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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
9C_231/2021  
 
 
Urteil vom 28. Juli 2021  
 
II. sozialrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Parrino, Präsident, 
Bundesrichter Stadelmann, 
Bundesrichterin Moser-Szeless, 
Gerichtsschreiberin Oswald. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
IV-Stelle Bern, 
Scheibenstrasse 70, 3014 Bern, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Invalidenversicherung (Invalidenrente), 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern vom 22. Februar 2021 
(200 20 844 IV). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
 
A.a. Der 1961 geborene, zuletzt bis 2008 als Hilfsbäcker und Raumpfleger tätig gewesene A.________ meldete sich im August 2008 unter Hinweis auf eine Gonarthrose bei der IV-Stelle Bern (fortan: IV-Stelle) zum Leistungsbezug an. Diese tätigte erwerbliche Abklärungen, holte Berichte der behandelnden Ärzte ein und veranlasste eine arbeitsmarktlich-medizinische Abklärung bei der B.________ (Abklärungsbericht vom 20. August 2009). Mit Verfügung vom 14. April 2010 gewährte sie dem Versicherten eine ganze Invalidenrente ab 1. August 2008 bei einem Invaliditätsgrad von 100 %. Dieser Anspruch wurde am 1. Februar 2012 bestätigt, nachdem der Versicherte zuvor im Spital C.________ rheumatologisch begutachtet worden war (Expertise vom 28. März 2011 samt Ergänzung vom 11. Oktober 2011).  
 
A.b. Im Frühjahr 2016 leitete die IV-Stelle eine weitere Revision ein. In deren Rahmen liess sie den Versicherten durch Dr. med. D.________ orthopädisch begutachten (Expertise vom 12. Februar 2018) und - aufgrund eines anonymen Hinweises, wonach der Versicherte als Lastwagenchauffeur arbeite, seine Frau bei verschiedenen Arbeiten unterstütze und am Freitag und Samstag Zeitungen austrage - zwischen dem 21. Juli und dem 23. September 2016 observieren (Bericht über die Beweissicherung vor Ort vom 3. August 2017). Anschliessend legte sie die Ergebnisse der Observation dem orthopädischen Gutachter vor, der Diskrepanzen zwischen seinen Feststellungen im Rahmen der medizinischen Begutachtung und dem beobachteten Verhalten des Versicherten feststellte. Dies bewog den Experten, seine Arbeitsfähigkeitsschätzung dahingehend zu ändern, dass dem Versicherten eine angepasste Tätigkeit nicht zu 50, sondern zu 100 Prozent zumutbar sei (medizinische Würdigung vom 26. April 2018). Gestützt darauf verfügte die IV-Stelle am 12. Oktober 2018 die Rentenaufhebung per 31. August 2017. Auf Beschwerde hin hob das Verwaltungsgericht des Kantons Bern mit Urteil vom 26. März 2019 die rentenaufhebende Verfügung vom 12. Oktober 2018 auf, da weder ein Revisions- noch ein Wiedererwägungsgrund bestehe. Dabei legte es der Verwaltung nahe, angesichts des Eingliederungspotenzials (gutachterlich nachvollziehbar attestierte volle Arbeits- und Leistungsfähigkeit in angepasster Tätigkeit) Wiedereingliederungsmassnahmen zur Verbesserung bzw. Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit zu ergreifen.  
 
A.c. Daraufhin veranlasste die Verwaltung eine Abklärung Eingliederung (vom 12. August bis 11. November 2019 in der Genossenschaft E.________; vgl. Bericht vom 18. Dezember 2019) und gewährte anschliessend Kostengutsprache für Arbeitsvermittlung (Mitteilung vom 22. November 2019). Mit Schreiben vom 18. Februar 2020 forderte sie den Versicherten zur Schadenminderung im Sinne einer Teilnahme an beruflichen Eingliederungsmassnahmen auf. In der Folge vereinbarte dieser mit der Arbeitsvermittlungsfachperson, er bewerbe sich mit Hilfe seines Sohnes pro Monat für mindestens 4-6 Stellen (Eingliederungsvereinbarung vom 13. Mai 2020). Entsprechende Bewerbungen wurden trotz eingeschriebener Erinnerung vom 1. Juli 2020 nicht nachgewiesen, weshalb die Arbeitsvermittlung mit Verfügung vom 30. September 2020 abgeschlossen wurde. Mit Verfügung vom 13. Oktober 2020 hob die IV-Stelle die Invalidenrente von A.________ auf Ende des der Verfügung folgenden Monats auf.  
 
B.  
Das Verwaltungsgericht des Kantons Bern wies die hiergegen eingereichte Beschwerde mit Urteil vom 22. Februar 2021 ab. 
 
