93 I 1
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Chapeau
93 I 1
1. Urteil vom 15. März 1967 i.S. X. gegen Regierungsrat des Kantons Zürich.
Regeste
Art. 88 OJ; art. 4 Cst; art. 9 al. 2 lettre b de la LF sur le séjour et l'établissement des étrangers.
1. L'étranger a qualité pour attaquer, par la voie du recours de droit public pour violation de l'art. 4 Cst, certaines décisions en matière de police des étrangers, notamment le retrait du permis de séjour (consid. 1; changement de jurisprudence).
2. Pouvoir d'examen du Tribunal fédéral en cas de recours contre de telles décisions (consid. 3).
3. Notion de la conduite qui "donne lieu à des plaintes graves" au sens de l'art. 9 al. 2 lettre b de la LF sur le séjour et l'établissement des étrangers (consid. 3 a). Dans quelle mesure des relations adultérines peuvent-elles être comprises dans cette notion? (consid. 3 b). Une autorisation de séjour ne peut être révoquée que si cette mesure apparaît adaptée aux circonstances (consid. 4).
4. Police des étrangers et égalité devant la loi (consid. 1a et 5).
Die 1942 geborene ledige deutsche Staatsangehörige X. reiste am 9. Oktober 1964 auf Grund einer Stagiaire-Bewilligung in die Schweiz ein, um in Zürich als Bankangestellte zu arbeiten. Nach Ablauf der verlängerten Stagiaire-Bewilligung wurde ihr am 15. April 1966 eine bis zum 31. März 1967 gültige ordentliche Aufenthaltsbewilligung erteilt. Im Oktober 1966 kam den Behörden zur Kenntnis, dass Frl. X. seit Ende Oktober 1964 ehebrecherische Beziehungen zu dem in Schaffhausen niedergelassenen, dreissig Jahre älteren verheirateten deutschen Staatsangehörigen Y. unterhält, die sie nicht aufgeben will.
Nach Abklärung des Sachverhalts widerrief die Fremdenpolizei des Kantons Zürich mit Verfügung vom 8. November 1966 gestützt auf Art. 9 Abs. 2 lit. b ANAG die Aufenthaltsbewilligung wegen ehestörenden, sittenwidrigen Verhaltens. Frl. X. rekurrierte dagegen. Der Regierungsrat hat den Rekurs am 19. Januar 1967 abgewiesen. Er hat dazu ausgeführt, der Ehebruch stelle eine Missachtung der geltenden Rechts- und Sittenordnung dar, die im Sinne des Fremdenpolizeirechts zu schweren Klagen Anlass gebe. Ob eine Ehe schon vor dem Erscheinen des Ausländers ganz oder teilweise zerrüttet gewesen sei, spiele dabei keine Rolle, da die Tatsache, dass eine Ehe unglücklich sei, einer Drittperson nicht das Recht verschaffe, als Störer zwischen die Ehegatten zu treten.
