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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
8C_482/2022  
 
 
Urteil vom 23. Mai 2023  
 
IV. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Wirthlin, Präsident, 
Bundesrichter Maillard, Abrecht, 
Gerichtsschreiberin Huber. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Kaspar Gehring, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
IV-Stelle des Kantons Zürich, 
Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Invalidenversicherung, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 18. Mai 2022 (IV.2021.00508). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
 
A.a. Der 1961 geborene A.________ meldete sich am 29. Mai 2006 bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Die IV-Stelle des Kantons Zürich liess seinen Gesundheitszustand von der Ärztliches Begutachtungsinstitut GmbH (ABI), Basel, abklären (Expertise vom 20. Mai 2008) und verfügte am 16. Dezember 2008 die Ablehnung des Leistungsbegehrens.  
Dagegen erhob A.________ Beschwerde, die das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit Urteil vom 29. September 2010 in dem Sinn guthiess, dass es die angefochtene Verfügung aufhob und die Sache an die IV-Stelle zurückwies, damit diese nach weiteren Abklärungen über den Anspruch neu verfüge. Die Verwaltung veranlasste ein neues interdisziplinäres Gutachten durch das Zentrum für Medizinische Begutachtung (ZMB), Basel, vom 29. Mai 2012 und dessen Ergänzung vom 15. März 2013. Nach Einholung einer weiteren polydisziplinären Expertise durch das Medizinische Zentrum Römerhof (MZR), Zürich, vom 23. März 2015 lehnte die IV-Stelle das Leistungsbegehren mit Verfügung vom 2. Dezember 2016 erneut ab, was das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit Urteil vom 26. Juni 2017 bestätigte. Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesgericht mit Urteil 8C_604/2017 vom 15. März 2018 ab. 
 
A.b. Am 16. April 2019 meldete sich A.________ erneut bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Nach Abklärung des Sachverhalts, namentlich durch das Einholen von Stellungnahmen beim Regionalen Ärztlichen Dienst (RAD), verneinte die IV-Stelle am 27. Juli 2021 wiederum einen Anspruch auf eine Invalidenrente.  
 
B.  
Die gegen die betreffende Verfügung erhobene Beschwerde wies das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit Urteil vom 18. Mai 2022 ab. 
 
C.  
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragt A.________, das kantonale Urteil vom 18. Mai 2022 sei aufzuheben. Die IV-Stelle sei zu verpflichten, allenfalls nach den erforderlichen Abklärungen, ihm die gesetzlich geschuldeten Leistungen zu erbringen, insbesondere eine Invalidenrente. 
Das Bundesgericht hat die vorinstanzlichen Akten eingeholt. Ein Schriftenwechsel ist nicht durchgeführt worden. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann eine Rechtsverletzung nach Art. 95 f. BGG gerügt werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Dennoch prüft es - offensichtliche Fehler vorbehalten - nur die in seinem Verfahren gerügten Rechtsmängel (Art. 42 Abs. 1 f. BGG; BGE 145 V 57 E. 4.2). Es legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG), und kann ihre Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinn von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Verfahrensausgang entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1, Art. 105 Abs. 2 BGG). 
 
2.  
Am 1. Januar 2022 trat das revidierte Bundesgesetz über die Invalidenversicherung (IVG; SR 831.20) in Kraft (Weiterentwicklung der IV [WEIV]; Änderung vom 19. Juni 2020, AS 2021 705, BBl 2017 2535). 
Die dem hier angefochtenen Urteil zugrunde liegende Verfügung erging vor dem 1. Januar 2022. Nach den allgemeinen Grundsätzen des intertemporalen Rechts und des zeitlich massgebenden Sachverhalts (statt vieler: BGE 144 V 210 E. 4.3.1; 129 V 354 E. 1 mit Hinweisen) sind daher die Bestimmungen des IVG und diejenigen der Verordnung über die Invalidenversicherung (IVV; SR 831.201) in der bis 31. Dezember 2021 gültig gewesenen Fassung anwendbar (BGE 148 V 174 E. 4.1). 
 
3.  
 
3.1. Streitig und zu prüfen ist, ob die vorinstanzlich bestätigte Leistungsablehnung nach Neuanmeldung vor Bundesrecht standhält.  
 
3.2. Die hierfür massgeblichen rechtlichen Grundlagen legte das kantonale Gericht zutreffend dar. Es betrifft dies insbesondere die Bestimmungen und Grundsätze zur Anspruchsprüfung bei einer Neuanmeldung nach vorausgegangener Rentenverweigerung (Art. 87 Abs. 3 in Verbindung mit Abs. 2 IVV; BGE 117 V 198 E. 3a; vgl. auch BGE 130 V 71 E. 2.2) unter analoger Anwendung der Grundsätze zur Rentenrevision nach Art. 17 Abs. 1 ATSG (BGE 141 V 9 E. 2.3). Darauf wird verwiesen.  
 
