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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
7B_808/2023  
 
 
Urteil vom 6. Dezember 2023  
 
II. strafrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichterin Koch, als präsidierendes Mitglied, 
Bundesrichter Kölz, Hofmann, 
Gerichtsschreiber Stadler. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt 
Dr. Kenad Melunovic Marini, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Staatsanwaltschaft I des Kantons Zürich, Schwere Gewaltkriminalität, Güterstrasse 33, Postfach, 8010 Zürich, 
 
1. B.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Dario Zarro, 
2. C.________, 
vertreten durch Rechtsanwältin Sara Plozza, Amt für Jugend und Berufsberatung, Regionaler Rechtsdienst, Postfach 20, 8810 Horgen. 
 
Gegenstand 
Rückweisung der Anklage zur Ergänzung oder Berichtigung (Art. 329 Abs. 2 StPO), 
 
Beschwerde gegen den Beschluss des Obergerichts 
des Kantons Zürich, II. Strafkammer, vom 13. September 2023 (SB210296-O/Z13/sm). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
 
A.a. Mit Urteil vom 17. Juni 2020 sprach das Bezirksgericht Affoltern A.________ der eventualvorsätzlichen Tötung (Art. 111 StGB) seiner Ehefrau D.________ schuldig und verurteilte ihn zu einer Freiheitsstrafe von elf Jahren. Dieses Urteil fochten A.________ und die Staatsanwaltschaft I des Kantons Zürich mit Berufung beim Obergericht des Kantons Zürich an, Letztere lediglich hinsichtlich der Strafzumessung.  
 
A.b. Das Obergericht holte im Rahmen einer Beweisergänzung zusätzlich zu den bereits bestehenden Expertisen des Instituts für Rechtsmedizin der Universität Zürich (nachfolgend: IRM Zürich) ein rechtsmedizinisches Gutachten beim Institut für Rechtsmedizin der Universität Bern (IRM Bern) ein. Mit Beschluss vom 13. September 2023 gab es der Staatsanwaltschaft gestützt auf Art. 329 Abs. 2 StPO Gelegenheit, innert 20 Tagen die Anklage im Sinne der Erwägungen anzupassen. Bei Säumnis werde angenommen, dass die Staatsanwaltschaft darauf verzichte, die Anklage anzupassen (Dispositiv-Ziffer 1). Das Verfahren bleibe an den Registern der II. Strafkammer des Obergerichtes rechtshängig (Dispositiv-Ziffer 2).  
Das Obergericht begründet diesen Beschluss damit, A.________ werde in der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft vom 3. Juli 2019 mit Blick auf das objektive Tatgeschehen vorgeworfen, zu einem nicht mehr eruierbaren Zeitpunkt, vermutlich zwischen Mittwochmorgen, 25. Oktober 2017, und Donnerstagmorgen, 26. Oktober 2017, D.________ im Rahmen einer oder mehrerer tätlichen Auseinandersetzungen in deren Familienwohnung an der U.________strasse xxx in V.________ mehrere Faustschläge sowie mehrere heftige Fusstritte gegen deren gesamten Körper versetzt zu haben, insbesondere auch in den Bauchbereich. Dadurch habe D.________ mehrere (in der Anklageschrift einzeln aufgelistete) Verletzungen erlitten, wobei das Verbluten nach innen durch insgesamt vier zugefügte Leberrisse unmittelbar todesursächlich gewesen sei. In subjektiver Hinsicht habe A.________ gewusst, dass die zahlreichen Schläge und Fusstritte, welche mit grosser Wucht insbesondere gegen den Bauchraum ausgeführt worden seien, möglicherweise zum Tod von D.________ führen könnten, was er zumindest in Kauf genommen habe. 
Das Gutachten des IRM Bern vom 4. April 2023 - so das Obergericht weiter - gebe insbesondere in zwei Punkten Anlass zu Weiterungen: 
Zum einen komme das IRM Bern zum Schluss, dass - entgegen der bisherigen gutachterlichen Einschätzung des IRM Zürich und der entsprechenden, soeben dargelegten Formulierung des Anklagevorwurfs - nicht inneres Verbluten aufgrund der Leberrisse (alleinige) Todesursache gewesen sei, sondern der Blutverlust in die Bauchhöhle vielmehr durch eine andere Todesursache entweder gänzlich überholt worden sei, noch bevor dies ein alleinig todesursächliches Ausmass habe erreichen können, oder dass zumindest eine oder mehrere weitere Verletzungen gemeinsam in Kombination mit dem besagten Blutverlust nach innen den Tod von D.________ verursacht hätten. Die möglicherweise todesursächlich relevante Befundkonstellation bestehe gemäss IRM Bern aus frischen Unterblutungen der Rumpfweichteile rechts, mehreren frischen dislozierten Rippenbrüchen rechts, je zwei Rissen an der Vorder- und Rückseite der Leber, Einblutungen im zentralen Lebergewebe, traumatischen Pneumatozelen (luftgefüllte Hohlräume) der Lunge rechts sowie Blutungen im Retroperitoneum (hinterer Bauchraum) und in die Nierenkapsel (rechts stärker als links). Die tatsächliche (letztlich unmittelbare) Todesursache lasse sich indessen nicht mehr sicher benennen. Als unmittelbare Todesursache wäre höchstens ein zerebraler Krampfanfall in Betracht zu ziehen, wobei dieser seinerseits durch eine der schweren inneren Verletzungen (z.B. durch die Pneumatozelen) verursacht worden sein könnte. 
Zum anderen seien aus diesem Verletzungsbild dem Gutachten des IRM Bern zufolge auch Erkenntnisse hinsichtlich der Art und Weise der Entstehung der letztlich tödlichen Verletzungen bei D.________ zu entnehmen, aus denen sich auf den möglichen, wiederum im Widerspruch zur bisherigen Einschätzung des IRM Zürich und der daraus folgenden Formulierung in der Anklageschrift stehenden Tatablauf schliessen lasse. Denn die beschriebenen Verletzungen seien - so das IRM Bern - die Folge einer äusserst heftigen stumpfen Gewalt auf die betreffende Körperregion, namentlich den Oberbauch rechts respektive den Brustkorb vorne rechts, wobei die stumpfe Gewalt derart tief in den Körper eingedrungen sei, dass sie die Leber hinten gegen das Widerlager der Wirbelsäule habe prallen lassen, was zu Rissen an der Leberrückseite und Verletzungen mitten in der Leber geführt habe. Derartige Verletzungen liessen sich nicht mehr mit einfachen Schlägen mit der Hand oder mit Fusstritten nach Art eines "Gerangels" erklären. Vielmehr wären dazu ein oder allenfalls mehrere kräftige Tritte auf das in Rücken- oder leicht linksseitiger Rückenlage am Boden liegende Opfer in der Art eines "Zusammentretens" des am Boden liegenden Opfers geeignet. 
Demnach - so das Obergericht - sei die Staatsanwaltschaft einzuladen, den Anklagesachverhalt im Sinne der vorstehenden Erwägungen an das neue Beweisergebnis anzupassen. 
 