Frl. X. führt hiergegen staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung des Art. 4 BV.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1. Das Bundesgericht hat in BGE 91 I 49 /50 seine Rechtsprechung bestätigt, wonach der Ausländer nicht befugt ist, gegen einen seinen Aufenthalt oder seine Niederlassung betreffenden kantonalen Entscheid staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung des Art. 4 BV zu führen. Es hat in BGE 92 I 15 an dieser Stellungnahme festgehalten, sie jedoch dahin verdeutlicht, dass dem Ausländer das genannte Rechtsmittel zur Geltendmachung schwerwiegender Verfahrensmängel eines solchen Entscheides offen steht. In einem Urteil vom 3. Februar 1967 hat das Bundesgericht seine Rechtsprechung überprüft und ist dabei zu folgenden, von der bisherigen Praxis abweichenden Schlüssen gelangt:
a) Der Gleichheitssatz des Art. 4 BV und das damit verknüpfte Willkürverbot binden den Gesetzgeber, den Richter und die Verwaltung (BGE 91 I 84 Erw. 2 mit Verweisungen). Diese Bindung gilt auch für Ermessensentscheidungen: Die Behörden haben ihr Ermessen pflichtgemäss zu handhaben, was insbesondere bedeutet, dass sie die das betreffende Gebiet beherrschenden allgemeinen Rechtsgrundsätze zu wahren haben (BGE 89 I 463 b, BGE 90 I 343 c). Wie in sachlicher, so ist auch in persönlicher Hinsicht der Geltungsbereich des Art. 4 BV nicht eingeschränkt. Aus dem Wortlaute dieser Verfassungsbestimmung, der von der Gleichheit der "Schweizer" vor dem Gesetze spricht, darf nicht geschlossen werden, sie beziehe sich nur auf das Verhältnis der staatlichen Gewalten zu den eigenen Staatsangehörigen. Die Bundesverfassung verwendet den Ausdruck "Schweizer" je nach dem sachlichen Zusammenhang für Schweizerbürger oder für das Individuum als solches. Dass Art. 4 BV den Ausdruck im zweiten Sinne gebraucht, erhellt schon daraus, dass der Rechtsstaat die Geltung des für ihn grundlegenden Gebotes der Rechtsgleichheit und des damit verbundenen Verbotes der materiellen und formellen Rechtsverweigerung nicht auf einen Teil der Rechtsunterworfenen beschränken kann. Das Bundesgericht hat demgemäss, vor allem in der Rechtsprechung zum rechtlichen Gehör, Art. 4 BV von jeher auch auf (in der Schweiz oder im Ausland wohnende) Ausländer angewandt (vgl. BGE 14 S. 493; 22 S. 358;BGE 28 I 319;BGE 34 I 259;BGE 39 I 22;BGE 40 I 15Erw. 3;BGE 41 I 148;BGE 48 I 285Erw. 1;BGE 51 I 102;BGE 55 I 223;BGE 74 I 99Erw. 1, 361;BGE 75 I 214Erw. 2;BGE 78 I 205Erw. 1; BGE 91 I 496; BGE 92 I 15).
Daraus folgt allerdings nicht, dass Art. 4 BV eine besondere Behandlung des Ausländers schlechthin ausschlösse. Der Gleichheitssatz gebietet, Gleiches nach Massgabe seiner Gleichheit gleich, Ungleiches aber nach Massgabe seiner Ungleichheit ungleich zu behandeln (BGE 90 I 162 Erw. 2 mit Verweisungen). Wo die Verschiedenheit der zu erfassenden tatsächlichen Verhältnisse es erfordert, kann darum eine von der allgemeinen Ordnung abweichende Sonderregelung getroffen werden. Solche Unterschiede können, namentlich auf dem Gebiete des Niederlassungswesens im weiteren Sinne, zwischen Inländern und Ausländern sowie in einzelnen Punkten auch zwischen Ausländern bestehen, die aus verschiedenen Ländern stammen (VEBB 31 Nr. 105 II) oder verschieden enge Beziehungen zum Gaststaat angeknüpft haben. Die diesen Unterschieden Rechnung tragenden Sonderbestimmungen für Ausländer verstossen daher nicht gegen Art. 4 BV. Da der Grundsatz der Rechtsgleichheit sich auch auf die Handhabung derartigen Sonderrechts erstreckt, ist hingegen Art. 4 BV verletzt, wenn die Verwaltung oder der Richter bei der Anwendung der betreffenden Vorschriften auf den gegebenen Fall in Willkür verfallen oder gegenüber andern Fällen Unterscheidungen treffen, die sich nicht mit der Verschiedenheit der tatsächlichen Verhältnisse begründen lassen.
