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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
{T 0/2} 
 
6B_543/2015  
   
   
 
 
 
Urteil vom 10. Dezember 2015  
 
Strafrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Denys, Präsident, 
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari, 
Bundesrichter Oberholzer, Rüedi, 
Bundesrichterin Jametti, 
Gerichtsschreiberin Andres. 
 
Verfahrensbeteiligte 
X.________, 
vertreten durch Rechtsanwältin Dr. Yvonne Meier, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Aargau, 
Frey-Herosé-Strasse 20, Wielandhaus, 5001 Aarau, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Stationäre Massnahme (Art. 59 StGB), 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau, Strafgericht, 1. Kammer, vom 23. April 2015. 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Das Bezirksgericht Baden verurteilte X.________ am 23. September 2014 wegen qualifizierter Widerhandlungen gegen das Betäubungsmittelgesetz, mehrfacher Übertretung desselben, mehrfacher Widerhandlung gegen das Waffengesetz sowie einfacher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von 28 Monaten und einer Busse von Fr. 300.--. 
 
B.  
Das Obergericht des Kantons Aargau hiess die auf den Strafpunkt beschränkte Berufung der Staatsanwaltschaft Baden teilweise gut, erhöhte die Freiheitsstrafe auf drei Jahre und schob sie zugunsten einer stationären therapeutischen Massnahme auf. 
 
C.  
X.________ beantragt mit Beschwerde in Strafsachen, das obergerichtliche Urteil sei teilweise aufzuheben, und die Freiheitsstrafe sei nicht zugunsten einer stationären therapeutischen Massnahme aufzuschieben. Eventualiter sei die Sache zur Neubeurteilung an das Obergericht zurückzuweisen. Er ersucht um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die Anordnung einer stationären therapeutischen Massnahme und den Aufschub der Freiheitsstrafe zugunsten dieser Massnahme. Er rügt, die Vorinstanz verletze das Willkürverbot gemäss Art. 9 BV und Art. 56 i.V.m. 59 StGB, indem sie von seiner Motivierbarkeit ausgehe. Er sei weder therapiewillig noch motivierbar. Vielmehr lehne er eine stationäre therapeutische Massnahme hartnäckig ab. Da es an der unerlässlichen minimalen Behandlungseinsicht fehle, sei keine Massnahme anzuordnen. 
 
2.  
Die Vorinstanz erkennt im Gegensatz zu der ersten Instanz Anzeichen beim Beschwerdeführer, die eine minimale Motivierbarkeit und eine Behandlungseinsicht erwarten lassen. Eine stationäre therapeutische Massnahme sei nicht von vornherein zum Scheitern verurteilt. Zwar habe der Beschwerdeführer während des Verfahrens seine Abneigung gegen psychiatrische Behandlungen sowohl verbal als auch durch sein renitentes Verhalten wiederholt zum Ausdruck gebracht. Jedoch fänden sich auch Hinweise dafür, dass er gegenüber einer Massnahme nicht ganz so negativ eingestellt sei. So habe er während seines Strafvollzugs im Sommer 2009 zu einer Schnupperwoche in der Jugendwerkstatt "Work and Box" motiviert werden können. Auch während der aktuellen Untersuchungshaft und des vorzeitigen Strafvollzugs habe er zumindest teilweise auf eigene Initiative psychiatrische und seelsorgerische Hilfe in Anspruch genommen. Zudem habe er anfangs 2013 angegeben, er hätte die im Jahr 2008 vom Jugendgericht angeordnete Massnahme absolvieren sollen; diesfalls hätte er jetzt eine Ausbildung und wäre nicht im Gefängnis. Er sei an einer stationären Therapie interessiert, wobei er sich bewusst sei, dass diese länger dauern könnte als die Freiheitsstrafe. Verschiedentlich habe er geäussert, sich mit einer ambulanten Massnahme einverstanden erklären zu können. Anlässlich der Schlusseinvernahme habe er angegeben, am Liebsten wäre ihm eine Gesprächstherapie beim Gutachter. Er sei sehr wohl zu einer ambulanten Therapie bereit. Die Vorinstanz schliesst aus den Aussagen des Beschwerdeführers, dass er sich nicht einer Therapie als solcher verwehre, sondern ihn eher die Begleitumstände des Massnahmevollzugs ängstigen würden. Sie erkennt eine gewisse Krankheitseinsicht und Motivierbarkeit zur Durchführung einer stationären Behandlung. Da sie auch die übrigen Voraussetzungen für eine stationäre therapeutische Behandlung erfüllt sieht, schiebt sie die Freiheitsstrafe zugunsten der Massnahme auf. 
 
