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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
2C_139/2023  
 
 
Urteil vom 14. November 2023  
 
II. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichterin Aubry Girardin, Präsidentin, 
Bundesrichter Donzallaz, 
Bundesrichterin Ryter, 
Gerichtsschreiber Quinto. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
Beschwerdeführerin, 
vertreten durch Rechtsanwalt Davide Loss, 
 
gegen  
 
Migrationsamt des Kantons Zürich, 
Berninastrasse 45, 8090 Zürich, 
Sicherheitsdirektion des Kantons Zürich, 
Neumühlequai 10, 8090 Zürich. 
 
Gegenstand 
Aufenthaltsbewilligung, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich, 4. Abteilung, vom 12. Januar 2023 (VB.2022.00538). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
 
A.a. A.________ (geb. 1978), brasilianische Staatsangehörige, reiste am 2. Juli 2007 im Alter von 29 Jahren in die Schweiz ein und heiratete gleichentags den Schweizer B.________ (geb. 1977), worauf ihr die Aufenthaltsbewilligung erteilt wurde. Am 10. Dezember 2012 erhielt sie die Niederlassungsbewilligung. Die Ehe mit B.________ wurde am 28. Mai 2013 geschieden.  
 
A.b. Der Betreibungsregisterauszug der Beschwerdeführerin weist per 2. Juni 2022 Verlustscheine in der Höhe von Fr. 36'531.94 sowie eine hängige Betreibung im Betrag von Fr. 1'214.56 aus. In der Zwischenzeit hat die Beschwerdeführerin eine Forderung von Fr. 845.99 getilgt, sodass eine Verschuldung von rund Fr. 37'000.-- vorliegt.  
 
A.c. Am 17. Januar 2020 reiste A.________ nach Brasilien und kehrte am 15. Juni 2021 bzw. nach rund 17 Monaten in die Schweiz zurück. Ein Gesuch um Aufrechterhaltung der Niederlassungsbewilligung stellte sie nicht.  
 
B.  
Mit Verfügung vom 9. Mai 2022 stellte das Migrationsamt des Kantons Zürich (Migrationsamt) fest, dass die Niederlassungsbewilligung von A.________ erloschen sei und wies ihr Gesuch um Wiedererteilung der Niederlassungsbewilligung respektive Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung ab. Die dagegen erhobenen Rechtsmittel blieben erfolglos (Rekursentscheid der Sicherheitsdirektion des Kantons Zürich vom 15. August 2022; Urteil Verwaltungsgericht des Kantons Zürich vom 12. Januar 2023). 
Gemäss ihrer Beschwerdebegründung an das kantonale Verwaltungsgericht geht auch A.________ davon aus, dass ihre Niederlassungsbewilligung erloschen sei. Das Verwaltungsgericht hat deshalb in seinem Urteil vom 12. Januar 2023 erwogen, die Feststellung, dass die Niederlassungsbewilligung erloschen sei, sei unangefochten in Rechtskraft erwachsen und nicht mehr Streitgegenstand des Verfahrens vor (kantonalem) Verwaltungsgericht (vgl. angefochtenes Urteil E. 3). 
 
C.  
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten an das Bundesgericht vom 2. März 2023 beantragt A.________ (Beschwerdeführerin) die Aufhebung des vorinstanzlichen Urteils. Der Beschwerdeführerin sei die Aufenthaltsbewilligung zu erteilen. Eventualiter sei die Angelegenheit zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. In prozessualer Hinsicht beantragt die Beschwerdeführerin die aufschiebende Wirkung der Beschwerde und die unentgeltliche Rechtspflege. 
Das Migrationsamt, die Sicherheitsdirektion, die Vorinstanz und das Staatssekretariat für Migration haben auf eine Vernehmlassung verzichtet. 
Mit Verfügung vom 6. März 2023 wurde der Beschwerde antragsgemäss die aufschiebende Wirkung zuerkannt. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Auf dem Gebiet des Ausländerrechts ist die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten gegen Entscheide betreffend ausländerrechtliche Bewilligungen nur zulässig, wenn das Bundesrecht oder das Völkerrecht einen Anspruch auf die Bewilligung einräumt (Art. 83 lit. c Ziff. 2 BGG e contrario). Für das Eintreten genügt, wenn die betroffene Person in vertretbarer Weise dartut, dass potenziell ein solcher Anspruch besteht. Ob tatsächlich ein Aufenthaltsrecht besteht, ist eine materielle Frage und keine Eintretensfrage (BGE 147 I 268 E. 1.2.7; 139 I 330 E. 1.1).  
 
