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Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
5P.98/2005 /bnm 
 
Urteil vom 21. Juni 2005 
II. Zivilabteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter Raselli, Präsident, 
Bundesrichter Meyer, Bundesrichter Marazzi, 
Gerichtsschreiber von Roten. 
 
Parteien 
B.________ (Ehefrau), 
Beschwerdeführerin, 
vertreten durch Rechtsanwalt Viktor Rüegg, 
 
gegen 
 
K.________ (Ehemann), 
Beschwerdegegner, 
vertreten durch Rechtsanwalt Sepp Habermacher, 
Obergericht des Kantons Luzern, II. Kammer, Hirschengraben 16, Postfach, 6002 Luzern. 
 
Gegenstand 
Art. 9 BV (Abänderung des Scheidungsurteils; Dispositionsmaxime), 
 
Staatsrechtliche Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Luzern, II. Kammer, vom 31. Januar 2005. 
 
Sachverhalt: 
A. 
Mit Urteil vom 17. Juni 1997 schied das Amtsgericht Luzern-Land die Ehe von K.________ (Ehemann) und B.________ (Ehefrau). Es verpflichtete den Ehemann dabei zur Zahlung von monatlichen Unterhaltsbeiträgen für die beiden ehelichen Kinder und für die Ehefrau. 
B. 
Am 7. Oktober 1998 machte K.________ (Ehemann) ein Verfahren auf Abänderung des Scheidungsurteils rechtshängig. Er beantragte zur Hauptsache eine Herabsetzung der Unterhaltsbeiträge an die beiden Kinder und die Aufhebung, eventuell Herabsetzung der Unterhaltspflicht gegenüber der geschiedenen Ehefrau. B.________ (Ehefrau) schloss auf Abweisung der Abänderungsklage. Das Obergericht (II. Kammer) des Kantons Luzern - wie zuvor das Amtsgericht Luzern-Land - hiess die Abänderungsklagebegehren teilweise gut. Es setzte dabei den Unterhaltsbeitrag an die geschiedene Ehefrau herab und hob ihn ab 1. Januar 2002 bis 30. April 2005 vollumfänglich auf (Dispositiv-Ziff. 1.1 des Urteils vom 31. Januar 2005). 
 
Im Abänderungsprozess strittig waren vorab die Ansprüche des geschiedenen Ehemannes auf Entschädigung des Erwerbsausfalls. K.________ (Ehemann) hatte im Jahre 1994 einen Autounfall erlitten. Er ist seither teilinvalid und nur beschränkt arbeitsfähig. Die Ansprüche gegen die Haftpflichtversicherung des Unfallverursachers konnten bis anhin nicht bereinigt werden. Es wurden Akonto-Zahlungen geleistet. 
 
