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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
8C_144/2023  
 
 
Urteil vom 5. Juli 2023  
 
IV. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Wirthlin, Präsident, 
Bundesrichterinnen Heine, Viscione, 
Gerichtsschreiber Walther. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Benedikt Schneider, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (Suva), Rechtsabteilung, Fluhmattstrasse 1, 6002 Luzern, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Unfallversicherung (Taggeld; Rückerstattung), 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Kantonsgerichts Luzern vom 19. Januar 2023 (5V 22 189). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
A.________, geboren 1990, war bei der B.________ GmbH in C.________ als Bodenleger angestellt und dadurch bei der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (Suva) obligatorisch gegen Unfallfolgen versichert, als er am 1. Januar 2020 bei einer Autofahrt zwischen D.________ und E.________ verunfallte und sich dabei Verletzungen zuzog. Am 3. März 2020 teilte die Suva A.________ mit, dass sie die Versicherungsleistungen ausrichte, zur Höhe des Taggeldanspruchs aber noch nicht endgültig Stellung nehmen könne. Zwischenzeitlich würde sie jedoch 80 % des vollen Taggelds von Fr. 171.- pro Kalendertag auszahlen. Am 5. August 2020 verfügte sie aufgrund einer absichtlich falschen Unfallmeldung gestützt auf Art. 46 Abs. 2 UVG die Einstellung der Taggeldleistungen und forderte die bereits ausgerichteten Taggelder für den Zeitraum vom 1. Januar bis 31. März 2020 im Gesamtbetrag von Fr. 12'038.40 zurück. Mit Einspracheentscheid vom 31. März 2022 hielt sie daran fest. Das Gesuch des A.________ um unentgeltliche Verbeiständung im Einspracheverfahren wies sie wegen Aussichtslosigkeit ab. 
 
B.  
Die gegen den Einspracheentscheid gerichtete Beschwerde des A.________ wies das Kantonsgericht des Kantons Luzern ab. Die Entschädigung des für das Beschwerdeverfahren eingesetzten unentgeltlichen Rechtsvertreters setzte es auf Fr. 1'700.- fest (Urteil vom 19. Januar 2023). 
 
C.  
 
C.a. Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten lässt A.________ beantragen, unter Aufhebung des kantonalen Urteils und des Einspracheentscheids der Suva sei letztere zu verpflichten, ihm die versicherten Leistungen bei einem Lohn von Fr. 6'500.- brutto, eventualiter eine verhältnismässig tiefere Leistung zu erbringen. Die Angelegenheit sei zwecks Festsetzung der Dauer und Höhe der zu erbringenden Leistungen ("Taggelder, evtl. Invaliditätsleistungen, etc.") unter Berücksichtigung allfälliger Prämienbefreiung zurückzuweisen. Betreffend die Rückerstattung von Fr. 12'038.40 sei die aufschiebende Wirkung zu erteilen. Eventualiter sei die Rückerstattung verhältnismässig entsprechend der mindestens versicherten Leistung herabzusetzen bzw. mit weiteren Leistungen zu verrechnen. Für das Einspracheverfahren, für das Vorverfahren wie auch für das bundesgerichtliche Verfahren sei ihm eine angemessene Parteientschädigung zuzusprechen. Für die genannten Verfahren sei ihm andernfalls die vollumfängliche unentgeltliche Rechtspflege zu gewähren, wobei für das Verwaltungsverfahren eine Anwaltsentschädigung von Fr. 1'500.-, für das kantonsgerichtliche Verfahren eine solche von Fr. 2'800.- festzusetzen sei.  
Die Suva schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Das Kantonsgericht und das Bundesamt für Gesundheit verzichten auf eine Vernehmlassung. 
 
C.b. Mit Verfügung vom 30. Mai 2023 hiess die Instruktionsrichterin das Gesuch des A.________ um Erteilung der aufschiebenden Wirkung gut.  
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 f. BGG erhoben werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Dennoch prüft es - offensichtliche Fehler vorbehalten -nur die in seinem Verfahren gerügten Rechtsmängel (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG; vgl. BGE 145 V 57 E. 4.2 mit Hinweis).  
 
