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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
8C_24/2022  
 
 
Urteil vom 20. September 2022  
 
I. sozialrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Wirthlin, Präsident, 
Bundesrichter Maillard, Bundesrichterin Heine, 
Gerichtsschreiber Cupa. 
 
Verfahrensbeteiligte 
Schweizerische Mobiliar Versicherungsgesellschaft AG, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen  
 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Massimo Aliotta, 
Beschwerdegegner. 
 
Gegenstand 
Unfallversicherung (Unfallbegriff), 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 11. November 2021 (UV.2020.00257). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
A.________, geboren 1956, ist seit 2016 als Geschäftsführer der B.________ Unternehmen AG tätig und dadurch bei der Schweizerischen Mobiliar Versicherungsgesellschaft AG (im Folgenden: Mobiliar oder Beschwerdeführerin) gegen die Folgen von Unfällen versichert. Am 23. Oktober 2019 zog er sich eine Partialruptur der Achillessehne zu, wofür die Mobiliar eine Leistungspflicht wegen des Fehlens eines ungewöhnlichen äusseren Faktors sowie unter Verweis auf degenerative Veränderungen ablehnte (Verfügung vom 9. März 2020). Daran hielt sie auf A.________s Einsprache hin fest (Einspracheentscheid vom 15. Oktober 2020). 
 
B.  
Eine hiergegen erhobene Beschwerde des A.________ hiess das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich gut, indem es das Vorliegen eines Unfalls bejahte, den Einspracheentscheid aufhob und die Mobiliar für das Ereignis vom 23. Oktober 2019 als grundsätzlich leistungspflichtig erklärte (Urteil vom 11. November 2021). 
 
C.  
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragt die Mobiliar, das angefochtene Urteil sei aufzuheben und der Einspracheentscheid vom 15. Oktober 2020 zu bestätigen. Eventuell sei die Sache zur materiellen Behandlung einer unfallähnlichen Körperschädigung an die Vorinstanz zurückzuweisen. 
Während A.________ auf Abweisung der Beschwerde schliesst, verzichten das Sozialversicherungsgericht sowie das Bundesamt für Gesundheit (BAG) auf Vernehmlassung und die Mobiliar hält mit unaufgeforderter Stellungnahme an ihren eingangs gestellten Anträgen fest. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen Rechtsverletzungen gemäss den Art. 95 f. BGG erhoben werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Unter Berücksichtigung der allgemeinen Pflicht zur Begründung der Beschwerde (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG) prüft es grundsätzlich nur die geltend gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu offensichtlich sind (vgl. BGE 145 V 304 E. 1.1).  
 
1.2. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Im Beschwerdeverfahren um die Zusprechung oder Verweigerung von Geldleistungen der Unfallversicherung ist es jedoch nicht an die vorinstanzliche Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gebunden (Art. Abs. 2 i.V.m. Art. 105 Abs. 3 BGG; vgl. BGE 140 V 136 E. 1.2.1).  
 
2.  
Streitig ist, ob das kantonale Gericht Bundesrecht verletzte, indem es das Ereignis vom 23. Oktober 2019 als Unfall im Sinne des Art. 4 ATSG qualifizierte. Prozessthema bildet einzig die Frage, ob das Merkmal der Ungewöhnlichkeit des äusseren Faktors gegeben ist. 
 
3.  
 
3.1. Gemäss Art. 6 Abs. 1 UVG werden die Leistungen der Unfallversicherung bei Berufsunfällen, Nichtberufsunfällen und Berufskrankheiten gewährt, soweit das Gesetz nichts anderes bestimmt. Als Unfall gilt laut Art. 4 ATSG die plötzliche, nicht beabsichtigte schädigende Einwirkung eines ungewöhnlichen äusseren Faktors auf den menschlichen Körper, die eine Beeinträchtigung der körperlichen, geistigen oder psychischen Gesundheit oder den Tod zur Folge hat.  
 
3.2. Der äussere Faktor ist zentrales Begriffsmerkmal eines jeden Unfallereignisses; er ist Gegenstück zur - den Krankheitsbegriff konstituierenden - inneren Ursache (BGE 134 V 72 E. 4.1.1). Nach der Rechtsprechung ist der äussere Faktor ungewöhnlich, wenn er - nach einem objektiven Massstab - nicht mehr im Rahmen dessen liegt, was für den jeweiligen Lebensbereich alltäglich und üblich ist (BGE 142 V 219 E. 4.3.1; 134 V 72 E. 4.1; SVR 2022 UV Nr. 13 S. 55, 8C_430/2021 E. 2.3; SVR 2021 UV Nr. 28 S. 132, 8C_534/2020 E. 4.1; SVR 2017 UV Nr. 18 S. 61, 8C_53/2016 E. 3.1). Das Merkmal des ungewöhnlichen äusseren Faktors kann unter anderem in einer unkoordinierten Bewegung bestehen. Bei Körperbewegungen gilt dabei der Grundsatz, dass das Erfordernis der äusseren Einwirkung lediglich dann erfüllt ist, wenn ein in der Aussenwelt begründeter Umstand den natürlichen Ablauf einer Körperbewegung gleichsam "programmwidrig" beeinflusst hat. Bei einer solchen unkoordinierten Bewegung ist der ungewöhnliche äussere Faktor zu bejahen; denn der äussere Faktor - Veränderung zwischen Körper und Aussenwelt - ist wegen der erwähnten Programmwidrigkeit zugleich ein ungewöhnlicher Faktor (BGE 130 V 117 E. 2.1; SVR 2021 UV Nr. 21 S. 101, 8C_586/2020 E. 3.3; SVR 2020 UV Nr. 35 S. 141, 8C_671/2019 E. 2.3). Dies trifft beispielsweise dann zu, wenn die versicherte Person stolpert, ausgleitet oder an einem Gegenstand anstösst, oder wenn sie, um ein Ausgleiten zu verhindern, eine reflexartige Abwehrhaltung ausführt oder auszuführen versucht (Urteile 8C_783/2013 vom 10. April 2014 E. 4.2; 8C_749/2008 vom 15. Januar 2009 E. 3.2). Das Auftreten von Schmerzen als solches ist demgegenüber kein äusserer (schädigender) Faktor im Sinne der Rechtsprechung (BGE 129 V 466 E. 4.2.1; Urteil 8C_456/2018 vom 12. September 2018 E. 6.3.2). Einwirkungen, die aus alltäglichen Vorgängen resultieren, taugen in aller Regel nicht als Ursache einer Gesundheitsschädigung (BGE 134 V 72 E. 4.1). Ferner ist zu beachten, dass sich der medizinische Begriff des Traumas nicht mit dem versicherungsrechtlichen Unfallbegriff im Sinne von Art. 4 ATSG deckt (Urteil [des Eidg. Versicherungsgerichts] U 199/03 vom 10. Mai 2004 E. 1, nicht publ. in: BGE 130 V 380; SVR 2011 UV Nr. 11 S. 39, 8C_693/2010 E. 7; Urteil 8C_589/2021 vom 17. Dezember 2021 E. 5.5). Ausschlaggebend ist also, dass sich der äussere Faktor vom Normalmass an Umwelteinwirkungen auf den menschlichen Körper abhebt (BGE 134 V 72 E. 4.3.1; SVR 2015 UV Nr. 6 S. 21, 8C_231/2014 E. 2.3).  
 
4.  
Die Vorinstanz stellte hinsichtlich des streitbetroffenen Ereignisses vom 23. Oktober 2019 unbestritten fest, der Beschwerdegegner habe beim Materialtransport auf einer Treppe mit dem linken Fuss schlecht aufgetreten und sei bei der folgenden Belastung mit der Ferse nach unten eingebrochen (Unfallmeldung vom 5. November 2019). Er habe um circa 21 Uhr auf den Armen Essen, Geschirr und Harassen vom Haus zum Auto und zurück über eine Betontreppe mit drei ungefähr 20 cm hohen Stufen getragen. Beim dritten Mal sei er mit dem linken Fuss lediglich mit den Zehenspitzen auf eine Stufe getreten, habe mit dem rechten Fuss nachgehen beziehungsweise aufsteigen wollen und sei wegen der Belastung - ohne dabei zu stürzen - abgesackt. Tags darauf hätten die Ärzte bildgebend eine hochgradige Partialruptur der Achillessehne (90%) diagnostiziert, die in der Folge operativ behoben worden sei. In Würdigung dessen bejahte das kantonale Gericht das Vorliegen eines ungewöhnlichen äusseren Faktors, da der normale Bewegungsablauf beim Treppensteigen durch ein "nicht richtiges Auftreten" auf der Treppe im Sinne einer unkoordinierten Bewegung gestört worden sei. 
 
5.  
 
5.1. Die Beschwerdeführerin rügt zusammengefasst, es liege ein völlig normaler Bewegungsablauf des Treppensteigens vor, der durch nichts Aussergewöhnliches beeinflusst worden sei.  
 
5.2. Treppensteigen stellt nach der Rechtsprechung eine alltägliche Lebensverrichtung und physiologische Beanspruchung des Körpers ohne erhöhtes Gefährdungspotential dar (Urteile 8C_40/2017 vom 11. April 2017 E. 6; 8C_766/2010 vom 15. Juni 2011 mit Verweis auf BGE 129 V 466 E. 4.2.2). Auch das wiederholende Auf- und Absteigen auf eine zwischen 10 und 20 cm hohe Plattform beim Stepp-Aerobic, bei dem nicht gesprungen wird, stellt keine gesteigerte Gefahrenlage dar. Ebensowenig führt allein das blosse Be- oder Absteigen eines Steppers im Rahmen einer Aerobic-Choreographie zu einer unkontrollierbaren Bewegung. Anders wäre dies, falls der Stepper beim Absteigevorgang wegrutschen würde (Urteil 8C_11/2015 vom 30. März 2015 E. 3.2). Desgleichen sind ein Treppensturz (Urteil 8C_40/2017 vom 11. April 2017 E. 6) wie auch ein ausgewiesener Misstritt beim Treppensteigen als ungewöhnlicher äusserer Faktor zu werten (Urteil [des Eidg. Versicherungsgerichts] U 236/98 vom 3. Januar 2000 E. 3b). Das Merkmal der Ungewöhnlichkeit, und damit das Vorliegen eines Unfalls, ist allerdings selbst bei einer Sportverletzung ohne besonderes Vorkommnis zu verneinen (vgl. BGE 130 V 117 E. 2.2; SVR 2014 UV Nr. 21 S. 67, 8C_835/2013 E. 5.1; Urteil 8C_570/2019 vom 8. November 2019 E. 3.2).  
 
5.3. Die Vorinstanz erblickte im "nicht richtigen Auftreten" auf der Treppe eine unkoordinierte Bewegung im Sinne eines ungewöhnlichen äusseren Faktors. Ein Misstritt oder gar ein Sturz sind nicht erstellt (vgl. E. 4 hiervor). Der Beschwerdegegner bringt nicht vor, er habe einen Tritt übersehen, das Gleichgewicht verloren oder sei ohne Untergrund ins Leere getreten. Auch macht er nicht geltend, die Treppe sei von ihrer Gestaltung her eigenartig beschaffen gewesen oder habe sich durch Umwelteinflüsse in einem besonderen Zustand (z.B. Nässe oder Vereisung) befunden. Vielmehr stieg er mit etwas in der Hand eine normale, kleine Treppe hoch. Dieser Vorgang beinhaltet nichts Ungewöhnliches, selbst wenn er bloss mit dem vorderen Teil des Fusses und nicht mit der gesamten Fussfläche auf der Treppenstufe auftrat. Das Absinken der Ferse auf den tiefer liegenden Tritt sprengt den Rahmen des zu Erwartenden bei der Ausgangslage nicht und stellt kein besonderes Vorkommnis dar. Trotz aufgetretener Gesundheitsschädigung erfüllt allein die Absenkung der Ferse beim alltäglichen Treppensteigen ohne zusätzliche Programmwidrigkeit die Anforderungen an den zur Bejahung des Unfallbegriffs unabdingbaren äusseren Faktor im Sinne von Art. 4 ATSG nicht.  
 
5.4. Zusammenfassend verletzte das kantonale Gericht Bundesrecht, indem es das Vorliegen eines ungewöhnlichen äusseren Faktors im Sinne des Art. 4 ATSG und damit einen Unfall bejahte.  
 
6.  
 
6.1. Das Bundesgericht entscheidet kassatorisch oder reformatorisch (vgl. Art. 107 Abs. 2 BGG). Die Vorinstanz äusserte sich einzig zur Frage, ob ein Unfall im Sinne von Art. 6 Abs. 1 UVG vorliege, und sah von Ausführungen zur Leistungspflicht unter dem Gesichtspunkt einer Listenverletzung nach Art. 6 Abs. 2 UVG ab. Mithin ist ein reformatorischer Entscheid nicht möglich (vgl. BGE 140 III 24 E. 3.3). In Aufhebung des angefochtenen Urteils ist die Sache zur materiellen Prüfung dieser Voraussetzungen und zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen (vgl. BGE 146 V 51 E. 9.1; Urteil 8C_445/2021 vom 14. Januar 2022 E. 3.1).  
 
6.2. Die Rückweisung der Sache an die Vorinstanz mit noch offenem Ausgang gilt für die Frage der Auferlegung der Prozesskosten als vollständiges Obsiegen (Art. 66 Abs. 1, Art. 68 Abs. 2 BGG; BGE 132 V 215 E. 6.1; SVR 2019 UV Nr. 12 S. 47, 8C_62/2018 E. 6 mit Hinweisen). Demnach hat der Beschwerdegegner die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Die Beschwerdeführerin hat keinen Anspruch auf eine Parteientschädigung (Art. 68 Abs. 3 BGG).  
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
 
1.  
Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen. Das Urteil des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 11. November 2021 wird aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückgewiesen. Im Übrigen wird die Beschwerde abgewiesen. 
 
2.  
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden dem Beschwerdegegner auferlegt. 
 
3.  
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich und dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 20. September 2022 
 
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Wirthlin 
 
Der Gerichtsschreiber: Cupa