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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
8C_202/2023  
 
 
Urteil vom 30. August 2023  
 
IV. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Wirthlin, Präsident, 
Bundesrichterinnen Heine, Viscione, 
Gerichtsschreiber Grunder. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwältin Petra Oehmke Schiess, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen  
 
IV-Stelle des Kantons Zürich, 
Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Invalidenversicherung (Verwaltungsverfahren; unentgeltliche Rechtspflege), 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 22. Februar 2023 (IV.2022.00449). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
 
A.a. Mit Verfügung vom 25. September 2017 verneinte die IV-Stelle des Kantons Zürich einen Anspruch auf Invalidenrente der 1984 geborenen A.________. Zur Begründung führte sie an, es liege keine erhebliche und langandauernde gesundheitliche Beeinträchtigung vor. Die Arbeitsfähigkeit sei nicht höhergradig und andauernd eingeschränkt.  
 
A.b. Am 25. Juni 2020 meldete sich die Versicherte wegen einer komplexen posttraumatischen Belastungsstörung (kPTBS), einer rezidivierenden Depression sowie einer Aufmerksamkeitsdefizitstörung (ADS) erneut zum Leistungsbezug an. Die IV-Stelle trat auf das Gesuch ein (vgl. Schreiben vom 17. Juli 2020) und tätigte weitere medizinische Abklärungen. Mit Vorbescheid vom 28. Juni 2021 stellte sie A.________ die Abweisung des Leistungsbegehrens in Aussicht, wogegen die inzwischen durch Rechtsanwältin Petra Oehmke Schiess vertretene Versicherte am 12. August 2021 Einwand erheben und um Gewährung der unentgeltlichen Verbeiständung ersuchen liess. Sie liess die Verwaltung zudem wissen, dass eine stationäre Rehabilitation vorgesehen sei. Vom 23. September bis 26. Oktober 2021 hielt sich A.________ in der Klinik B.________ auf, worüber die Verwaltung den Austrittsbericht vom 2. November 2021 einholte. Am 7. April 2022 teilte sie der Rechtsanwältin mit, dass sie eine umfassende medizinische Untersuchung bei einer nach dem Zufallsprinzip zu wählenden Gutachterstelle veranlassen werde, und gab ihr Gelegenheit, sich vorgängig zum Fragenkatalog vernehmen zu lassen. Mit Verfügung vom 29. Juli 2022 wies die IV-Stelle das Gesuch um unentgeltliche Rechtsverbeiständung im Verwaltungsverfahren mangels Erforderlichkeit ab.  
 
B.  
Die hiegegen eingereichte Beschwerde wies das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit Urteil vom 22. Februar 2023 ab. 
 
C.  
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten lässt A.________ beantragen, unter Aufhebung des kantonalen Urteils sei die IV-Stelle anzuweisen, ihr Rechtsanwältin Petra Oehmke Schiess als unentgeltliche Rechtsbeiständin für das invalidenversicherungsrechtliche Einwandverfahren zu bestellen. Gleichzeitig wird um unentgeltliche Rechtspflege im bundesgerichtlichen Verfahren ersucht. 
Das Bundesgericht führt keinen Schriftenwechsel durch. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Das Bundesgericht prüft seine Zuständigkeit und die Eintretensvoraussetzungen von Amtes wegen und mit freier Kognition (Art. 29 Abs. 1 BGG; BGE 138 V 318 E. 6 S. 320; 135 III 1 E. 1.1 mit Hinweisen).  
 
1.2. Der Entscheid, mit welchem ein kantonales Versicherungsgericht - wie hier - ausschliesslich über den Anspruch der versicherten Person auf einen unentgeltlichen Rechtsbeistand im Verwaltungsverfahren eines Sozialversicherungsträgers (Art. 37 Abs. 4 ATSG) befindet, ist kein End-, sondern ein Zwischenentscheid im Sinne von Art. 93 BGG (BGE 139 V 600 E. 2).  
 
1.3. Die Beschwerde gegen selbstständig eröffnete Vor- und Zwischenentscheide ist laut Art. 93 Abs. 1 BGG nur zulässig, wenn sie einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken können (lit. a) oder wenn die Gutheissung der Beschwerde sofort einen Endentscheid herbeiführen und damit einen bedeutenden Aufwand an Zeit oder Kosten für ein weitläufiges Beweisverfahren ersparen würde (lit. b).  
 
1.4. Wird in einem kantonalen Entscheid die erforderliche unentgeltliche Verbeiständung für das Administrativverfahren verweigert, droht der versicherten Person dadurch in aller Regel ein nicht wieder gutzumachender Nachteil rechtlicher Natur (vgl. BGE 126 I 207 E. 2a), welcher auch mit einem für die Beschwerde führende Partei günstigen Endentscheid nicht oder nicht vollständig behebbar wäre (vgl. BGE 133 V 645 E. 2.1 mit Hinweisen). Ob vorliegend diese Regel zu greifen hat, ist angesichts des in Sachverhalt A hievor dargelegten Verfahrensablaufs fraglich. Eine nähere Prüfung kann indessen unterbleiben, da die Beschwerde, wie sich aus dem Folgenden ergibt, ohnehin abzuweisen ist.  
 
2.  
 
2.1. Das kantonale Gericht hat die rechtlichen Grundlagen für den Anspruch auf unentgeltliche Verbeiständung für das Verwaltungsverfahren (Art. 37 Abs. 4 ATSG; Art. 29 Abs. 3 Satz 2 BV; BGE 132 V 200 E. 4.1) zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen.  
 
2.2. Die Frage nach der sachlichen Gebotenheit der anwaltlichen Verbeiständung für das Administrativverfahren ist eine vom Bundesgericht frei überprüfbare Rechtsfrage (SVR 2017 IV Nr. 57 S. 177, 8C_669/2016 E. 2.2 mit Hinweisen).  
 
3.  
 
3.1.  
 
3.1.1. Das kantonale Gericht hat zunächst erwogen, wenn in einem Verwaltungsverfahren die rechtliche Relevanz von ärztlichen Berichten zu beurteilen sei, seien dazu in der Regel zwar medizinische Kenntnisse und juristischer Sachverstand erforderlich. Über beides verfügten die versicherten Personen gemeinhin nicht. Trotzdem könne allein deswegen noch nicht von einer komplexen Fragestellung gesprochen werden, die eine anwaltliche Vertretung gebieten würde. Die gegenteilige Auffassung liefe darauf hinaus, dass der Anspruch auf unentgeltliche Rechtsverbeiständung in praktisch allen Verwaltungsverfahren bejaht werden müsste, in denen medizinische Unterlagen zur Diskussion stünden, was der Konzeption von Art. 37 Abs. 4 ATSG als einer Ausnahmeregelung widerspräche. Es bedürfe mithin weiterer Umstände, welche die Sache als nicht (mehr) einfach und eine anwaltliche Vertretung als notwendig beziehungsweise sachlich geboten erscheinen liessen.  
 
3.1.2. Vorliegend sei, so die Vorinstanz weiter, der Beschwerdegegnerin beizupflichten, dass auch eine soziale Institution in der Lage gewesen wäre, sie über den vorgesehenen stationären Klinikaufenthalt, der letztlich zur Einholung eines polydisziplinären Gutachtens geführt habe, zu informieren. Die Beschwerdeführerin mache nicht geltend, dass sie vergeblich versucht habe, vor dem Beizug der Rechtsanwältin eine solche Vertretung ihrer Interessen durch beispielsweise den Sozialdienst, der sie finanziell unterstütze, zu erwirken.  
 
3.1.3. Sodann hat das kantonale Gericht festgehalten, die Vorbringen der Rechtsanwältin, wonach sich neben der gesundheitlichen Situation zahlreiche weitere komplexe Fragestellungen aufdrängten, namentlich hinsichtlich Schadenminderungsauflage, Qualifikation des Status, Valideneinkommen und Frühinvalidität, verfingen nicht. Zwar sei die Notwendigkeit anwaltlicher Vertretung prospektiv zu beurteilen. Dies heisse jedoch nicht, dass alle erdenklichen Entwicklungen, die künftig allenfalls eine Verbeiständung begründen könnten, zu berücksichtigen wären, solange es an konkreten Anzeichen für deren Verwirklichung fehle. Andernfalls könnte auch unter diesem Aspekt betrachtet die Erforderlichkeit der anwaltlichen Vertretung kaum je verneint werden.  
 
3.2.  
 
3.2.1.  
 
3.2.1.1. Was die Beschwerdeführerin dagegen vorbringt, ist nicht stichhaltig. Zunächst ist ohne Belang, dass die Beschwerdegegnerin das erste Verwaltungsverfahren mit der leistungsablehnenden Verfügung vom 25. September 2017 abgeschlossen hatte, ohne abzuwarten, ob sich der Gesundheitszustand, wie von der Verwaltung angenommen, mit einer stationären Behandlung verbessern lassen würde. Ausschlaggebend ist allein, dass die Beschwerdegegnerin auf das Neuanmeldegesuch vom 25. Juni 2020 unter anderem gestützt auf den Austrittsbericht der Klinik B.________ vom 19. Dezember 2019, wo sich die Beschwerdeführerin erstmals vom 7. November bis 18. Dezember 2019 aufgehalten hatte, eingetreten ist. Damit erübrigt sich eine Diskussion zur aufgeworfenen Frage, ob die Beschwerdegegnerin überhaupt eine Schadenminderungsauflage verfügt habe und bejahendenfalls, ob diese prozessrechtlich als Verfahrenssistierung zu betrachten sei.  
 
3.2.1.2. Sodann trifft an sich zu, dass die Beschwerdegegnerin entgegen der Auffassung des kantonalen Gerichts die Statusfrage nicht beantwortet hat. Vielmehr hat sie im Fragenkatalog an die medizinische Gutachterstelle nicht nur detaillierte Auskünfte zur Arbeitsfähigkeit im Erwerbs-, sondern auch im Aufgabenbereich (Haushalt) verlangt. Die Qualifikation des Status könnte möglicherweise prospektiv betrachtet zwar nicht einfach zu beantworten sein, konkrete Anzeichen dafür liegen jedoch angesichts noch ausstehender Abklärungen nicht vor. Die Beschwerdeführerin äussert sich denn auch selber diesbezüglich nicht.  
 
3.2.1.3. Zu prüfen bleibt die Frage, ob eine gehörige Interessenwahrung durch Verbandsvertreter, Fürsorgestellen oder andere Fach- und Vertrauensleute sozialer Institutionen, ausser Betracht falle (vgl. BGE 125 V 32 E. 4b). Die Beschwerdeführerin macht im Wesentlichen geltend, angesichts ihrer Schwierigkeiten (unverheiratete Mutter zweier Kinder, psychische Probleme aufgrund von Kindheitstraumata verbunden mit Defiziten bei der Kinderbetreuung) würden sich auch andere Personen nicht dem Sozialdienst anvertrauen wollen. Zu gross sei die Angst, dass dieser mit der Einsicht in die medizinischen Unterlagen Informationen erhalte, die er gegen sie verwenden könnte (Stichwort: Obhutsentzug). Dieses Vorbringen ist nicht nachvollziehbar. Die Beschwerdeführerin scheint sich im Verhältnis zum Sozialdienst als vertretungsbedürftig anzusehen und zu befürchten, dass dieser die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (KESB) benachrichtigen könnte. Ein solches gemäss § 22 des Sozialhilfegesetzes (SHG) des Kantons Zürich vom 14. Juni 1984 (Ordnungsnummer 851.1) mögliches Vorgehen läge indessen vor allem im Interesse ihrer Kinder. Jedenfalls ist damit nicht dargetan, dass die anwaltliche Vertretung im zur Debatte stehenden sozialversicherungsrechtlichen Verwaltungsverfahren notwendig oder sachlich geboten ist. Auch in diesem Punkt ist das angefochtene Urteil nicht zu beanstanden. Die Beschwerde ist in allen Teilen abzuweisen.  
 
4.  
Die Gerichtskosten werden der unterliegenden Beschwerdeführerin auferlegt (Art. 66 Abs. 1 BGG). Dem Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege (im Sinne der vorläufigen Befreiung von den Gerichtskosten und der unentgeltlichen Verbeiständung) kann entsprochen werden, da die Bedürftigkeit ausgewiesen ist, die Beschwerde nicht als aussichtslos zu bezeichnen und die Vertretung durch einen Rechtsanwalt geboten war (Art. 64 Abs. 1 und 2 BGG; BGE 125 V 201 E. 4a und 371 E. 5b, je mit Hinweisen). Es wird indessen ausdrücklich auf Art. 64 Abs. 4 BGG aufmerksam gemacht, wonach die begünstigte Partei der Bundesgerichtskasse Ersatz zu leisten haben wird, wenn sie später dazu in der Lage ist (Urteil 8C_210/2016 vom 24. August 2016 E. 9). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.  
Der Beschwerdeführerin wird die unentgeltliche Rechtspflege gewährt und Rechtsanwältin Petra Oehmke Schiess wird als unentgeltliche Anwältin bestellt. 
 
3.  
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt, indes vorläufig auf die Bundesgerichtskasse genommen. 
 
4.  
Der Rechtsvertreterin der Beschwerdeführerin wird aus der Bundesgerichtskasse eine Entschädigung von Fr. 2'800.- ausgerichtet. 
 
5.  
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 30. August 2023 
 
Im Namen der IV. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Wirthlin 
 
Der Gerichtsschreiber: Grunder