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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
9C_527/2022  
 
 
Urteil vom 12. September 2023  
 
III. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Parrino, Präsident, 
Bundesrichter Beusch, Bundesrichterin Scherrer Reber, 
Gerichtsschreiber Williner. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Advokat Nicolai Fullin, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen  
 
Pensionskasse der PricewaterhouseCoopers, vertreten durch Rechtsanwältin Dr. Isabelle Vetter-Schreiber, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Berufliche Vorsorge, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 15. September 2022 (BV.2021.00033). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Die 1983 geborene A.________ war ab dem 1. März 2015 bei der B.________ AG angestellt und in dieser Eigenschaft bei der Pensionskasse der PricewaterhouseCoopers (nachfolgend: Pensionskasse) berufsvorsorgeversichert. Mit Verfügung vom 9. April 2020 sprach ihr die IV-Stelle des Kantons Aargau rückwirkend ab Oktober 2017 eine ganze Invalidenrente (Invaliditätsgrad 100 %) sowie zwei Kinderrenten zu. Diese - auch der Pensionskasse zugestellte - Verfügung erwuchs unangefochten in Rechtskraft. 
Am 5. Mai 2020 teilte die Pensionskasse A.________ mit, den überobligatorischen Vorsorgevertrag per sofort zu kündigen, weil diese die Fragen 3 und 4 der Gesundheitserklärung vom 25. März 2015 unvollständig bzw. falsch beantwortet habe; damit habe A.________ ihre Anzeigepflicht verletzt. Folglich anerkannte die Pensionskasse einen Rentenanspruch ab Ende Oktober 2018 (Ende der Taggeldzahlungen) explizit nur im Umfang der Mindestleistungen nach BVG. 
 
B.  
Am 20. Mai 2021 erhob A.________ beim Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich Klage gegen die Pensionskasse. Sie beantragte, es sei diese zu verpflichten, ihr für die Zeit ab dem 1. November 2018 eine ganze Invalidenrente nebst zwei Kinderrenten nach den reglementarischen Bestimmungen zuzüglich eines Verzugszinses von mindestens 1.25 % ab Klageeinreichung zu leisten. Weiter sei die Pensionskasse zu verpflichten, den überobligatorischen Vorsorgevertrag mit ihr, A.________, weiterzuführen. Mit Urteil vom 15. September 2022 wies das angerufene Gericht die Klage ab. 
 
C.  
A.________ führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten. Sie beantragt die Aufhebung des Urteils vom 22. September 2022 und erneuert die vorinstanzlich gestellten Rechtsbegehren. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann unter anderem die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG), und kann deren Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 und Art. 105 Abs. 2 BGG). Unter Berücksichtigung der Begründungspflicht (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG) prüft es nur die geltend gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu offensichtlich sind (BGE 141 V 234 E. 1; 138 I 274 E. 1.6). 
 
2.  
Streitig und zu prüfen ist, ob das kantonale Gericht Bundesrecht verletzte, indem es die Kündigung des überobligatorischen Vorsorgevertrags aufgrund einer von der Beschwerdeführerin begangenen Anzeigepflichtverletzung als zulässig erachtete. 
 
2.1. Die Verletzung der Anzeigepflicht und deren Folgen im Bereich der hier einzig streitigen weitergehenden beruflichen Vorsorge beurteilen sich nach den statutarischen und reglementarischen Bestimmungen der Vorsorgeeinrichtung. Wenn die Parteien die Anzeigepflicht und ihre Folgen vertraglich nicht geregelt haben, kommen Art. 4 ff. VVG (SR 221.229.1) analogieweise zur Anwendung (SVR 2022 BVG Nr. 9 S. 30, 9C_635/2020 E. 4.2.1; SVR 2019 BVG Nr. 48 S. 187, 9C_702/2018 E. 3.2; SVR 2017 BVG Nr. 1 S. 1, 9C_308/2016 E. 4; BGE 116 V 218 E. 4).  
Das kantonale Gericht hat die im vorliegenden Fall massgeblichen Grundlagen gemäss dem Vorsorgereglement der Beschwerdegegnerin und gemäss der Rechtsprechung zu Art. 4 ff. VVG zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen. 
 