b) Zu untersuchen ist, wieweit der Ausländer dem Schutz, den die Bundesverfassung ihm dergestalt zuteil werden lässt, auch prozessual Nachachtung verschaffen kann. Laut Art. 88 OG kommt das Recht zur Beschwerdeführung "Bürgern (Privaten) und Korporationen bezüglich solcher Rechtsverletzungen zu, die sie durch allgemein verbindliche oder sie persönlich treffende Erlasse oder Verfügungen erlitten haben". Unter "Bürgern" sind in diesem Zusammenhang, wie die Beifügung "Private" verdeutlicht, alle Träger verfassungsmässiger Rechte zu verstehen, also nicht nur die schweizerischen Staatsangehörigen, sondern auch die Ausländer, soweit ihnen verfassungsmässige Rechte zuteil werden. Als weitere Voraussetzung des Beschwerderechts stellt Art. 88 OG die Beschwerung auf: Zur Beschwerde ist nur zugelassen, wer durch den angefochtenen Hoheitsakt in seinen rechtlich erheblichen Interessen berührt wird und möglicherweise und seinen hinlänglich begründeten Behauptungen nach in dieser Rechtsstellung geschmälert wird (BGE 91 I 413 /4).
Gemäss Art. 4 ANAG entscheidet die Behörde "im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften und der Verträge mit dem Ausland nach freiem Ermessen über die Bewilligung von Aufenthalt, Niederlassung und Toleranz". Auch wenn die landesrechtlichen und staatsvertraglichen Voraussetzungen erfüllt sind, hat der Ausländer somit, von einzelnen Ausnahmen abgesehen, keinen Anspruch auf Erteilung der Bewilligung. Ist diese ihm jedoch einmal erteilt worden, so kommen ihm während deren Dauer die Rechte zu, die das Gesetz an deren Vorliegen knüpft, und er hat einen Anspruch auf Wahrung dieser Befugnisse. Wird dem Ausländer die Rechtsstellung, die ihm in der fremdenpolizeilichen Bewilligung eingeräumt worden ist, vor deren Ablauf entzogen, so wird er dadurch in rechtlich erheblichen Interessen betroffen; er ist im Sinne des Art. 88 OG beschwert. Der Ausländer ist demnach zur staatsrechtlichen Beschwerde gegen den Widerruf der Bewilligung zuzulassen.
Andere Überlegungen gelten, wenn dem Ausländer eine fremdenpolizeiliche Bewilligung verweigert worden ist. Wenn er auch nach dem Gesagten keinen Anspruch auf Erteilung der Bewilligung hat, so hat er doch ein Recht darauf, dass die Behörde auf ein ordnungsgemäss eingereichtes Gesuch um Bewilligung eintritt und es unter Wahrung der Grundsätze des rechtlichen Gehörs prüft. Wird das Gesuch unter Missachtung grundlegender Verfahrensvorschriften nicht an Hand genommen oder abgewiesen, so wird der Ausländer dadurch in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt; er ist, gleich wie in dem in BGE 92 I 15 behandelten Fall, im Hinblick auf diese Beeinträchtigung seiner formellen Rechtsstellung befugt, Verfahrensmängel mit der staatsrechtlichen Beschwerde geltend zu machen. Dem steht auch Art. 18 Abs. 1 ANAG nicht entgegen, welcher den eine Bewilligung verweigernden kantonalen Entscheid als endgültig erklärt, weil damit nur die Beschwerde an den Bundesrat gemäss Art. 125 Abs. 1 lit. b OG (vgl. VEBB 27 Nr. 24), nicht aber die staatsrechtliche Beschwerde an das Bundesgericht ausgeschlossen wird (BGE 91 I 49, vgl. auch BGE 92 I 215 Erw. 1). Ob es dem Ausländer darüber hinaus auch zustehe, die Verweigerung einer fremdenpolizeilichen Bewilligung wegen materieller Mängel und namentlich wegen Ermessensfehlern anzufechten, ist eine andere Frage, die hier offen bleiben kann.
c) Die vorliegende Beschwerde richtet sich gegen den Widerruf
BGE 93 I 1 S. 6
einer bis zum 31. März 1967 befristeten Aufenthaltsbewilligung. Da diese Frist noch läuft, hat die Beschwerdeführer in ein aktuelles Interesse an der Überprüfung der Verfassungsmässigkeit des angefochtenen Entscheids. Auf die Beschwerde ist demnach einzutreten.