3.  
Eine Massnahme ist anzuordnen, wenn eine Strafe allein nicht geeignet ist, der Gefahr weiterer Straftaten des Täters zu begegnen, ein Behandlungsbedürfnis des Täters besteht oder die öffentliche Sicherheit dies erfordert und die Voraussetzungen der Artikel 59-61, 63 oder 64 erfüllt sind (Art. 56 Abs. 1 StGB). Die Massnahme setzt voraus, dass der mit ihr verbundene Eingriff in die Persönlichkeitsrechte des Täters im Hinblick auf die Wahrscheinlichkeit und Schwere weiterer Straftaten nicht unverhältnismässig ist (Art. 56 Abs. 2 StGB). Das Gericht stützt sich bei seinem Entscheid über die Anordnung einer therapeutischen Massnahme auf eine sachverständige Begutachtung (Art. 56 Abs. 3 StGB; BGE 134 IV 315 E. 4.3.1 S. 326). 
Nach Art. 59 Abs. 1 StGB ist für die Anordnung einer stationären therapeutischen Massnahme erforderlich, dass der Täter psychisch schwer gestört ist, sein Verbrechen oder Vergehen im Zusammenhang mit seiner psychischen Störung steht und zu erwarten ist, dadurch lasse sich der Gefahr weiterer mit seiner Störung in Zusammenhang stehender Taten begegnen. Es muss eine hinreichende Wahrscheinlichkeit dafür bestehen, dass sich durch die Behandlung die Gefahr weiterer Straftaten deutlich verringern lässt (BGE 134 IV 315 E. 3.4.1 S. 321 f.). 
 
4.  
 
4.1. Die Vorinstanz stützt die Massnahmeanordnung auf die massgebenden Gesichtspunkte. Ausser Frage steht, dass der Beschwerdeführer an einer dissozialen Persönlichkeitsstörung (ICD-10 F60.2) leidet respektive eine schwere psychische Störung im Sinne von Art. 59 Abs. 1 StGB aufweist, mit der die begangenen Straftaten in direktem Zusammenhang stehen (Art. 59 Abs. 1 lit. a StGB). Ebenso ausser Frage steht, dass von ihm eine hohe Rückfallgefahr für Gewaltdelikte und den Anlasstaten ähnliche Delikte ausgeht, welcher mit einer stationären therapeutischen Behandlung begegnet werden kann (Art. 59 Abs. 1 lit. b StGB). Erstellt sind schliesslich auch die allgemeinen Anordnungsvoraussetzungen von Art. 56 Abs. 1 und 2 StGB. Es kann auf die diesbezüglichen Ausführungen im angefochtenen Urteil verwiesen werden (Urteil S. 21 E. 6.4.2 f. und S. 24 f. E. 6.5; Beschwerde S. 7).  
 
4.2.  
 
4.2.1. Umstritten ist einzig die Frage der Zweckmässigkeit der Massnahme, dabei insbesondere die Therapiewilligkeit und die Motivation des Beschwerdeführers. Die Vorinstanz verletzt kein Bundes- oder Verfassungsrecht, indem sie trotz der vom Beschwerdeführer wiederholt geäusserten Ablehnung gegenüber therapeutischen Massnahmen aufgrund gewisser Hinweise in seinem Verhalten und den Akten auf eine zumindest geringe Motivierbarkeit des Beschwerdeführers schliesst.  
 