C.  
A.________ führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit dem Antrag, es sei das vorinstanzliche Urteil vom 22. Februar 2021 aufzuheben und die IV-Stelle anzuweisen, ihm weiterhin eine ganze IV-Rente auszurichten. Eventualiter sei die Sache zu neuem Entscheid an das kantonale Gericht zurückzuweisen. Ferner sei ihm die unentgeltliche Rechtspflege zu gewähren. 
Die IV-Stelle schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Das Bundesamt für Sozialversicherungen verzichtet auf eine Vernehmlassung. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann eine Rechtsverletzung nach Art. 95 f. BGG gerügt werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Dennoch prüft es - offensichtliche Fehler vorbehalten - nur die in seinem Verfahren gerügten Rechtsmängel (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG). Es legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG) und kann ihre Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Verfahrensausgang entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 und Art. 105 Abs. 2 BGG; zum Ganzen BGE 145 V 57 E. 4). 
 
2.  
Soweit der Beschwerdeführer die Eröffnung der Verfügung vom 30. September 2020 über den Abschluss der Arbeitsvermittlung auch letztinstanzlich als mangelhaft rügt, ist darauf bereits mangels Rechtsschutzinteresses nicht einzutreten, hat er doch zu keinem Zeitpunkt verlangt, es sei die Arbeitsvermittlung wieder aufzunehmen und basierte die von ihm angefochtene Rentenaufhebung (Verfügung vom 13. Oktober 2020) nicht auf der Einstellung der Arbeitsvermittlung, sondern auf einer Verletzung der Schadenminderungspflicht (Art. 21 Abs. 4 ATSG; ungenügende Mitwirkung bei der Stellensuche). 
 
3.  
 
3.1. In materieller Hinsicht stellte die Vorinstanz mit Urteil vom 26. März 2019 fest, eine revisionsrechtlich relevante Veränderung der tatsächlichen Verhältnisse (insbesondere des Gesundheitszustandes) sei seit der ursprünglichen Rentenzusprache nicht ausgewiesen. Weiter erwog sie, diese sei auch nicht zweifellos unrichtig gewesen. Die nachvollziehbare und überzeugende gutachterliche Einschätzung des Dr. med. D.________ (dem zufolge in einer knieschonenden Tätigkeit eine volle Arbeits- und Leistungsfähigkeit bestehe) basiere auf einer anderen Einschätzung der gleichgebliebenen Befunde. Mit (vorliegend angefochtenem) Urteil vom 22. Februar 2021 würdigte das Verwaltungsgericht abermals die medizinischen Akten und stellte fest, der rechtsgenüglich abgeklärte Gesundheitszustand habe sich weiterhin nicht verschlechtert und es sei von einer im Wesentlichen unveränderten medizinisch-theoretischen Arbeits- und Leistungsfähigkeit (von 100 % in angepasster Tätigkeit) auszugehen.  
 
3.2. Das kantonale Gericht erwog, gemäss Art. 7 Abs. 2 lit. e IVG seien auch Rentenbezügerinnen und Rentenbezüger im Sinne des allgemeinen Grundsatzes der Schadenminderungspflicht gehalten, an Eingliederungsmassnahmen teilzunehmen, ansonsten ihre Renten nach Art. 21 Abs. 4 ATSG gekürzt oder verweigert werden könnten (Art. 7a und 7b Abs. 1 IVG; mit Verweis auf BGE 145 V 2 E. 4.2.2). Vorliegend sei im Rahmen der Wiedereingliederungsbemühungen zuerst eine Abklärung der Leistungsfähigkeit erfolgt, welche eine Diskrepanz zum medizinisch-theoretischen Zumutbarkeitsprofil der IV ergeben habe. Der Versicherte habe sich gemäss Bericht der Abklärungsstelle vom 18. Dezember 2019 auf die gestellten Aufgaben eingelassen, zwischendurch jedoch nur mässig motiviert gewirkt. Er scheine aktuell aufgrund der körperlichen Einschränkungen nur bedingt auf dem Arbeitsmarkt vermittelbar zu sein. Die in der Folge im Rahmen der Arbeitsvermittlung verlangten Bewerbungen habe er nicht bzw. in ungenügendem Ausmass getätigt, womit er seiner Mitwirkungspflicht nicht nachgekommen sei. Bei zuvor korrekt durchgeführtem Mahn- und Bedenkzeitverfahren und ansonsten unbestritten gebliebener Bemessung des Invaliditätsgrades sei die Verfügung vom 13. Oktober 2020 nicht zu beanstanden.  
 
4.  
 
4.1. Der Beschwerdeführer wirft der Vorinstanz im Wesentlichen vor, den Sachverhalt bezüglich seines Gesundheitszustandes und seiner Arbeitsfähigkeit offensichtlich unrichtig in Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes festgestellt zu haben. Ebenfalls offensichtlich unrichtig seien die vorinstanzlichen Feststellungen bezüglich seiner Bewerbungsbemühungen. Wie es sich damit verhält kann indes angesichts des Folgenden offen bleiben:  
 