2. Der Widerruf der Aufenthaltsbewilligung im Sinne des Art. 9 Abs. 2 lit. b ANAG unterscheidet sich nach Geltungsbereich, Voraussetzungen und Wirkungen von der Ausweisung gemäss Art. 10 ANAG. Beide Normen werden zwar durch gewisse allgemeine Grundsätze des Fremdenpolizeirechts verbunden; auch lassen gerade die bestehenden Unterschiede Rückschlüsse auf die Tragweite einzelner gesetzlicher Ausdrücke zu. Im übrigen kann Art. 10 indessen nicht zur Auslegung des Art. 9 ANAG herangezogen werden. Wenn die Beschwerdeführerin die Voraussetzungen des Art. 9 Abs. 2 lit. b ANAG in allgemeiner Weise denjenigen des Art. 10 Abs. 1 ANAG gleichsetzt, so kann ihr darin nicht gefolgt werden.
3. Nach Art. 9 Abs. 2 lit. b ANAG kann die Aufenthaltsbewilligung widerrufen werden, wenn das Verhalten des Ausländers "Anlass zu schweren Klagen gibt". Der Begriff der "schweren Klagen" (plaintes graves, gravi lagnanze) ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, der seinen Inhalt aus dem Sinn und Zweck der Vorschrift sowie aus deren Stellung im Gesetz und im Rechtssystem gewinnt. Dessen ungeachtet geniesst die Behörde, die ihn auf den Einzelfall anzuwenden hat, einen gewissen Beurteilungsspielraum. Der Gesetzgeber hat davon abgesehen, die Sorge für die richtige Wahrung dieses Spielraumes einer Bundesbehörde zu übertragen, wie er es in Art. 20 Abs. 1 ANAG für die Ausweisung aus der Schweiz getan hat; er hat den Entscheid vielmehr den kantonalen Instanzen belassen. Die staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung des Art. 4 BV kann ihrem Wesen nach nicht die Aufgabe des nicht gegebenen ordentlichen Rechtsmittels übernehmen, das zu einer freien Überprüfung der Rechts- und Tatfragen führen würde; sie erlaubt dem Bundesgericht vielmehr lediglich, gegen Willkür, Rechtsungleichheit und Gehörsverweigerung einzuschreiten. Willkür aber liegt nur vor, wenn ein Entscheid nicht nur unrichtig, sondern darüber hinaus schlechthin unhaltbar ist. Das trifft namentlich zu, wenn der Entscheid einen allgemeinen Rechtsgrundsatz oder eine Norm offensichtlich schwer verletzt oder er in stossender Weise dem Gerechtigkeitsgedanken
BGE 93 I 1 S. 7
zuwiderläuft (BGE 90 I 139 Erw. 2), so beispielsweise auch, wenn der Entscheid an einem echten Widerspruch krankt (BGE 24 I 427, 436;BGE 37 I 490;BGE 45 I 33;BGE 71 I 230;BGE 75 I 233; BGE 91 I 207) oder auf offenkundig aktenwidrigen tatsächlichen Feststellungen beruht (BGE 25 I 412/13,BGE 62 I 62mit Verweisungen). Wo es, wie hier, um die Handhabung unbestimmter Rechtsbegriffe geht, ist in der Annahme der Willkür zudem besondere Zurückhaltung zu üben, weil die Bedeutung der Norm nicht von vornherein eindeutig erkennbar ist, weshalb es schwer hält, der rechtsanwendenden Behörde eine "offensichtliche" Missachtung des Gesetzeswillens vorzuwerfen.a) Art. 9 Abs. 2 lit. b ANAG ist - wie das Gesetz als Ganzes seinem Wesen nach (VEBB 25 Nr. 99) - polizeilicher Natur. Die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, die Aufgabe der Polizei ist, obliegt der Behörde von Amtes wegen und grundsätzlich nicht erst auf Antrag eines Bürgers hin. Wenn die genannte Bestimmung von einem Verhalten spricht, das "Anlass zu schweren Klagen gibt", so heisst das deshalb nicht, dass das Verhalten des Ausländers aus Kreisen der Bevölkerung beanstandet worden sein muss; entscheidend ist vielmehr, dass objektiv Grund zu Klagen besteht. Die Verwendung der Mehrzahl "Klagen" besagt nicht, dass der Ausländer wiederholt Anlass zu Klagen gegeben haben müsse; es wird damit lediglich unterstrichen, dass der Fall eine gewisse Schwere aufzuweisen hat.