1.2. Im Beschwerdeverfahren um die Zusprechung oder Verweigerung von Geldleistungen der Unfallversicherung ist das Bundesgericht nicht an die vorinstanzliche Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gebunden (Art. 97 Abs. 2 und Art. 105 Abs. 3 BGG).  
 
2.  
Streitig und zu prüfen ist, ob die Vorinstanz Bundesrecht verletzte, indem sie die Verweigerung weiterer Taggeldleistungen und die Rückforderung der bereits geleisteten Taggelder durch die Suva bestätigte. 
 
3.  
Unrechtmässig bezogene Leistungen sind in Anwendung von Art. 25 Abs. 1 ATSG zurückzuerstatten. Der Versicherer kann zudem die Leistung verweigern, wenn ihm absichtlich eine falsche Unfallmeldung erstattet worden ist (Art. 46 Abs. 2 UVG). Voraussetzung für eine solche Sanktionierung ist, dass die falsche Angabe in der Unfallmeldung absichtlich erfolgte und sich die Absicht gerade darauf bezog, die Suva zur Auszahlung nicht geschuldeter oder zu hoher Leistungen zu veranlassen. Dabei reicht jede falsche Angabe in der Unfallmeldung aus, sofern sie zur Entrichtung einer höheren als der aufgrund der tatsächlichen Verhältnisse geschuldeten Leistung führt. Unter diese Bestimmung fällt somit auch die absichtliche Angabe eines zu hohen Lohnes, führt eine solche doch zur Ausrichtung von Geldleistungen aufgrund eines zu hohen versicherten Verdienstes. Eine Sanktionierung der versicherten Person kommt aber nur dann in Frage, wenn die absichtliche Falschmeldung mit ihrem Wissen und Willen erfolgte. Bei einer allfälligen Sanktionierung ist im Weiteren der Grundsatz der Verhältnismässigkeit zu wahren (BGE 143 V 393 E. 6.2 mit Hinweisen). 
 
4.  
 
4.1. Wie bereits die Suva, gelangte auch das kantonale Gericht im Rahmen einer umfassenden Würdigung der Akten zum Ergebnis, der Beschwerdeführer habe in der Unfallmeldung vom 9. Januar 2020 absichtlich falsche Angaben zu seinem Lohn gemacht. Hierfür verwies es auf die zahlreichen Unstimmigkeiten und Widersprüche in den Angaben und Unterlagen, welche der Beschwerdeführer, seine Lebenspartnerin F.________ als Gesellschafterin und Geschäftsführerin der B.________ GmbH sowie G.________ als zweiter Geschäftsführer und Treuhänder der Gesellschaft bei verschiedenen Ämtern und Versicherungen eingereicht bzw. getätigt hatten. Neben dem Monatslohn von Fr. 6'200.- brutto zzgl. einer Gratifikation von Fr. 516.-, welcher in der Unfallmeldung vom 9. Januar 2020 geltend gemacht wurde, würden die insgesamt sieben unterschiedlichen Lohnangaben für das Jahr 2019 von Fr. 0.- (gegenüber der Steuerverwaltung) bis zu Fr. 6'500.- brutto zzgl. 13. Monatslohn (gemäss einem auf den 26. Dezember 2018 datierten Arbeitsvertrag) reichen. Auch die behaupteten effektiven Lohnzahlungen - einerseits Barbezüge direkt vom Geschäftskonto der Arbeitgeberin, andererseits vom Beschwerdeführer vereinnahmte Barzahlungen der Kunden der B.________ GmbH - erachtete die Vorinstanz angesichts verschiedener Inkonsistenzen und mangels eines Buchhaltungsabschlussses für nicht nachvollziehbar. Nach der Darlegung weiterer Ungereimtheiten, etwa betreffend die behaupteten Arbeitsstunden des Beschwerdeführers und die Abrechnungen der Arbeitgeberin, hielt sie fest, unter diesen Umständen sei es insgesamt nicht möglich, seinen Lohn nachträglich festzustellen. Insbesondere unter Berücksichtigung der Aussagen des Beschwerdeführers und des G.________, wonach ersterer "einfach vom Konto bar bezogen habe, was er benötigt habe", dränge sich die Vermutung auf, dass der tatsächliche Geldbezug resp. der effektive Lohn auch ihnen selber nicht bekannt gewesen sei. Insgesamt liessen die aktenkundigen Dokumente keinen Schluss auf die Richtigkeit des gegenüber der Suva geltend gemachten Lohns von Fr. 6'500.- zu; vielmehr entspreche dieser nicht dem tatsächlichen Gehalt.  
 
