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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
1B_639/2022  
 
 
Urteil vom 13. Januar 2023  
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Chaix, präsidierendes Mitglied, 
Bundesrichter Merz, Kölz, 
Gerichtsschreiber Schurtenberger. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
Beschwerdeführer, 
vertreten durch Rechtsanwalt Franco Faoro, 
 
gegen  
 
Staatsanwaltschaft Zürich-Sihl, 
Stauffacherstrasse 55, Postfach, 8036 Zürich, 
 
Staatsanwaltschaft Zürich-Limmat, Stauffacherstrasse 55, Postfach, 8036 Zürich. 
 
Gegenstand 
Strafverfahren: Haftentlassung, 
 
Beschwerde gegen die Präsidialverfügung 
des Obergerichts des Kantons Zürich, Präsident 
der I. Strafkammer, vom 16. November 2022 
(SB210428-O/Z4/js). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Mit Urteil des Obergerichts des Kantons Zürichs vom 4. April 2022 wurde A.________ wegen banden- und gewerbsmässigem Diebstahl und weiteren Delikten zu einer Freiheitsstrafe von 4.5 Jahren verurteilt und für die Dauer von 8 Jahren des Landes verwiesen. Dagegen gelangte er mit Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht, wobei einzig die Landesverweisung, nicht aber der Schuld- und Strafpunkt angefochten sind (Verfahren 6B_771/2022). 
 
B.  
A.________ befindet sich seit mittlerweilen mehr als 3 Jahren in Untersuchungs- und Sicherheitshaft respektive im vorzeitigen Strafvollzug, wobei er seit dem 16. November 2022 zwei Drittel der ausgefällten Sanktion von 4.5 Jahren erstanden hat. Am 20. Juli 2022 stellte er ein Gesuch um Gewährung der bedingten Entlassung. Dieses wurde vom Obergericht des Kantons Zürich sinngemäss als Haftentlassungsgesuch bzw. als Gesuch um Entlassung aus dem vorzeitigen Strafvollzug entgegengenommen und mit Präsidialverfügung vom 16. November 2022 abgewiesen. 
 
C.  
Mit Eingabe vom 16. Dezember 2022 erhebt A.________ beim Bundesgericht Beschwerde in Strafsachen. Er beantragt, es sei festzustellen, dass das Urteil des Obergerichts bis auf die Frage der Landesverweisung in Rechtskraft erwachsen sei. Weiter beantragt er, die Verfügung vom 16. November 2022 sei aufzuheben und das Verfahren sei an das Amt für Justizvollzug und Wiedereingliederung des Kantons Zürich zur Neubeurteilung einer bedingten Entlassung nach Art. 86 StGB zurückzuweisen. Eventualiter sei sein Gesuch um bedingte Entlassung aus dem Strafvollzug gutzuheissen. Subeventualiter seien regelmässige Urlaube zwecks Vorbereitung von Vollzugslockerungen zu gewähren. In prozessualer Hinsicht beantragt er die Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege und Rechtsverbeiständung für das bundesgerichtliche Beschwerdeverfahren. 
Das Obergericht und die Staatsanwaltschaft haben auf eine Vernehmlassung verzichtet. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Angefochten ist ein kantonal letztinstanzlicher Entscheid betreffend Entlassung aus der Sicherheitshaft bzw. dem vorzeitigen Strafvollzug. Dagegen steht die Beschwerde in Strafsachen nach Art. 78 ff. BGG offen. Der Beschwerdeführer hat am vorinstanzlichen Verfahren teilgenommen und befindet sich, soweit aus den Akten ersichtlich, nach wie vor in Haft. Er ist deshalb nach Art. 81 Abs. 1 BGG grundsätzlich zur Beschwerde berechtigt. 
 
2.  
Nach Art. 99 Abs. 2 BGG sind neue Begehren im bundesgerichtlichen Beschwerdeverfahren unzulässig. 
 
2.1. Der Beschwerdeführer stellt sein Feststellungsbegehren betreffend die Rechtskraft des Urteils des Obergerichts vom 4. April 2022 erstmals vor Bundesgericht. Entsprechend handelt es sich um ein unzulässiges Begehren, in dessen Umfang auf die Beschwerde nicht einzutreten ist.  
 
2.2. Selbiges gilt für den subeventualiter gestellten Antrag, regelmässige Urlaube zwecks Vorbereitung von Vollzugslockerungen zu gewähren. Auch hierbei handelt es sich um ein unzulässiges neues Begehren, worauf nicht eingetreten werden kann.  
 
3.  
Gemäss Art. 42 BGG haben Rechtsschriften eine Begründung zu enthalten (Abs. 1), in welcher "in gedrängter Form darzulegen [ist], inwiefern der angefochtene Akt Recht verletzt" (Abs. 2). 
 
