Avis important:
Les versions anciennes du navigateur Netscape affichent cette page sans éléments graphiques. La page conserve cependant sa fonctionnalité. Si vous utilisez fréquemment cette page, nous vous recommandons l'installation d'un navigateur plus récent.
 
 
Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
9C_256/2023  
 
 
Urteil vom 18. Juli 2023  
 
III. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Stadelmann, präsidierendes Mitglied, 
Bundesrichterin Moser-Szeless, Bundesrichter Beusch, 
Gerichtsschreiber Nabold. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
SWICA Krankenversicherung AG, SWICA Gesundheitsorganisation, Rechtsdienst, Römerstrasse 38, 8401 Winterthur, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Krankenversicherung, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 24. Februar 2023 (KV.2022.00070). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Der 1961 geborene A.________ bezog am 23. Januar 2020 zu Lasten der SWICA Krankenversicherung AG, bei der er für die Leistungen der obligatorischen Krankenpflegeversicherung versichert ist, zwei Packungen à je 112 Tabletten des Medikaments B.________, einem Präparat zur Rauchentwöhnung. Nachdem der Versicherte am 18. Januar 2021 erneut das Medikament B.________ bezogen hatte, rechnete die SWICA Krankenversicherung AG diesen Bezug - da er ausserhalb der Limitierung der Spezialitätenliste erfolgt sei - zu Lasten des Versicherten ab. Daran hielt die Krankenversicherung in der Folge mit Verfügung vom 23. März 2022 und Einspracheentscheid vom 1. November 2022 fest. 
 
B.  
Die von A.________ hiegegen erhobene Beschwerde wies das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit Urteil vom 24. Februar 2023 ab, soweit es auf sie eintrat. Auf die vom Versicherten erhobene "Widerklage" trat das kantonale Gericht nicht ein. 
 
C.  
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragt A.________ sinngemäss, die Krankenversicherung sei zur Kostenübernahme für den Bezug des Medikaments B.________ vom 18. Januar 2021 zu verpflichten, eventuell sei die Sache zu weiteren Abklärungen an das kantonale Gericht zurückzuweisen. Zudem beantragt er unentgeltliche Prozessführung. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1.  
 
1.1.1. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 und 96 BGG erhoben werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist folglich weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an die Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann eine Beschwerde aus einem anderen als dem angerufenen Grund gutheissen und es kann sie mit einer von der Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen (BGE 134 V 250 E. 1.2 mit Hinweisen; 133 III 545 E. 2.2; 130 III 136 E. 1.4). Immerhin prüft das Bundesgericht, unter Berücksichtigung der allgemeinen Begründungspflicht der Beschwerde (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG), grundsätzlich nur die geltend gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu offensichtlich sind (BGE 141 V 234 E. 1 mit Hinweisen).  
 
1.1.2. Die Verletzung von Grundrechten und von kantonalem und interkantonalem Recht prüft es aber nur insofern, als eine solche Rüge in der Beschwerde vorgebracht und begründet worden ist (Art. 106 Abs. 2 BGG). In der Beschwerde ist klar und detailliert anhand der Erwägungen des angefochtenen Entscheids darzulegen, inwiefern verfassungsmässige Rechte verletzt worden sein sollen (BGE 139 I 229 E. 2.4; 135 III 232 E. 1.2; 134 I 83 E. 3.2; 133 III 393 E. 6; 133 III 439 E. 3.2; 133 II 249 E. 1.4.2); wird eine solche Verfassungsrüge nicht vorgebracht, kann das Bundesgericht eine Beschwerde selbst dann nicht gutheissen, wenn eine Verfassungsverletzung tatsächlich vorliegt (BGE 131 I 377 E. 4.3).  
 
1.1.3. Das Bundesgericht kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG). Überdies muss die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein (Art. 97 Abs. 1 BGG).  
 
1.2. Die beschwerdeführende Partei, welche die Sachverhaltsfeststellungen der Vorinstanz anfechten will, muss substanziiert darlegen, inwiefern die Voraussetzungen einer Ausnahme gemäss Art. 105 Abs. 2 BGG gegeben sind und das Verfahren bei rechtskonformer Ermittlung des Sachverhalts anders ausgegangen wäre; andernfalls kann ein Sachverhalt, der vom im angefochtenen Entscheid festgestellten abweicht, nicht berücksichtigt werden (BGE 140 III 16 E. 1.3.1 mit Hinweisen).  
 
