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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
7B_137/2024  
 
 
Urteil vom 3. April 2024  
 
II. strafrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Abrecht, Präsident, 
Bundesrichterin Koch, Bundesrichter Hurni, 
Gerichtsschreiberin Sauthier. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Julian Burkhalter, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Departement des Innern des Kantons Solothurn, Amt für Justizvollzug, 
Ambassadorenhof, 4500 Solothurn, 
Beschwerdegegner. 
 
Gegenstand 
Entlassung aus stationärer Massnahme, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Solothurn vom 20. Dezember 2023 (VWBES.2023.331). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Das Obergericht des Kantons Solothurn stellte mit Urteil vom 29. April 2020 fest, A.________ habe sich gemäss dem erstinstanzlichen Urteil des Amtsgerichts Solothurn-Lebern vom 14. Oktober 2019 der mehrfachen einfachen Körperverletzung schuldig gemacht und sei zu einer Freiheitsstrafe von 18 Monaten verurteilt worden. Gleichzeitig ordnete das Obergericht eine stationäre therapeutische Massnahme an. 
Am 22. August 2017 trat A.________ den vorzeitigen Massnahmenvollzug an. Seit dem 25. September 2018 befindet er sich in der Klinik für Forensische Psychiatrie der Psychiatrischen Dienste Aargau (PDAG). 
 
B.  
Anlässlich der Vollzugskoordinationssitzung vom 11. Juli 2023 wurde A.________ eröffnet, dass bei der anstehenden jährlichen Prüfung der Entlassung und Aufhebung der stationären Massnahme vorgesehen sei, diese weiterzuführen. Daraufhin stellte A.________ den Antrag, er sei umgehend aus dem Massnahmenvollzug zu entlassen. Mit Verfügung vom 3. Oktober 2023 wies das Amt für Justizvollzug, Straf- und Massnahmenvollzug (AJUV), die Anträge von A.________ ab und verfügte die Weiterführung der stationären Massnahme. 
Dagegen erhob A.________ Beschwerde an das Verwaltungsgericht des Kantons Solothurn, welches die Beschwerde am 20. Dezember 2023 abwies. 
 
C.  
Mit Eingabe vom 1. Februar 2024 führt A.________ Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht. Er beantragt zusammengefasst die Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheids und seine unverzügliche Entlassung aus dem Massnahmenvollzug. Weiter beantragt er die Feststellung, dass seine Haft seit dem 13. November 2021 Art. 5 Ziff. 1 EMRK verletze und stellt den Antrag auf eine Genugtuung in der Höhe von Fr. 164'200.-- zzgl. Zins seit dem 13. November 2021 bzw. eine Haftentschädigung von Fr. 200.-- zzgl. Zins pro Hafttag ab dem 13. November 2021. Eventualiter sei die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Anfechtungsgegenstand ist ein letztinstanzlicher kantonaler Entscheid betreffend Entlassung aus einer stationären Massnahme. Es handelt sich um eine Strafsache, gegen welche die Beschwerde in Strafsachen nach Art. 78 ff. BGG zulässig ist. Der Beschwerdeführer ist hierzu legitimiert (Art. 81 Abs. 1 lit. a und lit. b Ziff. 1 BGG). Da die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen erfüllt sind, ist auf die Beschwerde einzutreten. 
 
2.  
Umstritten ist vorliegend grundsätzlich einzig die Berechnung des Fristenlaufs bei einer stationären Massnahme nach Art. 59 Abs. 4 StGB und dabei insbesondere, ob eine allfällige Anrechnung eines vorzeitigen Massnahmenvollzugs im Zusammenhang mit der Berechnung des Fristenlaufs bzw. der Dauer der stationären Massnahme steht. 
 
2.1. Der Beschwerdeführer ist der Auffassung, der von ihm erstandene vorzeitige Massnahmenvollzug von 1064 Tagen sei auf die angeordnete stationäre Massnahme nach Art. 59 Abs. 4 StGB anzurechnen. Da diese Anrechnung, obschon im obergerichtlichen Urteil vom 29. April 2020 in Dispositiv-Ziffer 7 so angeordnet, unterblieben sei, werde ihm seit dem 13. November 2021 in Verletzung von Art. 5 Ziff. 1 EMRK die Freiheit widerrechtlich entzogen und er befinde sich in Überhaft. Das Vorgehen des Staates sei willkürlich. Er sei unverzüglich aus dem Massnahmenvollzug zu entlassen. Zudem sei ihm eine Genugtuung bzw. Haftentschädigung zu entrichten. Die inkonstante Rechtsprechung des Bundesgerichts könne die fehlende gesetzliche Grundlage betreffend eine allfällige Anrechnung von Untersuchungs- und Sicherheitshaft auf freiheitsentziehende Massnahmen nicht ersetzen.  
 
2.2. Demgegenüber hält die Vorinstanz fest, für den Fristenlauf sei auf das Datum des in Rechtskraft erwachsenen Anordnungsentscheids abzustellen. Dieser datiere vom 29. April 2020. Ab diesem Zeitpunkt habe der Fristenlauf für die fünfjährige Dauer der Massnahme nach Art. 59 StGB begonnen. Ein vorzeitiger Massnahmenvollzug werde bei der Berechnung der Fünfjahresfrist nicht berücksichtigt.  
 
3.  
 
3.1. Der mit der stationären Behandlung verbundene Freiheitsentzug beträgt in der Regel höchstens fünf Jahre (Art. 59 Abs. 4 Satz 1 StGB). Sind die Voraussetzungen für die bedingte Entlassung nach fünf Jahren noch nicht gegeben und ist zu erwarten, durch die Fortführung der Massnahme lasse sich der Gefahr weiterer mit der psychischen Störung des Täters in Zusammenhang stehender Verbrechen und Vergehen begegnen, so kann das Gericht auf Antrag der Vollzugsbehörde die Verlängerung der Massnahme um jeweils höchstens fünf Jahre anordnen (Art. 59 Abs. 4 Satz 2 StGB).  
Die Fünfjahresfrist gemäss Art. 59 Abs. 4 Satz 1 StGB bzw. die richterlich festgesetzte Frist beginnt mit dem Eintritt in die Massnahmenvollzugseinrichtung zu laufen, wenn der Vollzug der Massnahme aus der Freiheit heraus angetreten wird. Wird die Massnahme nicht aus der Freiheit heraus angetreten - was der Regel entspricht -, ist für den Fristenlauf auf das Datum des in Rechtskraft erwachsenen Anordnungsentscheids abzustellen. Entscheidend ist demnach das Datum des erstinstanzlichen Gerichtsentscheids, wenn dagegen kein Rechtsmittel ergriffen wurde (Art. 437 Abs. 1 lit. a und Abs. 2 StPO), das ergriffene Rechtsmittel zurückgezogen wurde (Art. 437 Abs. 1 lit. b StPO; BGE 142 IV 105 E. 5.7), die Rechtsmittelinstanz auf das ergriffene Rechtsmittel nicht eintrat (vgl. Art. 437 Abs. 1 lit. c StPO) oder wenn - bei einer nachträglichen Anordnung der stationären therapeutischen Massnahme (vgl. für den Rechtsmittelweg bei nachträglichen gerichtlichen Entscheiden nach Art. 363 ff. StPO: BGE 141 IV 396 E. 3 f. vor der StPO-Revision vom 17. Juni 2022 und Art. 365 Abs. 3 StPO danach) - das Rechtsmittel gegen die erstinstanzliche Anordnung abgewiesen wurde (Art. 437 Abs. 1 lit. c StPO). Demgegenüber ist auf den Entscheid der Rechtsmittelinstanz abzustellen, wenn diese einen neuen Entscheid fällt (vgl. Art. 397 Abs. 2 StPO für die Beschwerdeinstanz bzw. Art. 408 StPO für die Berufungsinstanz). 
 
3.2. Die Anordnung einer stationären therapeutischen Massnahme dient neben der Behandlung des Beschwerdeführers offenkundig auch dessen Sicherung. Insoweit verfolgten und verfolgen die Untersuchungs- und Sicherheitshaft sowie eine allfällige stationäre Behandlung nach Art. 59 StGB den gleichen Zweck (vgl. BGE 141 IV 236 E. 3.9). In einem solchen Fall sind - nach der mit dem Grundsatzentscheid BGE 141 IV 236 E. 3.8 begründeten bundesgerichtlichen Praxis - Untersuchungs- und Sicherheitshaft grundsätzlich an freiheitsentziehende Massnahmen gemäss Art. 56 ff. StGB, konkret an stationäre therapeutische Massnahmen im Sinne von Art. 59 StGB, anzurechnen (vgl. BGE 146 IV 49 E. 2.4.2). Das Bundesgericht hat jedoch auch klargestellt, dass aus dieser Rechtsprechung keine Rückschlüsse für die Dauer einer Massnahme gezogen werden können (Urteil 6B_375/2018 vom 12. August 2019 E. 2.6, nicht publ. in: BGE 145 IV 359). Die stationäre therapeutische Massnahme nach Art. 59 StGB ist zeitlich nicht absolut limitiert (BGE 145 IV 65 E. 2.2 und E. 2.3.3 mit Hinweisen). Stationäre therapeutische Massnahmen nach Art. 59 StGB sind im Unterschied zu Strafen zeitlich relativ unbestimmt. Ihr Ende bestimmt sich nicht durch simplen Zeitablauf (zum Ganzen BGE 145 IV 65 E. 2.3.4 mit Hinweisen und Urteil 6B_375/2018 vom 12. August 2019 E. 2.6, nicht publ. in: BGE 145 IV 359). Denn anders als bei Art. 60 Abs. 4 StGB regeln die Fristen gemäss Art. 59 Abs. 4 Satz 1 und Satz 2 StGB nicht die Höchstdauer der Massnahme, sondern innert welcher Frist ein neuer Gerichtsentscheid über die Weiterführung der Massnahme zu ergehen hat. Die Dauer der Massnahme hängt vom Behandlungsbedürfnis des Massnahmenunterworfenen und den Erfolgsaussichten der Massnahme (vgl. Art. 56 Abs. 1 lit. b StGB) ab, letztlich also von den Auswirkungen der Massnahme auf die Gefahr weiterer Straftaten. Sie dauert grundsätzlich so lange an, bis ihr Zweck erreicht ist oder sich eine Zweckerreichung als aussichtslos erweist (BGE 145 IV 65 E. 2.3.3 mit Hinweisen).  
 
4.  
 
4.1. Vorliegend hat der Beschwerdeführer den Massnahmenvollzug unbestrittenermassen nicht aus der Freiheit angetreten. Für den Fristenlauf ist daher gemäss der erwähnten bundesgerichtlichen Rechtsprechung auf das Datum des in Rechtskraft erwachsenen Anordnungsentscheids abzustellen (vgl. E. 3.1 hiervor). Demnach begann die Frist von fünf Jahren im Sinne von Art. 59 Abs. 4 StGB mit der Rechtskraft und Vollstreckbarkeit des Urteils des Obergerichts vom 29. April 2020 zu laufen. Die Höchstdauer der stationären Massnahme nach Art. 59 StGB endet voraussichtlich am 28. April 2025, wobei auf Antrag der Vollzugsbehörde das Gericht die Verlängerung der Massnahme anordnen kann (Art. 59 Abs. 4 StGB).  
 
4.2. Der gegenteiligen Ansicht des Beschwerdeführers kann nicht gefolgt werden. Aus einer allfälligen "angeordneten" Anrechnung eines bereits erstandenen vorzeitigen Vollzugs kann für die Dauer einer Massnahme keinen Rückschluss gezogen werden. Die Dauer der Massnahme hängt, wie erwähnt (vgl. E. 3.2 hiervor), vom Behandlungsbedürfnis und den Erfolgsaussichten der Massnahme ab. Diese dauert damit grundsätzlich so lange an, bis ihr Zweck erreicht oder sich eine Zweckerreichung als aussichtslos erweist. Insofern verfängt auch die Behauptung des Beschwerdeführers nicht, es liege eine Verletzung von Art. 5 EMRK vor, da im nationalen Recht keine gesetzliche Grundlage bestehe, welche Anfang und Ende der stationären Massnahme bestimme. Inwiefern darüber hinaus sein Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt sein soll, zeigt der Beschwerdeführer nicht substanziiert auf, darauf ist nicht weiter einzugehen. Dies gilt umso mehr, als seine vorliegende Beschwerde aufzeigt, dass es ihm möglich war, den angefochtenen Entscheid sachgerecht anzufechten.  
 