4.2. Hinsichtlich der weiteren Voraussetzungen von Art. 46 Abs. 2 UVG erwog die Vorinstanz, gegenüber sämtlichen Behörden und Durchführungsstellen seien unterschiedliche Lohnangaben getätigt worden, die jeweils zum Vorteil des Beschwerdeführers ausgefallen seien. Er streite nicht ab, von den Unstimmigkeiten Kenntnis gehabt zu haben, zumal er einen Grossteil der Angaben ohnehin selber getätigt habe. Dass die Angabe eines zu hohen Lohns gegenüber der Suva zu höheren Leistungen führen würde, sei für ihn erkennbar gewesen. Insgesamt sei darauf zu schliessen, dass die falsche Angabe absichtlich erfolgt sei, um höhere Versicherungsleistungen zu erzielen. Nachdem der Beschwerdeführer vermutlich selbst nicht einmal gewusst habe, wieviel er tatsächlich eingenommen habe, der Suva ungeachtet dessen jedoch nicht nur wissentlich eine zu hohe Lohnsumme gemeldet, sondern diese nachträglich auch mit zweifelhaften Dokumenten zu belegen versucht habe, sei die gänzliche Einstellung und Rückforderung der Taggeldleistungen ferner verhältnismässig. Im Rahmen einer Sanktionierung habe die Suva gestützt auf Art. 46 Abs. 2 UVG demnach zu Recht weitere Taggeldleistungen verweigern und die bereits erbrachten Taggelder zurückfordern dürfen.  
 
5.  
Was der Beschwerdeführer vor Bundesgericht dagegen einwendet, ist unbehelflich: 
 
5.1. Das kantonale Gericht hat sich umfassend und einlässlich mit sämtlichen seiner vorinstanzlich erhobenen Rügen auseinandergesetzt und jeweils dargelegt, weshalb es diese als nicht stichhaltig erachtete. Die verschiedenen Vorwürfe einer Gehörsverletzung (Art. 29 Abs. 2 BV; zur daraus abgeleiteten Begründungspflicht vgl. BGE 148 III 30 E. 3.1) zielen somit von vornherein ins Leere.  
 
5.2. Im Weiteren erschöpfen sich die Einwände des Beschwerdeführers hauptsächlich in einer appellatorisch gehaltenen Wiedergabe der eigenen Sichtweise. Bereits die Vorinstanz hat ausführlich und überzeugend dargelegt, weshalb die von ihm vorgebrachten Aktenstücke und Gegebenheiten wie beispielsweise der auf den 26. Dezember 2018 datierte - vom kantonalen Gericht als kaum authentisch eingestufte - Arbeitsvertrag, die Meldung an die Pensionskasse oder der Umsatz der Arbeitgeberin keinen Schluss auf den von ihm behaupteten Lohn von Fr. 6'500.- zulassen. Soweit der Beschwerdeführer letztinstanzlich nicht ansatzweise auf diese Darlegungen im kantonalen Urteil eingeht, sondern pauschal behauptet, die fraglichen Beweismittel würden einen Lohn von Fr. 6'500.- bzw. von mindestens Fr. 4'500.- belegen, vermag er den Begründungsanforderungen vor Bundesgericht nicht zu genügen (Art. 42 Abs. 2 BGG). Diesbezügliche Weiterungen erübrigen sich. Nicht stichhaltig ist auch sein Argument, einige sozialversicherungsrechtliche Lohnmeldungen hätten von Gesetzes wegen erst Ende Januar 2020 und damit nach seinem Unfall erfolgen müssen. Dies ändert nichts daran, dass auch keine sonstigen Unterlagen aus dem Zeitraum vor dem Unfall vom 1. Januar 2020 ersichtlich sind, mit welchen er den behaupteten Lohn schlüssig zu untermauern vermöchte. Hinsichtlich des Einwands, die am 2. März 2020 erfolgte Konkurseröffnung über die Arbeitgeberin habe die Begleichung der Quellensteuern und der Beiträge an die Ausgleichskasse verhindert, hat die Vorinstanz zutreffend darauf hingewiesen, dass eine spätere Zahlungsunfähigkeit für die Frage, ob der Suva am 9. Januar 2020 ein falscher Lohn gemeldet wurde, nicht von Belang ist. Ebenfalls erklärt dies nicht, weshalb der Steuerverwaltung - trotz des in den Lohnabrechnungen aufgeführten Quellensteuerabzugs - kein Erwerbseinkommen gemeldet wurde. Die Auffassung des Beschwerdeführers, die zahlreichen Inkonsistenzen sprächen ferner gerade gegen eine absichtliche Falschmeldung, weil er bei vorhandener Täuschungsabsicht alles unternommen hätte, um Abweichungen zu vermeiden, überzeugt schliesslich ebenso wenig wie das Argument, die falschen Lohnangaben gegenüber dem Betreibungsamt seien kein Indiz für eine falsche Meldung gegenüber der Suva.  
 
