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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
8C_623/2022  
 
 
Urteil vom 12. Januar 2023  
 
IV. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Wirthlin, Präsident, 
Bundesrichter Maillard, Bundesrichterin Viscione, 
Gerichtsschreiberin Berger Götz. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Advokat Erich Züblin, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
IV-Stelle des Kantons Aargau, 
Bahnhofplatz 3C, 5000 Aarau, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Invalidenversicherung 
(Invalidenrente; Invalideneinkommen), 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau vom 27. September 2022 (VBE.2022.125). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Der 1964 geborene A.________ war zuletzt seit 23. Februar 1988 als Polier für die B.________ AG erwerbstätig gewesen. Am 30. April 2015 meldete er sich unter Hinweis auf die Folgen eines am 28. November 2014 erlittenen Unfalls bei der Invalidenversicherung zum Bezug von Leistungen an. Die IV-Stelle des Kantons Aargau zog die Akten der zuständigen Unfallversicherung (Schweizerische Unfallversicherungsanstalt [Suva]) bei. Nachdem die B.______ AG das Arbeitsverhältnis am 27. September 2016 per 31. Dezember 2016 aufgelöst hatte, gewährte die IV-Stelle berufliche Massnahmen. Auf den 1. Mai 2020 liess sich A.________ zu 50 % als Hauswart im Wohn- und Pflegezentrum C.________ AG anstellen. Die IV-Stelle sprach ihm nach Durchführung des Vorbescheidverfahrens mit Verfügungen vom 17. Februar 2022 rückwirkend ab 1. November 2015 eine ganze Rente und ab 1. April 2016 eine Viertelsrente zu. 
 
B.  
Das Versicherungsgericht des Kantons Aargau wies die dagegen erhobene Beschwerde mit Urteil vom 27. September 2022 ab. 
 
C.  
A.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen und das Rechtsbegehren stellen, in Aufhebung des vorinstanzlichen Urteils sei die IV-Stelle zu verpflichten, ihm ab 1. November 2015 eine ganze und ab 1. April 2016 eine halbe Invalidenrente zu bezahlen. 
Es ist kein Schriftenwechsel durchgeführt worden. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann eine Rechtsverletzung nach Art. 95 f. BGG gerügt werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Dennoch prüft es - offensichtliche Fehler vorbehalten - nur die in seinem Verfahren gerügten Rechtsmängel (Art. 42 Abs. 1 f. BGG). Es legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG), und kann ihre Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Verfahrensausgang entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1, Art. 105 Abs. 2 BGG; zum Ganzen: BGE 145 V 57 E. 4). 
 
2.  
Die von der IV-Stelle gemäss Verfügungen vom 17. Februar 2022 zugesprochene ganze Rente für die Zeit vom 1. November 2015 bis 31. März 2016 wurde bereits im Verfahren vor dem kantonalen Gericht von keiner Seite in Frage gestellt. Streitig und zu prüfen ist, ob die Vorinstanz Bundesrecht verletzte, indem sie den Anspruch auf mehr als eine unbefristete Viertelsrente ab 1. April 2016 verneinte. 
 
3.  
 
3.1. Am 1. Januar 2022 traten im Zuge der Weiterentwicklung der IV revidierte Bestimmungen im IVG (SR 831.20) sowie im ATSG (SR 830.1) in Kraft (Weiterentwicklung der IV [WEIV]; Änderung vom 19. Juni 2020, AS 2021 705, BBl 2017 2535), dies mitsamt entsprechendem Verordnungsrecht. Gemäss lit. c der Übergangsbestimmungen zur Änderung des IVG gilt für Rentenbezügerinnen und -bezüger, deren Rentenanspruch vor Inkrafttreten dieser Änderung (vom 1. Januar 2022) entstanden ist, und die bei Inkrafttreten dieser Änderung das 55. Altersjahr vollendet haben, das bisherige Recht.  
Der Beschwerdeführer hatte am 1. Januar 2022 sein 55. Altersjahr bereits vollendet, womit die Bestimmungen des IVG und diejenigen der Verordnung über die Invalidenversicherung (IVV; SR 831.201) sowie des ATSG und der ATSV (SR 830.11) in der bis 31. Dezember 2021 gültig gewesenen Fassung anwendbar sind. 
 