2.2. Anzufügen bzw. zu wiederholen ist, dass Sinn und Tragweite der im Rahmen einer Gesundheitserklärung gestellten Fragen nach denselben Auslegungsgrundsätzen zu ermitteln sind, wie sie für Verträge gelten, somit normativ nach dem Grundsatz von Treu und Glauben (Vertrauensprinzip) sowie unter Berücksichtigung der speziell für den Versicherungsvertrag im Gesetz (Art. 4 Abs. 3 VVG) statuierten Erfordernisse der Bestimmtheit und Unzweideutigkeit der Fragenformulierung. Danach verletzt eine versicherte Person die Anzeigepflicht, wenn sie eine bestimmte und unzweideutig formulierte Frage zu den bei ihr bestehenden oder vorbestandenen gesundheitlichen Störungen verneint, denen sie nach der ihr zumutbaren Sorgfalt Krankheitscharakter beimessen müsste. Hingegen führte es zu weit, wenn die Aufnahmebewerberin vereinzelt aufgetretene Unpässlichkeiten, die sie in guten Treuen als belanglose, vorübergehende Beeinträchtigungen des körperlichen Wohlbefindens betrachten darf und bei der gebotenen Sorgfalt nicht als Erscheinungsformen eines ernsthafteren Leidens beurteilen muss, anzuzeigen verpflichtet wäre. Das Verschweigen derartiger geringfügiger Gesundheitsstörungen vermag keine Verletzung der Anzeigepflicht zu begründen (Urteil 9C_203/2020 vom 22. März 2021 E. 2.2; SVR 2009 BVG Nr. 12 S. 37, 9C_199/2008 E. 3.1.4 mit weiteren Hinweisen).  
 
2.3. Die der Beschwerdeführerin am 25. März 2015 unterbreiteten Gesundheitsfragen lauten wie folgt:  
 
"1. Sind Sie uneingeschränkt arbeitsfähig? 
2. Bestand bei der bisherigen Pensionskasse ein Vorbehalt oder eine Mehrprämie aus gesundheitlichen Gründen? 
3. Stehen oder standen Sie in den letzten fünf Jahren unter ärztlicher Kontrolle oder nehmen Sie regelmässig Medikamente ein? 
4. Leiden oder litten Sie an gesundheitlichen Störungen, psychischen Leiden, Folge eines Unfalls, einer Krankheit oder eines Gebrechens, die heute noch einen Einfluss auf ihre Arbeitsfähigkeit haben könnten? 
5. Mussten Sie in den letzten fünf Jahren die Arbeit wegen einer Krankheit oder eines Unfalls mehr als zwei Wochen ganz oder teilweise aussetzen? 
6. Haben Sie einen Antrag für den Leistungsbezug bei einer Sozialversicherung (z.B. IV, UV, MV) bzw. anderen Versicherungen (ausgenommen Krankenkasse) gestellt bzw. haben Sie einen solchen Entscheid erhalten?" 
 
 
3.  
Die Vorinstanz schloss, die Beschwerdeführerin hätte sich beim Ausfüllen der Gesundheitserklärung am 25. März 2015 bewusst sein müssen, dass der Besuch einer von der Krankenkasse vergüteten, delegierten Psychotherapie wegen einer depressiven Symptomatik während eines Zeitraums von eineinhalb Jahren eine Gefahrstatsache darstelle. Dies müsse umso mehr gelten, als sie schon die Jahre davor psychisch angeschlagen gewesen sei und sie die Arbeit nur gerade etwas mehr als ein Jahr nach Abbruch der Therapie aufgenommen habe. Sie habe nach Treu und Glauben davon ausgehen müssen, dass die ärztlich delegierte Psychotherapie respektive ihr psychisches Leiden von Frage 3 respektive Frage 4 der Gesundheitserklärung erfasst werde und sie dementsprechend beide Fragen mit "ja" hätte beantworten müssen. Das Vorliegen einer Anzeigepflichtverletzung sei demnach zu bejahen. 
 