2.  
Streitig und zu prüfen ist, ob das kantonale Gericht Bundesrecht verletzte, als es den Einspracheentscheid des Krankenversicherers des Beschwerdeführers bestätigte, mit welchem dieser eine Kostenübernahme für den Bezug des Medikaments B.________ vom 18. Januar 2021 ablehnte. 
 
 
3.  
 
3.1. Die obligatorische Krankenpflegeversicherung (OKP) übernimmt die Kosten für die Leistungen, die der Diagnose oder der Behandlung einer Krankheit und ihrer Folgen dienen (Art. 25 Abs. 1 KVG). Diese Leistungen umfassen unter anderem die ärztlich verordneten Arzneimittel (Art. 25 Abs. 2 lit. b KVG). Welche Arzneimittel die OKP zu übernehmen hat, ist behördlich festgelegt: Zum einen erlässt das BAG gemäss Art. 52 Abs. 1 lit. b KVG die Spezialitätenliste (SL). Als Positivliste hat die SL gleichzeitig abschliessenden und verbindlichen Charakter. Auf Grund des in Art. 34 Abs. 1 KVG verankerten Listenprinzips können die Krankenversicherer grundsätzlich nur die darin vorgesehenen Arzneimittel übernehmen (BGE 146 V 240 E. 5.2 mit Hinweisen).  
 
3.2. Ein Arzneimittel kann unter den in Art. 65 KVV statuierten Voraussetzungen in die SL aufgenommen werden. Ausserhalb dieses Aufnahmeprozederes kann es ausnahmsweise trotzdem durch die OKP vergütet werden, wenn die Bedingungen gemäss Art. 71a ff. KVV ("Vergütung von Arzneimitteln im Einzelfall") gegeben sind (BGE 146 V 240 E. 5.3).  
 
3.2.1. Laut Art. 71a Abs. 1 KVV übernimmt die OKP die Kosten eines in die SL aufgenommenen Arzneimittels für eine Anwendung ausserhalb der vom Schweizerischen Heilmittelinstitut (Swissmedic) genehmigten Fachinformation oder ausserhalb der in der SL festgelegten Limitierung nach Art. 73 KVV, wenn der Einsatz des Arzneimittels eine unerlässliche Voraussetzung für die Durchführung einer anderen von der OKP übernommenen Leistung bildet und diese eindeutig im Vordergrund steht (sog. Behandlungskomplex; lit. a); oder wenn vom Einsatz des Arzneimittels ein grosser therapeutischer Nutzen gegen eine Krankheit erwartet wird, die für die versicherte Person tödlich verlaufen oder schwere und chronische gesundheitliche Beeinträchtigungen nach sich ziehen kann, und wegen fehlender therapeutischer Alternativen keine andere wirksame und zugelassene Behandlungsmethode verfügbar ist (lit. b).  
 
3.2.2. Ferner gilt gemäss Art. 71d KVV, dass die OKP die Kosten des Arzneimittels nur auf besondere Gutsprache des Versicherers nach vorgängiger vertrauensärztlicher Konsultation übernimmt (Abs. 1). Der Versicherer überprüft, ob die von der OKP übernommenen Kosten in einem angemessenen Verhältnis zum therapeutischen Nutzen stehen (Abs. 2). Ist das Gesuch um Kostengutsprache vollständig, entscheidet der Versicherer innert zwei Wochen darüber (Abs. 3).  
 
4.  
 
4.1. Das streitbetroffene Präparat B.________ wird in der SL mit einer Limitierung geführt; gemäss dieser kann pro 18 Monate lediglich eine einmalige Therapie von 12 Wochen von der OKP vergütet werden. Da der Versicherte bereits am 23. Januar 2020 zwei Packungen à je 112 Tabletten dieses Präparates bezogen hat, steht fest, dass vorliegend eine Kostenübernahme innerhalb der Limitierung nicht in Frage kommt. Grundsätzlich kommt daher nur eine Kostenübernahme nach Art. 71a ff. KVV in Frage, wobei unbestritten ist, dass kein sog. "Behandlungskomplex" im Sinne von Art. 71a Abs. 1 lit. a KVV vorliegt. Vorinstanz und Krankenversicherer lehnten sodann auch eine Kostenübernahme nach Art. 71a Abs. 1 lit. b KVV ab, da ein grosser therapeutischer Nutzen nicht nachgewiesen sei; der Beschwerdeführer macht demgegenüber einen solchen geltend.  
 