3.2. Der Rentenanspruch ist abgestuft: Bei einem Invaliditätsgrad von mindestens 40 % resp. 50 %, 60 % oder 70 % besteht Anspruch auf eine Viertelsrente resp. halbe Rente, Dreiviertelsrente oder ganze Rente (Art. 28 Abs. 2 IVG).  
Für die Bestimmung des Invaliditätsgrades einer erwerbstätigen versicherten Person wird das Erwerbseinkommen, das sie nach Eintritt der Invalidität und nach Durchführung der medizinischen Behandlung und allfälliger Eingliederungsmassnahmen durch eine ihr zumutbare Tätigkeit bei ausgeglichener Arbeitsmarktlage erzielen könnte (hypothetisches Invalideneinkommen), in Beziehung gesetzt zum Erwerbseinkommen, das sie erzielen könnte, wenn sie nicht invalid geworden wäre (hypothetisches Valideneinkommen; Art. 16 ATSG in Verbindung mit Art. 28a Abs. 1 Satz 1 IVG). 
 
4.  
 
4.1. Die IV-Stelle setzte in den Verfügungen vom 17. Februar 2022 das Valideneinkommen gestützt auf die Angaben des ehemaligen Arbeitgebers für das Jahr 2016 auf Fr. 103'000.- und für das Jahr 2020 auf Fr. 105'080.- fest. Das Invalideneinkommen ermittelte sie auf der Grundlage der Lohnstrukturerhebung (LSE) des Bundesamtes für Statistik. Nominallohnindexiert resultierte gestützt auf die LSE 2014, Tabelle TA1, Kompetenzniveau 1, Total, Männer, ab 1. Januar 2016 ein Jahresverdienst von Fr. 53'317.-, bzw. ab 1. Januar 2020 gemäss LSE 2018, Tabelle TA1, Kompetenzniveau 1, Total, Männer, ein solcher von Fr. 55'900.-. Aus dem Einkommensvergleich ergab sich per 1. Januar 2016 ein Invaliditätsgrad von 48 % und per 1. Januar 2020 von 47 %.  
 
4.2. Die Vorinstanz bestätigte für die Zeit ab 1. November 2015 einen Invaliditätsgrad von 100 % bei einer 100%igen Arbeitsunfähigkeit in jeder Beschäftigung. Ab 1. Januar 2016 erachtete sie körperlich leichte Tätigkeiten in einem 80%-Pensum (6,7 Stunden täglich), unter Vermeidung von Heben und Tragen über 12.5 kg sowie lang anhaltenden Tätigkeiten in Zwangshaltung (vorgeneigtes Stehen und Sitzen, Knien und Kriechen), als leidensangepasst. Die von der Verwaltung in den Verfügungen vom 17. Februar 2022 auf dieser Basis vorgenommenen Invaliditätsbemessungen stellte das kantonale Gericht nicht in Frage. Es sah namentlich keinen Anlass, beim Invalideneinkommen zusätzlich einen leidensbedingten Abzug zu berücksichtigen. Zur Begründung führte es an, der 80%ige Beschäftigungsgrad wirke sich bei Männern ohne Kaderfunktion statistisch betrachtet nicht lohnmindernd aus und weitere Anhaltspunkte, die einen Abzug vom Tabellenlohn rechtfertigen würden, seien nicht ersichtlich.  
 
4.3. Der Beschwerdeführer macht geltend, indem die Vorinstanz die qualitativen funktionellen Leistungseinschränkungen nicht als Grund für einen leidensbedingten Abzug von mindestens 5 bis 15 % anerkannt und überhaupt keinen Leidensabzug vorgenommen habe, habe sie das Invalideneinkommen abweichend von der neusten bundesgerichtlichen Rechtsprechung (BGE 148 V 174) nicht korrekt berechnet und damit Art. 28a Abs. 1 IVG in Verbindung mit Art. 16 ATSG verletzt.  
 
5.  
 
5.1.  
 