4.2.2. Obwohl der Beschwerdeführer in der Zusammenfassung seiner Rügen eine Verletzung des Willkürverbots aufgrund einer offensichtlich unrichtigen Sachverhaltsfeststellung geltend macht, präzisiert er sein Vorbringen nicht. Weder macht er geltend, die Vorinstanz würdige das psychiatrische Gutachten willkürlich bzw. weiche zu Unrecht davon ab, noch argumentiert er, sie stelle die Sachverhaltselemente, welche sie ihrer Würdigung zu Grunde legt, falsch fest. Vielmehr geht er vom Sachverhalt im angefochtenen Urteil aus und kritisiert dessen Würdigung. Die Willkürrüge genügt folglich den qualifizierten Begründungsanforderungen nicht (vgl. Art. 42 Abs. 2 und Art. 106 Abs. 2 BGG).  
 
4.2.3. Es trifft zu, dass eine stationäre Behandlung vom Betroffenen ein Mindestmass an Kooperationsbereitschaft verlangt (vgl. BGE 123 IV 113 E. 4c/dd S. 123 f. in Bezug auf die Einweisung in eine Arbeitserziehungsanstalt gemäss aArt. 100bis StGB). Jedoch dürfen nach Lehre und Rechtsprechung an die Therapiewilligkeit im Zeitpunkt des richterlichen Entscheids keine allzu hohen Anforderungen gestellt werden. Das Gesetz misst der Behandlungsbereitschaft des Täters lediglich bei der stationären Suchtbehandlung (Art. 60 Abs. 2 StGB), nicht aber bei der stationären Behandlung von psychischen Störungen (Art. 59 StGB) besondere Bedeutung zu. Dies trägt dem Umstand Rechnung, dass es durchaus aufgrund der psychischen Erkrankung des Betroffenen an der Fähigkeit fehlen kann, die Notwendigkeit und das Wesen einer Behandlung abzuschätzen. Mangelnde Einsicht gehört bei schweren, langandauernden Störungen häufig zum typischen Krankheitsbild. Ein erstes Therapieziel besteht daher oft darin, Einsicht und Therapiewilligkeit zu schaffen, was gerade im Rahmen stationärer Behandlungen auch Aussichten auf Erfolg hat (vgl. Urteile 6B_487/2011 vom 30. Januar 2012 E. 3.7.3; 6B_681/2010 vom 7. Oktober 2010 E. 4.3; 6B_373/2010 vom 13. Juli 2010 E. 5.5; je mit Hinweisen; siehe auch: MARIANNE HEER, in: Basler Kommentar, Strafrecht, Bd. I, 3. Aufl. 2013, N. 78 ff. zu Art. 59 StGB, insbesondere zu dissozialen bzw. antisozialen Persönlichkeitsstörungen N. 80 zu Art. 59 StGB mit Hinweisen).  
Auch im zu beurteilenden Fall wird die Einsicht und Therapiewilligkeit des Beschwerdeführers noch zu schaffen sein. Dieser brachte im vorliegenden Strafverfahren wie auch während seines früheren Massnahmevollzugs, der schliesslich abgebrochen werden musste, zum Ausdruck, dass er eine (stationäre) therapeutische Massnahme grundsätzlich ablehne (vgl. Urteil S. 22 f. E. 6.4.5, zu seinem Verhalten während des vorzeitigen Strafvollzugs ausführlich S. 17 f. E. 4.3.3; Beschwerde S. 10). Dies begründete er vor erster sowie zweiter Instanz damit, dass man weggesperrt werde, von Psychiatern abhängig sei und sich im Massnahmevollzug nur Pädophile sowie Vergewaltiger befänden (Urteil S. 23 E. 6.4.5; Akten erste Instanz, act. 50; Verhandlungsprotokoll Vorinstanz S. 6 f.). Es ist nicht zu beanstanden, wenn die Vorinstanz aus diesen und weiteren Angaben schliesst, der Beschwerdeführer lehne nicht die Behandlung selbst ab, sondern die Art, wie diese durchzuführen ist (Urteil S. 24 E. 6.4.5). Auch