Aus diesem Grund brachte das Obergericht den folgenden Vorbehalt an: "Die in Ziff. 1 genannten Unterhaltsbeiträge basieren auf den unter Erwägung 4.7 aufgeführten Einkommens-Zahlen ... Soweit dem Kläger Versicherungsleistungen von der V.________ ausgerichtet werden, die ein höheres Einkommen als das genannte zur Folge haben, hat die Beklagte Anspruch darauf, dass die vom Kläger ab 1. Januar 2002 an sie persönlich zu leistenden Unterhaltsbeiträge bis zum im Scheidungsurteil vom 17. Juni 1997 festgelegten Betrag erhöht werden" (Dispositiv-Ziff. 1.2 des Urteils vom 31. Januar 2005). 
C. 
B.________ (Ehefrau) hat gegen das obergerichtliche Urteil eidgenössische Berufung eingelegt und staatsrechtliche Beschwerde erhoben. Mit der staatsrechtlichen Beschwerde beantragt sie dem Bundesgericht, das angefochtene Urteil wegen Verletzung von Art. 9 BV (Schutz vor Willkür) aufzuheben. Sie ersucht um unentgeltliche Rechtspflege. Es sind keine Vernehmlassungen eingeholt worden. 
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 
1. 
Die Beschwerdeführerin rügt eine Verletzung der Dispositionsmaxime. Deren Geltung wird ausschliesslich durch das kantonale Prozessrecht geregelt, das auf Berufung hin nicht, wohl aber im Verfahren der staatsrechtlichen Beschwerde unter dem Blickwinkel der Willkür überprüft werden kann (Art. 43 und Art. 84 Abs. 1 lit. a und Abs. 2 OG; BGE 109 II 452 E. 5d S. 460; 110 II 113 E. 4 S. 115). Das Urteil mit dem erwähnten Rektifikationsvorbehalt ist insofern bedingt, als es bei Verwirklichung des umschriebenen Sachverhalts im vorgegebenen Rahmen gerichtlich überprüft und gegebenenfalls angepasst werden kann (vgl. etwa Bühler/Spühler, Berner Kommentar, 1980, N. 78 zu aArt. 153 ZGB). Derart bedingte Urteile werden praxisgemäss als Endentscheide behandelt. Auf die staatsrechtliche Beschwerde kann im Grundsatz eingetreten werden. Sie ist vor der gleichzeitig gegen das nämliche Urteil eingelegten Berufung zu behandeln (Art. 57 Abs. 5 OG). Sollte der Rektifikationsvorbehalt in willkürlicher Anwendung des kantonalen Prozessrechts angebracht worden sein und deshalb aufgehoben werden müssen, wie die Beschwerdeführerin das begehrt, so erwiese sich das Urteil in der Sache als bundesrechtswidrig (vgl. E. 2 des Berufungsurteils). 
2. 
Die Beschwerdeführerin macht geltend, weder sie noch der Beschwerdegegner hätten jemals einen Rektifikationsvorbehalt beantragt. Dass das Obergericht diesen Vorbehalt von Amtes wegen angebracht habe, statt im Rahmen der beiderseits gestellten Sachanträge zu urteilen, bedeute eine willkürliche Anwendung von § 60 Abs. 2 ZPO/LU. Danach darf das Gericht einer Partei weder mehr noch anderes zusprechen, als sie selbst verlangt, aber auch nicht weniger, als die Gegenpartei anerkennt. 
2.1 Willkür in der Anwendung kantonalen Prozessrechts liegt nach der Rechtsprechung nicht schon vor, wenn eine andere Lösung ebenfalls vertretbar erscheint oder gar vorzuziehen wäre. Das Bundesgericht greift erst ein, wenn das angefochtene Urteil offensichtlich unhaltbar ist, zur tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch steht, eine Norm oder einen unumstrittenen Rechtsgrundsatz krass verletzt oder in stossender Weise dem Gerechtigkeitsgedanken zuwiderläuft. Vorausgesetzt ist dabei Willkür im Ergebnis und nicht bloss in der Begründung (BGE 131 I 57 E. 2 S. 61; 128 I 177 E. 2.1 S. 182). Von derart qualifizierter Unrichtigkeit kann nicht ausgegangen werden, wenn sich die Rechtsanwendung auf Lehrmeinungen stützen lässt, mögen diese auch nicht unbestritten sein (z.B. BGE 127 III 232 E. 3a S. 234; 126 III 438 E. 4b und 5 S. 444; 122 III 439 E. 3b S. 442/443) oder überwiegen (z.B. BGE 104 II 249 E. 3b S. 252 mit Hinweis), oder wenn die kantonale Letztinstanz getan hat, was Bundesrecht vorschreibt (z.B. BGE 118 II 302 E. 4c S. 307). 
2.2 Urteile über periodische Leistungen für die Zukunft beruhen zwangsläufig auf einer Prognose über die künftige Entwicklung der Verhältnisse. Dem Umstand, dass sich die Verhältnisse anders entwickeln als vorgesehen, trägt das materielle Recht insoweit Rechnung, als es - in bestimmten Fällen und unter bestimmten Voraussetzungen - eine Anpassung des in die Zukunft wirkenden (rechtskräftigen) Urteils an die veränderten Verhältnisse gestattet, sei es auf dem Weg der Abänderungsklage (z.B. aArt. 153 Abs. 2 und Art. 286 Abs. 2 ZGB), oder sei es, indem schon im Leistungsurteil selbst ein Abänderungs- oder Rektifikationsvorbehalt (z.B. Art. 46 Abs. 2 OR) angebracht wird (vgl. etwa Guldener, Schweizerisches Zivilprozessrecht, 3. A. Zürich 1979, S. 379). 
 