5.1.1. Wird das Invalideneinkommen auf der Grundlage von statisti-schen Lohndaten wie namentlich der LSE ermittelt, ist jeweils vom sogenannten Zentralwert (Median) auszugehen (BGE 148 V 174 E. 6.2; 126 V 75 E. 3b/bb; Urteil 8C_58/2021 vom 30. Juni 2021 E. 4.1.1). Der so erhobene Ausgangswert ist allenfalls zu kürzen. Damit soll der Tatsache Rechnung getragen werden, dass persönliche und berufliche Merkmale, wie Art und Ausmass der Behinderung, Lebensalter, Dienstjahre, Nationalität oder Aufenthaltskategorie und Beschäftigungsgrad Auswirkungen auf die Lohnhöhe haben können, und die versicherte Person je nach Ausprägung deswegen die verbliebene Arbeitsfähigkeit auch auf einem ausgeglichenen Arbeitsmarkt nur mit unterdurchschnittlichem erwerblichem Erfolg verwerten kann (BGE 135 V 297 E. 5.2; 126 V 75 E. 5b/aa i.f.). Der Abzug soll aber nicht automatisch erfolgen. Er ist unter Würdigung der Umstände im Einzelfall nach pflichtgemässem Ermessen gesamthaft zu schätzen und darf 25 % nicht übersteigen (BGE 135 V 297 E. 5.2; 134 V 322 E. 5.2; 126 V 75 E. 5b/bb-cc). Die Rechtsprechung gewährt insbesondere dann einen Abzug vom Invalideneinkommen, wenn eine versicherte Person selbst im Rahmen körperlich leichter Hilfsarbeitertätigkeit in ihrer Leistungsfähigkeit eingeschränkt ist. Allfällige bereits in der Beurteilung der medizinischen Arbeitsfähigkeit enthaltene gesundheitliche Einschränkungen dürfen nicht zusätzlich in die Bemessung des leidensbedingten Abzugs einfliessen und so zu einer doppelten Anrechnung desselben Gesichtspunkts führen (BGE 148 V 174 E. 6.3; 146 V 16 E. 4.1). Im Lichte der (auch hier, vgl. vorangehende E. 3.1) massgeblichen, bis Ende Dezember 2021 geltenden Rechtslage - und ohne etwas Abschliessendes zur aktuellen Rechtslage zu sagen - kam das Bundesgericht in seinem Grundsatzurteil BGE 148 V 174 zum Schluss, dass kein ernsthafter sachlicher Grund für die Änderung dieser Rechtsprechung besteht und eine solche in Anbetracht der per 1. Januar 2022 in Kraft getretenen Revision des IVG und der IVV auch nicht opportun ist. Damit wendete es sich sowohl gegen die Anwendung des untersten Quartilswertes (anstelle des Zentralwertes) wie auch gegen einen entsprechenden "statistisch begründeten" respektive "standardmässigen" Abzug vom Zentralwert (BGE 148 V 174 E. 9.2.3-9.3).  
 
5.1.2. Ob ein behinderungsbedingt oder anderweitig begründeter Abzug vom Tabellenlohn vorzunehmen ist, stellt eine frei überprüfbare Rechtsfrage dar. Dagegen ist die Höhe des (im konkreten Fall grundsätzlich angezeigten) Abzugs eine Ermessensfrage und daher letztinstanzlich nur bei Ermessensüberschreitung, -missbrauch oder -unterschreitung korrigierbar (BGE 148 V 174 E. 6.5; 146 V 16 E. 4.2 mit Hinweisen).  
 
5.2.  
 
5.2.1. Zunächst weist der Beschwerdeführer grundsätzlich zu Recht darauf hin, dass das Bundesgericht in BGE 148 V 174 die überragende Bedeutung des leidensbedingten Abzugs vom Tabellenlohn als Korrekturinstrument bei der Festsetzung eines möglichst konkreten Invalideneinkommens betonte (BGE 148 V 174 E. 9.2.2 und 9.2.3). Aus gutem Grund beruft er sich allerdings für den von ihm geforderten zusätzlichen Abzug vom Invalideneinkommen nicht auf eine überproportionale Lohneinbusse infolge 80%iger Teilzeitarbeit unter dem Titel des Beschäftigungsgrades. Denn der standardisierte Median-Bruttolohn von Männern ohne Kaderfunktion mit einem Teilzeitpensum von 75 bis 89 % liegt gemäss Tabelle T18 der LSE 2018 im Vergleich zu einem Vollpensum (ab 90 %) sogar um 5 % höher.  
 
