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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
5A_163/2022  
 
 
Urteil vom 14. Oktober 2022  
 
II. zivilrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Herrmann, Präsident, 
Bundesrichter von Werdt, Schöbi, 
Gerichtsschreiber Monn. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
B.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Simon Näscher, 
Beschwerdegegner. 
 
Gegenstand 
Überragende Bauten, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts Appenzell Ausserrhoden, Einzelrichter, vom 2. Februar 2022 (ERZ 21 25). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
 
A.a. A.________ ist seit dem Jahr 1980 Eigentümer des Grundstücks Nr. yyy, U.________ (AR). Auf dem Grundstück befindet sich ein Mehrfamilienhaus mit vier Wohnungen. B.________ gehört seit dem Jahr 2002 das südlich angrenzende und weitgehend unbebaute Grundstück Nr. zzz. Seit Jahren führt von der Strasse her eine Treppe zum unteren Teil der Liegenschaft von A.________. Diese Treppe befindet sich überwiegend auf dem Grundstück von B.________.  
 
A.b. Mit Klage vom 6. Mai 2020 an das Kantonsgericht Appenzell Ausserrhoden verlangte A.________ die Einräumung eines dinglichen Rechts am Überbau, eventualiter des Eigentums am Boden. Das Kantonsgericht wies die Klage ab. Die dagegen von A.________ beim Obergericht Appenzell Ausserrhoden erhobene Berufung blieb ohne Erfolg (Urteil vom 2. Februar 2022).  
 
B.  
A.________ (Beschwerdeführer) gelangt mit Beschwerde in Zivilsachen und subsidiärer Verfassungsbeschwerde vom 4. März 2022 an das Bundesgericht. Er stellt folgendes Rechtsbegehren: 
 
"1. Es sei das Urteil [des Obergerichts] aufzuheben und dem Kläger als der zeitigem Eigentümer des Grundstücks GB yyy, U.________, das dingliche Recht auf den vorhandenen Überbau der entlang des westlichen Teils der Grenze zwischen den beiden Grundstücken GB yyy und inklusive obere und untere Zugangsflächen zu Gunsten GB yyy und zu Lasten GB zzz einzuräumen. 
Es sei die für die beantragte Einräumung eines dinglichen Rechts auf den Über bau vom Kläger an den Beklagten zu zahlende angemessene Entschädigung nach richterlichem Ermessen festzusetzen. 
2. [...] 
3. Es sei das Grundbuchamt Wolfhalden zum Vollzug der Ziff. 1 anzuweisen." 
Eventualiter beantragt der Beschwerdeführer, ihm das Eigentum am besagten Teil des Grundstücks von B.________ (Beschwerdegegner) zu übertragen, und subeventualiter die Rückweisung der Sache zu neuem Entscheid an die Vorinstanz. 
 
Das Bundesgericht hat die Akten des kantonalen Verfahrens, aber keine Vernehmlassungen eingeholt. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Der Streit dreht sich um den Fortbestand einer überragenden Baute (Art. 674 ZGB). Das ist eine Zivilsache (Art. 72 Abs. 1 BGG) vermögensrechtlicher Natur (vgl. Urteil 5A_942/2019 vom 22. September 2020 E. 1; BGE 78 II 131 E. 1). Laut den nicht bestrittenen Feststellungen der Vorinstanz liegt der Streitwert unter Fr. 30'000.--. Die Beschwerde in Zivilsachen ist daher nur zulässig, wenn sich eine Frage von grundsätzlicher Bedeutung stellt (Art. 74 Abs. 1 Bst. b und Abs. 2 Bst. a BGG).  
 
1.2. Für den Beschwerdeführer stellt sich hier die Frage, ob die Rechtsprechung, wonach der auf Art. 674 Abs. 3 ZGB gestützte Anspruch anhand der auf dem Spiel stehenden Parteiinteressen zu beurteilen ist (BGE 78 II 131), auf Konstellationen ausgedehnt werden soll, in denen beide am Überbau beteiligten Grundstücke vor langer Zeit an andere Eigentümer übergegangen sind. Diese Frage sei bislang, soweit ersichtlich, noch nicht höchstrichterlich entschieden worden. Hingegen sei sie angesichts der laufenden Diskussion in der Lehre sowie der zentralen Rolle für die vorliegende Sache von grundsätzlicher Bedeutung.  
 