Ein Rektifikationsvorbehalt ist in Art. 46 OR für Urteile betreffend "Schadenersatz bei Körperverletzung" (Marginalie) ausdrücklich vorgesehen. Danach kann das Gericht bis auf zwei Jahre, vom Tag des Urteils an gerechnet, dessen Abänderung vorbehalten, wenn im Zeitpunkt der Urteilsfällung die Folgen der Verletzung nicht mit hinreichender Sicherheit festzustellen sind (Abs. 2). Die gesetzliche "Kann"-Formulierung wird als Ermächtigung bzw. Befugnis des Gerichts verstanden. Das Gericht - selbst das Bundesgericht als Berufungsinstanz - darf von Amtes wegen und ohne Parteiantrag den Rektifikationsvorbehalt in das Urteil aufnehmen (BGE 57 II 58 Nr. 10 und 94 E. 1 S. 98; z.B. A.K. Schnyder, Basler Kommentar, 2003, N. 18, und Werro, Commentaire romand, 2003, N. 30, je zu Art. 46 OR). Ein ähnlicher Rektifikationsvorbehalt ist für Urteile im Abänderungsprozess gemäss - dem hier anwendbaren (Art. 7a Abs. 3 SchlTZGB) - aArt. 153 Abs. 2 ZGB zulässig. Muss die Scheidungsrente wegen Verschlechterung der wirtschaftlichen Verhältnisse auf Seiten des Rentenschuldners aufgehoben oder herabgesetzt werden, ist aber mit Bestimmtheit oder grosser Wahrscheinlichkeit vorauszusehen, dass die frühere Leistungsfähigkeit des Rentenschuldners wieder aufleben könnte, so darf das Abänderungsurteil mit der Klausel versehen werden, dass die aufgehobene oder herabgesetzte Scheidungsrente bis zum im Scheidungsurteil festgesetzten Betrag wieder hergestellt oder erhöht wird, wenn und soweit auch die frühere Leistungsfähigkeit des Rentenschuldners wieder eintritt (BGE 51 II 12 Nr. 3; Hinderling/Steck, Das schweizerische Ehescheidungsrecht, 4.A. Zürich 1995, S. 361 bei/in Anm. 7 mit Hinweisen). Aus dem zitierten Leiturteil geht hervor, dass das Bundesgericht als Berufungsinstanz den Rektifikationsvorbehalt von Amtes wegen und damit ohne Parteiantrag in das Urteil aufgenommen hat (BGE 51 II 12 S. 14/15), und die Lehre nimmt an, dass das Abänderungsurteil eine Wiederherstellungs- oder Wiedererhöhungsklausel enthalten "darf und soll" (Pfyffer, Vom Unterhaltsbeitrag an die geschiedene Frau, SJZ 54/1958 S. 33/49 ff., S. 55 Ziff. 7) bzw. "kann" (Kehl/Kehl, Die Abänderung und Ergänzung von Scheidungs- und Trennungsurteilen, I, 2.A. Zürich 1974, N. 248 S. 34). Aus materiell-rechtlicher Sicht darf dem Obergericht deshalb nicht vorgeworfen werden, es habe willkürlich ohne Antrag der Parteien einen Rektifikationsvorbehalt angebracht und dadurch die kantonal-rechtliche Dispositionsmaxime verletzt. Es hat vielmehr getan, was nach der Rechtsprechung zulässig ist und sich auf die wiedergegebene Lehre stützen lässt. 
 