B.  
A.________ führt Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht. Er beantragt, der Beschluss des Obergerichts vom 13. September 2023 sei aufzuheben (Ziffer 1) und es sei festzustellen, "dass die II. Strafkammer des Obergerichts des Kantons Zürich mit Beschluss vom 13. September 2023 als nicht (mehr) objektiv-unparteiisch im Sinne von Art. 6 Ziff. 1 EMRK geltend [sic] kann und das damit für den weiteren Verlauf des Berufungsverfahrens das Recht des Beschwerdeführers auf ein objektiv-unparteiisches Gericht im Sinne von Art. 6 Ziff. 1 EMRK verletzt ist" (Ziffer 2). Das Obergericht sei anzuweisen, "den Fall des Beschwerdeführers an einer anderen Kammer bzw. einer anderen Gerichtsbesetzung zuzuweisen" (Ziffer 3). Ausserdem ersucht er um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege für das bundesgerichtliche Verfahren. 
Es wurden keine Vernehmlassungen eingeholt, aber die Akten des vorinstanzlichen Verfahrens beigezogen. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Das Bundesgericht prüft von Amtes wegen, ob eine bei ihm eingereichte Beschwerde zulässig ist (Art. 29 Abs. 1 BGG).  
 
1.2. Der angefochtene Beschluss schliesst das Strafverfahren gegen den Beschwerdeführer nicht ab. Entgegen dem, was die neuen und deshalb unzulässigen (Art. 99 Abs. 2 BGG) Rechtsbegehren gemäss den Beschwerdeanträgen Ziffer 2 und 3 nahezulegen scheinen, hat er nicht ein Ausstandsbegehren oder die Zuständigkeit respektive die Besetzung des Berufungsgerichts zum Gegenstand, sondern die Rückweisung der Anklage an die Staatsanwaltschaft zur Anpassung des Anklagesachverhalts. Demnach ist er - wovon im Übrigen auch der Beschwerdeführer ausgeht - gemäss Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG nur dann unmittelbar mit Beschwerde beim Bundesgericht anfechtbar, wenn er einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken kann.  
Beim drohenden nicht wieder gutzumachenden Nachteil im Sinne dieser Bestimmung muss es sich um einen solchen rechtlicher Natur handeln. Ein lediglich tatsächlicher Nachteil wie die Verteuerung oder Verlängerung des Verfahrens genügt nicht. Nicht wieder gutzumachend bedeutet, dass er auch mit einem für die beschwerdeführende Person günstigen Endentscheid nicht oder nicht vollständig behoben werden kann (BGE 148 IV 155 E. 1.1; 144 IV 321 E. 2.3; je mit Hinweisen). Woraus sich der nicht wieder gutzumachende Nachteil ergeben soll, ist in der Beschwerdeschrift darzulegen, sofern dies nicht offensichtlich ist (BGE 141 IV 284 E. 2.3, 289 E. 1.3; je mit Hinweisen). Die selbstständige Anfechtbarkeit von Zwischenentscheiden bildet eine Ausnahme vom Grundsatz, dass sich das Bundesgericht mit jeder Angelegenheit nur einmal befassen und diese hierbei insgesamt beurteilen soll. Sie ist nach der Rechtsprechung restriktiv zu handhaben (BGE 140 V 321 E. 3.6). 
 