5.2.2. Der Umstand, dass der Beschwerdeführer nur noch körperlich leichte Tätigkeiten (kein Heben und Tragen über 12,5 kg, somit eher körperlich leichte bis mittelschwere Tätigkeiten) ausführen kann, bietet unter den vorliegenden Umständen ebenfalls keinen Anlass für einen Leidensabzug. Der zugrunde gelegte Tabellenlohn des Kompetenzniveaus 1 umfasst bereits eine Vielzahl an leichten und mittelschweren Tätigkeiten (Urteile 8C_350/2022 vom 9. November 2022 E. 6.2.3; 8C_151/2020 vom 15. Juli 2020 E. 6.2 mit Hinweis). Die leidensbedingten Einschränkungen wurden schon mit dem Belastungsprofil berücksichtigt und dürfen nicht nochmals - als abzugsrelevant - herangezogen werden (vgl. BGE 146 V 16 E. 4.1 mit Hinweis). Der Beschwerdeführer verkennt bei seiner Argumentation, dass die qualitativen Einschränkungen, also neben der Beschränkung auf körperlich leichte Tätigkeiten das Vermeiden von andauerndem Arbeiten in Zwangshaltungen, keinen Schluss darauf erlauben, dass er deswegen im Kompetenzniveau 1 über die Lohneinbusse aufgrund eines lediglich 80%igen Pensums hinaus weitere finanzielle Nachteile gewärtigen müsste. Denn es steht ihm ein genügend breites Spektrum an körperlich leichten Hilfsarbeitertätigkeiten auf dem ausgeglichenen Arbeitsmarkt zur Verfügung, in denen sich die vorgenannten qualitativen Einschränkungen nicht zusätzlich lohnrelevant auswirken (vgl. E. 5.1.1 hiervor). Etwas anderes lässt sich entgegen seiner Ansicht auch aus BGE 148 V 174 und den dort erwähnten neuen Tabellen KN 1 "light" und KN 1 "light-moderate" zu LSE TA1_tirage_skill_level gemäss Anhang des SZS-Beitrags von RIEMER-KAFKA/SCHWEGLER (vgl. BGE 148 V 174 E. 8.3) nicht ableiten. Vielmehr sprach sich das Bundesgericht im zitierten Urteil unter altem - auch hier anwendbarem - Recht gegen einen standardmässigen Abzug vom Zentralwert aus, wie dies vom Beschwerdeführer letztinstanzlich gefordert wird (E. 5.1.1 hiervor am Ende, mit Hinweis auf BGE 148 V 174 E. 9.2.3-9.3).  
 
5.2.3. Die vom Beschwerdeführer verlangte Sachverhaltsergänzung vermag sich von vornherein nicht auf das Ergebnis auszuwirken, da - wie gezeigt - auch unter der Annahme, es sei nur noch eine körperlich leichte (im Gegensatz zu einer körperlich leichten bis mittelschweren) Tätigkeit zumutbar, kein zusätzlicher Abzug vom Invalideneinkommen resultiert.  
 
5.3. Dem Beschwerdeführer gelingt es nicht, im Zusammenhang mit dem vorinstanzlich unterbliebenen Leidensabzug eine Bundesrechtswidrigkeit zu belegen und eine solche ist auch nicht erkennbar, weshalb es ab 1. April 2016 beim Anspruch auf eine Viertelsrente bleibt. Die Beschwerde ist abzuweisen.  
 
6.  
Dem Prozessausgang entsprechend hat der Beschwerdeführer die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.  
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
3.  
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 12. Januar 2023 
 
Im Namen der IV. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Wirthlin 
 
Die Gerichtsschreiberin: Berger Götz