In prozessualer Hinsicht ist umstritten, ob - ausserhalb der im materiellen Recht vorgesehenen Fälle - das Gericht ohne gemeinsamen Parteiantrag einen Rektifikationsvorbehalt in das Sachurteil aufnehmen darf (ablehnend, z.B. Kummer, Das Klagerecht und die materielle Rechtskraft im schweizerischen Recht, Bern 1954, S. 112/113; befürwortend, z.B. Leuch, Die Zivilprozessordnung für den Kanton Bern, 3.A. Bern 1956, N. 11a zu Art. 192 ZPO/BE, S. 209). Ungeachtet dessen liegt im Erlass eines mit Rektifikationsvorbehalt versehenen und insoweit bedingten Urteils statt des beantragten vorbehaltlosen Urteils keine willkürliche Anwendung von § 60 Abs. 2 ZPO/LU. Die Dispositionsmaxime verbietet dem Gericht nicht, weniger zuzusprechen, als in der Klage verlangt wird, wenn die Voraussetzungen für eine vollumfängliche Gutheissung der Klage nicht erfüllt sind. Gegenüber dem Klagebegehren auf Leistung ist die Verurteilung zu nur bedingter Leistung kein "aliud", sondern ein "minus" (für eine gleichlautende Bestimmung: Frank/Sträuli/Messmer, Kommentar zur zürcherischen Zivilprozessordnung, 3.A. Zürich 1997, N. 19 zu § 54 ZPO/ZH; so wohl auch: Studer/Rüegg/Eiholzer, Der Luzerner Zivilprozess, Kriens 1994, N. 3 Abs. 2 zu § 60 ZPO/LU). Auch unter diesem Blickwinkel erscheint die Willkürbeschwerde als unbegründet. 
2.3 Was die Beschwerdeführerin dagegenhält, ist nach dem Gesagten unbegründet und nicht geeignet, Willkür in der Anwendung der kantonalen Dispositionsmaxime darzutun. Schwer nachvollziehbar sind vorab ihre Behauptungen, es liege kein bedingtes Urteil und auch keine "teilweise Gutheissung von Unterhaltsansprüchen" vor (S. 8 f. Ziff. 13). Prozessgegenstand hat nicht ihr Unterhaltsbegehren gebildet, sondern die Abänderungsklage des Beschwerdegegners mit den Begehren, namentlich die rechtskräftig festgesetzten Unterhaltsbeiträge an die Beschwerdeführerin aufzuheben, eventuell herabzusetzen. Die obergerichtliche Abänderung der Unterhaltsbeiträge mit einem Wiedererhöhungsvorbehalt ist nun aber der Sache nach - wie gesagt - nichts anderes als eine Herabsetzung und zeitweise Aufhebung unter der Resolutivbedingung einer künftigen Besserung der Verhältnisse auf Seiten des Beschwerdegegners in Verbindung mit einem gerichtlichen Urteil, das den Eintritt der Bedingung, d.h. die Besserung der Verhältnisse, feststellt (so bereits ZR 36/1937 Nr. 50 b S. 105). Da der Beschwerdegegner als Kläger die vorbehaltlose Aufhebung, eventuell die vorbehaltlose Herabsetzung seiner Unterhaltspflicht verlangt hat, bedeutet die angeordnete Aufhebung bzw. Herabsetzung mit einem Vorbehalt eine nur teilweise Gutheissung der Klage (vgl. zum Ganzen: Urteil des Bundesgerichts 5P.237/2002 vom 7. August 2002, E. 2.2-.4). Die Vorbringen der Beschwerdeführerin ändern somit nichts daran, dass eine willkürliche Anwendung der kantonalen Dispositionsmaxime sowohl aus materiell-rechtlicher wie auch aus prozessualer Sicht verneint werden muss. 
3. 
Bei diesem Verfahrensausgang wird die Beschwerdeführerin kostenpflichtig (Art. 156 Abs. 1 OG). Ihrem Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege kann wegen offensichtlicher Aussichtslosigkeit der Begehren nicht entsprochen werden (Art. 152 Abs. 1 OG). Die hiervor gezeigten Grundsätze sind in Lehre und Rechtsprechung unbestritten. Die Anträge der Beschwerdeführerin konnten deshalb von Beginn an keinen Erfolg haben. 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
1. 
Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf eingetreten werden kann. 
2. 
Das Gesuch der Beschwerdeführerin um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen. 
3. 
Die Gerichtsgebühr von Fr. 1'000.-- wird der Beschwerdeführerin auferlegt. 
4. 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Luzern, II. Kammer, schriftlich mitgeteilt. 
 
Lausanne, 21. Juni 2005 
Im Namen der II. Zivilabteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: