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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
4A_528/2022  
 
 
Urteil vom 13. März 2023  
 
I. zivilrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichterin Kiss, präsidierendes Mitglied, 
Bundesrichterinnen Hohl, May Canellas, 
Gerichtsschreiber Stähle. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwälte 
Dr. Thilo Pachmann und Dr. Rafael Brägger, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
B.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Stephan Netzle, 
Beschwerdegegner. 
 
Gegenstand 
Internationale Schiedsgerichtsbarkeit, 
 
Beschwerde gegen den Schiedsspruch des Tribunal Arbitral du Sport (TAS) vom 20. Oktober 2022 (CAS 2021/A/8125). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
 
A.a. A.________ (Ringer, Beschwerdeführer) ist ein estnischer Ringer.  
Das B.________ (Beschwerdegegner) ist die nationale Anti-Doping-Agentur in U.________. 
 
A.b. Am 6. Januar 2021 wurde beim Ringer eine Dopingkontrolle ausserhalb eines Wettkampfs durchgeführt. Am 7. Februar 2021 informierte das B.________ den Ringer, dass hinsichtlich seiner Dopingprobe ein abnormes Analyseresultat ("adverse analytical finding") für Letrozol - eine nach den Dopingregeln der World Anti-Doping Agency (WADA) verbotene Substanz - ergangen sei. Am 8. April 2021 fand die Analyse der B-Probe statt, welche den Letrozol- und damit den Dopingbefund bestätigte.  
 
A.c. Mit Entscheid vom 27. Juni 2021 sperrte die Disziplinarkammer des B.________ den Ringer für Wettkämpfe während einer Dauer von zwei Jahren und widerrief alle seine Wettkampfergebnisse seit 6. Januar 2021.  
 
B.  
In der Folge gelangte der Ringer mit Berufung an das Tribunal Arbitral du Sport (TAS). Dieses wies die Berufung mit Schiedsentscheid vom 20. Oktober 2022 ab und bestätigte den Entscheid der Disziplinarkammer des B.________ vom 27. Juni 2021. 
Das TAS führte unter Hinweis auf die Anti-Doping-Regeln von U.________ ("X.________-Regeln") zunächst aus, dass das B.________ den Dopingbefund als solchen nachzuweisen habe, was mit A- und B-Probe (vorstehend Bst. A.b) gelungen sei. Fest stehe aber auch, dass der Ringer den Dopingverstoss nicht absichtlich ("non-intentional") begangen habe, was zu einer Reduktion der Sperrdauer führe (maximal zwei statt vier Jahre). Gemäss Ziffer 10.5 und 10.6 X.________-Regeln könne sich ein Athlet in einem solchen Fall weiter respektive vollständig entlasten, wenn er nachweise, wie die Substanz in seinen Körper gelangte. Diesen Nachweis habe der Ringer unter Wahrscheinlichkeitsgesichtspunkten nicht erbracht. 
 
C.  
Der Ringer verlangt mit Beschwerde in Zivilsachen, der Schiedsentscheid des TAS sei aufzuheben. 
Der Beschwerdegegner beantragt die Abweisung der Beschwerde. Das TAS verzichtete auf Vernehmlassung, unter Hinweis auf die Ausführungen im angefochtenen Schiedsentscheid. Der Beschwerdeführer replizierte, worauf der Beschwerdegegner eine Duplik eingereicht hat. 
 
D.  
Mit Präsidialverfügung vom 28. November 2022 wurde das vom Beschwerdeführer gestellte Gesuch um vorsorgliche Massnahmen beziehungsweise um aufschiebende Wirkung abgewiesen. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Nach Art. 54 Abs. 1 BGG ergeht der Entscheid des Bundesgerichts in einer Amtssprache, in der Regel in jener des angefochtenen Entscheids. Wurde dieser in einer anderen Sprache abgefasst, bedient sich das Bundesgericht der von den Parteien verwendeten Amtssprache. Der angefochtene Entscheid ist in englischer Sprache abgefasst. Da es sich dabei nicht um eine Amtssprache handelt, ergeht der Entscheid des Bundesgerichts praxisgemäss in der Sprache der Beschwerde (BGE 142 III 521 E. 1). 
 
2.  
Der Sitz des Schiedsgerichts befindet sich in Lausanne. Die Parteien hatten im massgebenden Zeitpunkt ihren Sitz beziehungsweise Wohnsitz ausserhalb der Schweiz. Da sie die Geltung des 12. Kapitels des IPRG nicht ausdrücklich ausgeschlossen haben, gelangen dessen Bestimmungen zur Anwendung (siehe Art. 176 Abs. 1 und 2 IPRG). Die Beschwerde in Zivilsachen ist somit unter den Voraussetzungen der Art. 190-192 IPRG (SR 291) zulässig (Art. 77 Abs. 1 lit. a BGG). 
 
3.  
Der Schiedsentscheid kann nur aus einem der in Art. 190 Abs. 2 IPRG abschliessend aufgezählten Gründe angefochten werden. Nach Art. 77 Abs. 3 BGG prüft das Bundesgericht nur die Rügen, die in der Beschwerde vorgebracht und begründet worden sind; dies entspricht der in Art. 106 Abs. 2 BGG für die Verletzung von Grundrechten und von kantonalem und interkantonalem Recht vorgesehenen Rügepflicht (BGE 134 III 186 E. 5 mit Hinweis). 
 
4.  
Gegenstand der Beschwerde ist die vom Beschwerdegegner verfügte und vom TAS bestätigte zweijährige Wettkampfsperre, nicht aber die Annullierung der Wettkampfergebnisse seit 6. Januar 2021 (vgl. Sachverhalt Bst. A.c). Der Beschwerdeführer moniert, der Schiedsentscheid sei diesbezüglich nicht mit dem Ordre public vereinbar (Art. 190 Abs. 2 lit. e IPRG). 
 
4.1. Die materiellrechtliche Überprüfung eines internationalen Schiedsentscheids durch das Bundesgericht ist auf die Frage beschränkt, ob der Schiedsspruch mit dem Ordre public vereinbar ist (BGE 121 III 331 E. 3a). Gegen den Ordre public verstösst die materielle Beurteilung eines streitigen Anspruchs nur, wenn sie fundamentale Rechtsgrundsätze verkennt und daher mit der wesentlichen, weitgehend anerkannten Wertordnung schlechthin unvereinbar ist, die nach in der Schweiz herrschender Auffassung Grundlage jeder Rechtsordnung bilden sollte (BGE 144 III 120 E. 5.1).  
Zur Aufhebung des Schiedsentscheids kommt es nur, wenn dieser nicht nur in der Begründung, sondern auch im Ergebnis dem Ordre public widerspricht (BGE 144 III 120 E. 5.1; 138 III 322 E. 4.1; je mit Hinweisen). 
 
4.2. Der Beschwerdeführer ist der Auffassung, der angefochtene Schiedsentscheid missachte das "Prinzip der Verschuldenshaftung". Denn das Schiedsgericht habe festgestellt, dass ihn am Dopingbefund kein Verschulden treffe. Dennoch werde er mit einer "Vereinsstrafe" - nämlich einer zweijährigen Sperre - sanktioniert. Dies verletze den Grundsatz "keine Sanktion ohne Verschulden", der Bestandteil des materiellen Ordre public bilde. Ein Verstoss gegen diesen Grundsatz sei im Dopingbereich besonders stossend, werde ein wegen eines Dopingvergehens verurteilter Sportler doch "auf alle Zeiten" als "Doper" oder "Betrüger" wahrgenommen, auch nachdem die Sperre längst abgelaufen sei. Hinzu komme, dass die "Analysemethoden der Labors in der Dopinganalytik" in den letzten Jahren "immer präziser" geworden und mittlerweile schon "absolute Kleinstmengen" feststellbar seien, die oft durch "unbeabsichtigte Kontamination" erklärt werden könnten. Damit sei "das Bedürfnis und die Notwendigkeit" gestiegen, "wirklich" nur jene Personen zu bestrafen, die "schuldhaft" einen Dopingverstoss begangen hätten (Hervorhebung im Original). Es gelte, "die Bestrafung unschuldiger Athleten [...] zu verhindern".  
 
 
4.3.  
 
4.3.1. Das Bundesgericht hat bereits verschiedentlich entschieden, dass die Regel, wonach bei einem positiven Befund verbotener Substanzen ohne Weiteres Doping vermutet wird (sog. "strict-liability-Prinzip") und dem Sportler der Entlastungsnachweis offensteht, nicht gegen den Ordre public verstösst (Urteile 4A_522/2012 vom 21. März 2013 E. 4.2.2; 4P.148/2006 vom 10. Januar 2007 E. 7.3.2; 4P.105/2006 vom 4. August 2006 E. 8.2 mit weiteren Hinweisen; vgl. auch BGE 134 III 193 E. 4.6.3.2; "il n'y a rien d'insoutenable à imposer au coureur cycliste qui veut obtenir une suppression ou une réduction de la peine disciplinaire le devoir de démontrer comment la substance interdite s'est retrouvée dans son organisme"). Ein solcher Fall liegt hier vor: Das TAS erwog, der Beschwerdegegner (die Anti-Doping-Agentur von U.________) habe das Vorhandensein einer verbotenen Substanz nachweisen können, womit der Dopingverstoss vermutet werde. Das TAS auferlegte sodann - in Anwendung der entsprechenden Regularien - dem Beschwerdeführer die (Entlastungs-) Beweislast hinsichtlich der Frage, wie die verbotene Substanz in seinen Körper gelangte. Diese Vorgehensweise - die namentlich im Dienst einer effizienten Dopingbekämpfung steht - ist nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung konform mit dem Ordre public.  
Es besteht kein Grund, von dieser Rechtsprechung abzugehen respektive diese - in den Worten des Beschwerdeführers - "weiterzuentwickeln". Auch das Argument des Beschwerdeführers, die Dopinganalysen würden "immer präziser", gibt dazu nicht Anlass. Im Übrigen hat sich das Bundesgericht in ebendiesem Zusammenhang (Vermutung des Dopingverstosses bei erstelltem Dopingbefund) schon einlässlich mit dem Einwand der stets genauer werdenden Analysetechnik auseinandergesetzt (BGE 134 III 193 E. 4.6.3.2.1 f.). 
 
4.3.2. Die Folgefrage, ob dem Beschwerdeführer der Entlastungsbeweis gelungen ist, gehört zur Beweiswürdigung, die der bundesgerichtlichen Ordre-public-Kontrolle grundsätzlich nicht zugänglich ist (BGE 144 III 120 E. 5.1).  
 
4.3.3. Der Beschwerdeführer operiert mit Hinweisen auf das StGB sowie mit Begrifflichkeiten wie "Verurteilung zahlreicher Unschuldiger", "die strafrechtlichen Grundsätze der Unschuldsvermutung [...] und in dubio pro reo" oder "nulla poena sine culpa". Es ist daran zu erinnern, dass das Schiedsgericht nichts anderes tat als unter Hinweis auf die massgebenden Verbandsregeln und die eigene Rechtsprechung die Beweislastverteilung sowie das Beweismass festzulegen und anzuwenden. Dieser Vorgang ist im Anwendungsbereich des Privatrechts - auch wenn Disziplinarmassnahmen privater Sportverbände zu beurteilen sind - nicht an strafrechtlichen Prinzipien wie der Unschuldsvermutung beziehungsweise des Grundsatzes "in dubio pro reo" zu messen, wie das Bundesgericht insbesondere in Fällen von Dopingverstössen verschiedentlich bestätigt hat (Urteile 4A_470/2016 vom 3. April 2017 E. 3.4; 4A_178/2014 vom 11. Juni 2014 E. 5.2; 4A_448/2013 vom 27. März 2014 E. 3.3; 4A_612/2009 vom 10. Februar 2010 E. 6.3.2). Dass die Sanktion von einem "Monopolverband" ausgesprochen wurde, wie der Beschwerdeführer einwendet, ändert daran nichts.  
 
4.3.4. Soweit der Beschwerdeführer zumindest sinngemäss die Verhältnismässigkeit der verhängten Sperre bestreitet (etwa unter Hinweis auf Treu und Glauben, Art. 27 Abs. 2 ZGB respektive seine Persönlichkeitsrechte oder die "Ziele der Dopingbekämpfung"), kann eine Ordre-public-Widrigkeit nur angenommen werden, wenn die Sanktion eine offensichtliche und schwerwiegende Persönlichkeitsverletzung darstellen würde. Solche Umstände sind im angefochtenen Schiedsentscheid nicht festgestellt. Die zweijährige Wettkampfsperre ist für einen professionellen Ringer zwar einschneidend, begründet für sich genommen jedoch keine derartige Persönlichkeitsverletzung (vgl. Urteile 4A_448/2013 vom 27. März 2014 E. 3.3; 4A_522/2012 vom 21. März 2013 E. 4.2.2). Im Gegensatz zu dem Fall, der dem vom Beschwerdeführer ins Feld geführten Urteil zugrunde lag (BGE 138 III 322 "Matuzalem"), ist die streitgegenständliche Sperre zeitlich begrenzt und folgt auch nicht etwa aus dem blossen Ausbleiben einer Zahlung, sondern aus einer Verletzung des massgebenden Anti-Doping-Reglements, das beim Befund einer verbotenen Substanz Entlastungsmöglichkeiten zugunsten des Athleten vorsieht, deren Nachweis dem Beschwerdeführer jedoch nicht gelang. Im Übrigen wurde bei der Bemessung der Dauer der Sperre dem Umstand, dass der Dopingverstoss nicht absichtlich ("non-intentional") erfolgte, und damit dem Verhältnismässigkeitsprinzip Rechnung getragen (vgl. Sachverhalt Bst. B).  
 
4.4. Die Rüge, der angefochtene Schiedsentscheid sei mit dem Ordre public unvereinbar, ist unbegründet.  
 
5.  
Der Beschwerdeführer rügt ferner eine "Verletzung des Anspruchs auf ein faires Verfahren nach Art. 6 EMRK". Denn ein "Verfahren, das zu einer Verurteilung führt, obwohl der Beweis des fehlenden Verschuldens gelungen ist", erscheine "nicht fair" im Sinne von Art. 6 Abs. 1 EMRK. Ausserdem sei "nicht fair", dass ihm (dem Beschwerdeführer) die Schiedsverfahrenskosten auferlegt worden seien, obwohl er habe beweisen können, dass ihn "kein Verschulden" treffe. Auch aus diesem Grund verstosse der angefochtene Schiedsentscheid gegen Art. 6 Abs. 1 EMRK
Mit diesen Ausführungen nennt der Beschwerdeführer keinen zulässigen Anfechtungsgrund im Sinne von Art. 190 Abs. 2 IPRG (BGE 147 III 586 E. 5.2.1; 146 III 358 E. 4.1). Auf seine Kritik ist nicht einzutreten. 
 
6.  
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend wird der Beschwerdeführer kosten- und entschädigungspflichtig (siehe Art. 66 Abs. 1 sowie Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
 
2.  
Die Gerichtskosten von Fr. 7'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
3.  
Der Beschwerdeführer hat den Beschwerdegegner für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 8'000.-- zu entschädigen. 
 
4.  
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Tribunal Arbitral du Sport (TAS) schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 13. März 2023 
 
Im Namen der I. zivilrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Das präsidierende Mitglied: Kiss 
 
Der Gerichtsschreiber: Stähle