sein Einwand an der vorinstanzlichen Verhandlung, die Massnahme daure fünf bis zehn Jahre, aber seine Freiheitsstrafe sei bereits erstanden (Verhandlungsprotokoll Vorinstanz S. 8), deutet darauf hin, dass sich seine negative Einstellung weniger auf die Behandlung an sich bezieht als auf die Annahme, wegen der grundsätzlich unbestimmten Dauer der Massnahme werde ihm die Freiheit länger entzogen. Dass die Motivation für eine Behandlung beim Betroffenen nicht von Anfang an klar vorhanden ist, spricht aber nicht gegen ihre Anordnung. Es genügt, wenn jener wenigstens motivierbar ist (Urteile 6B_681/2010 vom 7. Oktober 2010 E. 4.3 und 6B_373/2010 vom 13. Juli 2010 E. 5.5; je mit Hinweisen). Die Vorinstanz erachtet diese Voraussetzung zu Recht als erfüllt. Das ergibt sich daraus, dass der Beschwerdeführer nach den Feststellungen der Vorinstanz während des Verfahrens vereinzelt angab, an einer ambulanten (Urteil S. 24 E. 6.4.5; Untersuchungsakten, act. 1741, 1784) bzw. stationären Massnahme (Urteil S. 23 E. 6.4.5; Untersuchungsakten, act. 916) interessiert zu sein. Damit liess er eine gewisse Bereitschaft zu einer therapeutischen Behandlung erkennen. Ein erstes Therapieziel wird darin bestehen, beim Beschwerdeführer Einsicht in die Notwendigkeit der stationären Behandlung in einer Spezialinstitution zu schaffen und seine Motivation zur Therapie zu wecken. 
Entgegen dem Einwand des Beschwerdeführers ist vorliegend nicht bereits deshalb von der Anordnung einer stationären therapeutischen Massnahme abzusehen, weil er diese kategorisch ablehnt. Ob eine und gegebenenfalls welche Massnahme anzuordnen ist, entscheidet sich nach objektiven Gesichtspunkten. Auf die subjektive Meinung der betroffenen Person kommt es hingegen grundsätzlich ebenso wenig an wie auf deren persönliche Empfindung (vgl. Urteil 6B_440/2014 vom 14. Oktober 2014 E. 5.6). Da beim Beschwerdeführer eine minimale Motivierbarkeit für eine therapeutische Behandlung erkennbar ist, erscheint die Anordnung einer stationären therapeutischen Massnahme angebracht. 
 
5.  
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Bei diesem Ausgang des Verfahrens wird der Beschwerdeführer grundsätzlich kostenpflichtig (Art. 66 Abs. 1 BGG). Sein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung ist gutzuheissen, da von seiner Bedürftigkeit auszugehen ist und seine Rechtsbegehren nicht von vornherein aussichtslos waren. Es sind keine Kosten zu erheben. Seiner Rechtsvertreterin ist eine Entschädigung aus der Bundesgerichtskasse auszurichten (Art. 64 Abs. 1 und 2 BGG). 
 
 
 Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
 
2.   
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird gutgeheissen. 
 
3.   
Es werden keine Kosten erhoben. 
 
4.   
Der Rechtsvertreterin des Beschwerdeführers, Rechtsanwältin Dr. Yvonne Meier, wird eine Entschädigung von Fr. 3'000.-- aus der Bundesgerichtskasse ausgerichtet. 
 
5.   
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Aargau, Strafgericht, 1. Kammer, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 10. Dezember 2015 
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Denys 
 
Die Gerichtsschreiberin: Andres