4.3. Die Vorinstanz legt sodann bei der Prüfung der Verhältnismässigkeit der Massnahme nachvollziehbar dar, dass beim Beschwerdeführer nach wie vor ein Behandlungsbedürfnis besteht und Erfolgsaussichten aufgrund der andauernden stationären Massnahme bestehen. Sie hält fest, der an einer hebephrenen Schizophrenie, einer prämorbiden hyperkinetischen Störung des Sozialverhaltens und einer Abhängigkeit von Cannabinoiden sowie nach einem Schädel-Hirn-Trauma an neuropsychologischen Folgeschäden leidende Beschwerdeführer habe aus milieutherapeutischer Sicht zwar Fortschritte betreffend Pünktlichkeit, Durchhaltevermögen und sozialer Kompetenzen gemacht. Ihm gelinge es aber noch nicht hinreichend, eine Verbindung zwischen dem Störungsbild und seiner individuellen Krankheit herzustellen, dies obschon eine Behandlungseinsicht vorliege. Er sei daher weiterhin therapiefähig und auch therapiebedürftig. Ein Gutachten betreffend Höchstdauer sowie ein allfälliger Wechsel in ein Wohnheim seien aktuell noch in Arbeit.  
 
4.4. Diese nachvollziehbaren vorinstanzlichen Ausführungen sind nicht zu beanstanden. Darauf (vgl. E. 4 des angefochtenen Entscheids) kann grundsätzlich verwiesen werden. Soweit der Beschwerdeführer dagegen einwendet, es sei willkürlich, die Verhältnismässigkeit der Dauer der stationären Massnahme mit einem Gutachten aus dem Jahr 2017 zu begründen, kann ihm jedenfalls nicht gefolgt werden. Die Vorinstanz hat sich neben dem Gutachten aus dem Jahr 2017 auch auf den aktenkundigen Therapieverlaufsbericht vom 27. Juni 2023 gestützt, welcher mit den gutachterlichen Einschätzungen übereinstimmt und festhält, dass die Fortführung der Massnahme in einem stationären Rahmen weiterhin als notwendig und zweckmässig zu beurteilen ist. Es ist daher nicht zu beanstanden, dass die Vorinstanz die Rechtmässigkeit und Verhältnismässigkeit der stationären Massnahme bejaht hat. Die "fehlende Anrechnung" stellt nach dem Gesagten weder einen groben und offensichtlichen Verfahrensfehler dar noch ist sie willkürlich oder verletzt das Diskriminierungsverbot (Art. 8 BV) und den Vertrauensgrundsatz (Art. 9 BV). Diese Rügen erweisen sich ebenso als unbegründet, wie auch die Behauptung des Beschwerdeführers, die fehlende gesetzliche Grundlage betreffend einer allfälligen Anrechnung verletze Art. 5 EMRK.  
 
4.5. Nach dem Gesagten erweist sich der andauernde stationäre Massnahmenvollzug als rechtmässig. Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers befindet er sich nicht seit dem 13. November 2021 widerrechtlich im Massnahmenvollzug. Demzufolge ist ihm auch weder die beantragte Genugtuung noch eine Haftentschädigung zu entrichten. Die Beschwerde erweist sich als unbegründet und ist abzuweisen.  
 
5.  
Ausgangsgemäss sind die Gerichtskosten dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung ist abzuweisen, da die Beschwerde von vornherein aussichtslos war (Art. 64 Abs. 1 BGG). Der angespannten finanziellen Situation des Beschwerdeführers ist bei der Bemessung der Gerichtskosten Rechnung zu tragen (Art. 65 Abs. 2 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.  
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird abgewiesen. 
 
3.  
Die Gerichtskosten von Fr. 1'200.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
4.  
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Verwaltungsgericht des Kantons Solothurn schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 3. April 2024 
 
Im Namen der II. strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Abrecht 
 
Die Gerichtsschreiberin: Sauthier