Da die Polizei die öffentliche Ordnung und Sicherheit zu schützen hat, kann nur ein Verhalten, das öffentliche Belange beeinträchtigt, gemäss Art. 9 Abs. 2 lit. b ANAG Grund zu Klagen geben. Entsprechend der Zwecksetzung des ANAG ist indessen der Kreis der wegen ihrer Bedeutung für die Öffentlichkeit geschützten Rechtsgüter ein weiterer als im Bereiche der allgemeinen Sicherheitspolizei. Das Fremdenpolizeirecht des Bundes dient der Abwehr der Überfremdung und der Vermeidung einer Störung des Arbeitsmarktes einerseits (Botschaft des Bundesrates vom 8. März 1948 über die Abänderung und Ergänzung des ANAG; BBl 1948 I S. 1293), dem Schutze des Gaststaates und der darin geltenden Ordnung (vgl. Art. 10 Abs. 1 lit. b ANAG) andererseits. Diese Ordnung umfasst neben dem Recht auch die ihm zugrunde liegenden sittlichen Werte und gesellschaftlichen Strukturen (vgl. Art. 16 Abs. 2 ANAV). Der Schutz der Fremdenpolizei wird dergestalt auch
BGE 93 I 1 S. 8
Rechtsgütern zuteil, die trotz des öffentlichen Interesses, das an ihnen besteht, gemeinhin der gesellschaftlichen oder privaten Sphäre zugerechnet werden und deren Wahrung die Sicherheitspolizei daher den Privaten und der Zivilgerichtsbarkeit überlässt. Das zeigt sich gerade auf dem Gebiete der Ehe und der Sitte im Allgemeinen, aber auch dort, wo es um die Aufrechterhaltung von Treu und Glauben im Geschäftsverkehr geht. Die Fremdenpolizei darf dabei allerdings nie so weit gehen, sich reiner Privatinteressen anzunehmen und sich zur Durchsetzung privater Forderungen zur Verfügung zu stellen; zur Geltendmachung solcher Ansprüche steht vielmehr auch dem Ausländer gegenüber allein der Weg der gerichtlichen Klage offen. Die Fremdenpolizei hat darum streng darauf zu achten, in allen Angelegenheiten, die auch die Privatsphäre berühren, ausschliesslich das öffentliche Interesse wahrzunehmen.Da der Widerruf einer Aufenthaltsbewilligung eine einschneidende Massnahme ist, ist sie nur anzuordnen, wenn das Verhalten des Ausländers Anlass zu "schweren" Klagen gibt. Wie die Gegenüberstellung mit Art. 10 Abs. 1 lit. a ANAG zeigt, ist ein Fall nicht nur dann "schwer", wenn das Verhalten des Ausländers strafbar ist; umgekehrt ist aber auch nicht jeder Straftatbestand ohne weiteres als Anlass zu "schweren" Klagen zu betrachten. Die Behörde, die über den Widerruf einer Aufenthaltsbewilligung zu befinden hat, braucht sich deshalb nicht mit der strafrechtlichen Würdigung des Sachverhaltes zu befassen. Sie hat die Frage, ob der Fall schwer wiege, vielmehr nach fremdenpolizeilichen Gesichtspunkten zu beantworten, wobei sie die Bedeutung des verletzten Rechtsgutes innerhalb der staatlichen und gesellschaftlichen Ordnung des Gastlandes einerseits und die Umstände der Tat sowie die persönlichen Verhältnisse des beteiligten Ausländers andererseits in Betracht zu ziehen hat.