4.2.  
 
4.2.1. Die Frage, ob ein grosser therapeutischer Nutzen im Sinne von Art. 71a Abs. 1 lit. b KVV vorliegt, ist sowohl in allgemeiner Weise als auch bezogen auf den konkreten Einzelfall zu beurteilen. Dieser Nutzen kann kurativer oder palliativer Natur sein. Er setzt voraus, dass Zwischenergebnisse von klinischen Studien vorliegen, die darauf hinweisen, dass von der Anwendung ein grosser therapeutischer Nutzen zu erwarten ist. Es reichen ferner auch anderweitige veröffentlichte Erkenntnisse aus, die wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen über die Wirksamkeit des in Frage stehenden Arzneimittels im neuen Anwendungsbereich zulassen und aufgrund derer in den einschlägigen Fachkreisen Konsens über einen voraussichtlich hohen therapeutischen Nutzen besteht. Es müssen in rechtlicher Hinsicht somit nicht bereits die (höheren) Voraussetzungen für eine Aufnahme in die SL erfüllt sein (vgl. BGE 146 V 240 E. 6.2.2; 144 V 333 E. 11.1.3; 136 V 395 E. 6.5; je mit Hinweisen).  
 
4.2.2. Tatfragen sind, ob eine chronische gesundheitliche Beeinträchtigung einer Krankheit vorliegt, die schwere und chronische gesundheitliche Beeinträchtigungen nach sich ziehen kann (vgl. BGE 144 V 333 E. 11.1.1), ob wegen fehlender therapeutischer Alternativen keine wirksame und zugelassene Behandlungsmethode verfügbar ist (vgl. BGE 144 V 333 E. 11.1.2) und ob ein therapeutischer Nutzen vorliegt (BGE 144 V 333 E. 11.1.3). Insoweit sind die vorinstanzlichen Sachverhaltsfeststellungen für das Bundesgericht grundsätzlich verbindlich. Ob ein bestimmter Nutzen als "gross" im Sinne der Rechtslage zu bezeichnen ist, stellt hingegen eine Rechtsfrage dar (BGE 144 V 333 E. 11.1.3 mit Hinweisen).  
 
4.3. Gemäss den verbindlichen Feststellungen des kantonalen Gerichts leidet der Beschwerdeführer an einer obstruktiven Pneumopathie vornehmlich allergischer Genese. Wissenschaftliche Erkenntnisse, dass eine (Dauer-) Behandlung mit B.________ ohne Rauchstopp (aber immerhin mit stark reduziertem Zigarettenkonsum) allgemein betrachtet bei einem solchen Leiden von grossem therapeutischen Nutzen sei, fehlten. Irrelevant ist bei dieser Ausgangslage gemäss den vorinstanzlichen Erwägungen der Umstand, dass der Versicherte subjektiv einen Nutzen verspüre, vermöge doch auch der Nachweis eines grossen therapeutischen Nutzens im Einzelfall den aufgrund wissenschaftlicher Erkenntnisse zu führenden allgemeinen Nachweis nicht zu ersetzen.  
Was der Versicherte gegen diese Erwägungen vorbringt, vermag sie nicht als bundesrechtswidrig erscheinen zu lassen. Entgegen seiner Darstellung hat das kantonale Gericht weder das Vorliegen einer schweren Erkrankung noch einen Zusammenhang zwischen seinem Zigarettenkonsum und seinem Leiden verneint. Wissenschaftliche Erkenntnisse, wonach es bei einer obstruktiven Pneumopathie tatsächlich - wie vom Beschwerdeführer geltend gemacht - ein medizinisch unbedenkliches Level des Zigarettenkonsums gibt, oder ob nicht in jedem Fall ein vollständiger Rauchstopp anzustreben wäre, fehlen indessen. Jedenfalls ist ein grosser therapeutischer Nutzen einer (Dauer-) Einnahme des Medikamentes B.________, mit welcher lediglich eine Reduktion nicht aber eine vollständige Sistierung des Zigarettenkonsums angestrebt wird, wissenschaftlich nicht erstellt. Demnach hat das kantonale Gericht kein Bundesrecht verletzt, als es einen Anspruch des Versicherten auf Kostenübernahme für die Behandlung mit diesem Präparat gestützt auf Art. 71a Abs. 1 lit. b KVV verneint hat. Dass die Krankenversicherung unter Umständen "gerade wegen des verweigerten Medikamentenzugangs teure und langwierige Behandlungen" übernehmen müsse, wie der Beschwerdeführer geltend macht, ändert daran nichts (E. 3.1). 
 