4.  
Die dagegen von der Beschwerdeführerin erhobenen Rügen verfangen nicht. 
 
4.1. Die Beschwerdeführerin macht wohl geltend, ihre Therapiesitzungen hätten ausschliesslich bei zwei Psychologinnen (lic. phil.) stattgefunden, jedoch nicht bei einem Arzt. Sie bestreitet aber die vorinstanzliche Feststellung nicht, es habe eine delegierte Psychotherapie zuerst in den Praxisräumen der Universitären Psychiatrischen Kliniken (UPK) U.________ und später in der Praxis des Dr. med. C.________, FMH Psychiatrie und Psychotherapie, jeweils unter dessen Aufsicht und Verantwortung stattgefunden. Dies ergebe sich, so das kantonale Gericht weiter, auch aus den Leistungsabrechnungen des Dr. med. C.________. Diese für das Bundesgericht verbindlichen Feststellungen (vgl. E. 1 hievor) lassen einzig den Schluss zu, es habe eine ärztliche Behandlung stattgefunden (vgl. dazu auch BGE 125 V 441 E. 2 mit Hinweisen). Damit steht weiter ausser Frage, dass die Beschwerdeführerin in den fünf Jahren vor dem 25. März 2015 unter ärztlicher Kontrolle im Sinne der Frage 3 der Gesundheitserklärung stand; diesbezüglich wird denn in der Beschwerde auch nichts Gegenteiliges geltend gemacht. Vielmehr stellt sich die Beschwerdeführerin auf den Standpunkt, sie habe als Ausländerin ohne Kenntnis des hiesigen Versicherungssystems in guten Treuen davon ausgehen dürfen, ohne persönliche Kontakte zu einer Arztperson nicht unter ärztlicher Kontrolle im Sinne der Frage 3 der Gesundheitserklärung gestanden zu haben.  
 
4.2. Im angefochtenen Urteil finden sich umfangreiche Ausführungen zum Modell der delegierten Psychotherapie und allgemein zu dem sich im Umbruch befindlichen System der Vergütung der Psychotherapie (vgl. dazu auch MARCEL BOLLER, Die Vergütung der Psychotherapie, AJP 2019, S. 934 ff.; vgl. zudem: www.bag.admin.ch/Versicherungen/Krankenversicherung/Leistungen und Tarife/Nicht-ärztliche Leistungen/Neuregelung der psychologischen Psychotherapie ab 1. Juli 2022, besucht am 31. August 2023). Darauf ist hier nicht näher einzugehen. In Bezug auf die streitbetroffene, in den Jahren 2012 und 2013 stattgefundene Psychotherapie hielt die Vorinstanz unter anderem mit Hinweis auf das Urteil 9C_570/2015 vom 6. Juni 2016 E. 7.1 zu Recht fest, dass eine von einer "nichtärztlichen" Fachperson durchgeführte Psychotherapie nur dann eine im Rahmen der obligatorischen Krankenpflegeversicherung zu übernehmende Pflichtleistung darstellt, wenn regelmässig eine Arztperson involviert ist. Diese trägt die Verantwortung für die Therapie sowie die Aufsicht über die "nichtärztliche" Fachperson, welche sie laufend instruieren und überwachen muss.  
Auch wenn eine persönliche Konsultation bei einem Psychiater im Rahmen einer delegierten Psychotherapie unbestrittenermassen nicht immer erforderlich war beziehungsweise ist, erscheint unter Berücksichtigung des eben Ausgeführten wenig wahrscheinlich, dass die Beschwerdeführerin bei den insgesamt 42 delegierten Psychotherapiesitzungen tatsächlich keinerlei persönlichen Kontakt zu Dr. med. C.________ hatte. Mit Blick auf die nachfolgenden Ausführungen in E. 4.3 ist darauf indessen nicht näher einzugehen. Ebenso erübrigen sich Weiterungen dazu, ob die Beschwerdeführerin trotz der Vielzahl an hausärztlich angeordneten (vgl. dazu Patientenformular des Dr. med. C.________ vom 4. November 2013) und über die Krankenkasse abgerechneten Therapiesitzungen in den Räumlichkeiten eines Facharztes tatsächlich in guten Treuen davon ausgehen durfte, nicht "unter ärztlicher Kontrolle" zu stehen; dies unabhängig davon, ob sie persönlichen Kontakt zu Dr. med. C.________ hatte oder nicht. 
 