1.3. Der Beschwerdeführer argumentiert, die beschuldigte Person gehe "in dem Zeitpunkt (logischen Momentum), in welchem ein Gericht Art. 329 Abs. 2 StPO (gleiches gilt für Art. 333 Abs. 1, 2 und 4 StPO) anwendet bzw. in Anwendung von Art. 329 Abs. 2 StPO der Staatsanwaltschaft die Gelegenheit gibt, die Anklage zu ergänzen oder zu berichtigen (bzw. im Fall von Art. 333 StPO: zu ändern oder zu erweitern) für den weiteren Gang des Verfahrens eo ipso seines konventionsrechtlich zugesicherten und verfassungsmässigen Rechts auf Beurteilung seiner Strafsache durch ein Gericht im funktional-institutionellen Sinne von Art. 6 Ziff. 1 EMRK verlustig". Die drohende Verletzung eines konventionsrechtlichen Verfahrensgrundrechts stelle einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil dar. Sie könne nämlich "auch durch den Endentscheid der aktuellen Besetzung der Vorinstanz nicht beseitigt, sondern nur besiegelt werden".  
 
1.4. Dieser Argumentation kann nicht gefolgt werden: Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts stellt ein Beschluss des Gerichts gemäss Art. 329 Abs. 2 StPO einen prozessleitenden Entscheid dar, der grundsätzlich keinen nicht wieder gutzumachenden Nachteil rechtlicher Natur bewirkt und deshalb nicht nach Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG angefochten werden kann (siehe im Einzelnen BGE 143 IV 175 E. 2; Urteile 1B_363/2021 vom 5. April 2022 E. 2.2; 1B_362/2021 vom 6. September 2021 E. 3.1; je mit weiteren Hinweisen). Aus welchem Grund davon hier eine Ausnahme bestehen soll, ist nicht erkennbar. Dass zufolge des angefochtenen Beschlusses eine Verletzung des Beschleunigungsgebots droht, macht der Beschwerdeführer nicht geltend und ist auch nicht ersichtlich, zumal die Staatsanwaltschaft gemäss den kantonalen Akten im Zeitpunkt der Beschwerdeeinreichung beim Bundesgericht bereits einen "Angepasste[n] Anklagesachverhalt an das neue Beweisergebnis" eingereicht hat und die Parteien in der Folge aufgefordert worden sind, sich zur Frage zu äussern, wie das Verfahren fortgesetzt werden soll. Dagegen bewirkt die vom Beschwerdeführer gerügte Verletzung von (anderen) Verfahrensgarantien nach der EMRK für sich alleine keinen drohenden nicht wieder gutzumachenden Nachteil rechtlicher Natur, kann diese doch im Rahmen der Beschwerde gegen den Endentscheid in der Sache vorgebracht und vom Bundesgericht beurteilt werden. Unter diesen Umständen verlangt aber auch der in der Beschwerde erwähnte Art. 13 EMRK nicht, dass das Bundesgericht sofort angerufen werden kann. Der Beschwerdeführer beruft sich schliesslich auf die Rechtsprechung zum Fall, in dem die Missachtung des Vorschlagsrechts der beschuldigten Person bei der Bestellung der amtlichen Verteidigung nach Art. 6 Ziff. 3 lit. c EMRK (und Art. 133 Abs. 2 StPO) beanstandet wird (siehe BGE 139 IV 113 E. 1.2), geht jedoch zu Unrecht davon aus, die darin nach Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG bejahte Beschwerdemöglichkeit gelte auch für die Rückweisung der Anklage an die Staatsanwaltschaft in Anwendung von Art. 329 Abs. 2 StPO.  
 
1.5. Nach dem Gesagten fehlt es an den Voraussetzungen für einen selbständigen Weiterzug des Beschlusses vom 13. September 2023 an das Bundesgericht. Der Beschwerdeführer wird diesen vielmehr durch Beschwerde gegen den Endentscheid des Sachgerichts anfechten können, soweit er sich auf dessen Inhalt auswirkt (siehe Art. 93 Abs. 3 BGG).  
 
2.  
Auf die Beschwerde ist nicht einzutreten. Ausgangsgemäss wird der Beschwerdeführer kostenpflichtig (Art. 66 Abs. 1 BGG). Da die Beschwerde aussichtslos war, kann dem Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege nicht entsprochen werden (Art. 64 Abs. 1 BGG). Der finanziellen Lage des Beschwerdeführers ist bei der Bemessung der Gerichtskosten Rechnung zu tragen (Art. 65 Abs. 2 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten. 
 
2.  
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen. 
 
3.  
Die Gerichtskosten in der Höhe von Fr. 1'200.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
4.  
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft I des Kantons Zürich, B.________, C.________ und dem Obergericht des Kantons Zürich, II. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 6. Dezember 2023 
 
Im Namen der II. strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Das präsidierende Mitglied: Koch 
 
Der Gerichtsschreiber: Stadler