b) Das Verhalten, das Anlass zu "schweren Klagen" gibt, wird im vorliegenden Fall darin erblickt, dass die ledige Beschwerdeführerin seit Ende Oktober 1964 ehebrecherische Beziehungen zu dem in Schaffhausen niedergelassenen, verheirateten deutschen Staatsangehörigen Y. unterhält, die sie nicht aufgeben will. Die Beschwerdeführerin beruft sich gegenüber diesem Vorwurf auf die "Freiheit, seinen Geschlechtspartner in eigener Verantwortlichkeit zu wählen". Dieser Freiheit sind jedoch im Institut der Ehe Schranken gesetzt, die nicht allein
BGE 93 I 1 S. 9
sittlicher, sondern auch rechtlicher Art sind. Gemäss Art. 159 ZGB werden die Ehegatten durch die Trauung zur ehelichen Gemeinschaft verbunden; sie schulden einander Treue und Beistand. Die Pflicht zur Treue verbietet beiden Ehegatten in gleicher Weise geschlechtliche Beziehungen zu Dritten (LEMP, N. 18 zu Art. 159 ZGB). Der Dritte seinerseits hat diese Pflicht zu achten; unterhält er mit einem Ehegatten ehewidrige Beziehungen, so verletzt er damit den andern Ehegatten in den durch Art. 28 ZGB geschützten persönlichen Verhältnissen (BGE 84 II 331). Die Bedeutung, die der Ehe als Grundlage der Familie in der Gesellschaft und im Staate zukommt (vgl. Art. 34 quinquies BV), lässt den Ehebruch indessen nicht nur als Missachtung der Rechte des andern Ehegatten, sondern darüber hinaus als Verstoss gegen die öffentliche Ordnung erscheinen. Das gilt ungeachtet dessen, ob im gegebenen Fall die Strafbarkeitsbedingungen des Art. 214 StGB erfüllt seien, und ohne Rücksicht darauf, dass der Sicherheitspolizei ein Einschreiten verwehrt wäre; denn das ANAG zieht aus den erwähnten Gründen den Kreis der geschützten Rechtsgüter weiter als das Strafrecht und das allgemeine Polizeirecht. Der Ehebruch ist damit ein Verhalten, das gemäss Art. 9 Abs. 2 lit. b ANAG zu "Klagen" Anlass geben kann.Objektiv betrachtet, das heisst im Hinblick auf die Bedeutung des verletzten Rechtsgutes, wiegt der Ehebruch schwer. Bei dieser Feststellung kann es jedoch nicht sein Bewenden haben. Nach dem Gesagten sind bei der Beurteilung der Schwere des beanstandeten Verhaltens vielmehr auch die subjektiven Verhältnisse in Betracht zu ziehen, die sich in jedem Falle anders gestalten (vgl. BGE 84 II 331 ff.) und die darum unter Vermeidung jeder Schematisierung besonders geprüft werden müssen. Die Beschwerdeführerin brachte im kantonalen Verfahren vor, die Ehe ihres Freundes sei schon vorher keine gute gewesen; die Ehefrau habe nun die Scheidungsklage eingereicht; werde die Scheidung ausgesprochen, so gedenke sie, die Beschwerdeführerin, ihren Freund zu heiraten. Der Regierungsrat hat diesen Einwand mit der Begründung zurückgewiesen, der Umstand, dass eine Ehe unglücklich sei, verschaffe einer Drittperson nicht das Recht, als Störer zwischen die Ehegatten zu treten. Die Beschwerdeführerin hat sich mit dieser Erwägung nicht näher auseinandergesetzt, geschweige denn dargetan, dass die Betrachtungsweise des Regierungsrates
BGE 93 I 1 S. 10
unhaltbar sei. Nach den Akten erhob Frau Y. erst Scheidungsklage, nachdem der Ehemann sich mit der Beschwerdeführerin eingelassen hatte; auf sein Versprechen, von seiner Freundin abzulassen, zog sie die Klage zurück; als sie sich in ihren Erwartungen getäuscht sah, reichte sie die Klage wieder ein. Wenn die Akten auch keinen Aufschluss darüber geben, inwieweit neben der Untreue des Ehemannes auch andere Ursachen zu den ehelichen Schwierigkeiten führten, so lassen sie doch die Annahme zu, dass das Dazwischentreten der (um dreissig Jahre jüngeren) Beschwerdeführerin wesentlich dazu beitrug, der Ehefrau das weitere Zusammenleben als unzumutbar erscheinen zu lassen. Die Beschwerdeführerin, der von Anfang an bekannt war, dass ihr Freund verheiratet ist, nahm es in Kauf, dass sie durch ihre andauernden und intensiven Beziehungen zu ihm seine Ehe aufs Spiel setze. Angesichts dieser Umstände konnte der Regierungsrat mit sachlichen Gründen und damit ohne Willkür zum Schluss gelangen, das Verhalten der Beschwerdeführerin gebe zu "schweren Klagen" Anlass.
4. Während Art. 9 ANAG in Abs. 1 vom "Erlöschen" der Aufenthaltsbewilligung handelt, zählt Abs. 2 die Voraussetzungen auf, worunter eine solche Bewilligung widerrufen werden "kann". Aus der Gegenüberstellung der beiden Absätze ergibt sich, dass das Vorliegen der in Abs. 2 lit. a und b genannten Umstände nicht zwangsläufig zum Widerruf der Aufenthaltsbewilligung führt, sondern dass es im Ermessen der Behörde liegt, ob an den Tatbestand diese Rechtsfolge zu knüpfen sei oder nicht. Bei der Handhabung ihres Ermessens hat die Behörde sich an die Richtlinien zu halten, die das Gesetz in Art. 11 Abs. 3 für die Ausweisung aufgestellt hat, die aber als Ausfluss eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes (VEBB 25 Nr. 99 S. 198) auch für den Widerruf der Aufenthaltsbewilligung nach Art. 9 Abs. 2 lit. 1 und b ANAG gelten: sie hat die Massnahme nur anzuordnen, wenn diese "nach den gesamten Umständen angemessen erscheint" und darin keine "unnötige Härte" liegt. Bei der Beurteilung der Angemessenheit sind dabei nach dem sinngemäss anwendbaren Art. 16 Abs. 3 ANAV namentlich die "Schwere des Verschuldens des Ausländers", die "Dauer seiner Anwesenheit in der Schweiz" und "die ihm und seiner Familie drohenden Nachteile" zu berücksichtigen. Dem Bundesgericht steht auch in diesem Punkte auf Beschwerde wegen Verletzung des Art. 4 BV hin nur eine eingeschränkte
BGE 93 I 1 S. 11
Überprüfung zu: Es hat lediglich zu befinden, ob die kantonale Instanz dem Ausländer das rechtliche Gehör gewährt, den Grundsatz der Rechtsgleichheit beachtet und ihr Ermessen nicht missbraucht oder überschritten habe.Die Beschwerdeführerin hat vor den kantonalen Behörden nicht geltend gemacht, der Widerruf der Aufenthaltsbewilligung treffe sie unnötig hart oder sei in anderer Hinsicht unangemessen. Sie hat sich erstmals vor dem Bundesgericht über eine Missachtung des Grundsatzes der Verhältnismässigkeit beklagt. Die betreffende Rüge ist neu und daher in einer staatsrechtlichen Beschwerde wegen Verletzung des Art. 4 BV unzulässig (BGE 84 I 164 Erw. 1; BGE 87 I 99 Erw. 2, 178 Erw. 3; BGE 89 I 244 Erw. 1; BGE 90 I 158). Die erhobenen Einwendungen hielten übrigens einer materiellen Überprüfung nicht stand. Die Beschwerdeführerin wurde von den Behörden ausdrücklich darauf aufmerksam gemacht, dass sie mit fremdenpolizeilichen Massnahmen rechnen müsse, wenn sie die Beziehungen zu ihrem Freund nicht abbreche. Sie irrt, wenn sie meint, diese Warnung hätte in die Form einer Bedingung (im Sinne von Art. 5 Abs. 1 Satz 2 ANAG) gekleidet werden müssen. In der Bedingung wird dem Ausländer eine an sich erlaubte Tätigkeit untersagt; die allgemeinen Rechtsgebote aber, zu denen das Verbot ehewidriger Beziehungen gehört, gelten für den Ausländer (wie für den Inländer) schon kraft Gesetzes und nicht erst nach Auferlegung einer entsprechenden Bedingung. Da die Beschwerdeführerin erst seit rund zweieinhalb Jahren in der Schweiz weilt, sie jung ist und ihre Familie in Deutschland hat, konnte der Regierungsrat ohne Überschreitung seines Ermessens annehmen, der Widerruf der Aufenthaltsbewilligung stelle für sie keine unnötige Härte dar.
5. Die Beschwerdeführerin erblickt eine rechtsungleiche Behandlung darin, dass an das sittliche Verhalten eines Ausländers andere Anforderungen gestellt würden als an das des Inländers. Sie verkennt dabei wiederum, dass das Gebot der ehelichen Treue und das Verbot der Ehestörung sich ohne Unterschied an alle Rechtsgenossen richten und dass die zivil- und strafrechtlichen Sanktionen, die bei Verletzung dieser Normen nach Art. 28 ZGB, Art. 41 und 49 OR sowie Art. 214 StGB unter den darin genannten Bedingungen ausgefällt werden können, den Inländer so gut wie den Ausländer treffen. Richtig ist dagegen, dass dem Ausländer gegenüber in einem
BGE 93 I 1 S. 12
solchen Fall zudem fremdenpolizeiliche Massnahmen ergriffen werden können, denen der Inländer nicht unterworfen ist. Hierin liegt aber keine rechtsungleiche Behandlung. Während Art. 45 BV dem Inländer einen umfassenden Anspruch auf freie Niederlassung gewährleistet, der nur durch die in Abs. 2-4 umschriebenen Ausnahmen begrenzt ist, kommt dem Ausländer dieses Recht lediglich auf Grund der ihm erteilten Bewilligung und unter der gesetzlichen Voraussetzung der Wahrung der Ordnung des Gaststaates zu. Der bestehende Unterschied erklärt sich damit aus dem Wesen der Staatsangehörigkeit selber.Es hätte im vorliegenden Fall übrigens an sich näher gelegen, wenn die Beschwerdeführerin daran Anstoss genommen hätte, dass nur sie von fremdenpolizeilichen Massnahmen betroffen wird, nicht aber ihr Freund, der gleich ihr Ausländer ist und der sich in gleicher Weise gegen die im Gaststaat geltende Ordnung vergangen hat. Sie hätte die Rüge der Rechtsungleichheit indessen nicht mit dem Hinweis auf die bessere Stellung ihres Freundes begründen können. Y. verfügt über die Niederlassungsbewilligung. Diese unterliegt nicht dem Widerrufsgrund des Verhaltens, das zu schweren Klagen Anlass gibt. Missachtet ein niedergelassener Ausländer die Rechts- und Sittenordnung, so kann die Fremdenpolizei vielmehr nur auf dem Wege der Ausweisung gegen ihn vorgehen. Diese Massnahme greift tiefer in die Rechtsstellung des Betroffenen ein als der Widerruf einer Bewilligung; demgemäss sind ihre Voraussetzungen in Art. 10 ANAG und Art. 16 Abs. 2 ANAV enger umschrieben. Dass Y. nicht ausgewiesen wird, steht daher unter dem Gesichtswinkel der Rechtsgleichheit einem Widerruf der Aufenthaltsbewilligung der Beschwerdeführerin nicht entgegen.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird abgewiesen.