1.2. Art. 8 Ziff. 1 EMRK garantiert grundsätzlich keinen Anspruch auf Aufenthalt in einem Konventionsstaat (BGE 144 II 1 E. 6.1; 137 I 247 E. 4.1.1; Urteil des EGMR Palanci gegen Schweiz vom 25. März 2014 [Nr. 2607/08] § 49). Die Rechtsprechung hat jedoch festgelegt, dass nach einem rechtmässigen Aufenthalt von zehn Jahren davon auszugehen ist, dass die sozialen Beziehungen, welche die ausländische Person in diesem Land geknüpft hat, so eng geworden sind, dass die Verweigerung der Erneuerung der Aufenthaltsbewilligung respektive der Widerruf derselben besonderer Gründe bedarf (BGE 144 I 266 E. 3). Diese an einen rechtmässigen Aufenthalt geknüpfte Vermutung ist allerdings nicht mehr anwendbar, wenn die ausländische Person für längere Zeit das Land verlässt und aus diesem Grund ihr Aufenthaltstitel entsprechend Art. 61 Abs. 2 AIG erlischt. Das Gegenteil anzunehmen und faktisch jeder ausländischen Person, welche die Schweiz verlassen hat, zu erlauben, sich auf ein Recht auf Wiedererlangung ihres Aufenthaltstitels aufgrund des Schutzes des Privatlebens zu berufen, nur weil sie sich mehr als zehn Jahre im Land aufgehalten hat, würde Art. 61 Abs. 2 AIG seiner Substanz berauben (BGE 149 I 66 E. 4.8; 149 I 207 E. 5.3.3). Die Rechtsprechung hat präzisiert, dass in Situationen, in welchen sich die ausländische Person nicht auf einen vorangegangenen, rechtmässigen Aufenthalt von zehn Jahren in der Schweiz stützen kann, lediglich die durch BGE 144 I 266 festgelegte Vermutung der Verwurzelung in der Schweiz nicht zum Tragen kommt. In diesem Fall bleibt die Frage eines allfälligen, aus dem Recht auf Achtung des Privatlebens abgeleiteten Aufenthaltsrechts der ursprünglichen Rechtsprechung unterworfen, welche darauf abstellt, ob die betroffene ausländische Person sich auf eine besonders ausgeprägte Integration ("integration particulièrement réussie") berufen kann (vgl. BGE 149 I 207 E. 5.3).  
 
1.3. Gemäss Art. 61 Abs. 2 AIG erlischt die Niederlassungsbewilligung nach einer Auslandsabwesenheit von sechs aufeinanderfolgenden Monaten automatisch und von Gesetzes wegen (sofern die Niederlassungsbewilligung nicht auf Gesuch hin aufrechterhalten wurde), wobei es auf die Gründe und Motive für die Auslandsabwesenheit nicht ankommt (vgl. BGE 149 I 66 E. 4.7 f. mit Hinweisen). In der Folge geht es nur noch um die Neuerteilung einer Bewilligung, nicht um deren Verlängerung.  
Vorliegend hielt sich die Beschwerdeführerin während 17 Monaten ununterbrochen in Brasilien auf, ohne um Aufrecherhaltung ihrer Niederlassungsbewilligung ersucht zu haben (vgl. Bst. A.c oben), weshalb ihre Niederlassungsbewilligung gemäss Art. 61 Abs. 2 AIG definitiv erloschen ist. Dies wird von der Beschwerdeführerin zu Recht nicht bestritten. 
 