Dem Beschwerdeführer kann nicht gefolgt werden. Allein dass sich das Bundesgericht mit der aufgeworfenen Rechtsfrage noch nicht befasst hat, macht diese nicht zu einer solchen von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne von Art. 74 Abs. 2 Bst. a BGG (Urteil 5A_915/2020 vom 11. Dezember 2020 E. 1.1; 5A_473/2017 vom 30. April 2018 E. 1.2). Ebenso wenig genügt es zu behaupten, dass die Frage in der Lehre kontrovers diskutiert werde. Der Beschwerde ist nicht zu entnehmen, inwiefern ein allgemeines und dringendes Interesse an einer höchstrichterlichen Klärung der (angeblich) umstrittenen Frage besteht, um eine einheitliche Anwendung und Auslegung des Bundesrechts herbeizuführen (vgl. BGE 140 III 501 E. 1.3). 
 
1.3. Die Beschwerde ist daher als subsidiäre Verfassungsbeschwerde (Art. 113 ff. BGG) entgegenzunehmen. Das Obergericht hat als obere kantonale Instanz auf Rechtsmittel hin entschieden (Art. 114 i.V.m. Art. 75 BGG). Der angefochtene Entscheid trifft den Beschwerdeführer in seinen rechtlich geschützten Interessen (Art. 115 BGG), schliesst das kantonale Verfahren ab (Art. 117 i.V.m Art. 90 BGG) und ist rechtzeitig erfolgt (Art. 117 i.V.m. Art. 100 Abs. 1 BGG).  
 
1.4. Nicht eingetreten werden kann auf den Antrag, dem Beschwerdegegner im Fall der Gutheissung der Beschwerde eine angemessene Entschädigung für die Einräumung einer Dienstbarkeit oder das Überlassen des Eigentums zuzusprechen. Zwar entscheidet das Bundesgericht auch im Verfahren der subsidiären Verfassungsbeschwerde in der Regel reformatorisch (Art. 117 i.V.m. 107 Abs. 2 BGG; Urteil 4A_549/2021 vom 16. Dezember 2021 E. 2.1). Hier fällt ein reformatorischer Entscheid jedoch ausser Betracht, nachdem sich die Vorinstanz mit der Frage der Entschädigung gar nicht befasst hat. Im Übrigen sind auf Geld lautende Rechtsbegehren zu beziffern; ein Begehren um Festsetzung einer angemessenen Entschädigung genügt nicht (BGE 134 III 235 E. 2; 143 III 111 E. 1.2).  
 
1.5. Auch im Fall der subsidiären Verfassungsbeschwerde ist einzig das Urteil der Vorinstanz Anfechtungsobjekt. Soweit der Beschwerdeführer Kritik am Entscheid des als erste Instanz urteilenden Kantonsgerichts übt, ist darauf nicht einzugehen. Daran ändert auch nichts, dass sich der Beschwerdeführer schockiert von diesem Urteil zeigt.  
 
2.  
 
2.1. Mit der Verfassungsbeschwerde kann nur die Verletzung von verfassungsmässigen Rechten gerügt werden (Art. 116 BGG). Hierfür gilt das strenge Rügeprinzip (Art. 117 i.V.m. Art. 106 Abs. 2 BGG). Der Beschwerdeführer muss in seiner Eingabe präzise angeben, welche verfassungsmässigen Rechte verletzt worden sind, und im Einzelnen substanziiert darlegen, worin die Verletzung besteht. Eine Überprüfung von Amtes wegen, wie sie dem Bundesgericht hinsichtlich des Gesetzes- und Verordnungsrechts des Bundes zusteht (Art. 106 Abs. 1 BGG), findet nicht statt. Das Bundesgericht untersucht deshalb nicht von sich aus, ob der angefochtene kantonale Entscheid verfassungsmässig ist. Es prüft nur rechtsgenügend vorgebrachte, klar erhobene und soweit möglich belegte Rügen. Auf rein appellatorische Kritik am angefochtenen Entscheid tritt es nicht ein (BGE 145 II 32 E. 5.1; 134 II 244 E. 2.2; 133 II 396 E. 3.2). In tatsächlicher Hinsicht legt das Bundesgericht seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 118 Abs. 1 BGG). Auch diesbezüglich kann das Bundesgericht nur dann korrigierend eingreifen, wenn der Beschwerdeführer eine Verletzung verfassungsmässiger Rechte dartut (Art. 118 Abs. 2 BGG).  
 
2.2. Wer sich auf eine Verletzung des Willkürverbots (Art. 9 BV) berufen will, kann sich demnach nicht darauf beschränken, die Sach- oder Rechtslage aus seiner Sicht darzulegen und den davon abweichenden angefochtenen Entscheid als willkürlich zu bezeichnen. Vielmehr ist anhand der angefochtenen Subsumtion im Einzelnen darzutun, inwiefern das kantonale Gericht willkürlich entschieden haben soll und der Entscheid an einem qualifizierten und offensichtlichen Mangel leidet (BGE 134 II 244 E. 2.2; 117 Ia 10 E. 4b). Willkür liegt zudem nur vor, wenn nicht bloss die Begründung eines Entscheids, sondern auch das Ergebnis unhaltbar ist (BGE 143 I 321 E. 6.1; 141 I 49 E. 3.4; 134 I 140 E. 5.4). Dass eine andere Lösung ebenfalls als vertretbar oder gar zutreffender erscheint, begründet keine Willkür (BGE 145 II 32 a.a.O.; 137 I 1 E. 2.4; 129 I 173 E. 3.1; je mit Hinweisen).  
 
3.  
 
3.1. Wer Eigentümer einer Sache ist, hat das Eigentum an allen ihren Bestandteilen (Art. 642 Abs. 1 ZGB). Bauten und andere Vorrichtungen, die von einem Grundstück auf ein anderes überragen, verbleiben Bestand des Grundstücks, von dem sie ausgehen, wenn dessen Eigentümer auf ihren Bestand ein dingliches Recht hat (Art. 674 Abs. 1 ZGB). Ist ein Überbau unberechtigt und erhebt der Verletzte nicht rechtzeitig Einspruch, so kann, wenn es die Umstände rechtfertigen, dem Überbauenden, der sich in gutem Glauben befindet, gegen angemessene Entschädigung das dingliche Recht auf den Überbau oder das Eigentum am Boden zugewiesen werden (Art. 674 Abs. 3 ZGB). Umstritten ist, ob diese Voraussetzungen erfüllt sind  
 
3.2. Die Vorinstanz weist die Klage des Beschwerdeführers mit einer doppelten Begründung ab: Einmal hält sie dafür, dass der Bauherr der Treppe, Rechtsvorgänger des Beschwerdeführers, um den Grenzverlauf wusste oder jedenfalls hätte wissen müssen, als er die Treppe auf dem Grundstück errichtete, das heute dem Beschwerdegegner gehört. Der Bauherr sei bei Errichtung der Treppe mithin nicht gutgläubig gewesen. Nachdem die Ansprüche aus Art. 674 Abs. 3 ZGB realobligatorischer Natur seien, müsse sich der Beschwerdeführer das Wissen seines Rechtsvorgängers anrechnen lassen. Zum andern kommt die Vorinstanz zum Schluss, die Umstände des vorliegenden Falls würden es nicht rechtfertigen, dass der Beschwerdegegner dem Beschwerdeführer eine Dienstbarkeit einräumt oder Land abtritt, um den Fortbestand der Treppe zu sichern. Insbesondere sei der Beschwerdeführer nicht zwingend auf das Überbaurecht angewiesen, da er einerseits über eine Innentreppe verfüge und anderseits auch auf der Nordseite seines Grundstücks gegebenenfalls eine Treppe erstellen könne. Insgesamt überwiege das Interesse des Beschwerdegegners am Erhalt seines unbelasteten Eigentums.  
 
A ngesichts einer solch doppelten Begründung muss in der Beschwerde an das Bundesgericht dargelegt werden, dass jede von ihnen Recht verletzt (BGE 133 IV 119 E. 6.3; Urteil 5A_624/2019 vom 5. November 2019 E. 3.1.4). Erweist sich nämlich auch nur eine von zwei vorinstanzlichen Begründungen als bundesrechtskonform, so ist es der angefochtene Entscheid selbst (BGE 142 III 364 E. 2.4; 133 III 221 E. 7; 130 III 321 E. 6). Hier setzt sich der Beschwerdeführer mit beiden Begründungslinien auseinander. 
 
3.3. Vorweg ist der Vorwurf des Beschwerdeführers zu prüfen, wonach die Vorinstanz sein rechtliches Gehör verletze (Art. 29 Abs. 2 BV), indem sie in antizipierter Beweiswürdigung darauf verzichte, "die Kostenfolgen auch nur im Ansatz genau zu kalkulieren", und der Würdigung der Gesamtumstände stattdessen eine eigene, unbegründete Einschätzung zugrunde lege. Der Vorwurf geht an der Sache vorbei bzw. fällt auf den Beschwerdeführer zurück. Die vorinstanzliche Feststellung, wonach er sich zu den konkreten Kosten eines Abbruchs oder Neubaus nicht geäussert habe, stellt der Beschwerdeführer nicht in Abrede. Ebenso wenig tut er dar, weshalb sich das Obergericht ohne entsprechende Angaben zu den Kostenfolgen hätte äussern müssen. Ein Beweisantrag, diese Kosten gutachterlich zu ermitteln, dispensierte den Beschwerdeführer nicht von seiner Behauptungslast (s. Urteil 5A_280/2021 vom 17. Juni 2022 E. 3.1 mit Hinweisen). Ebenso wenig hilft es dem Beschwerdeführer, wenn er im hiesigen Verfahren für den Neubau einer Treppe ohne jegliche Erklärung nun einen Betrag von Fr. 35'000.-- in den Raum stellt, zumal dieser Betrag nach eigenem Bekunden auch noch Anwaltskosten enthält.  
 
3.4. Auch in der Sache ist der Vorinstanz keine Willkür (Art. 9 BV) vorzuwerfen, wenn sie gestützt auf die Würdigung der Umstände dem Interesse des Beschwerdegegners an seinem unbelasteten Eigentum den Vorrang einräumt. Dafür reicht es nicht, das angefochtene Urteil als schikanös zu betiteln und zu behaupten, dass die bisherige Treppe schon lange besteht, die Benutzung der im Haus bestehenden Innentreppe absolut unzumutbar sei und eine neue Aussentreppe umständlich, ungeeignet und mit unverhältnismässig hohen Kosten verbunden wäre. Auch der Hinweis auf das wenige, in der Landwirtschaftszone gelegene Land, das die bisherige Aussentreppe in Anspruch nimmt, und auf den tiefen Quadratmeterpreis für Ackerboden im Kanton Appenzell Ausserrhoden, hilft dem Beschwerdeführer nicht weiter. All dies hat die Vorinstanz nicht ignoriert, aber anders als der Beschwerdeführer gewichtet. Der Beschwerdeführer übersieht die im Fall einer subsidiären Verfassungbeschwerde eingeschränkte Überprüfungsbefugnis des Bundesgerichts (E. 2).  
 
An alledem ändert auch der vom Beschwerdeführer zusätzlich angerufene Verhältnismässigkeitsgrundsatz (Art. 5 Abs. 2 BV) nichts. Bei diesem handelt es sich nicht um ein verfassungsmässiges Recht, sondern um ein Verfassungsprinzip; es kann im vorliegenden Verfahren der subsidiären Verfassungsbeschwerde, in welchem nur die Verletzung von verfassungsmässigen Rechten gerügt werden kann (Art. 116 BGG; E. 2.1), nicht unabhängig von einer anderen Grundrechtsverletzung angerufen werden (BGE 140 II 194 E. 5.8.2; 134 I 153 E. 4.1). Es bleibt damit dabei, dass sich die Vorinstanz nicht dem Vorwurf der Willkür aussetzt, wenn sie im konkreten Fall die Umstände, die für die Einräumung einer Überbaudienstbarkeit bzw. die Abtretung des erforderlichen Lands vorliegen müssen, als nicht gegeben erachtet. 
 
3.5. Steht fest, dass die zweite Begründungslinie das angefochtene Urteil trägt, kann offen bleiben, ob die Vorinstanz auch zu Recht davon ausgegangen ist, dass der Bauherr und Rechtsvorgänger des Beschwerdeführers bösgläubig war, als er auf dem Nachbargrundstück die Treppe errichtete (s. oben E. 3.2).  
 
4.  
Im Ergebnis erweist sich die Beschwerde als unbegründet. Sie ist deshalb abzuweisen. Bei diesem Ausgang trägt der Beschwerdeführer die Gerichtskosten (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG). Dem Beschwerdegegner ist keine Parteientschädigung geschuldet. 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.  
Die Gerichtskosten von Fr. 2000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
3.  
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht Appenzell Ausserrhoden, Einzelrichter, mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 14. Oktober 2022 
 
Im Namen der II. zivilrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Herrmann 
 
Der Gerichtsschreiber: Monn