4.3. So oder anders hätte die Beschwerdeführerin zumindest die Frage 4 der Gesundheitserklärung vom 25. März 2015 nicht verneinen dürfen. Auch ohne nähere Kenntnisse über das hiesige Versicherungssystem hätte der Beschwerdeführerin ohne Weiteres klar sein müssen, dass die in der UPK U.________ im September 2013 gestellten Diagnosen (unter anderem eine mittelgradige depressive Episode [ICD-10: F32.1] und eine generalisierte Angststörung [ICD-10: F41.1]) auch nach Stellenantritt Einfluss auf die Arbeitsfähigkeit haben könnten. Dies umso mehr, als sich die Beschwerdeführerin wegen eben diesen Diagnosen in ambulante Psychotherapie bei der UPK U.________ begeben und in der Folge 42 Therapiesitzungen besucht hatte. Damals hatte sie denn im Rahmen der Anamneseerhebung auch angegeben, sie fühle sich beruflich und privat schnell überfordert und habe im März 2011 wegen eines Burnouts für zwei Wochen krank geschrieben werden müssen (Abschlussbericht der UPK U.________ vom September 2013). Im Lichte dessen überzeugt auch der Einwand der Beschwerdeführerin nicht, sie sei bis zum Versicherungsantrag nie aufgrund psychischer Beschwerden arbeitsunfähig gewesen und habe nicht damit rechnen müssen, dass "diese (...) vergangenen Probleme" künftig zu einer Arbeitsunfähigkeit führen könnten. Diesbezüglich gilt es denn auch festzuhalten, dass es die Beschwerdeführerin war, welche die delegierte Psychotherapie zur Überraschung der Therapeutin abbrach. Dies, obwohl sie schon damals erkannte, dass es ihr weiterhin schlecht ging (vgl. e-mail vom 29. September 2013). In Einklang damit gab sie Jahre später im Rahmen einer fachärztlichen Untersuchung in der Psychiatrische Dienste V.________ an, sie könne sich nicht erinnern, dass es ihr jemals anders/besser gegangen sei, worauf sie indessen erst im Jahre 2012 von einem Arzt aufmerksam gemacht worden sei (Bericht der Psychiatrische Dienste V.________ vom 7. Mai 2019).  
 
4.4. Schliesslich verfängt auch der Hinweis der Beschwerdeführerin auf das Urteil 9C_626/2012 vom 15. April 2013 nicht. Die damalige Fallkonstellation ist bereits deshalb nicht mit der vorliegenden vergleichbar, weil die Versicherte im Urteil 9C_626/2012 - anders als die Beschwerdeführerin hier - in keinerlei fachärztlicher Behandlung gestanden hatte.  
 
5.  
Die Erwägungen des kantonalen Gerichts zu den weiteren Voraussetzungen der Anzeigepflichtverletzung sind unangefochten geblieben und nicht offensichtlich rechtsverletzend, sodass darauf abgestellt werden kann. Die Beschwerde ist unbegründet. 
 
6.  
Ausgangsgemäss hat die Beschwerdeführerin die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG). Der Beschwerdegegnerin steht keine Parteientschädigung zu (Art. 68 Abs. 3 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.  
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt. 
 
3.  
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 12. September 2023 
 
Im Namen der III. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Parrino 
 
Der Gerichtsschreiber: Williner