4.  
Das kantonale Gericht hat den Vergleichszeitraum zwischen dem 2. Dezember 2016 und dem 27. Juli 2021revisionsrechtlich als massgebend erachtet, was unbestritten geblieben und damit für das Bundesgericht verbindlich ist (vgl. E. 1 oben). Das gilt auch für die vorinstanzliche Feststellung, wonach im somatischen Bereich im massgeblichen Vergleichszeitraum keine Veränderung eingetreten sei, die vom Beschwerdeführer nicht (in begründeter Weise) gerügt wird. 
 
5.  
 
5.1. Nach Würdigung der medizinischen Unterlagen verneinte das kantonale Gericht auch in Bezug auf den psychischen Gesundheitszustand eine revisionsrechtlich bedeutsame Veränderung. Es erkannte, der Beschwerdeführer sei wie bisher in allen Tätigkeiten 100 % arbeitsfähig. Dabei ging es insbesondere auf die Stellungnahme des B.________, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, Arzt beim RAD, vom 4. Juni 2021 ein. Dieser habe berichtet, so die Vorinstanz, dass sowohl die behandelnden Ärzte des Sanatoriums C.________ wie auch jene des Medizinischen Zentrums D.________ überwiegend wahrscheinlich eine unterschiedliche Beurteilung eines im Wesentlichen gleich gebliebenen medizinischen Sachverhalts abgegeben hätten. Auch betreffend die Opioidabhängigkeit erblickte das kantonale Gericht keinen Revisionsgrund mit der Begründung, dass sich aus den Akten keine Hinweise auf eine erfolgte Opioidentzugsbehandlung ergeben würden.  
 
5.2.  
 
5.2.1. Der Beschwerdeführer weist darauf hin, dass sich im damaligen Bundesgerichtsurteil 8C_604/2017 in Erwägung 6.3 "eindeutig überwiegende Anhaltspunkte für eine klar als solche ausgewiesene Aggravation" ergeben hätten. Dass die Vorinstanz aus dem Bericht des Dr. med. E.________, Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie, vom 26. März 2020 weiterhin eine erhebliche Selbstlimitierung ableite, sei aktenwidrig. Der Sachverhalt habe sich diesbezüglich verändert.  
Das Bundesgericht hat im Urteil 8C_604/2017 E. 6.2 f. in Anlehnung an die vorinstanzlichen Tatsachenfeststellungen erkannt, dass insbesondere im Licht der Ergebnisse des MZR-Gutachtens vom 23. März 2015beim Beschwerdeführer deutliche Hinweise auf Aggravation und Selbstlimitierung bestanden hätten. Einen Ausschlussgrund im Sinn der Rechtsprechung hat es jedoch verneint. Das kantonale Gericht ist im angefochtenen Urteil zum Schluss gelangt, dass die im Vergleichszeitpunkt (2021) relevanten Unterlagen auf eine weiterhin bestehende erhebliche Selbstlimitierung hinweisen würden. So habe Dr. med. E.________ im Rahmen eines Beschwerdevalidierungsverfahrens ein auffälliges Fehlverhalten objektivieren können. Ausserdem habe sich im Bereich des verbalen Gedächtnisses bei einem eingebetteten Beschwerdevalidierungsmass ebenfalls ein auffälliges Resultat gefunden. Dr. med. E.________ sei davon ausgegangen, so die Vorinstanz, dass das gezeigte Testverhalten nicht dem tatsächlichen Leistungsniveau des Beschwerdeführers entsprochen habe. Vor diesem Hintergrund erscheinen die Feststellungen des kantonalen Gerichts, es bestehe weiterhin eine erhebliche Selbstlimitierung und eine Verschlechterung sei in diesem Bereich zu verneinen, weder offensichtlich unrichtig noch sonstwie bundesrechtswidrig (vgl. E. 1 oben). 
Daran vermag auch die Kritik des Beschwerdeführers, die Fachpersonen des Medizinischen Zentrums F.________ vom 14. Januar 2021 hätten keine Hinweise mehr auf Aggravation oder Simulation gefunden, letztlich nichts zu ändern. Er zeigt dabei nicht auf, inwiefern dieser Umstand eine relevante Verschlechterung darstellen soll. 
 