3.1. Das Bundesgericht wendet das Bundesrecht zwar grundsätzlich von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Nach der Rechtsprechung muss sich die Beschwerde aber wenigstens kurz mit den Erwägungen des angefochtenen Entscheids auseinandersetzen; rein appellatorische Kritik ist nicht zulässig (BGE 138 I 171 E. 1.4; Urteil 1B_174/2022 vom 17. August 2022 E. 2.4).  
 
3.2. Hinsichtlich der materiellen Beurteilung seines Gesuchs durch die Vorinstanz weist der Beschwerdeführer selbst darauf hin, er erlaube sich, "aus zeitlichen Aspekten" inhaltlich "mutatis mutandis die Argumente zu übernehmen", die er bereits vor der Vorinstanz vorgebracht habe. Entsprechend geht er denn auch in keiner Weise auf die Begründung des angefochtenen Entscheids ein, nach welcher sein Gesuch um bedingte Entlassung gar nicht als solches zu behandeln, sondern als Haftentlassungsgesuch entgegenzunehmen und zu prüfen war, sondern beschränkt sich auf eine praktisch wörtliche Wiedergabe seiner bereits vor der Vorinstanz eingereichten Stellungnahme. Damit kommt der anwaltlich vertretene Beschwerdeführer seiner Begründungspflicht nach Art. 42 Abs. 2 BGG offensichtlich nicht hinreichend nach, womit auch diesbezüglich auf die Beschwerde nicht eingetreten werden kann.  
 
4.  
Auf die Beschwerde kann nach dem Gesagten einzig insoweit eingetreten werden, als der Beschwerdeführer durch sein Begehren um Zurückweisung der Sache an das Amt für Justizvollzug und Wiedereingliederung sinngemäss die Zuständigkeit der Vorinstanz bestreitet. 
 
4.1. Die Argumentation des Beschwerdeführers geht dahin, mangels Anfechtung sei das in der Hauptsache erfolgte Urteil des Obergerichts vom 4. April 2022 hinsichtlich des Schuld- und Strafpunktes in Rechtskraft erwachsen. Er befinde sich daher nicht mehr im vorzeitigen, sondern im ordentlichen Vollzug, womit die Zuständigkeit für Entscheide über seine (bedingte) Entlassung an die Vollzugsbehörden übergegangen seien.  
 
4.2. Der Beschwerdeführer weist indessen selbst darauf hin, dass noch keine Vollstreckung der mit Urteil vom 4. April 2022 ausgesprochenen Strafe angeordnet worden sei. Mangels Erlass eines Vollzugsbefehls i.S.v. Art. 439 Abs. 2 StPO beruht der Freiheitsentzug des Beschwerdeführers daher noch auf den für das Untersuchungs- und Hauptverfahren massgebenden Bestimmungen der Strafprozessordnung über die Untersuchungs- und Sicherheitshaft (Urteil 6B_73/2017 vom 16. Februar 2017 E. 1, nicht publ. in: BGE 143 IV 160; vgl. auch SCHMID/JOSITSCH, Schweizerische Strafprozessordnung, Praxiskommentar, 3. Aufl. 2018, N. 5 zu Art. 439 StPO; PERRIN/ROTEN, in: Commentaire romand, Code de procedure pénale suisse, 2. Aufl. 2019, N. 32 zu Art. 439 StPO). Die Vorinstanz hat das Gesuch um bedingte Entlassung demnach zu Recht als Haftentlassungsgesuch entgegengenommen und war für dessen Beurteilung zuständig, was im Übrigen im vorinstanzlichen Verfahren auch der Beschwerdeführer nicht bestritt. Die Beschwerde ist diesbezüglich unbegründet.  
 
 
5.  
Nach dem Gesagten ist die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind die Gerichtskosten grundsätzlich dem Beschwerdeführer aufzuerlegen und keine Parteientschädigungen zuzusprechen (Art. 66 und 68 BGG). 
Indessen beantragt der Beschwerdeführer die Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege und Rechtsverbeiständung für das Verfahren vor Bundesgericht. Deren Gewährung setzt jedoch insbesondere voraus, dass die gestellten Rechtsbegehren nicht aussichtlos erscheinen (Art. 64 Abs. 1 BGG). Mit Blick auf die offensichtlich unzureichende Begründung muss die Beschwerde des anwaltlich vertretenen Beschwerdeführers als aussichtslos qualifiziert werden. Das Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege und Rechtsverbeiständung ist demnach abzuweisen. Auf eine Kostenauflage kann ausnahmsweise verzichtet werden (Art. 66 Abs. 1 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
 
2.  
Das Gesuch des Beschwerdeführers um unentgeltliche Rechtspflege und Rechtsverbeiständung für das bundesgerichtliche Verfahren wird abgewiesen. 
 
3.  
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
 
4.  
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft Zürich-Sihl, der Staatsanwaltschaft Zürich-Limmat und dem Obergericht des Kantons Zürich, Präsident der I. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 13. Januar 2023 
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Das präsidierende Mitglied: Chaix 
 
Der Gerichtsschreiber: Schurtenberger