4.2. Mit der Vorinstanz und der Beschwerdegegnerin trifft es zu, dass auch eine rentenbeziehende Person mit Eingliederungsressourcen unabhängig vom Vorliegen eines Revisionsgrundes verpflichtet ist, an zumutbaren Wiedereingliederungsmassnahmen teilzunehmen (BGE 145 V 2). Der Beschwerdeführer bestreitet grundsätzlich nicht, dass er Eingliederungsressourcen aufweist; folgerichtig erklärte er sich schon im Verwaltungsverfahren bereit, an Wiedereingliederungsmassnahmen teilzunehmen und akzeptierte - unter Vorbehalt der Abklärung neuer gesundheitlicher Beeinträchtigungen an den Fussgelenken - das gutachterliche Zumutbarkeitsprofil (vgl. Schreiben vom 13. März 2020).  
Vorinstanz und Verwaltung übersehen indes, dass - mangels anderweitiger Revisions- oder Wiedererwägungsgründe, die hier weder geltend gemacht noch ersichtlich sind - die Aufhebung der bisherigen Rente zufolge Wiedereingliederung voraussetzt, dass entweder aufgrund der durchgeführten Massnahmen eine Erwerbsfähigkeit wiedererlangt werden konnte - mithin durch sie aktiv ein Revisionsgrund i.S.v. Art. 17 Abs. 1 ATSG herbeigeführt wurde -, oder der Eingliederungserfolg mutmasslich eingetreten wäre, wenn die versicherte Person in zumutbarer Weise mitgewirkt hätte, was im Verweigerungsfall die Rentenherabsetzung oder Renteneinstellung i.S.v. Art. 21 Abs. 4 ATSG erlaubt (vgl. BGE 145 V 2 E. 4.2.4; Urteil 9C_155/2019 vom 24. Juni 2019 E. 2.2.2). Die Renteneinstellung zufolge mangelnder Mitwirkung im Rahmen der Eingliederung muss mithin grundsätzlich an einer (Wieder-) Eingliederungsmassnahme anknüpfen, die der versicherten Person angeboten wurde, aber zufolge deren Widerstands entweder gar nicht oder nicht mit dem bei pflichtgemässer Mitwirkung überwiegend wahrscheinlich zu erwartenden Erfolg durchgeführt werden konnte. Zu den Eingliederungsmassnahmen gehören gemäss Art. 8a Abs. 2 IVG (mit Verweis auf die Art. 14a Abs. 2, Art. 15-18, Art. 21-21 quater IVG) etwa Massnahmen der sozial-beruflichen Rehabilitation, Beschäftigungsmassnahmen, Berufs- oder Ausbildung, Umschulungen, Arbeitsvermittlung, Arbeitsversuche, Einarbeitungszuschüsse, etc. Offensichtlich keine Eingliederungsmassnahme im Sinne von Art. 8a IVG ist es hingegen, von einem Rentenbezüger - gestützt auf eine revisionsrechtlich nicht massgebliche abweichende Einschätzung der Arbeitsfähigkeit - eine bestimmte Anzahl eigenständiger Bewerbungen zu verlangen. Das hat zur Folge, dass die Rente des hier am Recht stehenden Versicherten nicht gestützt auf Art. 21 Abs. 4 ATSG (i.V.m. Art. 7b Abs. 1 IVG) aufgehoben werden konnte weil er es versäumt hat, solche zu tätigen. 
 
4.3. Der Verwaltung steht es selbstverständlich frei, künftig Wiedereingliederungsmassnahmen durchzuführen, mit denen die Erwerbsfähigkeit des Beschwerdeführers verbessert werden könnte, womit potenziell ein Revisionsgrund gesetzt werden oder bei Widersetzlichkeit des Versicherten die Rente zufolge Verletzung der Schadenminderungspflicht aufgehoben werden könnte.  
 
5.  
Nach dem Gesagten ist die Beschwerde begründet. Das vorinstanzliche Urteil sowie die (inhaltlich mitangefochtene, vgl. etwa Urteil 9C_414/2019 vom 14. Oktober 2019 E. 4) Verfügung vom 13. Oktober 2020 sind aufzuheben. Der Beschwerdeführer hat demnach weiterhin Anspruch auf eine ganze Invalidenrente. 
 
6.  
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend hat die Beschwerdegegnerin die Kosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG). Der obsiegende (unvertretene) Beschwerdeführer macht keinen Arbeitsaufwand geltend, der den Rahmen dessen überschreitet, was er üblicher- und zumutbarerweise zur Besorgung der eigenen Angelegenheiten auf sich zu nehmen hat. Er hat demnach keinen Anspruch auf Parteientschädigung (Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG, vgl. etwa Urteil 9C_388/2020 vom 3. März 2021 E. 9). Sein Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege ist nach dem Gesagten gegenstandslos. 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern vom 22. Februar 2021 und die Verfügung der IV-Stelle Bern vom 13. Oktober 2020 werden aufgehoben. 
 
2.  
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt. 
 
3.  
Die Sache wird zur Neuverlegung der Kosten des vorangegangenen Verfahrens an das Verwaltungsgericht des Kantons Bern zurückgewiesen. 
 
4.  
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 28. Juli 2021 
 
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Parrino 
 
Die Gerichtsschreiberin: Oswald