5.2.2. Der Beschwerdeführer macht ausserdem geltend, im Verlauf seien neue Befunde erhoben worden, die keine Fachperson gewürdigt habe.  
Die Beschwerdegegnerin hat die medizinischen Unterlagen dem RAD zur Stellungnahme unterbreitet, der auf die Frage der Gesundheitsveränderung eingegangen ist. Dabei sind mit G.________, Fachärztin für orthopädische Chirurgie und Traumatologie, B.________, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, und Dr. med. H.________, Facharzt für Chirurgie, entgegen dem Beschwerdeführer durchaus medizinische Fachpersonen involviert gewesen. Die Vorinstanz hat gestützt auf deren Einschätzungen und unter Einbezug der Berichte der behandelnden Ärzte eine Beweiswürdigung vorgenommen und festgestellt, es sei auf einen unveränderten psychischen Zustand zu schliessen. 
Es mag zutreffen, dass die von den behandelnden Ärzten in den Berichten ab 2018 beschriebenen Befunde im Vergleich zu jenen im MZR-Gutachten vom 23. März 2015 abweichen, wie der Beschwerdeführer rügt. Dieser Umstand alleine qualifiziert allerdings die Feststellungen im angefochtenen Urteil noch nicht als willkürlich. Das kantonale Gericht hat sich bereits mit diesen Vorbringen befasst und nachvollziehbar dargelegt, weshalb es sich bei den Ausführungen der behandelnden Ärzte um eine andere Beurteilung des gleichen Sachverhalts handle. So seien die behandelnden Fachpersonen bereits im Vergleichszeitpunkt (2016), anders als die MZR-Gutachter, von einer schweren depressiven Störung und einer 100%igen Arbeitsunfähigkeit in jeglicher Tätigkeit ausgegangen. Daran würden sie auch in den Berichten ab 2018 weiterhin festhalten. 
 
5.2.3. In Bezug auf die im Raum stehende Opioidabhängigkeit hat die Vorinstanz erkannt, dass den Akten keine Hinweise auf eine erfolgte Entzugsbehandlung zu entnehmen seien. Vielmehr gehe daraus hervor, dass ein Opioidentzug kaum möglich sei, weshalb die IV-Stelle von ihrer zunächst auferlegten Schadenminderungspflicht wieder abgesehen habe. Folglich hätte der Beschwerdeführer ohne entsprechende Behandlung nicht selbstständig einen Entzug vornehmen können, ohne dass sich dazu Anhaltspunkte in den Unterlagen wiedergefunden hätten. Soweit er angegeben habe, es liege keine Opioidabhängigkeit mehr vor, sei dies nicht glaubhaft. Er nehme gemäss Bericht des Medizinischen Zentrums D.________ vom 7. Januar 2021, wie schon im Vergleichszeitpunkt, regelmässig Targin ein. Die behandelnden Fachpersonen hätten zwar berichtet, der Beschwerdeführer konsumiere keine Drogen und betreibe keinen Medikamentenmissbrauch. Allerdings könne sich dies offensichtlich nicht auf die Opioidabhängigkeit bezogen haben, da sie dasselbe bereits im Vergleichszeitpunkt berichtet hätten.  
Selbst wenn die Opioidabhängigkeit nicht mehr bestehen würde, wäre deren Wegfall unter den hier gegebenen Umständen im revisionsrechtlichen Sinn nicht relevant. Denn wie das kantonale Gericht zutreffend erkannt hat, würde ein erfolgreicher Entzug eine Verbesserung der Situation bedeuten und nicht eine Verschlechterung, was im Rahmen einer Neuanmeldung nicht geeignet ist, den Invaliditätsgrad und damit den Rentenanspruch zu beeinflussen. Dass die Vorinstanz diesbezüglich keine weiteren Abklärungen getroffen hat, verletzt mit Blick auf das Gesagte nicht den Untersuchungsgrundsatz. Soweit der Beschwerdeführer kritisiert, das kantonale Gericht habe die Standardindikatoren zu Unrecht nicht neu geprüft, obwohl der RAD von einer Verbesserung ausgegangen sei, kann ihm nicht beigepflichtet werden. Denn eine umfassende Neuprüfung, ohne Bindung an frühere Beurteilungen, findet erst statt, wenn ein Revisionsgrund im Sinn einer wesentlichen Änderung ausgewiesen ist (BGE 141 V 9 E. 2.3). Im vorliegenden Fall hat die Vorinstanz eine solche jedoch willkürfrei verneint. 
 
5.2.4. Schliesslich wendet sich der Beschwerdeführer gegen BGE 147 V 234, wonach die geänderte Rechtsprechung zu den Suchtgeschehen (vgl. BGE 145 V 215) für sich allein keinen Grund für eine Neuanmeldung darstellt. Gründe für eine Rechtsprechungsänderung macht er jedoch nicht geltend und sind auch nicht ersichtlich (zu den Voraussetzungen einer Praxisänderung siehe BGE 140 V 538 E. 4.5), weshalb darauf nicht weiter einzugehen ist.  
 
5.3. Vor dem Hintergrund des Gesagten hat die Vorinstanz weder offensichtlich unrichtig noch sonstwie bundesrechtswidrig eine revisionsrelevante Verschlechterung des Gesundheitszustands im wesentlichen Vergleichszeitraum verneint. Indem sie nach umfassender Diskussion der medizinischen Unterlagen in antizipierter Beweiswürdigung (vgl. BGE 146 V 240 E. 8.2 mit weiteren Hinweisen) auf eine externe medizinische Begutachtung verzichtet hat, hat sie weder willkürlich gehandelt noch den Untersuchungsgrundsatz verletzt. Die Beschwerde ist unbegründet.  
 
6.  
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend hat der Beschwerdeführer die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.  
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
3.  
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 23. Mai 2023 
 
Im Namen der IV. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Wirthlin 
 
Die Gerichtsschreiberin: Huber