5.3. Indem die Vorinstanz davon ausging, der Beschwerdeführer habe der Suva in der Unfallmeldung vom 9. Januar 2020 absichtlich einen falschen Lohn gemeldet, verletzte sie nach dem Gesagten kein Bundesrecht. Da von weiteren Abklärungen hinsichtlich des Lohns keine entscheidrelevanten Resultate zu erwarten waren, durfte das kantonale Gericht bundesrechtskonform davon absehen (zur zulässigen antizipierten Beweiswürdigung vgl. BGE 144 V 361 E. 6.5).  
 
5.4. Im Zusammenhang mit der - von der Vorinstanz schlüssig begründeten - Verhältnismässigkeit der Einstellung und Rückforderung der Taggelder macht der Beschwerdeführer wiederum geltend, einen Lohn von Fr. 6'500.- bzw. "ganz sicher" einen solchen von Fr. 4'500.- erzielt zu haben. Darauf ist nach dem bereits Dargelegten (E. 4.1 und 5.2) nicht weiter einzugehen. Welche Umstände das kantonale Gericht bei der Prüfung der Verhältnismässigkeit zusätzlich hätte berücksichtigen müssen, legt er sodann nicht konkret dar.  
 
6.  
 
6.1. Hinsichtlich des strittigen Anspruchs auf unentgeltliche Verbeiständung im Einspracheverfahren wies die Vorinstanz überzeugend darauf hin, dass es dem Beschwerdeführer auch ohne anwaltliche Vertretung zumutbar war, seinen Lohn - als einzige streitige Tatsache - widerspruchsfrei darzutun und zu belegen. Inwiefern dies derart komplex bzw. dem Beschwerdeführer aufgrund seiner Sprachkenntnisse und Vorbildung nicht möglich gewesen sein soll, so dass eine Verbeiständung sachlich geboten gewesen wäre, ist nicht ersichtlich (zum diesbezüglich strengen Massstab vgl. BGE 125 V 32 E. 2; Urteil 8C_8/2022 vom 12. Mai 2022 E. 6.3).  
 
6.2. Soweit in der Beschwerde schliesslich auch das Honorar des unentgeltlichen Vertreters für das kantonale Gerichtsverfahren moniert wird, ist darauf hinzuweisen, dass dieses nur vom Rechtsbeistand selber beim Bundesgericht angefochten werden kann (BGE 110 V 360 E. 2; Urteil 8C_526/2022 vom 6. Februar 2023 E. 2). Da die vorliegende Beschwerde einzig im Namen des Beschwerdeführers erhoben wurde, kann in diesem Punkt nicht darauf eingetreten werden.  
 
7.  
Die Gerichtskosten werden dem unterliegenden Beschwerdeführer auferlegt (Art. 66 Abs. 1 BGG). Das Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege für das bundesgerichtliche Verfahren ist abzuweisen, weil die Beschwerde von vornherein aussichtslos war (Art. 64 Abs. 1 BGG). 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
 
2.  
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen. 
 
3.  
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
4.  
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Kantonsgericht Luzern und dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 5. Juli 2023 
 
Im Namen der IV. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Wirthlin 
 
Der Gerichtsschreiber: Walther