 
5.  
 
5.1. Der Beschwerdeführer beruft sich im Weiteren auf den Grundsatz von Treu und Glauben, da die Krankenversicherung bereits in der Vergangenheit die Kosten für das streitbetroffene Medikament übernommen habe, ohne sich auf die Limitierung gemäss der SL zu berufen.  
 
5.2. Nach dem in Art. 9 BV verankerten Grundsatz von Treu und Glauben kann eine unrichtige Auskunft, welche eine Behörde dem Bürger erteilt, unter gewissen Umständen Rechtswirkungen entfalten. Voraussetzung (vgl. dazu etwa BGE 137 II 182 E. 3.6.2 mit Hinweisen) dafür ist, dass:  
a) es sich um eine vorbehaltlose Auskunft der Behörden handelt; 
b) die Auskunft sich auf eine konkrete, den Bürger berührende Angelegenheit bezieht; 
c) die Amtsstelle, welche die Auskunft gegeben hat, hiefür zuständig war oder der Bürger sie aus zureichenden Gründen als zuständig betrachten durfte; 
d) der Bürger die Unrichtigkeit der Auskunft nicht ohne weiteres hat erkennen können; 
e) der Bürger im Vertrauen hierauf nicht ohne Nachteil rückgängig zu machende Dispositionen getroffen hat; 
f) die Rechtslage zur Zeit der Verwirklichung noch die gleiche ist wie im Zeitpunkt der Auskunftserteilung; 
g) das Interesse an der richtigen Durchsetzung des objektiven Rechts dasjenige des Vertrauensschutzes nicht überwiegt. 
 
5.3. Das kantonale Gericht hat zur Frage des Vertrauensschutzes erwogen, die langjährige Kostenübernahme der Medikamentenkosten auch ausserhalb der Limitierung der SL könnte grundsätzlich eine Vertrauensgrundlage bilden. Der Versicherte habe jedoch die Unrichtigkeit des Handels der Krankenversicherung ohne Weiteres erkennen können, weshalb eine Kostenübernahme aufgrund des Vertrauensprinzips nicht in Frage komme. Die dabei vom kantonalen Gericht gemachte Aussage, für den Beschwerdeführer sei aus der SL ohne Weiteres ersichtlich gwesen, dass er angesichts der zeitlichen Verhältnisse (vgl. E. 4.1) grundsätzlich nicht mit der Kostenübernahme habe rechnen können, erweist sich unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten als ausgesprochen kühn und auch die vorinstanzlichen Ausführungen zu Art. 71d Abs. 1 KVV setzen die Latte zweifelhaft hoch. Der Beschwerdeführer setzt sich mit dieser entscheidwesentlichen Erwägung des kantonalen Gerichts aber nicht auseinander, sondern macht lediglich in allgemeiner Weise geltend, die Krankenversicherung habe durch ihr Verhalten eine schutzwürdige Vertrauensgrundlage geschaffen. Damit genügt die Beschwerde des Versicherten in diesem Punkt den Anforderungen an die Beschwerdeschrift nicht (oben E. 1.1.2), weshalb sie auch diesbezüglich ohne Weiterungen abzuweisen ist.  
 
6.  
Auf Grund der Gesamtumstände rechtfertigt es sich, auf die Erhebung von Gerichtskosten zu verzichten (Art. 66 Abs. 1 Satz 2 BGG). Damit wird das Gesuch des Versicherten um unentgeltliche Prozessführung gegenstandslos. 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.  
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
 
3.  
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich und dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 18. Juli 2023 
 
Im Namen der III. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Das präsidierende Mitglied: Stadelmann 
 
Der Gerichtsschreiber: Nabold