die Regel als die Ausnahme.
Die Vorinstanz hat unter Hinweis auf den Aufbau des Testaments ausgeführt, die Bestimmung über die Benutzung der Dachstockräume sei deutlich abgegrenzt vom vorhergehenden Unterabschnitt, worin der Erblasser mehrere Vermächtnisse ausgesetzt habe.
Wichtige Aufschlüsse für den Erblasserwillen können sich aus der systematischen Stellung einzelner Bestimmungen im Gefüge der gesamten Anordnung ergeben (vgl. dazu etwa BGE 115 II 323 E. 1b S. 326 f.). Einzelbestimmungen sind deshalb nicht isoliert und ohne Beachtung ihres Kontextes mit den übrigen Vorschriften zu interpretieren. Wird die Gliederung des vorliegenden Testaments ins Auge gefasst, so zeigt sich, dass der Unterabschnitt, worin die Benutzungsbefugnis der beiden Dachstockräume geregelt ist, sich deutlich abhebt von jenem andern Unterabschnitt, in welchem der Testator Vermächtnisse angeordnet hat. Wenn das Obergericht aus dieser Struktur gefolgert hat, die erwähnte Benutzungsregelung sei kein Vermächtnis, so ist dies bundesrechtskonform.
Zusammenfassend erweist sich die Berufung, soweit darauf einzutreten ist, als unbegründet, was zur Bestätigung des angefochtenen Urteils führt.
3.- Dem Verfahrensausgang entsprechend wird die Beklagte kostenpflichtig (Art. 156 Abs. 1 OG). Hingegen entfällt eine Parteientschädigung, da keine Berufungsantwort eingeholt worden ist.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.- Die Berufung wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist, und der Beschluss und das Urteil vom 27. Juni 2000 des Obergerichts (II. Zivilkammer) des Kantons Zürich werden bestätigt.
2.- Die Gerichtsgebühr von Fr. 4'000.-- wird der Beklagten auferlegt.
3.- Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht (II. Zivilkammer) des Kantons Zürich schriftlich mitgeteilt.
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Lausanne, 20. Juni 2001
Im Namen der II. Zivilabteilung des
SCHWEIZERISCHEN BUNDESGERICHTS
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: