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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
5A_789/2023  
 
 
Urteil vom 13. Dezember 2023  
 
II. zivilrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Herrmann, Präsident, 
Bundesrichter von Werdt, Bundesrichterin De Rossa, 
Gerichtsschreiberin Lang. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Franz Hollinger, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Bezirksgericht Brugg, 
Untere Hofstatt 4, 5200 Brugg, 
Beschwerdegegner. 
 
Gegenstand 
Unentgeltliche Rechtspflege (Abänderung Eheschutz), 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts 
des Kantons Aargau, Zivilgericht, 4. Kammer, 
vom 11. September 2023 (ZSU.2023.177). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
In einem von ihm beim Bezirksgericht Brugg eingeleiteten Verfahren betreffend die Abänderung von Eheschutzmassnahmen stellte A.________ am 12. Oktober 2022 ein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege. Das Bezirksgericht entschied über die Abänderung der Eheschutzmassnahmen mit Entscheid vom 10. Juli 2023 und wies mit Verfügung gleichen Datums das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege ab. 
 
B.  
Die von A.________ gegen diese Verfügung beim Obergericht des Kantons Aargau eingereichte Beschwerde blieb erfolglos. Mit Entscheid vom 11. September 2023 (zugestellt am 14. September 2023) wies das Obergericht diese sowie das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege für das Beschwerdeverfahren ab. 
 
C.  
Hiergegen gelangt A.________ (Beschwerdeführer) mit Beschwerde in Zivilsachen vom 16. Oktober 2023 an das Bundesgericht. Diesem beantragt er, den Entscheid vom 11. September 2023 aufzuheben und das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung für das erstinstanzliche Verfahren gutzuheissen. Für das ober- und bundesgerichtliche Verfahren sei der Kanton Aargau anzuweisen, den Rechtsvertreter des Beschwerdeführers mit Fr. 4'000.-- zu entschädigen. Auch vor Bundesgericht ersucht der Beschwerdeführer um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung. 
Das Bundesgericht hat die kantonalen Akten, aber keine Vernehmlassungen eingeholt. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Die Beschwerde richtet sich gegen den auf Rechtsmittel hin gefällten Entscheid einer letzten kantonalen Instanz (Art. 75 BGG), mit dem die unentgeltliche Rechtspflege für ein Verfahren auf Abänderung von Eheschutzmassnahmen verweigert worden ist. Da das Hauptverfahren abgeschlossen ist, gilt der Entscheid über die unentgeltliche Rechtspflege als Nebenpunkt zum Endentscheid (Art. 90 BGG; Urteil 5A_292/2021 vom 22. März 2022 E. 1 mit Hinweisen). Die Verweigerung der unentgeltlichen Rechtspflege kann daher mit dem in der Hauptsache zulässigen Rechtsmittel angefochten werden (Urteil 5A_174/2016 vom 26. Mai 2016 E. 1). Dort ging es um die Abänderung von Eheschutzmassnahmen hinsichtlich der Leistung von Unterhalt und damit um eine vermögensrechtliche Zivilsache (Art. 72 Abs. 1 BGG), wobei die notwendige Streitwertgrenze (Art. 74 Abs. 1 lit. b BGG) gemäss den unbestrittenen Angaben der Vorinstanz erreicht ist. Der Beschwerdeführer ist zur Erhebung der Beschwerde am Bundesgericht legitimiert (Art. 76 Abs. 1 BGG) und hat diese fristgerecht (Art. 100 Abs. 1 i.V.m. Art. 45 Abs. 1 BGG) eingereicht. 
 
2.  
Eheschutzentscheide (inkl. Abänderung von Eheschutzentscheiden) unterstehen Art. 98 BGG (BGE 149 III 81 E. 1.3). Demnach kann vorliegend nur die Verletzung verfassungsmässiger Rechte gerügt werden. In Verfahren nach Art. 98 BGG kommt zudem eine Berichtigung oder Ergänzung der Sachverhaltsfeststellungen nur infrage, wenn die kantonale Instanz verfassungsmässige Rechte verletzt hat (BGE 133 III 585 E. 4.1). Die Verletzung von verfassungsmässigen Rechten prüft das Bundesgericht nur insofern, als eine solche Rüge in der Beschwerde vorgebracht und begründet worden ist (Art. 106 Abs. 2 BGG; Rügeprinzip). Es prüft nur klar und detailliert erhobene und soweit möglich belegte Rügen (BGE 142 III 364 E. 2.4). Dies setzt voraus, dass sich die Beschwerde mit den Erwägungen des angefochtenen Entscheids auseinandersetzt (BGE 145 I 121 E. 2.1 in fine mit Hinweis).  
 
3.  
 
3.1. Die Erstinstanz hatte das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege unter Berufung auf die Subsidiarität des Anspruchs auf unentgeltliche Rechtspflege im Verhältnis zur familienrechtlichen Beistands- und Unterstützungspflicht abgewiesen. Nach der Rechtsprechung dürfe von der anwaltlich vertretenen Partei verlangt werden, dass sie im Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege ausdrücklich darlege, weshalb ihrer Ansicht nach auf einen Prozesskostenvorschuss zu verzichten sei.  
 
3.2. Soweit vorliegend noch relevant, machte der Beschwerdeführer vorinstanzlich geltend, über das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege vom 12. Oktober 2022 sei erst am 10. Juli 2023 entschieden worden. Im Hinblick auf das aus Art. 29 Abs. 1 BV abgeleitete Fairnessgebot folge aus dem verfassungsrechtlichen Rechtspflegeanspruch nach Art. 29 Abs. 3 BV, dass über das Gesuch um unentgeltliche Verbeiständung in der Regel zu entscheiden sei, bevor der Gesuchsteller weitere, in erheblichem Masse Kosten verursachende Schritte unternehme. Falls dieser Grundsatz nicht befolgt werde, müsse das Gesuch bewilligt werden, ohne die sachliche Notwendigkeit der unentgeltlichen Verbeiständung zu prüfen.  
 
3.3. Die Vorinstanz liess die Frage offen, ob die Erstinstanz über das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege nicht erst mit dem Endentscheid in der Sache hätte befinden dürfen. Es stehe nämlich fest, dass der Beschwerdeführer weder einen Antrag auf Ausrichtung eines Prozesskostenvorschusses durch seine Ehefrau gestellt noch begründet habe, weshalb auf einen entsprechenden Antrag verzichtet werden könne. Deswegen habe die Erstinstanz das Gesuch so oder so abweisen müssen.  
 
3.4. Der Beschwerdeführer beanstandet die Vorgehensweise der Vorinstanz. Er insistiert, die Frage, ob das Fairnessgebot und der verfassungsrechtliche Rechtspflegeanspruch gewahrt worden seien, habe nichts damit zu tun, ob das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege zu Recht abgewiesen worden sei, und hält im Wesentlichen an seiner vorinstanzlichen Argumentation fest (siehe E. 3.2).  
 
3.5.  
 
3.5.1. Es trifft zu, dass nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung über ein Gesuch um unentgeltliche Verbeiständung in der Regel zu entscheiden ist, bevor die gesuchstellende Person weitere, in erheblichem Masse Kosten verursachende prozessuale Schritte unternimmt, soweit die Rechtsvertretung nach Einreichung des Gesuchs gehalten ist, weitere Verfahrensschritte zu unternehmen (Urteile 5A_62/2016 vom 17. Oktober 2016 E. 5.2, nicht publ. in: BGE 142 III 713; 5D_98/2016 vom 22. Juni 2016 E. 4.1). Dies folgt im Hinblick auf das aus Art. 29 Abs. 1 BV abgeleitete Fairnessgebot aus dem verfassungsrechtlichen Rechtspflegeanspruch nach Art. 29 Abs. 3 BV (Urteile 1C_262/2019 vom 6. Mai 2020 E. 3.1; 4A_20/2011 vom 11. April 2011 E. 7.2.2; 1P.345/2004 vom 1. Oktober 2004 E. 4.3).  
 
3.5.2. Aus dieser Rechtsprechung folgt entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers (und entgegen dem zit. Urteil 1P.345/2004 E. 4.3, auf das sich der Beschwerdeführer beruft) jedoch vorliegend nicht, dass das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege automatisch gutzuheissen wäre, wenn das Gericht die oben wiedergegebenen Grundsätze bzw. das Rechtsverzögerungsverbot gemäss Art. 29 Abs. 1 BV verletzt:  
 
3.5.2.1. Das Bundesgericht hat bereits mehrfach festgehalten, dass die Verletzung des Beschleunigungsgebots nicht zur Zusprechung eines vom Staat materiellrechtlich nicht geschuldeten Anspruchs führen kann (BGE 129 V 411 E. 3.4; Urteil 8C_541/2021 vom 18. Mai 2022 E. 2.2 mit Hinweisen).  
 
3.5.2.2. Es hat ausserdem in einem neueren Entscheid klargestellt, dass die gesuchstellende Person gestützt auf die oben wiedergegebene Rechtsprechung ihren Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege nicht losgelöst von den verfassungsmässigen Anspruchsvoraussetzungen (Art. 29 Abs. 3 BV) einfach daraus ableiten kann, dass sich das Gericht nicht an die genannten Vorgaben betreffend den Entscheidzeitpunkt gehalten hat (Urteil 5A_62/2016 vom 17. Oktober 2016 E. 5.2, nicht publ. in: BGE 142 III 713; so bereits Urteil 5P.44/2004 vom 8. Juli 2004 E. 2).  
 
3.5.2.3. Dieser Auffassung ist, soweit ersichtlich, auch die Lehre, soweit sie sich zur Thematik äussert (BÜHLER, in: Berner Kommentar, Schweizerische Zivilprozessordnung, Bd. I, 2012, N. 56a zu Art. 119 ZPO; WUFFLI/FURRER, Handbuch unentgeltliche Rechtspflege im Zivilprozess, 2019, S. 328 Rz. 930; TREZZINI, in: Commentario pratico al Codice di diritto processuale civile svizzero [CPC], Bd. I, 2. Aufl. 2017, N. 32 zu Art. 119 ZPO).  
 
3.5.2.4. Im Übrigen wäre es dem anwaltlich vertretenen Beschwerdeführer zuzumuten gewesen, die Erstinstanz aufzufordern, umgehend über sein Gesuch zu entscheiden, bevor er weitere, in erheblichem Masse Kosten verursachende Schritte vornimmt. Dass er dies getan oder sich auch nur nach dem Stand dieses Verfahrens erkundigt hätte, macht der Beschwerdeführer nicht geltend und ist auch nicht ersichtlich. Selbst untätig zu bleiben, um daraus später einen Rechtsvorteil abzuleiten, widerspricht jedoch dem Grundsatz von Treu und Glauben (Art. 5 Abs. 3 BV; zit. Urteil 5A_62/2016 E. 5.2, nicht publ. in: BGE 142 III 713). Damit bleibt der Beschwerdeführer auf eine Staatshaftungsklage verwiesen (Urteil 5P.44/2004 vom 8. Juli 2004 E. 2).  
 
3.6. Die Argumentation des Beschwerdeführers zielt folglich ins Leere. Dass sein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege auch unabhängig davon hätte gutgeheissen werden müssen, macht er nicht geltend. Auf seine weiteren Ausführungen (insbesondere zu den notwendigen, Kosten verursachenden Schritten) ist daher nicht weiter einzugehen. Die Abweisung seines Gesuchs um unentgeltliche Rechtspflege vor Vorinstanz ficht der Beschwerdeführer nicht an bzw. führt er aus, gar kein solches gestellt zu haben, und den Antrag auf Entschädigung für das vorinstanzliche Verfahren stellt er nicht unabhängig vom Obsiegen in der Sache. Weiterungen erübrigen sich daher.  
 
4.  
Die Beschwerde ist abzuweisen. Ausgangsgemäss wird der Beschwerdeführer kosten- (Art. 66 Abs. 1 und 2 BGG), nicht aber entschädigungspflichtig (Art. 68 Abs. 3 BGG). Seinem Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung vor Bundesgericht kann entsprochen werden (Art. 64 Abs. 1 und 2 BGG). Der Beschwerdeführer wird darauf hingewiesen, dass er der Bundesgerichtskasse Ersatz zu leisten hat, falls er dazu später in der Lage ist (Art. 64 Abs. 4 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.  
Das Gesuch des Beschwerdeführers um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege für das bundesgerichtliche Verfahren wird gutgeheissen und es wird ihm Rechtsanwalt Franz Hollinger als unentgeltlicher Rechtsbeistand beigegeben. 
 
3.  
Die Gerichtskosten von Fr. 1'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt, indes vorläufig auf die Bundesgerichtskasse genommen. 
 
4.  
Rechtsanwalt Franz Hollinger wird aus der Bundesgerichtskasse mit Fr. 1'500.-- entschädigt. 
 
5.  
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Aargau, Zivilgericht, 4. Kammer, mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 13. Dezember 2023 
 
Im Namen der II. zivilrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Herrmann 
 
Die Gerichtsschreiberin: Lang