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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
8C_756/2022  
 
 
Urteil vom 14. Dezember 2023  
 
IV. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Wirthlin, Präsident, 
Bundesrichterinnen Heine, Viscione, 
Gerichtsschreiberin Huber. 
 
Verfahrensbeteiligte 
Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (Suva), Rechtsabteilung, Fluhmattstrasse 1, 6002 Luzern, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen  
 
A.________, 
vertreten durch Istituto Nazionale Confederale di Assistenza in Convenzione con Associazione UPSS, 
Beschwerdegegner. 
 
Gegenstand 
Unfallversicherung (Valideneinkommen), 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 26. Oktober 2022 (UV 2021/75). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Der 1964 geborene A.________ war seit 8. Juli 2019 bei der B.________ AG als Bauarbeiter angestellt und dadurch bei der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (Suva) obligatorisch unfallversichert. Mit Schadenmeldung vom 18. Juli 2019 gab die Arbeitgeberin an, A.________ sei am 10. Juli 2019 auf der Baustelle verunfallt und habe sich einen Bruch am Rücken sowie eine Beschädigung der Zahnprothese zugezogen. Die Suva erbrachte Versicherungsleistungen in Form von Heilbehandlung und Taggeld. Am 24. Februar 2021 fand eine kreisärztliche Untersuchung durch Dr. med. C.________, Facharzt für orthopädische Chirurgie und Traumatologie, statt. 
Mit Verfügung vom 28. Mai 2021 sprach die Suva A.________ eine Integritätsentschädigung von Fr. 14'820.- zu, der sie einen Integritätsschaden von 10 % zugrunde gelegt hatte. Einen Rentenanspruch verneinte sie. Die gegen diese Verfügung erhobene Einsprache wies die Suva mit Entscheid vom 21. September 2021 ab. 
 
B.  
Die dagegen erhobene Beschwerde hiess das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen mit Entscheid vom 26. Oktober 2022 teilweise gut. Es sprach A.________ mit Wirkung ab dem 1. Mai 2021 eine Invalidenrente (Invaliditätsgrad: 10 %) zu und wies die Sache zur Festsetzung der Rentenbeträge an die Verwaltung zurück. 
 
C.  
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragt die Suva, der vorinstanzliche Entscheid sei aufzuheben und der Einspracheentscheid vom 21. September 2021 sei zu bestätigen. 
A.________ schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Das Bundesamt für Gesundheit lässt sich nicht vernehmen. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Das Bundesgericht prüft seine Zuständigkeit und die (weiteren) Eintretensvoraussetzungen von Amtes wegen und mit freier Kognition (Art. 29 Abs. 1 BGG; BGE 145 V 57 E. 1; 141 V 206 E. 1.1; je mit Hinweisen).  
 
1.2. Das kantonale Gericht hat die Sache zur Festsetzung der Rentenbeträge an die Suva zurückgewiesen. Formell handelt es sich demnach um einen Rückweisungsentscheid. Dient die Rückweisung - wie hier - nur noch der Umsetzung des oberinstanzlich Angeordneten und verbleibt der unteren Instanz somit kein Entscheidungsspielraum mehr, handelt es sich materiell nicht, wie bei Rückweisungsentscheiden sonst grundsätzlich der Fall, um einen Zwischenentscheid, der bloss unter den Voraussetzungen der Art. 92 oder 93 BGG beim Bundesgericht anfechtbar wäre, sondern um einen Endentscheid im Sinne von Art. 90 BGG (BGE 135 V 141 E. 1.1 mit Hinweis). Auf die Beschwerde ist daher einzutreten (Art. 90 BGG).  
 
2.  
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 f. BGG erhoben werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG), doch prüft es - offensichtliche Fehler vorbehalten - nur die in seinem Verfahren gerügten Rechtsmängel (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG; BGE 147 I 73 E. 2.1; 145 V 57 E. 4.2; je mit Hinweis). 
Im Beschwerdeverfahren um die Zusprechung oder Verweigerung von Geldleistungen der Unfallversicherung ist das Bundesgericht nicht an die vorinstanzliche Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gebunden (Art. 97 Abs. 2 und Art. 105 Abs. 3 BGG). 
 
3.  
Streitig und zu prüfen ist, ob das kantonale Gericht dem Beschwerdegegner zu Recht mit Wirkung ab dem 1. Mai 2021 eine Invalidenrente (Invaliditätsgrad: 10 %) zugesprochen hat. Umstritten ist dabei einzig das Valideneinkommen, d.h. das Einkommen, das dieser erzielen könnte, wenn er nicht invalid geworden wäre (Art. 16 ATSG; BGE 145 V 141 E. 5.2.1). 
 
4.  
 
4.1. Die Vorinstanz hat festgestellt, dass der vom Beschwerdegegner zuletzt erzielte Lohn unter dem statistischen Zentralwert der Hilfsarbeiterlöhne gelegen habe. In den Akten deute nichts darauf hin, dass dieser als Hilfsarbeiter nur unterdurchschnittlich leistungsfähig gewesen wäre. Der Umstand, dass der Beschwerdegegner zuletzt einen unterdurchschnittlichen Lohn erzielt habe, sei auf für die Bemessung der Invalidität irrelevante Zwänge des tatsächlichen Arbeitsmarktes zurückzuführen. Hätte sich ihm die Möglichkeit geboten, eine durchschnittlich entlöhnte Hilfsarbeitsstelle anzunehmen, hätte er überwiegend wahrscheinlich davon Gebrauch gemacht. Das auf dem hier massgebenden allgemeinen und ausgeglichenen Arbeitsmarkt erzielbare Valideneinkommen entspreche folglich dem statistischen Zentralwert der Hilfsarbeiterlöhne.  
 
4.2. Die Suva wendet dagegen ein, dass der Beschwerdegegner in seiner angestammten Tätigkeit einen Lohn gemäss dem allgemeinverbindlich erklärten Landesmantelvertrag (LMV) Bauhauptgewerbe erzielt habe. Laut bundesgerichtlicher Rechtsprechung sei ein solches Einkommen nicht als unterdurchschnittlich zu werten, auch wenn es erheblich unter dem in der vom Bundesamt für Statistik herausgegebenen Schweizerischen Lohnstrukturerhebung (LSE) ausgewiesenen Durchschnittslohn im Bauhauptgewerbe liege.  
 
5.  
 
5.1.  
 
5.1.1. Bezog eine versicherte Person aus invaliditätsfremden Gründen (z.B. geringe Schulbildung, fehlende berufliche Ausbildung, mangelnde Deutschkenntnisse, beschränkte Anstellungsmöglichkeiten wegen Saisonnierstatus) ein deutlich unterdurchschnittliches Einkommen, ist diesem Umstand bei der Invaliditätsbemessung nach Art. 16 ATSG Rechnung zu tragen, sofern keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass sie sich aus freien Stücken mit einem bescheideneren Einkommensniveau begnügen wollte. Nur dadurch ist der Grundsatz gewahrt, dass die auf invaliditätsfremde Gesichtspunkte zurückzuführenden Lohneinbussen entweder überhaupt nicht oder aber bei beiden Vergleichseinkommen gleichmässig zu berücksichtigen sind (BGE 141 V 1 E. 5.4 mit Hinweisen). Diese Parallelisierung der Einkommen kann praxisgemäss entweder auf Seiten des Valideneinkommens durch eine entsprechende Heraufsetzung des effektiv erzielten Einkommens oder durch Abstellen auf die statistischen Werte oder aber auf Seiten des Invalideneinkommens durch eine entsprechende Herabsetzung des statistischen Wertes erfolgen (BGE 148 V 174 E. 6.4 mit Hinweisen).  
 
5.1.2. Der Validenlohn kann jedoch dann nicht als unterdurchschnittlich qualifiziert werden, wenn er den Mindestverdienstvorgaben eines vom Bundesrat für allgemein verbindlich erklärten Gesamtarbeitsvertrages (GAV) im entsprechenden Berufszweig entspricht, werden dort doch die branchenüblichen Einkommen präziser abgebildet als in der LSE. Eine Parallelisierung der Vergleichseinkommen fällt in einem solchen Fall daher praxisgemäss ausser Betracht (Urteil 8C_502/2022 vom 17. April 2023 E. 5.2.1 mit Hinweisen).  
 
5.2. Als Bauarbeiter der B.________ AG, ein gemäss Suva dem LMV Bauhauptgewerbe unterstellter Betrieb, was der Beschwerdegegner nicht bestreitet, erzielte dieser im Jahr 2019 einen Stundenlohn von Fr. 25.90 (exklusive Ferien- und Feiertagsentschädigungen sowie 13. Monatslohn). Diese Entschädigung entsprach der Lohnklasse C des LMV ab 1. Januar 2019. Die Suva ging in ihrem Berechnungsblatt, das ihr als Entscheidgrundlage diente, davon aus, dass der Beschwerdegegner im Jahr 2021 (möglicher Beginn eines Rentenanspruchs: 1. Mai 2021) Fr. 60'289.- verdient hätte (Fr. 26.35 pro Stunde x 176 Stunden x 13). Dabei zog sie den Stundenansatz des für die Prüfung der Unterdurchschnittlichkeit hier massgebenden Basislohnes des LMV der Lohnklasse C ab 1. Januar 2020 heran. Dieses (hypothetische) Einkommen entspricht somit den Mindestvorgaben des LMV des Bauhauptgewerbes, weshalb es rechtsprechungsgemäss grundsätzlich nicht als unterdurchschnittlich bezeichnet werden kann, selbst wenn es unter dem LSE-Lohnniveau (Tabelle TA1_tirage_skill_level, 2018, Kompetenzniveau 1, Männer) im Baugewerbe (Ziff. 41-43) liegt. Insbesondere ist hier aufgrund der sehr kurzen Dauer des Arbeitsverhältnisses und der fehlenden Berufserfahrung im Baugewerbe hierzulande auch der in Urteil 8C_759/2017 vom 8. Mai 2018 (am Ende von E. 3.2.2) aufgeworfenen Frage nicht weiter nachzugehen. Von einer Parallelisierung der Einkommen ist mithin abzusehen. Ebensowenig besteht hier entgegen der Vorinstanz Anlass dazu, um vom Grundsatz abzuweichen, wonach für die Bemessung des Valideneinkommens am zuletzt erzielten Verdienst anzuknüpfen ist (BGE 145 V 141 E. 5.2.1).  
Indem das kantonale Gericht für die Ermittlung des Valideneinkommens vom Zentralwert der Hilfsarbeiterlöhne ausgegangen ist, hat es mit Blick auf das Gesagte Bundesrecht verletzt. Der Suva folgend ist von einem Wert von Fr. 60'289.- auszugehen. 
 
5.3. Es steht fest, dass der Beschwerdegegner eine leidensadaptierte Tätigkeit ohne quantitative Einschränkungen ausüben könnte. Die Vorinstanz hat, da sie einen "Prozentvergleich" vorgenommen hat, kein konkretes Invalideneinkommen ermittelt, sondern lediglich dargelegt, dass dieses dem statistischen Zentralwert der Hilfsarbeiterlöhne entspreche. Gemäss Berechnungsgrundlagen der Suva beziffert sich das Invalideneinkommen bei der hier vorliegenden Ausgangslage auf Fr. 62'527.- (inklusive Abzug vom Tabellenlohn im Umfang von 10 %), was kein Anlass zu Weiterungen gibt. Mithin resultiert nach Durchführung eines Einkommensvergleichs (Art. 16 ATSG) bei einem Valideneinkommen von Fr. 60'289.- und einem Invalideneinkommen von Fr. 62'527.- kein anspruchsbegründender Invaliditätsgrad. Die Beschwerde ist begründet.  
 
6.  
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend sind die Gerichtskosten dem Beschwerdegegner aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Der Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 26. Oktober 2022 wird aufgehoben und der Einspracheentscheid der Suva vom 21. September 2021 bestätigt. 
 
2.  
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden dem Beschwerdegegner auferlegt. 
 
3.  
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen und dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 14. Dezember 2023 
 
Im Namen der IV. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Wirthlin 
 
Die Gerichtsschreiberin: Huber