1.4. Die Beschwerdeführerin beruft sich bezüglich Aufenthaltstitel auf das Recht auf Achtung des Privatlebens (Art. 8 EMRK). Was sie diesbezüglich vorbringt, genügt jedoch nicht, um in vertretbarer Weise einen potentiellen Aufenthaltsanspruch gestützt auf dieses Recht geltend zu machen. Jedenfalls legt die Beschwerdeführerin nicht genügend dar, dass eine besonders ausgeprägte respektive erfolgreiche Integration vorliegt:  
Sie bringt im Wesentlichen vor, sie habe sich (vor dem Erlöschen ihrer Niederlassungsbewilligung) rechtmässig über 12 Jahre in der Schweiz aufgehalten und sei sozial und wirtschaftlich in der Schweiz gut integriert. Sie habe bereits eine Zusicherung für eine Arbeitsstelle mit einem Pensum von 40 % - 50 % als Buffetangestellte und sei gewillt, die Schulden (von rund Fr. 37'000.--, vgl. Bst. A.b oben) abzubauen, sobald sie über genügende finanzielle Mittel verfüge. 
Mit diesen Ausführungen macht die Beschwerdeführerin von vornherein keine besonders ausgeprägte Integration geltend. Ausserdem hat die Vorinstanz in sachverhaltsmässiger Hinsicht festgestellt, dass die Beschwerdeführerin trotz Aufforderung des Migrationsamts keinen Sprachnachweis bezüglich ihrer Deutschkenntnisse eingereicht hat und aufgrund der Akten nicht von einer besonders engen sozialen Beziehung der Beschwerdeführerin zur Schweiz auszugehen sei; diese Feststellungen sind mangels Sachverhaltsrüge für das Bundesgericht verbindlich (Art. 97 Abs. 1, Art. 105 Abs. 1 BGG).  
 
1.5. Aufgrund der vorgenannten Ausgangslage, insbesondere auch der Verschuldung und der zweifelhaften Sprachkenntnisse, hat die Beschwerdeführerin nicht in vertretbarer Weise einen potentiellen Aufenthaltsanspruch gestützt auf das Recht auf Achtung des Privatlebens (Art. 8 EMRK) geltend macht.  
 
1.6. Aufgrund der vorinstanzlichen Sachverhaltsfeststellungen verfügt die Beschwerdeführerin in der Schweiz ausserdem über keine Verwandten und es besteht auch kein Konkubinatsverhältnis, aufgrund dessen der Schutz des Familienlebens (Art. 8 EMRK) angerufen werden könnte. Ein darauf gestütztes, potentielles Aufenthaltsrecht wird deshalb zu Recht nicht geltend gemacht.  
 
1.7. Auf die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ist demnach nicht einzutreten.  
 
2.  
Auf die Eingabe kann auch nicht als subsidiäre Verfassungsbeschwerde (Art. 113 ff. BGG) eingetreten werden: Mangels Aufenthaltsanspruchs in der Schweiz sind in diesem Rahmen ausschliesslich Rügen bezüglich verfahrensrechtlicher Punkte zulässig, deren Verletzung einer formellen Rechtsverweigerung gleichkommt und die das Gericht von der Bewilligungsfrage getrennt beurteilen kann ("Star"-Praxis; vgl. BGE 141 IV 1 E. 1.1; 137 II 305 E. 2). Solche bringt die Beschwerdeführerin nicht vor. 
Mit subsidiärer Verfassungsbeschwerde könnte sich die Beschwerdeführerin zudem gegen den kantonalen Wegweisungsentscheid bzw. das Verneinen von Vollzugshindernissen durch die kantonalen Behörden wehren. Dies gilt indessen nur, wenn sich ihre Beschwerde in vertretbarer Weise auf besondere verfassungsmässige Rechte stützt (Schutz des Lebens [Art. 2 EMRK/Art. 10 Abs. 1 BV]; Verbot jeder Art grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung [Art. 3 EMRK/Art. 10 Abs. 3 BV und Art. 25 Abs. 3 BV], Non-Refoulement [Art. 25 Abs. 2 BV] usw.; BGE 137 II 305 E. 3.3; Urteil 2C_658/2021 vom 3. März 2022 E. 1.2). Solche macht die Beschwerdeführerin aber ebenfalls nicht geltend. 
 
3.  
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird wegen Aussichtslosigkeit des Rechtsmittels abgewiesen (vgl. Art. 64 Abs. 1 und 2 BGG). Angesichts der Verschuldung der Beschwerdeführerin wird auf die Erhebung von Gerichtskosten ausnahmsweise verzichtet (Art. 66 Abs. 1 Satz 2 BGG). Es sind keine Parteientschädigungen geschuldet. 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Auf die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten wird nicht eingetreten. 
 
2.  
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen. 
 
3.  
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
 
4.  
Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten, dem Verwaltungsgericht des Kantons Zürich, 4. Abteilung, und dem Staatssekretariat für Migration mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 14. November 2023 
 
Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Die Präsidentin: F. Aubry Girardin 
 
Der Gerichtsschreiber: C. Quinto